Читать книгу Die verzauberte Geige - Tone Kjærnli - Страница 8

Viertes Kapitel in dem zwei Kusinen kichern und Johannes ein Stück Kuchen im Hals stecken bleibt

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»Ihr müsst was singen!«, forderte Großmutter. »Ich will ein richtig stimmungsvolles Lied zu meinem zweiundsiebzigsten Geburtstag!«

Hoch soll sie leben!

Sie sangen alle zusammen. Mutter, Vater, Johannes, Gry. Tante Trine und Onkel Håkon. Die Kusinen Mia und Stine. Der Gesang erfüllte Großmutters kleines Wohnzimmer vom Boden bis zur Decke. Großmutter nickte zufrieden. »Danke, vielen Dank. Das war schön. Will noch jemand Limonade?«

»Jetzt musst du aber die Kerzen auspusten«, meinte Vater.

Großmutter holte tief Luft und ließ sie wieder raus. Die sieben großen und die zwei kleinen Kerzen auf der Torte erloschen.

»Bravo! Was wünschst du dir?«

»Ich wünsche mir ... ich wünsche mir ... eine Reise rund um die Welt! Auf die Spitze des Kilimandscharo zu klettern. Und ein kleines Haus auf dem Land ... wenn ich alt bin. Und eine Schulter, an die ich mich lehnen kann. Das alles wünsche ich mir.«

»Das ist ja nicht gerade wenig«, sagte Mutter.

Johannes sah, wie Tante Trine und Onkel Håkon sich anguckten. Bestimmt denken sie jetzt, dass Großmutter etwas wunderlich ist, dachte Johannes. Vielleicht meinten sie ja auch, dass das mit der starken Schulter nicht so recht passte. Aber schließlich war es schon so lange her, dass Großvater gestorben war. Da war es doch kein Wunder, dass Großmutter sich ab und zu einsam fühlte? Wie nannte Vater Tante und Onkel noch? Die sind eckig, sagte er immer.

»Und, bist du damit auch ein bisschen zufrieden?«

Mutter legte Großmutter ihr Geschenk auf den Schoß. Es war ein hübsches Tuch in bunten Farben. Großmutter band es sich um den Hals.

»Oh! Das kann ich gut gebrauchen. Für die Reise!«

Alle lachten. Tante Trine sagte: »Du wirst doch nicht ...«

»Nein, nein. Das sind nur Träume. Aber man weiß ja nie.«

Mutter seufzte. »Reisen. Stellt euch vor einfach von dem ganzen Mist wegreisen. Von der Dunkelheit, dem Regen und dem Matschwetter. Wir können ja nicht einmal davon träumen.«

»Else ist im Augenblick ziemlich unzufrieden«, erklärte Vater.

»Unzufrieden! Wenn es das nur wäre!«

»Wir fahren über Weihnachten nach Thailand«, sagte die Tante. »Nach Thailand!«

»An die weißen Strände dort.«

»Und zu den flotten Mädchen!«, schmunzelte Onkel Håkon.

Jetzt schauten sich Mutter und Vater an. Ganz schnell, damit es niemand mitbekam. Aber Johannes sah es. Er bekam eigentlich immer alles mit.

»Schließlich braucht man ein bisschen Abwechslung vom Alltag. Und wir können es uns ja leisten.«

»Das Geschäft läuft momentan einfach fantastisch«, erklärte Onkel Håkon.

Mutter sagte: »Also, was uns betrifft, sind wir schon froh, wenn wir die üblichen, fantastischen Alltagsrechnungen bezahlen können.«

Vater räusperte sich.

»Wie gesagt, Else ist etwas unzufrieden.«

»Das Schreiben bringt wohl nicht so viel Geld«, meinte Onkel Håkon. »Wie lange schreibst du jetzt eigentlich an deinem Buch?«

»Seit einem Jahr«, sagte Vater kurz und goss sich noch Kaffee in die Tasse.

»Seit einem Jahr! Meine Güte. Und dabei ist es doch nur Erfundenes, worüber du da schreibst. Also, ich für meinen Teil, ich halte mich lieber an die Zeitungen.«

»Das sollten vielleicht mehr Leute machen«, murmelte Mutter.

Plötzlich wurde es ganz eklig still. Johannes guckte von seinem Tortenstück auf. Mutter fummelte an der Tischdecke. Vater kippte den Kaffee so schnell in sich hinein, dass er sich bestimmt verbrannte. Großmutter sagte entschlossen: »Nein, jetzt ist aber genug über Geld geredet worden! Jetzt kann Johannes etwas für uns spielen. Wenn er will«, fügte sie noch hinzu.

Er hatte seine Geige mitgebracht. Das hatte er Mutter versprochen, denn schließlich bezahlte Großmutter die Unterrichtsstunden und so weiter. Aber da hatte er nicht gewusst, dass Onkel und Tante und die Kusinen auch da sein würden. Er warf Mia und Stine, seinen Kusinen, einen Blick zu. Schon die Namen klangen wie Kichern. Mia war ein Jahr älter als er, Stine ein Jahr jünger. Beide waren viel größer als er.

Mutter sah ihn an. Du hast es versprochen, sagte ihr Blick. Und auf einmal schauten alle ihn an. Tante Trine lächelte süßlich und aufmunternd. Onkel Håkon versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. Vater hatte bereits den Notenständer aufgestellt. Es führte kein Weg daran vorbei.

»Nur wenn du willst«, wiederholte Großmutter.

»Doch, schon.«

Die Kusinen sahen sich viel sagend an.

Johannes legte die Geige ans Kinn und hob den Bogen. Ave Maria. Anfangs lief es gut. Dann quietschte es. Die Kusinen knufften sich gegenseitig.

»Fang noch mal an, Johannes!«

Ave Mariiia. Gry tanzte um ihn herum wie immer, wenn er spielte. Ab und zu kam sie an den Ständer, so dass die Noten vor seinen Augen auf und ab hüpften. Johannes hatte das Gefühl, als würden seine Ohren in Flammen stehen. Kicher, kicher, prusteten die Kusinen.

»Lächle mal, Johannes!«

Onkel Håkon feuerte plötzlich einen Blitz ab. Johannes zwinkerte mehrmals. Kreisch, quietsch, jammerte die Geige.

»Ich mag nicht mehr.«

Johannes legte die Geige hin.

»Er hat den Blitz in die Augen gekriegt«, erklärte Mutter, »dann konnte er sich nicht mehr konzentrieren.«

»Ich mag einfach nicht mehr.«

Die Kusinen kicherten wieder.

Nilpferde, dachte Johannes. Die Tante warf ihnen einen warnenden Blick zu. Johannes setzte sich und nahm sich ein großes Stück Torte.

»Du mit dem Horn auf der Stirn«, sagte Onkel Håkon und deutete auf seine Beule. »Du kannst ja ein Konzert geben. Ein Konzert für Horn und Geige. Hahaha!«

Sehr witzig. Johannes lächelte angestrengt mit dem Mund voll Kuchen.

»Ein Horn auf der Stirn«, redete Onkel Håkon weiter.

»Wie nennt man das noch, das Tier mit dem Horn auf der Stirn?«

»Ein Einhorn«, erklärte Vater. »Über Einhörner steht wohl kaum was in der Zeitung.«

Onkel Håkon bemerkte den spöttischen Unterton anscheinend gar nicht. Er rief begeistert: »Ein Einhorn, genau! Du siehst aus wie ein Einhorn, Johannes!«

Hops!, ein Stück Kuchen war Johannes in die falsche Kehle gerutscht. Mutter klopfte ihm auf den Rücken. Kicher, kicher.

»Ich glaube, ich muss einen Schluck Wasser trinken«, murmelte Johannes.

Er ging in die Küche und ließ das Wasser laufen, während sich seine Ohren langsam abkühlten. Er starrte aus dem Fenster. Ein Einhorn. Das Zeichen des Einhorns! Einen Augenblick schien der Raum zu schwanken. Johannes schloss die Augen. Verfolgte die Farben auf der Innenseite seiner Lider. Bald war er weit, weit draußen im Weltall. Die Geräusche aus dem Wohnzimmer waren nur noch aus der Ferne zu vernehmen.

Johannes segelte. Durch die Luft. Über das Meer. Wiegte sich in einem Boot. Ging an Land. Durchquerte einen Wald. Ging über einen Acker auf ein weißes Haus mit Kletterrosen und einer Glasveranda zu.

Dieses Haus! Er hatte das gleiche Haus schon einmal bei einer anderen Farbenreise am selben Tag gesehen. Merkwürdig. Normalerweise sah er nie die gleichen Dinge. Und auf der Steintreppe vor dem Haus stand das Mädchen mit den roten Haaren. Sie summte die gleiche traurige Melodie. Dann öffnete sie den Mund und sagte ...

»Johannes?«

Johannes öffnete die Augen.

»Jetzt warst du aber weit weg«, sagte Großmutter.

»Mmh.«

»Zehn Öre für deine Gedanken, hat meine Mutter immer zu mir gesagt.«

»Haha.«

»Aber die waren nicht zu verkaufen. Und deine sicher auch nicht, wie ich annehme.«

»Nein. Bestimmt nicht.«

Großmutter legte ihm einen Arm um die Schulter.

»Deine Kusinen, weißt du, das sind so richtige Kichermädchen.«

»Ja. Hm.«

»Das ist das Alter, weißt du, Johannes. Mädchen in dem Alter müssen kichern. Und Jungs kriegen rote Ohren.«

»Die anderen Jungs nicht«, widersprach Johannes, »nur ich.«

Großmutter schüttelte den Kopf.

»Ich kann mich noch gut dran erinnern, als ich zur Schule ging. Da war ein Junge bei mir in der Klasse. Meine Güte, was kriegte der für rote Ohren. Ich war schrecklich verliebt in ihn. Oje, was war ich verliebt!«

»Wirklich?«

»O ja. Ich werde das nie vergessen. Übrigens spielte er auch Geige. Genau wie du.«

»Aber wenn andere zuhören, wird es nur Mist«, murmelte Johannes.

Großmutter fuhr ihm durchs Haar. »Dann hör einfach auf. Du kannst aufhören, wann du willst, weißt du. Du musst schon Lust dazu haben, sonst bringt es nichts.«

Aber er hatte ja Lust. Er mochte die Stunden bei dem Geigenlehrer, Herrn Krüger. Und wenn er jetzt aufgab, dann wäre es so, als hätten die anderen gewonnen. Die ihn immer ärgerten. Kyrre und seine Bande. Und das gönnte er ihnen auf keinen Fall!

»Ich will nicht aufhören«, erklärte Johannes.

Großmutter drückte ihn an sich. Beide lächelten sich an. Großmutter war richtig hübsch. Es machte gar nichts, dass sie alt war, sie war trotzdem hübsch.

»Fühlst du dich alt, Großmutter?«

»Alt? Im Grunde genommen nicht. In mir drinnen bin ich nicht viel älter als du, denke ich.«

»Mama sagt, sie fühlt sich alt«, berichtete Johannes seufzend. »Sie sagt, die Brotkrümel und die ganze Unordnung bringen sie um.«

»Das mag sein«, stimmte Großmutter zu. »Aber deine Mutter sollte versuchen ab und zu von den Brotkrümeln und allem aufzublicken. Dann würde sie vielleicht all das Schöne entdecken, was sie auch hat.«

»Was hat sie denn Schönes?«, fragte Johannes.

»Na, dich zum Beispiel.«

»Ach was.«

»O doch, du bist was Schönes. Sie muss lernen das Leben nicht so schwer zu nehmen, deine Mutter.«

»So wie du, meinst du?«

»Eh, doch, ja. Aber erzähle ihr nicht, dass ich das gesagt habe, nicht wahr.«

Sie legten sich beide einen Finger auf die Lippen. Dann gingen sie zurück ins Wohnzimmer.

»Mia will etwas aufsagen«, verkündete Tante Trine.

Ächz, stöhn. »Es wohnte ein grau melierter Sonderling, auf der äußersten rauen Insel im Meer«, leierte Mia herunter.

Johannes sank aufs Sofa. Terje Vigen von Henrik Ibsen. Mindestens fünfzig Strophen. Und sie konnte bestimmt alle auswendig, jede einzelne.

Auf der Heimfahrt im Auto surrte Johannes immer noch Terje Vigen im Kopf herum. Ein grau melierter Sonderling, ein grau melierter Sonderling ...

»Heute habe ich einen komischen Typen getroffen«, erzählte Johannes den Hinterköpfen seiner Eltern.

»Mhm?«

»Er hat sich ganz merkwürdig aufgeführt. Er war ein Zwerg. Und mindestens hundert Jahre alt.«

»Ach.«

»An seinen Wänden waren ganz sonderbare Zeichen. Und von der Decke hing ein Kronleuchter verkehrt herum runter. Und an der Tür waren Halbmonde aufgemalt. Geigenbauer, stand an der Tür.«

»Aha.«

»Aber ich habe keine einzige Geige gesehen. Das war doch merkwürdig. Findet ihr nicht?«

»Mhm. Doch.«

Plötzlich drehte Mutter sich zu ihm um.

»Wo ist eigentlich mein Schirm geblieben? Ich habe gar nicht gesehen, dass du ihn dabeihattest, als du nach Hause gekommen bist.«

»Den habe ich vergessen.«

»Aber Hansel!«

»Ich glaube, ich schlafe ein bisschen«, sagte Johannes.

Die verzauberte Geige

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