Читать книгу Nebula Convicto. Grayson Steel und die Drei Furien von Paris - Torsten Weitze - Страница 5
ОглавлениеEin alter Freund in einem neuen Gewand
Greater London, Worthington Manor, Mittwoch, 12. Juni, 00.21 Uhr
Mit quietschenden Reifen raste der knallrote Transporter davon, der in gelben Lettern Expresszustellungen und Kurierdienste rund um die Uhr anpries. Auch ein großzügiges Trinkgeld hatte den Boten nicht sonderlich beruhigt, und erst als Morgan die bereits stattliche Summe verdoppelt hatte, war der Mann davongeeilt, ohne die Polizei zu rufen.
Während Grayson das überraschend schwere Paket ins Haus schaffte, murmelte der Aristokrat etwas von schießwütigen Quaestoren vor sich hin, die nur mit ihrer Waffe dachten. Etwas verlegen drückte Grayson seine Last dem grinsenden Richard in die Hand, der sie mühelos in das Kaminzimmer verfrachtete.
»Das ist doch keine Bombe, oder?«, fragte Shaja misstrauisch. »Oder bin ich die Einzige, die das Timing verdächtig findet?«
»Numquam und die Schutzzauber des Hauses hätten gespürt, wenn von dem Inhalt Gefahr ausginge«, erwiderte Morgan gereizt. »Im Gegensatz zu manch anderen bin ich kein blutiger Amateur.« Der mörderische Seitenblick in Graysons Richtung sprach Bände. Gerade als dieser sich verteidigen wollte, kam Parsley mit einer quietschenden Schubkarre in die Halle, in der ein Wischeimer und ein Mob darauf warteten, mit dem gerinnenden Zeug fertigzuwerden, das aus dem Simulakrum hervorgeschossen war. Also schob Grayson nur seine Hände in die Hosentaschen und beschloss, einfach mal die Klappe zu halten, bis die Sterne wieder günstiger für ihn standen.
Richard legte das große Paket auf dem Tisch im Kaminzimmer ab, der reichlich mit den köstlichen Speisen gedeckt war, die Parsley so kunstfertig zubereiten konnte. Grayson sah auf dem Monitor, der an der Westseite des Raumes hing, wie Mack sich vorbeugte.
»Ich habe einen Schuss gehört, oder nicht …?«, fragte der Schatten ihrer Quadriga gerade neugierig, als seine Augen sich auf das Paket hefteten, das in seinem grauen Packpapier völlig nichtssagend aussah. »Oh, sie ist da, sie ist da, sie ist da«, krähte er aufgeregt. Halb erwartete Grayson, dass die bullige Gestalt mit den vielen Piercings wie ein kleiner Junge in die Hände klatschte.
»Du weißt, was das ist?«, fragte Shaja. »Hast du uns geschickt, was auch immer da drin sein mag?«
Mack nickte enthusiastisch. »Es sollte eine Überraschung sein. Der Kurierdienst ist offensichtlich wirklich fix. Morgan hat ihm hoffentlich ein gutes Trinkgeld gegeben.«
»Mehr als ausreichend«, sagte Shaja grinsend, während sie Morgans verbissene Miene und Graysons stilles Unbehagen offensichtlich genoss.
»Stehen Sie nicht nur so da«, forderte Mack alle mit einem wilden Handwedeln auf. »Packen Sie sie aus!«
»Wenn das eine lebensgroße Zwergendamenpuppe ist …«, drohte Shaja ihm, während sie ein Messer vom Tisch nahm und mit geschickten Handbewegungen Papier und Pappe gleichermaßen zerteilte.
»… dann hätte ich das Paket an mich geschickt«, sagte Mack grinsend. »Und jetzt hör auf, mir diesen Moment zu ruinieren.«
Shaja riss die Verpackung auseinander, und zum Vorschein kam ein schwarz schimmerndes Tuch, das aus einem Grayson vollkommen unbekannten Material war. Etwas war darin eingeschlagen. Als Shaja das weiche Material öffnete, riss Grayson die Augen auf. Er hatte mit vielem gerechnet, aber damit?
Ein vieleckiger, metallener Kasten kam zum Vorschein, in dessen Unterseite acht konzentrisch angebrachte Rotoren platziert waren. Die Oberfläche des Objekts war in einem matten Schwarz gehalten, das das Licht des Raumes nicht zu reflektieren schien. Die Front des Dings war von einer mattschwarzen Glasplatte überzogen, in der Grayson nach einigen Sekunden ein Display erkannte. »Ist das eine Drohne?«, fragte er skeptisch.
Mack schnaubte abfällig. »Natürlich ist das eine Drohne, Sie Schlaumeier«, sagte der Zwerg gequält und blickte dann Shaja an. »Warum mussten wir nur einen langsamen Quaestor abbekommen?«
Während die Halbdämonin kicherte, deutete Mack mit beiden ausgestreckten Armen in Richtung des fremdartig wirkenden Flugobjekts. »Das ist mein Baby«, sagte er schmachtend. »Sie war seit zwei Jahrzehnten in meinem Kopf, aber bisher haben weder die Technik noch die Mittel ausgereicht, um sie bauen zu lassen. Außerdem sind Drohnen erst seit kurzem kein ungewöhnlicher Anblick mehr in der Welt da oben, also habe ich nach unserer kleinen Rettungsaktion in Hamburg meinen neugewonnenen Ruhm dazu genutzt, ein paar Fördergelder umzuleiten, um damit diese Schönheit zu konstruieren.« Mack warf der Drohne einen verliebten Blick zu, der in Grayson den Eindruck wachrief, der Zwerg müsse dringend seine Prioritäten im Leben überdenken, wenn er je eine echte Zwergendame in seiner Höhle begrüßen wollte.
»Und warum haben Sie uns dieses Spielzeug geschickt?«, fragte er mit einem sehnsüchtigen Blick auf das Essen auf dem Tisch, das langsam kalt wurde.
»Spielzeug?«, echote Mack, und seine Augen quollen ihm schier aus dem Kopf, während er Grayson wutentbrannt beide Mittelfinger zeigte. »Sie ist doch kein Spielzeug. Das ist eine hochentwickelte Drohne, vollgestopft mit den modernsten Zwergentechnologien, die es momentan überhaupt gibt. Solange wir über sie kommunizieren, sind wir absolut abhörsicher. Sie hat einen arkanen Reaktor, Wärmebild, Nachtsicht, einen Erschütterungssensor, Gesichtserkennung, ein Spektralanalysefach mit eingebauter Anbindung an die Datenbank des Verhangenen Rates …«
Grayson hob abwehrend die Hände, bevor der Zwerg sich noch weiter in Rage redete. »Ist ja gut, ist ja gut«, murmelte er halbherzig. »Sie wird bestimmt äußerst nützlich sein.«
Mack starrte Grayson weiter feindselig an, und der Quaestor musste sich eingestehen, dass er Mack eine Erklärung für seinen mangelnden Enthusiasmus schuldete. »Ich bin müde und hungrig«, beschwichtigte er den erbosten Zwerg. »Außerdem hat uns gerade einer der Verschwörer besucht und uns gedroht. Oder besser das Simulakrum eines der Drahtzieher.«
Mack belauerte Grayson noch einige Sekunden, aber dann gewann die Neugier Oberhand im Gesicht des Schattens. »Und würde mir jemand vielleicht erklären, wie das ausgegangen ist?«, maulte er schließlich.
»Du hast doch den Schuss gehört«, sagte Shaja grinsend, die sich bereits den Teller gefüllt hatte und gerade mit vollem Mund feixte. Sie deutete vielsagend mit ihrer Gabel auf den Quaestor.
»Ah«, sagte Mack verstehend. »Der Boss hat also einen Grayson gemacht.«
Der Ermittler stöhnte. Diese Nacht versprach, von Minute zu Minute schlechter zu werden. »Morgan sagte, die Zerstörung des Simulakrums wäre schlecht für den Magier, der es erschaffen hat«, verteidigte er sich. »Außerdem hat mich seine selbstgerechte Art gereizt.«
»Wenn mein Bericht an den Verhangenen Rat raus ist, werden Sie den Namen für Ihre speziellen Methoden nie wieder los sein«, sagte Morgan noch immer pikiert. »Gut gemacht, Mr. Steel.«
Der Quaestor stöhnte auf. ›Die Grayson-Methode‹ oder ›den Grayson machen‹ – das waren geflügelte Worte, seit er als frischgebackener Quaestor einen verdächtigen Dämon mit mehreren Kopfschüssen befragt hatte, von denen er wusste, dass das Wesen sie aufgrund seiner magischen Macht überstehen würde. Diese zugegebenermaßen ruppige Art der Befragung hatte ihm einen furchterregenden Ruf unter den zwielichtigen Elementen der Nebula Convicto eingebracht und der würde nun nach dem gewaltsamen Ende des Simulakrums sicher nicht geringer werden. »Könnten Sie den Bericht nicht etwas vager gestalten?«, fragte er Morgan hoffnungsvoll, aber der Magus schüttelte den Kopf.
»Keine Chance, Sportsfreund«, schmetterte er Graysons Bitte ab. »Ich werde den Verhangenen Rat nicht belügen, um Ihre Defizite im sachgemäßen Gebrauch einer Waffe zu decken.«
Grayson zuckte mit den Achseln und setzte sich an den Tisch, um sich endlich etwas zu essen zu nehmen. »Wenn der Ruf erst hin ist, kann ich sowieso viel freier ermitteln. Das war schon bei Scotland Yard so.«
Shaja kicherte, als Morgan besorgt das Gesicht verzog. »Scheint, als würde da in Zukunft noch einiges an Papierkram auf Sie zukommen, Morgan«, stichelte sie. »Unser Quaestor wird sich wohl so schnell nicht ändern.«
Der Magus blickte Shaja ob ihres Kommentars böse an. Eine ungemütliche Spannung baute sich in dem kleinen Zimmer auf, bis Mack sich schließlich zu Wort meldete.
»Verdammt noch mal«, schimpfte er laut aus dem Monitor heraus. »Würde jetzt bitte endlich jemand die Drohne einschalten?«
Grayson versuchte, den schwarzen Schatten zu ignorieren, der den Tisch umkreiste, an dem sie gerade aßen, aber das glückselige Seufzen, das von der Drohne ausging, war nicht zu überhören. Gereizt starrte er zu dem Ding hinüber, das flüsterleise durch den Raum glitt und sie alle seit mehreren Minuten aus verschiedenen Winkeln unter die Lupe nahm. Das Gesicht Macks war auf dem Frontdisplay der Drohne zu sehen, sodass der Zwerg nun jeden direkt »ansehen« konnte, indem er seine Drohne entsprechend steuerte. Grayson war klar, dass die Hälfte des Enthusiasmus des Schattens von der Tatsache herrührte, dass er nun auf indirekte Art und Weise physisch präsent war. Egal wie ruppig, beleidigend und autark Mack auch wirken mochte, er arbeitete seit Monaten aus der Distanz seiner tief unter der Erde liegenden Höhle mit ihnen zusammen, und seine Möglichkeiten zur Interaktion waren somit deutlich eingeschränkt gewesen. Mehr als einmal hatten Grayson oder Shaja den Zwerg einfach ausgeschlossen, indem sie den Monitor abgeschaltet hatten, wenn er zu nervig wurde. Das würde nun nicht mehr so einfach funktionieren. Grayson seufzte. Ob die Drohne ihr Leben wirklich verbesserte, würde sich wohl erst noch zeigen. Gerade schwirrte das Ding direkt vor seinen Augen und der Quaestor zuckte zurück und wedelte mit der Hand, als würde er eine Mücke verscheuchen. »Muss das wirklich sein?«, fragte er gereizt.
Mack war auf dem Display überdeutlich zu erkennen, wie er aufgeregt in seinem Stuhl vor dem Monitor hockte. »Die Drohne muss dreidimensionale Aufnahmen von jedem von Ihnen machen, um Sie in Gefechtssituationen zweifelsfrei erkennen zu können«, sagte der Zwerg mit glänzenden Augen. »Wir wollen doch nicht, dass sie Sie versehentlich anschießt.«
Grayson fiel vor Schreck die Gabel aus der Hand und er rückte seinen Stuhl weg von der Drohne, die ihm jedoch einfach folgte. »Soll das heißen, das Ding ist bewaffnet?«
Mack nickte und auf der Unterseite des Drohnenkörpers fuhr ein schlankes, kurzes Rohr heraus, das direkt auf Grayson deutete. »Sie hat eine Druckluftkammer eingebaut, mit der sie Betäubungspfeile verschießen kann. Für den Fall, dass wir mal einen Verdächtigen in Gewahrsam nehmen wollen, anstatt ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen.«
»Es reicht«, schnappte Grayson und schob die Drohne mit Kraft aus seinem Gesicht.
Morgan hingegen wirkte ehrlich erfreut. »Es ist eine gute Idee, eine nicht tödliche Alternative dabeizuhaben. Ich kann zwar Schlafzauber wirken, aber ein klassisches Betäubungsmittel wirkt selbst bei magischen Wesen manchmal Wunder.«
»Wie viel Schuss?«, fragte Richard in professionellem Ton.
»Vier Pfeile«, erwiderte Mack zerknirscht. »Mehr passte nicht ins Chassis. Da sind einfach zu viele andere wichtige Komponenten, die Platz benötigen.«
Richard nickte nachdenklich, während Shaja das Gesicht verzog. »Hättest du nicht etwas Spannenderes wie einen Laser oder so was einbauen können?«, fragte sie mit einem gespielten Gähnen.
»Weißt du, wie viel Energie so was verschlingt? Morgan müsste mich nach jedem Schuss neu aufladen«, empörte sich Mack.
Während Grayson registrierte, dass der Zwerg sich bereits mit seiner Drohne identifizierte, regte Morgan alarmiert den Kopf. »Was hat das Aufladen dieses Metallmonsters mit mir zu tun?«, fragte er misstrauisch.
»Sie hat einen arkanen Reaktor, schon vergessen?«, sagte Mack mit einem unschuldigen Ausdruck auf dem Gesicht. »Das heißt, Sie können mich mit Magie aufladen. Am besten mit magischen Entladungen, die kann ich besonders gut umwandeln.«
Morgan schnappte empört nach Luft. »Ich bin ein jahrhundertealter Magus und Mitglied des Vergangenen Rates und nun soll ich die Ladestation für eine Drohne spielen?«
Mack kicherte. »Zugegeben, ich hätte mir ein jüngeres Modell gewünscht, aber da Sie der einzige Magier in der Quadriga sind, nehme ich auch mit dieser arg gebrauchten Version vorlieb.«
Während der Magus wutschnaubend in seinem Essen herumstocherte, wohl fest entschlossen, die Drohne und den dreisten Zwerg auf ihrem Display zu ignorieren, beschloss Grayson, dass es an der Zeit war, sich wieder ernsteren Dingen zu widmen. »Glauben Sie, die Drohung des Simulakrums war echt?«, fragte er unvermittelt in die Runde, und seine Worte schienen wie eine Eisdusche auf die Anwesenden zu wirken. Mack ließ seine Drohne über einen leeren Stuhl schweben, um sie von dort aus anzublicken.
»Ich bin mir sicher, dass es eine Gegenreaktion geben wird, Mr. Steel«, sagte Morgan mit einem betretenen Gesichtsausdruck. »Sie haben diesem Magus ein Stück seiner Seele geraubt. Selbst wenn er vorher nicht gegen uns vorgehen wollte, jetzt wird er es bestimmt tun.«
Grayson nickte. »Gut. Ich habe es zu etwas Persönlichem gemacht. Das ist meist der Moment, wo das Gegenüber einen Fehler begeht.«
»Wie überaus berechnend, Quaestor«, sagte Shaja bewundernd. »Sie haben ja doch etwas gelernt.«
Grayson ignorierte das Lob der Halbdämonin und furchte sorgenvoll die Stirn. »Aber wohl ist mir bei dieser Taktik nicht. Indem ich ihn willentlich provoziert habe, bin ich tatsächlich für die Folgen mitverantwortlich.«
Richard langte über den Tisch und klopfte ihm auf den Unterarm. »Was auch immer die Verschwörer für uns in petto haben, wir werden schon damit fertig.«
Grayson kniff die Lippen zusammen und starrte aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Numquam beobachtete ihn wie immer stumm und starr von einem tiefhängenden Ast, und die silbernen Augen des Tiergeistes schienen ihn anzuklagen. Sicher, ihre Quadriga wusste sich zu wehren. Aber was war mit all den Menschen und Wesen da draußen, die sich dem Racheplan der Verschwörer hilflos ausgeliefert sehen würden?
Der nächste Morgen war geprägt von einer unruhigen Anspannung, die jeden Anwohner des Hauses erfasst hatte. Macks Drohne schwirrte durch das Anwesen und schien überall und nirgends zu sein, während der Zwerg weiter damit beschäftigt war, die Systeme des technischen Wunderwerks zu kalibrieren. Morgan, Shaja und Richard telefonierten herum, in der Hoffnung, herauszubekommen, ob die Pläne der Verschwörer bereits in Gang gesetzt worden waren, und selbst Grayson nutzte seine wenigen Kontakte, die er mittlerweile in der Nebula Convicto besaß. Aber auch nach zwei kurzen Gesprächen mit Ludwig Straage und Marluuf Decksten war er kein bisschen schlauer. Weder der gut vernetzte Antiquitätenhändler noch der Präfektor der Stadt Hamburg hatten von besonderen Vorkommnissen gehört, die auf eine drohende Krise hindeuten mochten. Also beschäftigte sich Grayson erneut mit dem Whiteboard in seinem Zimmer, auf dem er alle Informationen zusammengetragen hatte, die sie bisher über die Verschwörer besaßen – und das waren verdammt wenige. Ein Dutzend Namen falscher Identitäten, die alle zu einem Satyr namens Stuart Willowby führten, der diese Tarnnamen für seine Mitverschwörer angelegt hatte, damit sie aus dem Inneren des Verhangenen Rates hinaus hatten agieren können. Im Zuge ihrer Rettung der Stadt Hamburg und der umliegenden Regionen hatte die Quadriga mit Macks Hilfe diese falschen Personae aufgedeckt, jedoch leider einige Stunden zu spät. Willowby hatte sich da bereits umgebracht, alle Schuld auf sich genommen und weiterführende Beweise vernichtet und somit ihre Ermittlungen in eine Sackgasse geführt. Seine Mitverschwörer waren abgetaucht und nicht mehr auffindbar, weder auf magische noch auf mundane Weise. Es schien, als hätten sie sich mitsamt ihrer Identitäten in Luft aufgelöst und nach dem Ereignis der letzten Nacht war Grayson geneigt, auch genau dies anzunehmen. Wer sagte ihm, dass die Hintermänner dieser Konspiration nicht Simulakren oder ähnliche Dinge verwendet hatten, um gar nicht persönlich in Erscheinung zu treten, wann immer es nötig war? Ihre Ermittlungen hatten ergeben, dass die Tarnidentitäten alles Erdenkliche getan hatten, um den Kontakt zu den eigentlichen Ratsmitgliedern zu minimieren und so nicht aufzufliegen. Der einzige Trost, den Grayson bei dem Blick auf das Whiteboard verspürte, war, dass sie sich sicher waren, dass der Verhangene Rat nun gründlich gereinigt worden war. Jeder Hinterbänkler, jeder Assistent und jede Ordonanz war auf Herz und Nieren überprüft worden und sogar die Lady vom See selbst hatte mittels ihrer Magie Vorkehrungen getroffen, sodass sich kein Hochstapler mehr in das innerste Regierungsorgan der Nebula Convicto vorarbeiten konnte. Was jedoch nicht bedeutete, dass nicht noch jede Menge Sympathisanten, Mitläufer oder Schläferagenten in den regionalen Strukturen verborgen sein könnten, die sich über den gesamten Globus erstreckten. Wie viele Mitglieder der Nebelwacht waren Teil des schattenhaften Netzwerks, das aus einem noch unbekannten Grund die magische Welt kollabieren lassen wollte? Wie viele Fallen mochten noch auf Grayson und sein Team lauern? Er rieb sich frustriert über die Augen. Wenigstens hatten sie Rückendeckung von oben. Wann immer sie nicht für einen dringenden Fall gebraucht wurden, waren Grayson und sein Team vom Rat dazu bevollmächtigt, jede noch so kleine Spur zu den Verschwörern mit allen verfügbaren Mitteln zu verfolgen. Auch wenn der Quaestor es nie vor jemand anderem zugeben würde, er war froh über die Drohung des Simulakrums in der letzten Nacht. Endlich passierte etwas, auf das er reagieren konnte! Er konnte nur hoffen, dass der Preis dafür nicht zu hoch sein würde …
Macks Drohne sirrte heran und riss Grayson aus seinen Grübeleien. Das Ding war wirklich flüsterleise und nur zu hören, wenn es so still war wie jetzt. »Morgan will uns alle sehen«, sagte Mack, der eine seltsame Art Fliegerbrille trug. »Anscheinend will er sämtliche Neuigkeiten abgleichen, die alle zusammengetragen haben.«
Grayson nickte nachdenklich. »Ich hatte kein Glück. Was ist mit Ihnen?«
Die Drohne schwenkte ihren Körper passend zu Macks Kopfschütteln von links nach rechts. »Keine Hinweise auf irgendwas Großes. Entweder wir übersehen etwas oder unsere geheimniskrämerischen Freunde brauchen ein bisschen, um die nächste Party vorzubereiten.«
»Wir sollten hinuntergehen«, sagte Grayson mürrisch. Er hatte sich gewünscht, dass etwas passierte. Nun erinnerte er sich mulmig an das Sprichwort, dass man stets hinterfragen sollte, was man sich ersehnte.
Die anderen hatten ebenso wenig in Erfahrung bringen können wie er. Die Nebula Convicto schien wie eine gut geölte Maschine zu funktionieren und auch ihr halbwegs weltlicher Ableger, die Nebula Corporation, meldete keine Probleme. Der Nachmittag wich in nervöser Anspannung dem Abend, und noch immer gab es keine ungewöhnlichen Nachrichten. So ging es weiter, Tag um Tag, Woche um Woche, während Grayson und sein Team in Worthington Manor hockten und auf den erwarteten Gegenschlag der Verschwörer warteten. Der Quaestor kam sich vor wie ein nervöses Kaninchen, das nach dem Habicht Ausschau hält, und diese Passivität machte ihn noch unleidiger als sonst. All ihre Ermittlungsansätze hatten sich als fruchtlos erwiesen, und dass er nun auf den Zug seiner Gegner warten musste, erschien ihm wie ein persönliches Versagen. Die anderen empfanden wohl ähnlich, denn Grayson spürte, wie die Entfremdung innerhalb der Quadriga nach und nach weiter zunahm, als jeder auf seine Weise mit der Ungewissheit und Warterei umging, an deren Ende eine Katastrophe warten mochte.