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KAPITEL 2 WER WILL EIN MAMMUT BAUEN?

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Jakutsk besitzt nur wenige Touristenattraktionen. Zwar ist es eine der weltweit größten Produktionsstätten für Diamanten sowie die Hauptstadt einer Region, die sieben Mal so groß ist wie Schweden, doch leben hier nur knapp dreihunderttausend Menschen. Den großen Platz ziert die riesige Statue eines nach Norden blickenden Lenin sowie ein großer Brunnen, an dem sich in der Dämmerung die Teenager treffen.

Die wichtigste Touristenfalle ist jedoch das ein wenig außerhalb der Stadt gelegene Kingdom Permafrost. Lange Stollen, deren Decken und Wände mit zentimeterdickem Raureif überzogen sind, führen in das dauerhaft gefrorene Erdreich hinab. Alle Besucher werden mit dicken Mänteln und Winterschuhen ausgestattet. Vielfarbige Lampen illuminieren Statuen aus Eis und aus Lautsprechern klimpert klassische Musik. Eine ebenfalls ganz aus Eis erbaute Bar bietet Wodka an. Dort ist außerdem das traditionelle regionale Gericht Stroganina erhältlich, das mit seinen Stücken gefrorenen Fischs mit gehackter Zwiebel, Öl und reichlich schwarzem Pfeffer an Sushi erinnert. Kingdom Permafrost ist bezaubernd, hemmungslos kitschig und bitterkalt.

Das wirklich Faszinierende verbirgt sich indessen in einem kleinen Nebenraum in der Nähe des Eingangs. Der Guide kann nur wenige Brocken Englisch, aber er schließt mir auf und bedeutet mir einzutreten. Entlang der Wände sind Eisblöcke aufgestapelt. Hier gibt es weder Musik noch bunte Lichter. Auf einer Holzpalette liegt der große, graue Kopf eines Mammuts. Der Rüssel ist nicht mehr vorhanden, aber die Haut ist in gutem Zustand und um die Augen herum etwas runzelig. Oben auf dem Kopf sitzt noch ein Büschel dunkelbrauner Haare. Auch die Ohren und Teile des Mauls sind noch erhalten.

Es riecht ein wenig muffig hier drinnen, staubig und stickig, aber nicht direkt unangenehm. Allein der schwache Geruch verrät, dass das Mammut schon vor mehr als zwanzigtausend Jahren starb, dass also das, was hier vor mir liegt, kein frisches Fleisch ist. Die Stoßzähne streben vom Kopf weg und wo der Abstand zwischen ihnen am größten ist, kann ich sie auch mit ausgestreckten Armen nicht beide gleichzeitig berühren. Weiter hinten im Raum liegt der Körper eines dreißigtausend Jahre alten Wollnashorns, doch ich habe nur Augen für den Mammutkopf. Ich schlängele mich durch den engen Raum, um ihn von allen Seiten betrachten zu können, befühle die blanken Stoßzähne und beuge mich über den Schädel, um die runzelige Haut eingehender zu untersuchen.

Immer wieder einmal entdecken Forscher in Sibirien solche eingefrorenen Körper. Diesen hier fand ein Franzose im Jahr 2002. Es ist der bisher am besten erhaltene Kopf eines ausgewachsenen Mammutbullen. Jungtiere sind sogar in noch besserem Zustand gefunden worden – kleine, vollständig erhaltene Körper, die fast den Eindruck vermitteln, als würden sie schlafen. Die drei bekanntesten wurden Lyuba, Zhenya und Dima genannt und an Museen in der ganzen Welt ausgeliehen. Hier im Kingdom Permafrost kommt mir der gleiche Gedanke wie schon beim Betrachten der Bilder von den Mammutbabys: Man müsste sie doch eigentlich klonen können.

Der Kopf, neben dem ich hier sitze, wirkt immer noch so lebendig. Irgendwo da drinnen gibt es bestimmt Zellen, die man mit ein wenig wissenschaftlicher Geschicklichkeit wieder zum Leben erwecken könnte, denke ich.

Das Klonen von Tieren ist heutzutage in der Forschung fast schon Routine. Meistens wird dazu einem ausgewachsenen Tier ein Zellkern entnommen und in eine Eizelle oder in die Zelle eines Embryos eingesetzt. Der Zellkern enthält das Erbgut, er dient der Zelle als Kommandozentrale und überwacht alle Abläufe. Erwachsene Zellen sind spezialisiert, weshalb eine Hautzelle zum Beispiel nicht plötzlich zu einer Muskelzelle werden kann. Wird der Kern einer erwachsenen Zelle jedoch in eine Eizelle eingesetzt, kann er sich umstellen und seine Spezialisierung aufgeben. Dadurch kann er die Zelle anregen, zu wachsen und sich zu teilen, um sich schließlich zu einem ganz neuen Tier zu entwickeln. Mithilfe dieses Verfahrens wurde vor zwanzig Jahren das Schaf Dolly geklont. Die Methode funktioniert bei Tieren, die entweder der gleichen Art oder eng miteinander verwandten Arten angehören. Könnte man womöglich einen Zellkern aus einem gut erhaltenen Mammutkörper in die lebende Eizelle eines Elefanten einschleusen?

Einige Wissenschaftler arbeiten genau darauf hin. Sie suchen im Eis nach immer noch besser erhaltenen Tieren, in der Hoffnung, früher oder später auf lebendige oder zumindest weitgehend unversehrte Zellkerne zu treffen. Laborversuche haben nämlich gezeigt, dass man sogar aus Zellen, die mehrere Jahre lang eingefroren waren, noch die Zellkerne entnehmen und sie nach dem Auftauen in andere Zellen einsetzen kann.

Das Projekt zum Klonen von Mammuts, das bislang am meisten Aufmerksamkeit erregte, wird von dem Südkoreaner Hwang Woo-suk geleitet. Sein Team entdeckte im Jahr 2013 den Körper eines Mammuts, der so gut erhalten war, dass aus ihm eine blutähnliche Flüssigkeit austrat. Die beteiligten Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie innerhalb weniger Jahre das erste Mammutjunge klonen werden.

Dieser Versuch ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Hwang Woosuk ist in Forscherkreisen berüchtigt, seit er 2004 einen wissenschaftlichen Artikel veröffentlichte, in dem er behauptet, es sei ihm gelungen, dreißig menschliche Föten zu klonen. Das stellte sich alsbald als Schwindel heraus, denn die Klone existierten nicht. Ein langer und komplizierter Rechtsstreit schloss sich an und Hwang Woo-suks Ansehen als Wissenschaftler war ruiniert. Später kehrte er in die Forschung zurück und beschäftigt sich jetzt also unter anderem mit der Suche nach Mammuts. Sowohl das Projekt als Ganzes wie auch der neueste Fund haben große Aufmerksamkeit erregt, doch bislang liegen zu den Klonversuchen noch keine wissenschaftlichen Studien vor. Genetiker weltweit bemängeln die fehlende wissenschaftliche Basis des Projekts und sehen in ihm nur eine Methode, Aufmerksamkeit zu erregen und Gelder zu akquirieren.

Ein anderes Projekt wird von dem japanischen Forscher Akira Iritani geleitet. Er ist Experte für die Wiederbelebung eingefrorener Zellen und hat unter anderem aus Zellen, die sechzehn Jahre lang gefroren waren, Mäuse geklont. Schon 2011 sagte er voraus, dass es innerhalb von „vier oder fünf Jahren“ ein geklontes Mammut geben könnte. Auch sein Team ist auf der Suche nach dem perfekten Körper für die Zellentnahme. Da bisher noch in keinem Zoo ein flauschiges Elefantenjunges geboren worden ist, scheint sich dies schwieriger zu gestalten, als man zunächst annahm.

Worin besteht also das Problem beim Klonen von Mammuts? Schließlich hat man ihr Erbgut bereits analysieren können.

Man stelle sich ein Stück Fleisch vor, das abwechselnd aufgetaut und wieder eingefroren wird. Selbst unter den günstigsten Bedingungen dauert es sehr lange, bis der große Körper eines Mammuts durchgefroren ist. Währenddessen werden bereits Zellen abgebaut und das Fleisch verwest. Angenommen, der Körper ist am Grund eines flachen Sees in den Schlamm eingesunken, vielleicht, weil das Tier darin steckengeblieben ist, als es hindurchzuwaten versuchte. Im Winter gefriert der See, wegen des Permafrosts auch von unten. Im darauf folgenden Sommer taut er zumindest teilweise wieder auf. Das setzt sich über mehrere Jahre fort, bis der Kadaver so weit eingesunken und von Schlamm bedeckt ist, dass er das ganze Jahr über gefroren bleibt. Dort kann der Körper dann über zwanzig- oder dreißigtausend Jahre lang liegen, bis ihn jemand entdeckt und ausgräbt.

Der Zyklus aus wiederholtem Auftauen und Einfrieren hat jedoch schon das Seine getan: Wenn das Fleisch nicht den spontanen Wunsch erweckt, es auf den Grill zu werfen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es noch lebende oder unversehrte Zellen enthält, vermutlich nicht sehr groß.

Das Erbgut lässt sich auch nach dem Tod und dem Zerfall der Zellen noch extrahieren und rekonstruieren. Das Problem besteht aber darin, dass die von Forschern wiederhergestellten Gene nur in einem Computerprogramm existieren. Die Analyse des Erbguts, das komplizierte Zusammensetzen kleiner DNA-Bausteine, erfolgt ausschließlich digital. Um aber eine Zelle klonen zu können, benötigt man ein intaktes und vollständiges, echtes DNA-Molekül. Bislang ist noch niemand auf so gut erhaltene Zellen eines Mammuts gestoßen, dass an ein Klonen auch nur zu denken wäre. Es gibt aber eine Alternative.

Mittlerweile sind Forscher tatsächlich in der Lage, kleine Teile von DNA zu bauen und in Zellen einzuschleusen. Diese Möglichkeit zeichnet sich in Boston ab, das ich während einiger besonders regnerischer Tage besuche.

George Church ist Professor für Genetik am Broad Institute, einer Kooperation von MIT und Harvard. Er erinnert an einen Weihnachtsmann. Zwar fehlt ihm der dicke Bauch, aber er hat einen weißen Vollbart und neugierige Augen. Genau wie der Weihnachtsmann bekommt auch er Briefe von begeisterten Kindern, die allerdings keine Wunschlisten enthalten, sondern Fragen zu Mammuts. Die versucht Church nämlich wieder zum Leben zu erwecken.

Bevor ich mich auf den Weg zu ihm machte, sagte mir ein anderer Forscher in einem Interview: „Man würde ihn einen unverbesserlichen, fast verrückten Optimisten nennen, wenn nicht all die wissenschaftlichen Fortschritte, die er vorhergesagt hat, auch eingetreten wären, oftmals sogar in seinem eigenen Labor.“

George Church gehörte zur Gruppe der Wissenschaftler, die das Erbgut des Menschen sequenziert haben. Einige Jahre später entwickelte er eine Methode der DNA-Analyse, die sowohl schneller als auch billiger ist als die bis dahin verwendete. Jetzt arbeitet er also daran, ein Mammut zu bauen.

„Noch handelt es sich dabei überhaupt nicht um Tiere, sondern um Zellen in einer Petrischale, und zwar um geringfügig veränderte Zellen von Elefanten. Aber wir haben große Fortschritte gemacht“, sagt Church.

Die besagte Petrischale steht in einem Kühlschrank ganz hinten im Labor. Auf ihrem Boden schwappt eine dünne, klare, rötliche Flüssigkeit. Was wie stark verdünntes Blut aussieht, ist eine Nährlösung, in der die Zellen schwimmen. Unter dem Mikroskop sind die runden Hautzellen gut zu erkennen. Sie stammen von einem Asiatischen Elefanten, enthalten aber Kopien von Mammutgenen.

„Das Mammut und der Asiatische Elefant sind miteinander enger verwandt als sie es jeweils mit dem Afrikanischen Elefanten sind“, sagt Church. „Alle Gene, die der Asiatische und der Afrikanische Elefant gemeinsam haben, teilen sie daher wahrscheinlich auch mit dem Mammut. Die große Ausnahme dürfte wohl die Anpassung des Mammuts an die Kälte sein.“

Alles begann mit der Kartierung des Mammut-Erbguts, an der Church beteiligt war. Zahlreiche Journalisten fragten daraufhin an, ob sich damit technische Möglichkeiten eröffneten, Mammuts zu rekonstruieren. Church begann darüber nachzudenken, und nach einigen Gesprächen mit Forschern, die auf diesem Gebiet arbeiteten, beschloss er, den Versuch zu wagen. Er und seine Kollegen analysierten das Erbgut des Mammuts und suchten nach jenen Genen, die es dem Tier ermöglichten, bei Temperaturen von minus fünfzig Grad zu überleben.

Als sie tatsächlich einige Kandidaten gefunden hatten, die für die einzigartigen Eigenschaften des Mammuts verantwortlich sein könnten, bestand der nächste Schritt darin, synthetische Kopien davon anzufertigen – die digitalen Informationen also in einen Abschnitt echter DNA zu überführen, den die Zelle verstehen und mit dem sie arbeiten kann.

Das hierbei verwendete Verfahren nennt sich CRISPR-Cas9. Es wurde 2012 entwickelt und hat in vielerlei Hinsicht die Möglichkeiten zum Umbau von Erbgut revolutioniert. Eines der großen Probleme, denen sich Genetiker beim Einschleusen neuer Gene in Erbsubstanz gegenüber sehen, ist die Platzierung dieser Gene an der richtigen Stelle. Um das gewünschte Resultat zu erzielen, benötigte man deshalb bisher jeweils eine lange Reihe verschiedener Versuche. CRISPR-Cas9 funktioniert wie eine Präzisionsschere für Erbinformationen und kann zum Beispiel sehr viel einfacher neue Gene zielgenau platzieren. Dadurch werden weniger Versuche benötigt und die Experimente laufen deutlich schneller ab.

Das Verfahren dient jedoch nicht nur der Wiedererschaffung von Tieren. Man vermutet vielmehr, dass es seine größte Bedeutung im medizinischen Bereich erlangen wird. Church gehörte zu den Ersten, die bewiesen haben, dass diese Methode auf menschliche Zellen anwendbar ist. Es besteht daher die Hoffnung, dass man irgendwann bestimmte Krankheiten heilen kann, indem man die Gene eines Menschen verändert oder Stammzellen entnimmt und modifiziert.

Im Frühjahr 2015 publizierten chinesische Wissenschaftler eine Studie, in der sie belegten, dass sich mithilfe dieses Verfahrens genetische Veränderungen an menschlichen Embryonen vornehmen lassen. Sie versuchten ein Gen auszutauschen, das eine schwere, erbliche Blutkrankheit verursacht. Der Versuch verlief zwar nicht ganz so erfolgreich, wie man gehofft hatte, doch eröffnet diese neue Technik ganz offensichtlich eine Vielzahl an Möglichkeiten. Im Frühjahr 2016 erhielten Forscher unter anderem in Großbritannien und am Karolinska Institut in Stockholm die Genehmigung, das Verfahren bei der Untersuchung von menschlichen Embryonen und deren Entwicklung während der allerersten Tage anzuwenden. Es ist jedoch nicht vorgesehen, dass die auf diese Weise genetisch veränderten Embryonen tatsächlich geboren werden.

Viele Wissenschaftler, unter ihnen auch George Church, haben sich mit der Frage beschäftigt, ob ein Verbot dagegen ausgesprochen werden sollte, diese Methode an Menschen zu erproben, bevor sie weiter ausgereift ist. Theoretisch könnte das Verfahren auch dazu genutzt werden, sogenannte Designerbabys zu entwickeln – also Kinder, die genetisch verändert werden, um genau die Eigenschaften auszubilden, die sich ihre Eltern wünschen. Andererseits können Wissenschaftler bereits heute dank dieser Technik Dinge erforschen, die bisher außerhalb ihrer Möglichkeiten lagen. Während ich dieses Buch schreibe, ist in Forscherkreisen eine intensive Diskussion darüber im Gange, wie die neue Technik auf ethisch vertretbare Weise genutzt werden kann.

Abgesehen von der Bedeutung, die dieses Verfahren für die Heilung menschlicher Krankheiten erlangen könnte, ermöglicht es der Wissenschaft auch, künstlich hergestellte Mammutgene in die Zellen Asiatischer Elefanten einzuschleusen. Schritt für Schritt baut Church Elefantenzellen zu Mammutzellen um. Bis dato haben er und andere Wissenschaftler im Labor vierzehn neue Gene gebaut und in Zellen eingefügt.

Einige dieser neuen Gene sollen dafür sorgen, dass den Tieren ein Fell wächst. Die Mammuts hatten einen dichten, lockigen Pelz aus wärmendem Unterfell und gröberem, schmutz- und feuchtigkeitsabweisendem Deckhaar. Im Mammutmuseum in Jakutsk habe ich solche Haarbüschel gesehen. Das Mammut dort hatte eine ähnliche Haarfarbe wie ich, ein helles Rotbraun, während andere fast schwarzhaarig waren. Das Fell konnte an den Seiten bis zu neunzig Zentimeter lang werden. Die Schwanzhaare waren besonders lang, sodass die Mammuts sie vermutlich im Sommer als Fliegenwedel benutzen konnten. Wie die meisten anderen Tiere in kalten Regionen verloren auch sie im Frühling ihr Fell in großen Büscheln. Für die Codierung all dieser Merkmale muss Church die richtigen Gene finden.

Andere Gene, die die Genetiker verändern wollen, sollen die Elefanten mit Unterhautfett ausstatten und wieder andere sollen ihre Ohren verkleinern. Beides, damit die neuen Mammuts ihre Körpertemperatur besser halten können. Wenn Church von diesem Projekt erzählt, klingt er wirklich ein bisschen wie der Weihnachtsmann, der Geschenke an das zukünftige Mammutjunge verteilt: Eigenschaften, mit deren Hilfe es das Leben besser meistern können soll.

Es ist schwierig herauszufinden, welche Gene für welche Merkmale verantwortlich sind. Die Forscher gehen daher von ihren Erkenntnissen über ähnliche Gene bei anderen Arten aus, beispielsweise durch einen Vergleich mit denjenigen Genen, die das Aussehen des Fells bei Mäusen oder Hunden steuern. Daraus lassen sich zumeist Vorhersagen ableiten.

Die umgebauten Zellen enthalten unter anderem Gene, die das Blut der Elefanten verändern. Trotz des Unterhautfetts und des dicken Fells konnten nämlich die äußerste Spitze des Rüssels und andere Körperteile des Mammuts, die der Kälte ausgesetzt waren, so kalt werden, dass gewöhnliches Blut ihnen nicht genügend Sauerstoff geliefert hätte. Die Tiere besaßen daher ein diesen Bedingungen besonders angepasstes Hämoglobin, ein Molekül in den roten Blutkörperchen, das für den Sauerstofftransport zuständig ist. Church ist es gelungen, dieses Molekül nachzubauen. Das Mammut-Hämoglobin ist die einzige Veränderung, die bereits erprobt werden konnte. Ein anderes Forscherteam hat nachgewiesen, dass das künstlich hergestellte, dem Erbgut des Mammuts nachempfundene Gen tatsächlich Hämoglobin produziert, das in der Kälte funktioniert.

Bislang hat Church keinen seiner Versuche mit Mammutgenen in einer wissenschaftlichen Studie publiziert. Er sagt, dass er weitere Resultate abwarten möchte, bevor er etwas veröffentlicht. Wissenschaftlich gesehen bedeutet dies, dass man bis dato keinerlei Aussagen zu den Versuchen oder zu deren Ergebnissen machen kann. Aufgrund der Durchbrüche, die Church bei früheren Gelegenheiten gelungen sind, glaube ich dennoch an ihn, wenn auch mit einer Prise Skepsis.

Dass es gelungen ist, neue Varianten von Genen zu erschaffen, die seit zehntausend Jahren ausgestorben sind, ist zwar beeindruckend, bedeutet aber noch lange nicht, dass irgendwo ein quicklebendiges Mammut im Schnee herumtollen würde. Als Nächstes muss man die umgebauten Zellen dazu bringen, sich zu Stammzellen zu entwickeln. Die Zellen in der Petrischale teilen sich und wachsen, aber noch kann man sie nicht dazu bewegen, sich zum Beispiel zu Hautzellen und Haarfollikeln zu entwickeln, um daran zu überprüfen, was für ein Fell sie hervorbringen. Stammzellen sind Zellen, die sich noch nicht auf eine bestimmte Aufgabe im Körper spezialisiert haben. Sie kommen unter anderem in Embryonen und im Knochenmark von Erwachsenen vor. Genau wie CRISPR ist auch die Umwandlung gewöhnlicher Zellen in Stammzellen eine neue und revolutionäre Technik, die in der biologischen Forschung innerhalb kurzer Zeit zum Standard wurde. Das Verfahren wurde erst 2006 entwickelt, doch seitdem haben Forscher Stammzellen aus fast allen Tierarten gewinnen können, einschließlich Menschen. Aber ausgerechnet die Elefanten stellen Church und die anderen Wissenschaftler vor Probleme.

„Noch ist es uns nicht gelungen, ihre Zellen zu Stammzellen umzuwandeln. Womöglich liegt das daran, dass Elefanten aufgrund ihrer hohen Lebenserwartung einen starken eingebauten Schutz gegen Krebs besitzen. Stammzellen und Krebszellen weisen gewisse Ähnlichkeiten auf und es wäre möglich, dass der Schutz der Zellen gegen Krebs unsere Versuche behindert. Aber wir machen weiter, bis es klappt“, sagt Church.

Ohne Stammzellen tritt das Projekt auf der Stelle. Der Plan sieht vor, die Zellen zunächst verschiedene Körperteile ausbilden zu lassen. Dieser Forschungsbereich entwickelt sich derzeit weltweit unglaublich schnell. Ist man damit erfolgreich, könnte man für Menschen, die eine Organtransplantation benötigen, zum Beispiel mithilfe von deren eigenen Stammzellen Herzen oder Nieren heranziehen. Auch für die Mammutprojekte ist dies ein notwendiger Schritt, um zu überprüfen, wie gut die neuen Gene funktionieren, und um daraufhin weitere genetische Veränderungen hinzufügen zu können.

„Ich weiß nicht, wie viele Gene wir noch modifizieren müssen, bevor wir fertig sind. Hoffentlich nicht alle, denn zwanzig- oder dreißigtausend Gene zu verändern wäre doch zu mühsam“, lacht Church, als ich ihn bitte, die Anzahl der notwendigen Modifikationen zu schätzen.

Erst wenn es gelungen ist, die Zellen in den Petrischalen in Stammzellen umzuwandeln und sämtliche Genveränderungen zu überprüfen, kann man daran denken, die Zellen sich weiter entwickeln zu lassen: zunächst zu Föten und schließlich zu zotteligen kleinen Mammut-Babys. Erst in dieser Phase wird die Arbeit wirklich schwierig, aber darauf komme ich später noch zurück. Schon jetzt ist diese Forschung derart aufsehenerregend, dass mir der Kopf schwirrt.

Falls Church Erfolg hat, wird dann das neu entstandene Tier ein Elefant oder ein Mammut sein? Es wird nur einige wenige Gene der Mammuts besitzen und daher keine Kopie eines Mammuts sein, das irgendwann einmal tatsächlich gelebt hat. Es handelt sich also nicht um einen Klon. Im Grunde wird es ein Asiatischer Elefant sein, doch wer diesem Tier gegenübersteht, wird einen pelzigen Riesen sehen und vermutlich „Mammut“ denken.

Als ich Church danach frage, um was für ein Tier es sich dann eigentlich handeln wird, scheint er sich nicht festlegen zu wollen. Zunächst spricht er von einem mit Eigenschaften des Mammuts aufgewerteten Elefanten und sagt, dass seine Arbeit dem Schutz der heutigen Elefanten dienen könne.

„Es geht darum, wie wir den Asiatischen Elefanten vor dem Aussterben bewahren können. Könnte man mit nur einer Handvoll Gene die Elefanten kälteunempfindlich machen, würden sie in einem sehr viel größeren Gebiet leben können“, argumentiert er.

Die internationale Umweltorganisation IUCN stuft die wild lebenden Asiatischen Elefanten als stark gefährdet ein. Ihr Bestand hat sich seit den 1980er-Jahren halbiert. Das ist teils auf Wilderei zurückzuführen, teils auf die Bedrohung ihres Lebensraums – der Wälder – durch Raubbau und die Ausbreitung landwirtschaftlich genutzter Flächen. Church erblickt die Lösung dieses Problems darin, dass man die Elefanten mammutähnlicher macht, sodass sie in Sibirien überleben können, wo es weniger Menschen und mehr Platz gibt. Einige Gene zu verändern, um der Art neue Lebensräume zu erschließen, würde nicht bedeuten, dass das Tier kein Elefant mehr ist, meint er und erläutert:

„Es gibt Menschen, deren Gene es ihnen erlauben, den Mount Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen, im Unterschied zur Mehrheit von uns. Aber wir würden nicht sagen, dass sie das unmenschlich macht, dass sie wegen dieser Gene keine Menschen mehr sind. Die neuen, kälteunempfindlichen Elefanten werden sich mit anderen Elefanten paaren und Nachwuchs haben können. In dieser Hinsicht werden sie also der gleichen Spezies angehören. Der Sinn ihrer Umsiedlung nach Norden besteht darin, dass sie nicht mehr mit den Bauern in Konkurrenz um das Land treten, wie es derzeit der Fall ist. Es geht darum, ihnen einen neuen – oder eigentlich einen alten – Lebensraum zu erschließen“, sagt er.

„Außerdem mögen auch Elefanten Schnee. In Tierparks rollen sie mit ihrem Rüssel gigantische Schneebälle, die größer sind als ein Mensch, und springen auf gefrorene Pfützen, damit das Eis zerbricht, genau wie Kinder. Sie ertragen die Kälte nur ungefähr eine Stunde lang, aber während dieser Zeit haben sie viel Spaß“, lacht Church.

Die Idee, die Elefanten zu schützen, indem man sie so verändert, dass sie in Sibirien überleben können, stößt selbstverständlich auf Kritik, unter anderem, weil das eigentliche Problem damit nicht gelöst wird. Die Wälder, in denen die Asiatischen Elefanten heute leben, sind voller bedrohter Arten. Siedelte man die Elefanten um, würde man damit nur die anderen Arten im Stich lassen. Als ich Churchs Ausführungen über den Schutz der Elefanten zuhöre, erscheint mir das Ganze ein wenig überdimensioniert. Als wollte man eine einzelne Mücke mithilfe einer vollautomatisierten, eigens zu diesem Zweck gebauten Drohne töten. Natürlich hat der Ingenieur, der die Drohne baut, seinen Spaß daran, aber das ist wohl nicht die effektivste Methode, das Problem zu lösen.

Jetzt kommen wir zur anderen Seite der Medaille, denn gleich darauf sagt Church, dass die von ihm erschaffenen Tiere nicht nur Elefanten, sondern auch Mammuts sein werden. Wenn man sie in Sibirien auswildert, sollen sie dieselbe Rolle im Ökosystem spielen wie das Mammut vor zehntausend Jahren. Sie werden wie Mammuts aussehen und im ehemaligen Mammut-Gebiet leben. Church hofft, dass sie bei den Menschen Faszination und Anteilnahme hervorrufen werden – damit sind wir wieder bei den handgeschriebenen Briefen. Dies ist auch der Grund, warum Forscher sich erbötig machen, unentgeltlich an dem Projekt mitzuarbeiten, einfach um daran teilzuhaben. Fast alle lieben Mammuts.

„Wir sollten uns vom Mammut inspirieren lassen und etwas erschaffen, was ihm ähnelt“, meint Church. „Es geht dabei nicht darum, eine Schuld zu begleichen oder Buße zu tun, weil der Mensch vielleicht irgendwann einmal dafür verantwortlich war, dass das Mammut ausgestorben ist.“

Vor allem wünscht sich Church, dass das Projekt uns zum Nachdenken darüber anregt, wie wir all die neuen gentechnischen Werkzeuge nutzen können, um vom Aussterben bedrohte Arten zu erhalten. Er macht sich Gedanken um die Zukunft und darum, wie wir Arten retten können, und er glaubt, dass die neue Gentechnologie eine Lösung sein könnte.

„Wir befinden uns an einem Punkt, an dem wir nicht nur das Artensterben beenden, sondern auch die Entwicklung umkehren können. Das macht alles so viel interessanter. Es geht darum, Neues zu erschaffen, Tiere, die besser an die moderne Umwelt angepasst sind.“

Den kleinen runden Zellen steht eine aufregende Reise bevor. Zwar hat Church mit Mammutgenen angefangen, doch er denkt bereits darüber nach, den neuen Tieren Merkmale von Pinguinen oder Eisbären zu übertragen, falls er dem Mammut damit etwas geben kann, was es allein durch die Evolution niemals bekommen hätte.

„Vielleicht können wir ja ein Mammut erschaffen, das sogar noch besser ist als das ursprüngliche“, sagt Church.

Genau dieser Gedanke, dass wir Menschen lernen könnten, neue Wildtiere zu erschaffen, wird während meiner Arbeit an diesem Buch immer wieder auftauchen. Beim Gespräch mit Church wird mir fast ein wenig schwindelig. Seine Visionen und sein unverhohlener Optimismus machen es mir ziemlich schwer, ihn ernst zu nehmen. Andererseits ist es offensichtlich, dass er sehr kompetent ist und weiß, wovon er spricht. Ein wenig lasse mich von seinem Optimismus verführen – denn wer hört nicht gern, dass sich am Ende alles regeln wird? Ich frage ihn deshalb, ob er wirklich daran glaubt, dass das Mammut wiederauferstehen wird.

„Da Sie Ihre Frage nicht zeitlich eingegrenzt haben, kann ich sagen, dass ich es für sehr wahrscheinlich halte. Die Kosten sinken unaufhörlich, während wir immer neue Erkenntnisse gewinnen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es bald einen kälteunempfindlichen Asiatischen Elefanten geben wird“, sagt er.

Als ich ihn dann aber frage, wie lange der Erfolg seiner Meinung nach noch auf sich warten lassen wird, äußert er sich unbestimmter.

„Das ist schwer zu sagen und man steht immer ziemlich dumm da, wenn man sagt, dass eine Entwicklung hundert Jahre dauern wird, und dann dauert sie nur zehn Jahre. Die technische Entwicklung geht rasend schnell, deshalb kann ich nur sagen, dass es mindestens fünf Jahre dauern wird“, sagt Church.

Die Zellen in der rötlichen Flüssigkeit in der Petrischale markieren nur den Anfang dieses Projekts. Es wird noch viele große wissenschaftliche Durchbrüche brauchen, bis Church ein zotteliges Elefantenjunges streicheln kann. Andererseits hat er Recht damit, dass die Durchbrüche in diesem Bereich derzeit so schnell aufeinanderfolgen, dass es beinahe unmöglich ist, immer auf dem aktuellen Stand zu sein. Keiner der Forscher, mit denen ich spreche – nicht einmal diejenigen, die der Idee, ausgestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken, am kritischsten gegenüberstehen – möchte ausschließen, dass Church etwas erschaffen könnte, das einem Mammut ähnelt. Doch viele zweifeln daran, dass es einmal eine so große Anzahl dieser Tiere geben wird, dass man sie wieder in Sibirien auswildern könnte.


Le Mammouth von Paul Jamin, 1885 © Wikimedia Commons

Wie klone ich ein Mammut?

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