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KAPITEL 3 VOR ZOMBIES WIRD GEWARNT

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Wenn Sie eine Zeitmaschine hätten, mit der Sie in die Vergangenheit reisen könnten, jedoch nur in jene Zeiten, als es noch keine Menschen gab, oder an von Menschen unbesiedelte Orte, wohin würde es Sie ziehen?

In die endlosen Laubwälder Europas mit ihren Riesenhirschen und Auerochsen, bevor die ersten Europäer dort auftauchten? Würden Sie eine Taucherausrüstung mitnehmen und all die Tiere betrachten, die sich vor fünfhundertfünfzig Millionen Jahren im Meer tummelten und von denen viele der heutigen Tiere abstammen? Würden Sie einen Raumanzug mit Atemgerät anziehen und versuchen, den Punkt zu erreichen, an dem das Leben auf der Erde vor drei bis vier Milliarden Jahren begann? Hätten Sie vor knapp dreihundert Millionen Jahren gern am Ufer gestanden, um zuzuschauen, wie die ersten vierbeinigen Tiere im Morast umherkrabbeln? Würden Sie ergründen wollen, was eigentlich geschah, als die Vorväter der heutigen Menschen und Schimpansen vor rund fünf Millionen Jahren verschiedene Wege einschlugen? Oder würden Sie die Wälder der Urzeit vor achtzig Millionen Jahren besuchen, um Dinosaurier zu bestaunen?

Wenn sie keine Zeitmaschine besäßen, aber stattdessen eine der zahllosen, in der langen Geschichte der Erde ausgestorbenen Tierarten wieder zum Leben erwecken könnten, welche würden Sie auswählen?

George Church steht nämlich nicht alleine da. Momentan laufen etwa zehn unterschiedliche Projekte, in denen Wissenschaftler versuchen, ausgestorbene Tiere oder Pflanzen wiederzuerwecken. Man kann sie leicht als unrealistische Träumer oder Scharlatane abtun, die nur darauf aus sind, Geld und Aufmerksamkeit für etwas zu bekommen, das ohnehin nicht machbar ist. Zu Beginn meiner Reise übte meine innere Zynikerin lautstark und penetrant Kritik und lag ständig im Streit mit dem faszinierten, staunenden zehnjährigen Kind in mir. Nach meinem Treffen mit Church und nachdem ich seine Gedanken gehört und in die kleine Schale mit den Zellen geschaut habe, ist die Zynikerin ein bisschen ruhiger geworden.

Es ist bereits bekannt, dass der Tod für bestimmte Organismen nicht ewig dauern muss. Wissenschaftlern ist es gelungen, ungefährliche Viren aufzutauen, die dreißigtausend Jahre lang im Eis eingefroren waren und immer noch leben. Es gibt sogar eine gewisse Angst, dass die steigenden Temperaturen möglicherweise dazu führen, dass auch gefährlichere Viren auftauen und sich ausbreiten könnten. Anderen Forschern ist es geglückt, eingefrorene Pflanzenzellen aus ebenfalls etwa dreißigtausend Jahre alten Samen zu entnehmen, worauf diese begannen sich zu teilen und zu Pflanzen mit kleinen weißen Blüten heranzuwachsen. Und die mikroskopisch winzigen Bärtierchen können in einem eingefrorenen Halbschlafstadium verharren, in dem sie Austrocknung, Vakuum und extreme Kälte für einen fast beliebig langen Zeitraum überleben können.

Keines dieser Phänomene gleicht der Wiederbelebung, „Re-Ausrottung“ oder Wiedergeburt ausgestorbener Arten, die Wissenschaftler nun mit mehr oder minder hochentwickelter Gentechnik in Angriff nehmen.

„Wir Menschen sind wie Götter und wir sollten unsere Sache gut machen.“ Das ist Stewart Brands Mantra, ein Leitsatz, den er schon in den sechziger Jahren prägte. Als ich mich in einem Bibliothekscafé in San Francisco mit ihm treffe, erscheint er in grüner Thermojacke und Schirmmütze. Er ist weit über siebzig und redet mit breitem amerikanischem Akzent. Kaum habe ich mir eine Tasse Tee geholt, beginnt er schon, sich in die großen Zusammenhänge zu vertiefen.

„Es gibt drei gewichtige, übergreifende Faktoren, die meines Erachtens das derzeitige Jahrhundert beherrschen werden. Einer davon ist der Klimawandel. Der zweite ist die Urbanisierung. Biologie und Biotechnik stellen in meinen Augen den dritten Faktor dar. Auf diesem Gebiet verläuft die Entwicklung momentan auf dieselbe Weise wie die digitale Entwicklung vor zwanzig, dreißig Jahren“, erläutert er.

Brand denkt gern langfristig und er möchte, dass andere dies auch tun. In seinem bisherigen Leben hat er so vieles gemacht, dass es schwierig ist, ihn mit ein paar Sätzen vorzustellen. In den sechziger Jahren gehörte er zu den führenden Persönlichkeiten der Umweltbewegung, später war er an der Entwicklung des frühen Internets beteiligt. Er rief zahlreiche unterschiedliche Organisationen, Unternehmen und Kampagnen ins Leben. Seit einigen Jahren kritisiert er die Umweltbewegung, der er früher angehörte, und wirft ihr Romantisierung und Dogmatismus vor. Gleichzeitig wurde er beschuldigt, in engem Kontakt zu umweltzerstörenden Firmen zu stehen, da er unter anderem als Umweltberater tätig ist.

Mitte der Neunzigerjahre gründete er die Organisation „The Long Now Foundation“, deren Ziel es ist, die Entwicklung der Menschheit und die damit einhergehenden Herausforderungen langfristiger zu betrachten. Er hat sein Zitat über unsere gottähnlichen Fähigkeiten umformuliert. „Wir Menschen sind wie Götter und wir müssen unsere Sache gut machen. Als Menschheit liegt es in unserer Verantwortung, Klimakrise, Umweltzerstörung und das immer schnellere Aussterben von Tierarten zu bekämpfen, denn wir sind die Götter auf diesem unserem Planeten.“

Er fasst damit auch zusammen, was er über die Wiedererweckung ausgestorbener Tiere denkt.

„Ein typisches Beispiel sind die derzeitigen Veränderungen beim Artenschutz. Wir gehen dazu über, nicht mehr defensiv sondern offensiv zu handeln. Wir tun etwas: Wir testen und experimentieren, statt nur zu versuchen, das Wenige, das es noch gibt, mit überkommenen Methoden zu erhalten“, sagt er enthusiastisch.

Stewart Brand und seine Frau Ryan Phelan setzen sich leidenschaftlich dafür ein, ausgestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken. Sie gründeten die Organisation „Revive & Restore“ (Wiederbeleben und Wiederherstellen) und organisierten 2013 die erste wissenschaftliche Konferenz zu diesem Thema. Dies war der Startschuss für eine gemeinsame Bewegung und für den Austausch zwischen all den Wissenschaftlern, die auf diesem Feld tätig sind. Viele der unterschiedlichen Experimente waren schon vor längerer Zeit begonnen worden, aber Brand und Phelan fassten sie unter einem übergeordneten Thema zusammen und verknüpften sie miteinander.

Phelan und Brand betrachten die Wiederbelebung ausgestorbener Arten als eine Möglichkeit, eine bessere, biologisch reichere Welt zu erschaffen. Sie erklären, dass die wiedererweckten Tiere für ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte stehen könnten. Wie bei meinem Gespräch mit George Church über seine Mammutzellen lasse ich mich schnell von dem Gefühl anstecken, dass es Hoffnung gibt und dass die Welt ein besserer Ort werden kann. Es ist verführerisch, sich die Zukunft in rosigen, fröhlichen Farben auszumalen.

Gehen wir ein paar Schritte zurück. Sollte es wirklich möglich sein, ausgestorbene Tiere wieder zum Leben zu erwecken? Geschweige denn ganze Arten oder Ökosysteme?

Die Antwort auf diese Frage scheint Ja zu sein. Doch natürlich kommt es darauf an, wie derjenige, der fragt, den Begriff „wiedererwecken“ definiert.

Das Mammut ist ein gutes Beispiel: Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber irgendjemand könnte perfekte, eingefrorene Mammutzellen finden und mit deren Hilfe ein behaartes Mammutkalb klonen. Es wäre eine genetische Kopie des Mammuts, das vor etwa zwanzigtausend Jahren starb. Da die Eizelle höchstwahrscheinlich von einer Elefantenkuh stammen würde, könnte es nicht vollkommen identisch sein, aber die meisten Leute wären damit einverstanden, das Tier als „Mammut“ zu bezeichnen.

Dann hätten die Wissenschaftler ein Mammut und es wäre eine fantastische wissenschaftliche Leistung. Aber es würde nicht ausreichen, um das Mammut als Art wiederzuerschaffen, da das Tier niemanden hätte, mit dem es Junge bekommen könnte. Der einsame Riese würde sein Dasein wahrscheinlich im Zoo oder im Labor fristen, vielleicht mit ein paar Elefanten als Spielkameraden. Oder er dürfte sich mit einem Asiatischen Elefanten paaren und die Kälber würden eine Mischung beider Arten, wie die Kreuzung zwischen Pferd und Esel. Vielleicht könnten die Hybriden wiederum Junge bekommen, vielleicht auch nicht.

Will man stattdessen versuchen, nicht nur ein einsames Individuum, sondern eine ganze Art wiederzuerschaffen, muss man das Problem auf andere Weise angehen. Das Mammut, das Church in Boston mithilfe der Zellen erschaffen will, wird keine exakte Kopie eines Mammuts sein, das irgendwann einmal gelebt hat. Sein Ziel ist es, ein neues Mammut zu erschaffen, statt ein altes wiederzuerwecken. Das würde auch bedeuten, dass er, wenn alles glückt, praktisch so viele erschaffen könnte wie er will, da er den Prozess mit Zellen von vielen verschiedenen Elefanten wiederholen könnte. Das würde wiederum dazu führen, dass die Mammuts miteinander Nachkommen zeugen könnten, denn wenn er zuerst eine Zelle von einer Elefantenkuh und dann eine Zelle von einem Elefantenbullen umbauen würde, erhielte er ja zwei Mammuts verschiedenen Geschlechts. Es könnte also eine ganze Herde werden, aber die Tiere wären in Wahrheit eine neue Art und nicht die Kopie einer alten.

Dasselbe gilt für die anderen Versuche, ausgestorbene Tiere wiederzuerschaffen, die unter Brands und Phelans Schirmherrschaft zu finden sind. Bei allen wird angestrebt, eine ganze Art zu erschaffen und nicht nur ein einzelnes Individuum. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass das Tier den Unterschied bewirken kann, den sie sich erhoffen. Wenn die wiedererweckten Tiere zu einer rosigen Zukunft beitragen sollen, müssen sie zahlreich sein und ausgewildert werden können. Doch sie werden neue Versionen früherer Tiere sein und den Originalen mehr oder weniger ähnlich sehen.

Etwas wiederzuerschaffen, das einer ausgestorbenen Art gleicht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einigen Jahren möglich sein. Optimisten glauben, es könnte schon in knapp zehn Jahren soweit sein, Pessimisten rechnen damit, dass es noch mindestens zwanzig oder dreißig Jahre dauern wird. Keiner der Kritiker scheint es jedoch für unmöglich zu halten. Wie es genau funktionieren soll und wie die Wissenschaftler vorgehen werden, ist von Art zu Art unterschiedlich. In einigen Fällen sind noch eingefrorene Zellen der ausgestorbenen Tiere erhalten, sodass es möglich sein kann, verschiedene Techniken des Klonens durchzuführen. Bei anderen Tieren geht es darum, Gene zu verpflanzen und einen nahen Verwandten umzubauen. Vor langer Zeit ausgestorbene Arten werden nicht plötzlich wie Zombies aus ihren Gräbern steigen, und wir brauchen nicht zu fürchten, dass uns beim Morgenspaziergang ein verirrtes Mammut über den Weg läuft.

„Ich glaube, es wird schrittweise geschehen. Dass wir nach und nach Eigenschaften hinzufügen, die den ausgestorbenen Tieren ähneln. Es gibt so viele graduelle Unterschiede, die bei all dem hier eine Rolle spielen“, erklärt Brand.

„Die Gentechnik, die für die Durchführung nötig ist, wird nicht nur besser, sondern sehr bald auch billiger werden“, zieht Brand einen weiteren Vergleich zur Digitalisierung.

„Heutzutage wird die Arbeit von Doktoranden mit Pipetten verrichtet, aber früher oder später wird ein Roboter dies übernehmen. Wenn man dem Roboter aufträgt, vierzehn Gene zu verändern, wird er sagen ‚wieso vierzehn, warum nicht vierzehnhundert oder alle miteinander?‘. Und dann sagt man, ‚okay, dann verändere sie alle!‘ ‚Das wird aber etwas teurer‘, antwortet der Roboter. ‚Wie viel?‘, ‚viertausend Dollar‘. ‚Na schön, das geht ja noch, dann leg los ‘“, ahmt Brand das Gespräch mit dem zukünftigen Roboter nach und lacht.

Die nächste Frage ist, was passiert, wenn die Technologie die Träume eingeholt hat. George Church plant, seine Mammuts wieder in Sibirien auszuwildern, und dasselbe gilt für die Arten der anderen Projekte. Alle Wissenschaftler streben danach, ihre Arten in der Wildnis freizusetzen, wo sie ohne Störungen durch den Menschen leben können. (Aus verständlichen Gründen gilt dies natürlich nicht für Dinosaurier.) Es ist nicht das Ziel der Wissenschaftler, exakte Kopien zu erschaffen, sondern Tiere, die ihren ausgestorbenen Artgenossen genug ähneln, um als deren Stellvertreter zu dienen; Tiere, die sich in etwa so verhalten, wie sie es in ihrer ursprünglichen Umgebung taten. Darüber hinaus müssen sie in ihrer heutigen Umwelt und mit den heute lebenden Arten zurechtkommen.

Es liegt vor allem an der geplanten Wiederauswilderung, dass das Forschungsgebiet so umstritten ist. Deshalb erfährt es sowohl Lob als auch Kritik. Bei den meisten der wiedererschaffenen Arten wird es sich um genetisch veränderte Organismen (GVO) handeln. Es bleibt abzuwarten, was die Menschen davon halten werden, wenn eine Vielzahl von genetisch veränderten Wildtieren freigelassen werden soll. Heutzutage stören sich nur wenige Menschen daran, dass viele Medikamente mithilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt werden. Dagegen sorgen sich viele um GVO, wenn es um Möhren, Kartoffeln, Mais und Tomaten geht.

„Ryan beschäftigt sich schon seit langer Zeit mit Genetik und sie sagt, dass man niemals die Angst unterschätzen darf, die die Leute vor allem haben, was mit Genen zu tun hat“, erklärt Brand.

Ein paar Wochen nachdem ich mit ihm gesprochen habe, entdecke ich im Netz eine Seite mit Bildern von allen Tieren, die in den letzten hundert Jahren ausgestorben sind. Das oberste Foto zeigt einen hellbraunen Puma (Östlicher Nordamerikanischer Puma), der im Osten der USA lebte und im Jahr 2015 für ausgestorben erklärt wurde. Ganz unten ist das Gemälde eines braungrauen Eulenvogels zu sehen. Als man ihn entdeckte, wurde er aufgrund seines Rufs Lachkauz genannt, doch schon 1914 galt er als ausgestorben.

Die IUCN (International Union for Conservation of Nature) hat achthundertvierunddreißig Tierarten auf ihrer Liste der ausgestorbenen Tiere, vom Auerochsen, der im siebzehnten Jahrhundert verschwand, bis heute. Es gibt noch eine andere Liste mit neunundsechzig weiteren Arten, die in freier Wildbahn ausgestorben sind und jetzt nur noch in zoologischen Gärten leben. Neunhundert Arten, die in fünfhundert Jahren verschwunden sind, klingt eigentlich nicht sehr viel. Besonders nicht, wenn man bedenkt, dass Forscher etwa 1,5 Millionen Tierarten entdeckt haben. Die genaue Anzahl der Tier- und Pflanzenarten, die es auf der Erde gibt, ist immer noch unbekannt. Die letzte große Studie geht von mehr als acht Millionen aus. Die wissenschaftlichen Schätzungen schwanken zwischen ein paar und bis zu fünfzig Millionen.

Doch die neunhundert von der IUCN aufgelisteten Tiere sind nur die Spitze des Eisbergs. Ich betrachte Fotos und Zeichnungen von Nashörnern, Raubkatzen, Fledermäusen, Schildkröten, Schnecken und Fröschen und weiß, dass sie nur ein kleiner Bruchteil all der Arten sind, die tatsächlich verschwunden sind. Das hier sind die Arten, die dokumentiert werden konnten, bevor sie fort waren, und bei denen auszuschließen ist, dass sich irgendwo im Wald noch ein paar Exemplare versteckt halten könnten.

Die tatsächliche Anzahl der seit dem siebzehnten Jahrhundert ausgestorbenen Tiere ist schwer zu bestimmen, und die wissenschaftlichen Schätzungen sind sehr unterschiedlich. Viele Arten gehen verloren, ohne dass wir Menschen etwas von ihrer Existenz mitbekommen haben. Neben Tieren sind auch Unmengen von Pflanzen, Pilzen, Algen und anderen Organismen verschwunden.

Dass eine Art ausstirbt, ist ein alltägliches Phänomen. Es passiert ständig und ist ein grundlegender Teil der Evolution und der Fähigkeit des Lebens, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Wenn die Welt sich verändert, können nicht alle überleben. Über neunundneunzig Prozent aller Arten, die irgendwann auf der Erde gelebt haben, sind auch wieder ausgestorben, von den ersten mehrzelligen schwimmenden Organismen bis zu den gigantischen südamerikanischen Riesenfaultieren.

In der Geschichte des Lebens sind außerdem ein paarmal fast sämtliche Arten auf einen Schlag verschwunden. Irgendeine Katastrophe brach über die Erde herein, wodurch sich die Lebensbedingungen von Grund auf veränderten. Überreste derartiger Massengräber sind Fossilien, die Paläontologen gefunden haben. Offenbar gab es während der letzten fünfhundert Millionen Jahre fünfmal ein derartiges Massenaussterben. Das älteste fand vor vierhundertfünfzig Millionen Jahren statt, als schätzungsweise siebzig Prozent aller Arten verschwanden. Damals lebten alle Tiere der Erde im Meer und es ist unklar, was genau geschah. Eine Theorie lautet, dass Meeresspiegel und Wassertemperatur aus irgendeinem Grund stark gesunken sind.

Das letzte der fünf großen Massenaussterben ereignete sich vor etwa fünfundsechzig Millionen Jahren. Dabei wurde die Erde von einem Asteroiden getroffen, woraufhin 75 Prozent aller Arten ausstarben. Das war der Moment, als die Dinosaurier verschwanden, bis auf jene Gruppe, die sich zu Vögeln entwickelte.

Nach Auffassung vieler Wissenschaftler befinden wir uns momentan in der Periode einer sechsten Massenausrottung, einer neuen weltumfassenden Katastrophe und Zeit der Veränderung. Dieses Mal sind wir Menschen für die Katastrophe verantwortlich. Durch uns verschwinden Arten in viel schnellerem Tempo, als es ohne unser Zutun geschehen würde. Wir haben sie gejagt und ihre Lebensräume verändert und so ist eine Art nach der anderen ausgestorben. Laut einer der neuesten wissenschaftlichen Schätzungen ist die Menschheit dafür verantwortlich, dass dreizehn Prozent der Arten der Erde in den letzten fünfhundert Jahren ausgestorben sind, also mehr als ein Zehntel. Die meisten Arten verschwanden in den USA und in Europa, da wir dort die Natur am stärksten verändert haben.

Ich scrolle die Seite mit den Bildern der verschwundenen Tiere herunter und finde es vollkommen unbegreiflich. Eine Sammlung von Zahlen und schönen Bildern, die mein Hirn kaum fassen kann.

Derzeit wird darüber diskutiert, wann diese Entwicklung eigentlich begann. Viele Wissenschaftler behaupten, dass alles bereits in dem Moment anfing, als wir lernten, Mammuts und andere Urzeittiere zu jagen. Stewart Brand ist einer von ihnen.

„Wir Menschen haben in den letzten zehntausend Jahren ein großes Loch in die Natur gerissen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, einen Teil der Schäden zu reparieren. Es gilt, die Arten, die noch da sind, auf verschiedene Weise zu schützen. Doch einige der verschwundenen Tierarten können wir wiederbekommen“, sagt er.

In seinen Visionen hat die Erde ein ansehnliches Maß an Biodiversität zurückgewonnen, die er Bio-Reichtum, biologische Fülle und Überfluss nennen möchte. Es geht nicht nur darum, Arten wiederzuerschaffen, sondern auch darum, dass die heute lebenden Tiere eine bessere Chance bekommen, sich gut zu entwickeln, statt nur zu überleben.

„Ich will zum Beispiel, dass der Dorsch im Meer wieder genauso groß wird, wie er früher war. Die Leute fahren in die afrikanischen Nationalparks und bestaunen die Savannen mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Tierarten. In Europa ist es früher auch so gewesen, Nordamerika sah genauso aus, sogar die Arktis besaß diesen Reichtum. Ihn müssen wir zurückgewinnen“, erklärt er und versucht, seine Vision der 2000er-Jahre als grünes Jahrhundert zu vermitteln, als die Zeit, in der die beängstigende Entwicklung sich wenden wird. Er sieht eine Phase des Wiederaufbaus und Wiedererschaffens nach den letzten zwei Jahrhunderten der Destruktivität voraus. Es wird deutlich, dass sich sein Engagement für den Umweltschutz seit den Sechzigerjahren nicht verringert hat.

Bei all seinen grünen Visionen, von denen jeder halten mag, was er will, glaubt Brand nicht, dass seine Pläne einem gesunden Wirtschaftswachstum im Wege stehen würden. Er sieht eher voraus, dass wir Menschen immer weniger auf die Natur angewiesen sein werden und ihr dadurch mehr Raum schenken können. Die Wälder in den USA und in Europa seien zurückgekehrt, berichtet er. Auf verlassenen Feldern wachsen wieder Bäume. Eine effektivere Landwirtschaft habe zur Folge, dass in Ländern mit fortschrittlicher Technologie weniger Ackerland benötigt werde. Er ist sicher, dass es so weitergehen wird, auch wenn die Entwicklung an manchen Orten schneller als an anderen verlaufen werde.

Es ist eine kontroverse Frage. Laut einigen Studien könnte Brand damit recht haben, dass wir Menschen weltweit weniger Flächen brauchen, um unsere Nahrungsmittel anzubauen. Dadurch könnten möglicherweise große Gebiete wieder zu halbwegs natürlichen Landschaften mit wilder Natur werden. Das Ganze setzt selbstverständlich voraus, dass die gesamte Landwirtschaft effektiver wird und dass die verbesserte Effektivität nicht durch andere Faktoren, wie die Erzeugung von Biokraftstoff oder Viehfutter für noch mehr Fleischtiere, genutzt wird. Andere Wissenschaftler befürchten, die Entwicklung könnte einen entgegengesetzten Verlauf nehmen. Sie warnen vor dem Risiko, die Kulturböden der Erde könnten bald erschöpft sein.

Fakt ist, dass die Rückkehr der Wälder in Europa, Nordamerika und in Teilen Asiens bereits begonnen hat. In Frankreich gibt es heute genauso viel Wald wie Ende des siebzehnten Jahrhunderts, und Indiens Wälder sind seit den 1990er-Jahren langsam größer geworden, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Die verlassenen Äcker und die nachwachsenden Wälder führten zu einer anderen Bewegung, die in die gleiche Richtung wie die Wiederbelebung ausgestorbener Tiere geht und die Wiederherstellung verschwundener Ökosysteme anstrebt. Einige Organisationen wollen Europa und Nordamerika verwildern lassen, mit dem Ziel, die verloren gegangene, ursprüngliche Natur zurückzuerlangen, statt spezifische Arten wieder zum Leben zu erwecken. Auch Phelan und Brand hegen solche Gedanken und glauben daran, dass all diese Faktoren miteinander verknüpft sind: die neue Biotechnologie, die Möglichkeit, ausgestorbene Tiere wiederzuerschaffen, die geringere Abhängigkeit des Menschen von der Natur, neue wilde Landschaften und die verlockende biologische Fülle.

Mitten in seinen theoretischen Überlegungen fragt mich Brand, wie es den schwedischen Bibern gehe. Der Biber wurde in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgerottet, jedoch in den Zwanzigerjahren wieder eingeführt. Unter anderem aus Norwegen stammende Tiere wurden ausgewildert und haben eine neue Population aufgebaut.

„Gut“, antworte ich leicht verwirrt und erzähle, dass es so viele Biber gibt, dass sie wieder gejagt werden, genau wie Rotwild und Elche. „Fantastisch!“, ruft er und fängt an zu strahlen.

„Ich glaube, daran kann man den Fortschritt solcher Projekte messen, wenn Tiere, die früher gejagt wurden und dann verschwanden, so zahlreich werden, dass man wieder beginnt, sie zu jagen.“

Brand hofft darüber hinaus, dass die genetischen Werkzeuge, die entwickelt werden, um Tiere wiederzuerschaffen, auch dazu genutzt werden können, Tiere zu retten, die heute kurz vor der Ausrottung stehen. Zum Beispiel, indem sie Inzucht und Erbkrankheiten vermeiden helfen. Es gibt natürlich auch Probleme bei der Umsetzung dieses Vorhabens. Es setzt voraus, dass neue Technologien entwickelt und neue Kenntnisse gewonnen werden, und dass das Engagement der Menschen erhalten bleibt. Selbst unter idealen Voraussetzungen haben wir es mit komplizierten und arbeitsintensiven Methoden zu tun, die bestenfalls etwas erschaffen können, das dem Verlorengegangenen ähnelt. Was auch geschieht, es wird keine Methode geben, die auf die große Mehrzahl aller ausgestorbenen Arten anwendbar ist. Doch vielleicht, so glaubt Brand, könnte es eine Hilfe für die Arten sein, die heutzutage auf dem besten Weg sind zu verschwinden und eine Chance für einige wenige von denen, die wir verloren haben.

Die Welt, die er zeichnet, ist verlockend, aber sie ist auch beängstigend. Es ist eine Welt, in der wir Menschen uns endgültig zu Verwaltern der Natur gemacht haben werden, auch jener Natur, die wir heute als wild und unberührt betrachten. Es ist eine Welt, in der Menschen Verantwortung übernehmen, aber auch Macht ausüben. Neue Tiere auswildern, neue Versionen von Ökosystemen wiederaufbauen, die Gene von Tieren verändern, damit sie besser zurechtkommen. Ein hochtechnologisches, utopisches Star-Trek-Szenario für die Biologie. Ich weiß nicht recht, was ich von dieser Vorstellung halten soll.

Während ich recherchiere und versuche, unser Gespräch zu verdauen, stoße ich auf den Begriff Solastalgie, der von dem australischen Philosophen Glenn Albrecht geprägt wurde. Der Ausdruck beschreibt die Trauer und Wehmut, wenn die Natur in einer Landschaft, die man liebt, sich verändert. Wenn Wälder und Wiesen oder Seen aufgrund menschlichen Eingreifens nicht mehr wiederzuerkennen sind. Möglicherweise ist das, was ich bei Brands Visionen fühle, eine Art vorzeitige Solastalgie, wegen all der Veränderungen, die in der Natur vor sich gehen sollen.

Nach den hochfliegenden Plänen spüre ich auch, dass ich mir etwas Konkretes anschauen muss, um ein klareres Bild von dem zu bekommen, was eine solche Welt mit sich bringen könnte.


Wandertaube (Columbo Migatonia) von John J. Audubon, Pennsylvania, 1824. © Wikimedia Commons

Wie klone ich ein Mammut?

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