Читать книгу Die verzauberte Geige - Tone Kjærnli - Страница 4

Оглавление

In der Dämmerung.

In der Stunde, die nicht Tag, nicht Nacht ist.

Am Rande des Waldes.

Ein weißes Haus steht ganz allein, wie ein einsames Licht mitten in der Finsternis.

Die Schatten haben sich zurückgezogen. Jetzt liegen sie schlafend unter den Bäumen im Wald und unter der großen Birke, die sich an den Brunnen mitten auf dem Platz lehnt.

Nein. Der Schatten der Birke schläft nicht. Er bewegt sich. Über den Hof. Auf die Steintreppe vor dem Haus zu. Wo er sich hinsetzt.

Der Schatten ähnelt einem Mädchen. Es ist zu dunkel, um sie deutlich erkennen zu können. Aber wenn jemand sie hätte sehen können, würde er denken, dass sie traurig wirkt.

Jetzt flüstert sie etwas. Wenn jemand sie hätte hören können, er würde sagen, sie hätte einen Namen geflüstert, der klang wie ... Geigenhansel.

Aber niemand hört sie.

Und vielleicht flüsterte ja sowieso niemand, vielleicht war es nur das leise Rauschen der Bäume. Und vielleicht war es gar kein Mädchen, sondern einfach nur ein Schatten, der keine Ruhe fand.

*

Unter dem früh dunkel werdenden Herbsthimmel in einer Stadt, auf einer Straße, geht ein Junge, so schnell er kann, ohne zu rennen. Er ist wohl elf, zwölf Jahre alt, aber etwas klein für sein Alter. Er hat einen Geigenkasten dabei. Der schlägt ihm bei jedem Schritt gegen das rechte Bein. Eine Schar Jungs folgt ihm. Sie machen quietschende Geräusche wie kranke Katzen: Kreisch! Quietsch! Den Anführer nennen sie Kyrre. Die anderen lachen, wenn er lacht, sie grölen, wenn er grölt.

»Spiel doch was, Geigenhansel! Geigenhansel mit seiner Fiedel! Kreisch! Quietsch!«

An einem gepflasterten Hinterhof verlieren sie das Interesse und verschwinden um eine Ecke. Der Junge mit der Geige geht in den Hinterhof, geht auf dem Hofpflaster an drei überfüllten Mülleimern und einer Wäscheleine mit grauweißen Bettlaken vorbei. Im Treppenaufgang bleibt er einen Moment lang stehen und schnuppert, bevor er die Treppen erklimmt. Er hofft bis zum Schluss, dass der Geruch nach Fischpudding aus einer der Wohnungen im Erdgeschoss oder im ersten Stock kommt, aber im zweiten Stock wird der Geruch deutlich stärker. An der Tür rechts hängt ein Schild: Abel. Er klingelt. Eine Frau öffnet. Sie hat lange, dichte Wimpern und hellbraune Haare, die sich in den Spitzen leicht kringeln. Sie ähnelt ihm. Sie macht einen Schritt zur Seite, so dass er fast in den Flur hineinfällt.

»Du bist ja ganz außer Atem. Bist du gelaufen?«

»Mama, die ärgern mich.«

»Was sagen sie denn?«

»Kreisch, quietsch und so. Geigenhansel mit seiner Fiedel.«

»Kümmere dich doch nicht um die. Bestimmt sind sie nur neidisch.«

»Ach was. Das sind sie ganz bestimmt nicht! Aber ich scheiß auf die, die sind doch allesamt nur Schneckenschleim.«

»Aber Hansel.«

»Nenn mich nicht Hansel. Ich heiße Johannes!«

Die verzauberte Geige

Подняться наверх