Читать книгу Nebula Convicto. Grayson Steel und die Drei Furien von Paris - Torsten Weitze - Страница 6
ОглавлениеEine Falle der besonderen Art
Greater London, Worthington Manor, Sonntag, 25. August, 11.37 Uhr
»Die Lady will uns sehen.«
Grayson schreckte bei diesen Worten aus dem Abschlussbericht hoch, den er gerade verfasste. Sie hatten letzte Woche einen gewalttätigen Yeti in den Himalaya zurückverfrachtet, wo seine Artgenossen ihm dabei helfen würden, wieder zu seinem üblichen, friedfertigen Selbst zurückzufinden, für das diese magischen Wesen in der Nebula Convicto berühmt waren. Grayson war sehr erstaunt gewesen zu erfahren, dass die größten Dichter der magischen Gemeinschaft aus jener Rasse weißbepelzter Riesen stammten, die der Volksmund so gerne »Schneemenschen« nannte. Der Quaestor war nicht gerade zimperlich im Einsatz seines Lacunusfeldes gewesen, um den randalierenden Gefangenen ruhig zu stellen und hatte dabei auch die übrige Quadriga mit seinen antimagischen Kräften überschüttet. Ein Problem hatte zum anderen geführt und am Ende waren sie gezwungen gewesen, den flüchtigen Yeti in Nordchina einzufangen, nachdem der den geschwächten Richard niedergeschlagen und Shaja überwältigt hatte, weil ihre Magie unter Graysons Einfluss versagte. Das einzig Gute an dem Auftrag war die Tatsache gewesen, dass sie der Hitze entkommen waren, die vor Wochen vom Festland Europas aus über den Ärmelkanal gegriffen hatte und nun England in ihrem Würgegriff hielt. Jeden Tag waren Runden im Höllenlauf angesetzt, bei denen Morgan mit von der Partie war, um irgendwie ihre Teamfähigkeit wiederherzustellen, aber Grayson stellte sich nicht gerade gut an. Er wollte zu viele Hindernisse im Alleingang überwinden und außerdem war er noch immer zu langsam, wenn es um die Kontrolle seines Lacunusfeldes ging. Außerdem spürten die anderen, dass er etwas vor ihnen geheim hielt, und das vergrößerte die Distanz im Team noch weiter. Mehr als einmal hatte er sich gefragt, ob es nicht besser wäre, die anderen in die Offenbarung rund um Hamburg einzuweihen, aber das Wissen um den Verrat des Drachen könnte alles nur noch schlimmer machen. Oder auch nicht. Seufzend hatte er erkannt, dass er selbst wohl der alleinige Grund für das Auseinanderdriften der Quadriga war. Bei der nächsten Gelegenheit würde er reinen Tisch machen. Ganz sicher.
»Mr. Steel, haben Sie mich gehört?«, drängte ihn Shaja. »Morgan sagt, er bekam einen Anruf von der Lady vom See. Sie will uns alle sehen.«
Der Quaestor nickte. »Ich komme«, sagte er verhalten und deutete auf den Papierstapel vor sich. »Eigentlich war einer meiner Hauptgründe, von Scotland Yard wegzukommen, dass ich keinen Papierkram mehr um die Ohren haben wollte. Diese Formulare hat der Teufel entworfen.«
Shaja lachte laut. »Nicht DER Teufel, Mr. Steel. Aber EIN Teufel. Sie würden sich wundern, was für hervorragende Bürokraten die Kerle abgeben. Sie finden jedes Schlupfloch in einem System und stopfen es. Wissen Sie auch, wie?«
»Mit noch einem Formular?«, fragte Grayson sarkastisch, aber Shaja nickte nur.
»Ganz genau, mein lieber Quaestor. Und jetzt auf. Morgan ist ungehalten genug, und wenn Sie wollen, dass er Ihnen das Berichteschreiben schnellstmöglich wieder abnimmt, sollten Sie ihn besser bei Laune halten.«
Der Ermittler erhob sich und schritt neben Shaja her in Richtung Eingangshalle. »Wissen wir etwas Genaueres, warum die Lady uns sehen will?« Wäre es der lang erwartete Notfall, wäre Shaja sicherlich sofort damit herausgerückt.
Die Halbdämonin schüttelte den Kopf. »Nur dass die Ratsherrin besorgt ist.«
Grayson strich sich mit einer Hand über den Nacken, als sich dort seine Haare aufstellten. Wenn das Oberhaupt der Nebula Convicto besorgt war, bedeutete das sicher nichts Gutes. Sie gingen durch die Halle und vor die Eingangstür, wo Morgan und Richard bereits im SUV der Quadriga auf die beiden warteten. Die Sonne traf ihn wie ein Hammerschlag, als er aus dem kühlen Anwesen in die Gluthitze des Tages trat. Mit einem Stöhnen nahm Grayson zur Kenntnis, dass Macks Drohne über dem Rücksitz schwebte. Anscheinend wollte der Zwerg sie wirklich überall hinbegleiten. Richard machte eine ungeduldige Handbewegung und Grayson drängte sich auf die Rückbank, wobei er Macks Drohne einfach mit der Hand beiseiteschob.
»Hey«, protestierte der Zwerg, als das Chassis gegen die Seitenscheibe stieß. »Nicht schubsen!«
»Das reicht«, sagte Shaja und schnappte sich die Drohne kurzentschlossen aus der Luft. Den wütenden Zwerg ignorierend, ging sie zum Kofferraum des Wagens, öffnete die Klappe des Stauraums und warf die Drohne scheppernd hinein. Bevor Mack sein Spielzeug wieder hinaufsteuern konnte, warf sie den Kofferraumdeckel zu und stieg zu den anderen in den Wagen.
»Danke«, sagte Richard aufrichtig erleichtert. »Dieses Ding ist wirklich überall.«
»Er will halt dazugehören«, sagte Morgan beschwichtigend. »Und wie immer übertreibt er.«
Das Display auf Richards Handy ging an, das er in die Halterung der Mittelkonsole gesteckt hatte, und ein verkniffen dreinblickender Mack funkelte sie alle von dort böse an.
»Das war grob und unhöflich«, beschwerte er sich.
»Also ganz nach Zwergenart«, konterte Shaja trocken. Das Volk, das seit Jahrtausenden tief im Erdmantel lebte, zeichnete sich durch eine besondere kulturelle Eigenheit aus: Je mehr sie jemanden mochten, umso ruppiger sprangen sie mit demjenigen um.
»Lüg nicht, Shaja«, tadelte der Zwerg die junge Frau nun. »Ich weiß, so lieb hast du mich nicht.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte sie mit einem Augenzwinkern. »Aber dein Mini-Mack kommt mir nicht auf die Rückbank.«
»Was für ein schöner Name«, sagte Richard grinsend, und Mack hob erschrocken die Hände.
»Wagt es nicht, dieses Wunderwerk zwergischer Technik mit einem so abscheulichen Spitznamen zu belegen!«, rief er wild.
»Ich finde Mini-Mack ganz passend«, warf Grayson gereizt ein.
»Ihr hängt doch an euren Konten, oder?«, drohte Mack aufgebracht. »Ihr wisst schon, dass ich sie mit ein paar Tastendrücken leerräumen kann?«
Richard unterbrach die Telefonverbindung mit einem Grinsen und alle im Wagen lachten, auch wenn Grayson die Spannung spüren konnte, die anschließend noch immer in der Luft lag. Die üblichen Geplänkel zwischen ihnen schienen nicht mehr ihren heilsamen Effekt zu haben. Grayson betete, dass die Lady einen anständigen Fall für sie hatte. Sie benötigten dringend ein echtes Erfolgserlebnis als Team. Grayson starrte besorgt aus dem Fenster, während sie nach London fuhren. Der Verkehr war mal wieder mörderisch und nur dank der unbewussten Manipulation der anderen Fahrer durch Morgans Magie kamen sie einigermaßen gut voran. Der Westminster-Palast tauchte nach einer Stunde Fahrt in Graysons Blickfeld auf und schien im Licht der grellen Mittagssonne geradezu zu strahlen. Das altehrwürdige Gebäude wirkte auf Grayson wie die helle Seite einer viel dunkleren Wahrheit, denn unter diesen Mauern tagte der Verhangene Rat, verborgen vor den Blicken der Welt, und bestimmte die Geschicke der Nebula Convicto. Hier kämpften die drei vorherrschenden Parteien um die politische Ausrichtung der magischen Gemeinschaft und somit um die Beziehung all der Wesen aus Sagen und Legenden zu den nichtsahnenden Menschen. Die Freien waren für ein Minimum an Kontrolle der Magie, die Erben glaubten an Traditionen und das Recht der Vorherrschaft über alle Nicht-Magischen und das Equilibrium mühte sich mit seinem Hang zur Harmonie um jenes Gleichgewicht, das schon im Namen der Gruppierung verankert war. Die Lady vom See gehörte zur letzteren politischen Strömung und herrschte seit Jahrhunderten mit fester Hand über den Rat.
Ihr Fahrzeug rollte bis vor den unscheinbaren Seiteneingang des Westminster-Palastes, und zwei bewaffnete Sicherheitskräfte legten auf sie an, bis Morgan sie tadelnd anblickte und die beiden hastig ihre Waffe senkten.
»Ganz schön nervös, die zwei«, murmelte Richard.
»Es sind unruhige Zeiten hier oben«, sagte Shaja leichthin. »Die Nachtstreifer sind sicher deutlich entspannter.«
Sie passierten die Wachen und betraten den Palast. Zwischen zwei magischen Wasserspeiern hindurch, die sie argwöhnisch beäugten, gingen sie eine breite Wendeltreppe hinab, wobei Grayson sich mühte, seine Aura möglichst dicht am Körper zu behalten. Mächtige Bannzauber hinderten Nichteingeweihte am Abstieg der Treppe und da Graysons Fähigkeiten angewachsen waren, wollte er nicht riskieren, diese Abwehrmagie unachtsamerweise zu zerstören. Er hielt sich in der Mitte der Treppe und fing einen zufriedenen Blick Morgans auf, der seine Bemühungen mit einem Nicken quittierte. Selbstzufrieden ging Grayson weiter. Vielleicht musste er seine Berichte bald nicht mehr selbst schreiben, wenn Morgans Stimmung sich langsam besserte. Am Fuß der Treppe angekommen, bewahrheiteten sich Shajas Worte beim Anblick der wachsam, aber entspannt dastehenden Nachtstreifer, die sie aus ruhigen Augen musterten. Die muskulösen, menschenähnlichen Körper mit dem dichten, blauen Fell und den wolfsähnlichen Köpfen nickten ihnen sogar freundlich zu und deuteten vor Grayson eine kleine Verbeugung an. Überrascht erwiderte der Quaestor die Geste, während er an ihnen vorbeischritt.
»Also das war neu«, sagte er leise, während sie die Gänge betraten, hinter deren Türen die Ratsmitglieder und ihre Angestellten arbeiteten und mitunter sogar wohnten.
»Es gibt zwei Nachtstreiferrudel in Hamburg und Umgebung«, sagte Richard leise. »Dass wir diese gerettet haben, hat sich herumgesprochen. Sämtliche Rudel weltweit haben unsere Quadriga per Eid unter ihren Schutz gestellt.«
Grayson nickte nur beeindruckt, aber Morgan riss ungläubig die Augen auf. »Und das sagt du mir erst jetzt?«, fragte er fassungslos. »Weißt du eigentlich, wie selten so etwas ist?«
Richard nickte. »Deswegen wollte ich auch auf einen besonderen Moment warten, um davon zu erzählen. Aber der ergab sich irgendwie nie.«
Grayson wusste, was der Custos der Gruppe meinte. Die Quadriga durchlebte momentan keine besonderen Momente, es sei denn, besonders miese zählten dazu.
Shaja blickte nachdenklich über die Schulter zu einem der Wolfswesen und lächelte. »Ich bin bisher immer bei Nachtstreifern abgeblitzt«, sagte sie mit einem hungrigen Unterton. »Vielleicht ändert sich das ja jetzt.«
»Wirklich, Shaja?«, empörte sich Morgan. »Wir erhalten eine beispiellose Ehrung und Sie denken nur daran, die Sammlung Ihrer Eroberungen zu erweitern?«
Die Halbdämonin zog ein finsteres Gesicht. »Sie vergessen, dass ich mit der Wahl meiner Bettgefährten vorsichtig sein muss. Die meisten sind so … zerbrechlich. Ich wette, ein Nachtstreifer übersteht meine Magie ohne Probleme.«
Grayson rollte genervt mit den Augen. Das dämonische Erbe Shajas verdammte jeden Intimpartner der jungen Frau zu einem tödlichen Glücksspiel um sein Leben, denn ihre Mutter war ein Sukkubus, jene magischen Wesen, die sich von der Lebenskraft ihrer Bettgefährten ernährten. Shajas Kräfte waren in dieser Hinsicht nicht anderer Natur und so war sie in vielen Dingen eine Gefangene ihrer Herkunft.
»Ich dachte, Sie wollten Richards Freundin nacheifern?«, fragte er sie aggressiver als beabsichtigt. Die Walküre Anne Evadóttir hatte Shaja Ratschläge gegeben, wie sie ihren magischen Einfluss weg von der reinen Begierde und hin zu einer Aura der Ehrfurcht und Hingabe lenken konnte, wie sie die Kapitänin der Palladium ausstrahlte, wenn sie ihre Gabe heraufbeschwor.
»Selbstverständlich will ich das noch immer. Deswegen nutze ich diesen Teil meiner Kräfte seit einer Weile nicht mehr – zumindest bis Anne mir mehr beigebracht hat«, sagte Shaja mit einem schelmischen Lächeln. »Aber das bedeutet nicht, dass ein Mädchen keine Begierden hat, oder?«
Morgan hüstelte und deutete auf die Tür, vor der sie stehengeblieben waren und die ebenso schmucklos aussah, wie all die anderen, an denen sie bisher vorbeigekommen waren. Nur das Zeichen an den Wänden, eine Waage, die im radähnlichen Symbol des Verhangenen Rates prangte, deutete darauf hin, dass sie sich momentan in den Gängen des Equilibriums befanden. »Wir stehen vor der Kammer der Lady vom See. Vielleicht sollten Sie beide jetzt damit aufhören, wie störrische Teenager um flüchtige Liebschaften zu streiten?«
Grayson schloss den Mund und schluckte eine bissige Bemerkung über schmollende Magier hinunter. Jetzt noch Öl ins Feuer zu gießen, würde nicht dabei helfen, Morgans Stimmung zu verbessern. Außerdem wollte Grayson wirklich diese lästigen Berichte loswerden.
Zufrieden, dass nun alle schwiegen, klopfte Morgan einmal förmlich mit seinem Gehstock gegen die Holztür und öffnete sie dann. Eine schummrige Schwärze schlug ihnen entgegen, von der Grayson wusste, dass sie eigentlich ein sanftes dunkelgrünes Leuchten war, das man hier im hell erleuchteten Gang jedoch nicht richtig wahrnehmen konnte. Sie betraten die Vorkammer und schlossen die Tür hinter sich, sodass das äußerst schwache Licht im Inneren alles, was man betrachtete, in grünstichige Schemen verwandelte. Kommentarlos zogen sich die vier aus und Grayson musste schmunzeln, wie sehr er sich an die vielen Besonderheiten seiner neuen Anstellung gewöhnt hatte. Wie zum Beispiel, dass sie sich gerade in einem besseren Umkleideraum befanden, um gleich in einen magischen Teich zu hüpfen, von dem Grayson nicht einmal wusste, wo genau der sich befand. Die Lady vom See war eine Nymphe und der Teich die Quelle ihrer magischen Kraft. Sie verließ das Gewässer nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ oder ihre Anwesenheit im Ratssaal benötigt wurde. Also warf Grayson sich ein Handtuch um und drehte sich zu den anderen, die bereits fertig waren. Er ignorierte Shajas provozierend bewundernde Blicke auf seine Leistengegend und schritt stattdessen durch den schweren, schwarzen Vorhang, der die Rückseite der Kammer verhüllte. Grayson nahm ein wenig Anlauf, denn er wusste, dass hinter dem schwarzen Stoff etwas wartete, das Morgan schlicht eine Falte nannte. Dass der Magus damit eine echte Falte in Zeit und Raum meinte, war etwas, über das Grayson lieber nicht zu genau nachdachte. Letztes Jahr in Hamburg hatte Grayson beinahe in einer festgesteckt, als klar wurde, dass sein wachsendes antimagisches Talent ihm beinahe den Übergang durch die Falte verwehrt hätte. Hier und jetzt konnte er gerne auf das Gefühl verzichten, im Nichts gefangen zu sein. Sein Schwung trug ihn mühelos über die magische Schwelle und hinein in einen märchenhaften Wald, der von einem diffusen Licht erhellt wurde, das alles außerhalb der Baumreihen verbarg. Das Moos unter seinen Füßen mochte auf Naturmenschen einladend wirkten, aber Grayson spürte nur die klamme Feuchte der Flechten zwischen seinen Zehen und wünschte sich sofort zurück in die Zivilisation. Er war ein Stadtmensch durch und durch und würde es immer sein. Hinter ihm traten die drei anderen durch die Falte, die sich von dieser Seite wie ein schwarz verhangener Torbogen mitten im Wald präsentierte.
Während Morgan und Richard sich selig lächelnd umsahen, hüpfte Shaja in ihrem Handtuch ausgelassen auf und ab. »Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich hier bin«, rief sie euphorisch aus. »Es ist wirklich zu traumhaft, wie in den Geschichten, die sich alle erzählen.« Dann warf sie das Handtuch von sich und lief mit wehenden Haaren auf den Teich zu, den Grayson in der Entfernung zwischen den Bäumen wahrnehmen konnte. Beim Anblick von Shajas nacktem Körper wirbelte der Ermittler schnell herum, um Richard und Morgan anzusehen. Während der Kreuzritter das Moos zu seinen Füßen bewunderte, blickte der Magus beinahe väterlich lächelnd in Shajas Richtung.
»Ein Halbsukkubus besucht den Teich der Lady«, sagte er kopfschüttelnd. »Wir leben wirklich in sonderbaren Zeiten.« Ein lautes Platschen ertönte, gefolgt von einem hohen Freudenschrei, und Grayson drehte sich wieder um, während er sich furchtbar prüde vorkam. Er hatte mehr als genug Beziehungen und Bettgeschichten hinter sich, um eigentlich mit ein wenig Nacktheit umgehen zu können, aber Shajas Körper war einfach zu perfekt. Sie hatte ihm diesen Anblick schon häufiger aufgedrängt und je mehr er sich darunter wand, umso mehr Freude schien sie daran zu haben, ihn damit zu konfrontieren. Während Grayson mit Morgan und Richard näherschritt, hörte er bereits eine angeregte Unterhaltung zwischen den Bäumen hervorklingen. Drei Frauenstimmen schienen sich freundlich auszutauschen. Als er den Teich der Lady endlich einsehen konnte, erkannte Grayson, dass die Ratsherrin der Nebula Convicto bereits auf sie wartete. Neben ihr ragte der Kopf ihrer Tochter Sophia aus dem Wasser, die der Quaestor vor fast zwei Jahren bei seinem ersten Fall gerettet hatte. Die Lady winkte ihnen mit einer herrschaftlichen Geste, ins Wasser zu steigen. Grayson trat hinter einen Baum, wo er das Handtuch ablegte und im Schatten breiter Wurzeln ins tiefe Wasser des Sees glitt. Wie jedes Mal schien die Temperatur des Sees auf unwirkliche Art und Weise genau seinen Wünschen zu entsprechen, während Grayson spürte, wie Müdigkeit und Erschöpfung von ihm abfielen wie die alte Rinde eines Baumes. Sein Rücken verlor sämtliche Verspannungen und all die kleinen Alltagsschmerzen verschwanden, als hätte es sie nie gegeben. Bei seinem ersten Besuch hatte Grayson nur über die heilenden Kräfte des Sees gestaunt, aber seitdem hatte er die tiefer sitzenden Kräfte dieser magischen Quelle verstanden: Da die Lady ihn regelmäßig zu sich rief, war er in den letzten zwei Jahren nicht merklich gealtert. Kein Wunder, dass viele um die Gunst der Zauberin buhlten, wenn ihr Teich machtvoll genug war, seine Gabe so mühelos zu durchdringen.
»Ich danke Ihnen allen, dass Sie so zügig erschienen sind«, sagte die Lady vom See gerade förmlich. Ihr fein geschnittenes Gesicht, dessen Teint einen leichten Blauton besaß, wurde von ihrem nassen, schwarzen Haar umrahmt und das perlmuttfarbende Weiß ihrer Augen hob das Dunkelbraun ihrer Iris noch weiter hervor. Die Nymphe deutete auf Sophia zu ihrer Rechten, die vollkommen menschlich aussah, wenn man von einem leichten Grünton ihrer Haare einmal absah. Grayson sah ein kleines Nasenpiercing im linken Nasenflügel des Mädchens und dachte sich hämisch, dass selbst uralte, mächtige Zauberinnen sich wohl mit den rebellischen Phasen ihrer Kinder herumschlagen mussten. Sophia blickte ihn an und kicherte, während Grayson sich daran erinnerte, dass das Mädchen die Gefühle anwesender Personen lesen konnte, was ihn anscheinend mit einschloss. Sophia musste die Macht ihrer Mutter geerbt haben, wenn sie tatsächlich in Graysons Kopf blicken konnte. Sie winkte ihm ausgelassen zu, und er erwiderte den Gruß mit einem Augenzwinkern. »Meine Tochter wollte es sich nicht nehmen lassen, anwesend zu sein, um ihren ›Onkel Grayson‹ zu begrüßen«, fuhr die Lady vom See fort. Der Quaestor hatte das Mädchen seit dem Ende ihrer Entführung vielleicht ein halbes Dutzend Mal gesehen, aber es hatte sich in den Kopf gesetzt, dass Grayson nun einen Platz in ihrem Leben einnehmen sollte. Er war zwar ein zynischer Mistkerl, aber Sophia einen Wunsch abzuschlagen, war ihm aus irgendeinem Grund schlicht unmöglich. Also hatten er und sein Team sie hier und da bei Ausflügen begleitet oder bei besonderen Anlässen den Personenschutz gestellt.
»Hallo Sophia«, sagte er lächelnd. »Mylady«, grüßte er dann ihre Gastgeberin.
Die Lady vom See erwiderte das Lächeln. Während sie Morgan und Richard begrüßte, warf Grayson einen Blick zu Shaja hinüber. Die Halbdämonin schien in der magischen Quelle geradezu aufzublühen und die in ihrem Körper gebundene Magie glühte hell und strahlend, während sich magische Zeichen und Formen golden über ihren makellosen Körper wanden. Sie plantschte ausgelassen umher, ohne darauf zu achten, was sie dabei den Anwesenden enthüllte.
Ein lautes Räuspern ließ Graysons Kopf herumschnellen, und er sah in die amüsierten Gesichter von Morgan, Richard, der Lady und Sophia. Anscheinend hatten sie ihn dabei ertappt, wie er Shaja beobachtete, die noch immer ausgelassen im Wasser tobte.
Möglichst gelassen ignorierte er die juchzende Frau zu seiner Rechten und strich sich über den Kinnbart. »So sehr einige von uns die Gelegenheit zu einem magischen Bad zu genießen scheinen, ich denke nicht, dass dies ein Höflichkeitsbesuch ist, oder, Mylady?«, fragte er. Eine gute Offensive war nach Graysons Erfahrung noch immer die beste Verteidigung.
Die Nymphe und die beiden Männer setzten sofort einen sachlichen Gesichtsausdruck auf, nur Sophia grinste ihn weiter wissend an. »Ich habe Sie alle in einer Angelegenheit rufen lassen, die gleichermaßen offiziell wie privat ist. Daher hoffe ich, auf Ihre Dienste zählen zu können, Quaestor – sozusagen als Freund der Familie.«
Grayson wurde ganz mulmig zumute. Immer wenn Politiker halbprivate Gefallen erbaten, kam am Ende ein furchtbarer Schlamassel dabei heraus, den üblicherweise die unteren Dienstgrade ausbaden durften. Mit anderen Worten: Grayson würde hinterher der Dumme sein, den alle kreuzigten, wenn irgendwas schieflief.
»Meine drei Halbschwestern Ludmilla, Cantra und Nissin sind die Präfektorinnen der Stadt Paris«, fuhr die Lady in beunruhigtem Ton fort. »Sie haben sich nun seit Wochen nicht mehr bei mir gemeldet und das, obwohl ich von ihnen strikte Berichterstattung einfordere, seit sie die Stadt verwalten. Boten werden ignoriert, und die Nachrichten, die ich von Dritten bekomme, künden von einer gewissen Laxheit, die im Umfeld meiner lieben Verwandtschaft um sich greift.« Grayson hörte eine Schärfe aus dem Tonfall der Lady heraus, der all seine Alarmglocken klingeln ließ. Ein Familienzwist kam also auch noch dazu? Er überlegte ernsthaft, ob er nicht lieber auf der Stelle ablehnen sollte. Ihre Quadriga war gerade nicht gerade in Höchstform und das klang nach einer diplomatischen Mission. Dafür war Grayson selbst an seinen besten Tagen nicht qualifiziert.
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist …«, begann er, aber die Lady vom See hob warnend ihre Hand.
»Das war keine Bitte«, sagte sie streng. »Außerdem gurgelt ihr Dämon gerade mit meinem heiligen Wasser. Da kann ich doch von Ihnen dieselbe Flexibilität erwarten, die ich gerade an den Tag lege.«
Grayson fuhr herum und tatsächlich spielte Shaja gerade toter Mann, oder besser tote Frau, und spuckte genüsslich einen Mundvoll Wasser aus, nur um einen weiteren Schluck zu nehmen und nochmals lauthals damit zu gurgeln. Dass Shaja in ihrer jetzigen Position wirklich sämtliche Vorzüge präsentierte, half Grayson nicht gerade dabei, eine durchdachte Entscheidung zu treffen.
»Natürlich helfen wir gerne«, sagte er zerknirscht und versuchte, Shaja so gut es ging zu ignorieren, die gerade hysterisch kicherte.
Die Lady vom See nickte streng. »Selbstverständlich tun Sie das«, sagte sie nur. »Morgan kann Sie über sämtliche Details aufklären, aber Ihre Aufgabe ist eigentlich ganz simpel: Sorgen Sie dafür, dass sich meine Schwestern wieder wie die Oberhäupter jener Stadt aufführen, die seit Gründung des Verhangenen Rates als Hochsitz der Diplomatie genutzt wird. Oder ich werde die drei gegen jemanden ersetzen, der es kann.« Jetzt schlich sich eine gewisse Traurigkeit zu der Wut in ihrer Stimme und beide Emotionen waren nichts, was man im Gesicht der obersten Instanz herrschenden Rechts sehen wollte. Hinter ihm legte Shaja gerade die Arme um seinen Hals und presste sich ganz eng an ihn.
»Das Wasser ist so schön«, gurrte Shaja in sein Ohr. »Ich will hier nie wieder weg.«
Der Quaestor blickte hilfesuchend zu Morgan, während die Lady und Sophia einfach untertauchten und in den Tiefen des Sees verschwanden. Ganz offensichtlich war ihre Audienz beendet. »Kann mir vielleicht irgendwer mit diesem verrückt gewordenen Halbdämon helfen?«, fauchte er. Morgan kam daraufhin näher. Er tippte Shaja einmal auf die Stirn, während er ein einzelnes, fremdes Wort sprach, und sofort ließ die junge Frau Grayson los und schloss die Augen. Richard trug sie an den Rand des Sees und bugsierte sie ans Ufer, wo er ihr ein Handtuch überlegte.
Zu Graysons Überraschung schmunzelte Morgan verschmitzt.
»Was ist denn so verflucht witzig?«, giftete Grayson außer sich. »Wir sind gerade in einen großen Haufen politischer Gülle geworfen worden und müssen in eine Stadt, die anscheinend von Diplomaten nur so wimmelt.«
Morgan deutete auf die schlafende Shaja. »Ihr Verhalten wurde von einer allergischen Reaktion auf das Wasser der Quelle ausgelöst. In Shaja streiten bereits zwei magische Kräfte um die Oberhand, das dämonische Erbe ihrer Mutter und die arkane Kraft ihres Vaters. Bei dermaßen begabten und zerrissenen Wesen kann die regenerative Kraft des Teiches eine negative Nebenwirkung auslösen. Mit anderen Worten: Shaja ist high.«
»Und ich wette, die Lady hat damit gerechnet«, warf Richard ein.
Morgan nickte. »Dieses Treffen war eine Falle, einzig dazu konzipiert, Grayson aus dem Konzept zu bringen, damit er auf keinen Fall ablehnt.«
»Aber wozu das Ganze?«, fragte Grayson verstimmt. Die Lady vom See war bekannt dafür, drei Züge im Voraus zu planen und die Reaktionen ihrer Mitmenschen perfekt manipulieren zu können, aber der Aufwand erschien ihm vollkommen unnötig. »Sie hat es doch sowieso befohlen. Hätte sie mein Nein überhaupt gelten lassen müssen?«
»Das hier ist keine Diktatur, Mr. Steel«, sagte Morgan, der sich gerade aus dem Wasser schwang. »Natürlich hätten Sie ablehnen können. Aber offensichtlich wollte die Lady nicht, dass es dazu kommt. Und mir ist auch klar, warum. Aber dazu später.« Er bedeutete Richard, Shaja zu tragen und der muskulöse Mann zog sich in einer fließenden Bewegung ans Ufer und hob Shaja sanft in seine Arme. Schweigend verließen sie den Wald und zogen sich in der Vorkammer an. Währenddessen kam Shaja wieder zu sich und fasste sich stöhnend an den Kopf.
»Verdammt, tut das weh. Was ist denn passiert?«, murmelte sie.
»Sie haben mit dem Wasser der Lady gegurgelt«, sagte Richard trocken, und die junge Frau sprang auf die Füße.
»Das habe ich nicht!«, keuchte sie entsetzt und packte sich wieder an den Kopf. »Die Kopfschmerzen sind ja nicht auszuhalten. Das Letzte, was ich weiß, ist, dass die Lady mich freundlich im Wasser begrüßt hat, während ihr rumgetrödelt habt. Sie sagte irgendwas davon, wie nützlich meine Anwesenheit wäre und das war’s. Dann gingen auch schon die Lampen aus.«
»Schonen Sie sich und ziehen sich erstmal an«, sagte Morgen beschwichtigend. »Ich habe einen Ausnüchterungszauber auf Sie gewirkt und Sie durchleben gerade innerhalb von wenigen Minuten die Auswirkungen, die Ihr Körper sonst über Stunden ertragen müsste.«
»Wozu die Eile?«, fragte Shaja und griff nach ihren Sachen.
Grayson schnaubte unglücklich. »Wir haben einen neuen Auftrag. Und für den müssen wir anscheinend schnellstmöglich nach Paris.«
Morgan nickte eilfertig. »Ich setze Mack auf die Reisevorbereitungen an … oh, verdammt.« Der Magus schlug sich gegen die Stirn. »Wir haben seine Drohne im Kofferraum vergessen. Das werden wir uns eine Ewigkeit lang anhören dürfen.«
London, Westminster-Palast, City of Westminster, Sonntag, 25. August, 13.03 Uhr
Sie saßen wieder im SUV, dessen Klimaanlage heulend versuchte, gegen die schwüle Hitze des Nachmittags anzukommen. Mack hatte wie erwartet äußerst lautstark darauf hingewiesen, wie viel Zeit und Geld er in seine Drohne investiert hatte, um dem Team eine Hilfe sein zu können, und dass er deswegen erwartete, dass man seine Erfindung nicht im Kofferraum vergaß. Der Zwerg hatte wohl allen Ernstes erwartet, der Lady vom See mit dem Ding seine Aufwartung zu machen. Grayson war sich sicher, dass Morgan dies nie zugelassen hätte, behielt den Einwand aber lieber für sich. Stattdessen lenkte er das Gespräch auf ihren neuen Auftrag, sodass Mack sich zwischen Schmollen und Neugier entscheiden musste. Zum Leidwesen des Quaestors beherrschte der Schatten beides simultan.
»Die Politikerinnen wieder auf Linie zu bringen, klingt nach einem Job für einen Diplomaten. Was will die Lady dann mit unserem Quaestor vor Ort? Kann sie ihre Schwestern vielleicht nicht leiden?«, fragte Mack gerade grummelnd.
Grayson runzelte die Stirn, ließ die Spitze jedoch weiter unbeachtet, denn er brannte darauf, die Antwort zu hören. Er selbst hatte ja auch große Zweifel an seiner Tauglichkeit für diesen Fall.
»Halbschwestern«, korrigierte Morgan pedantisch. »Sie teilen denselben Vater, aber eine andere Mutter. Nymphen sind allgemein stets an ihr Gewässer gebunden und suchen sich einen Partner aus einer anderen Rasse, um sich fortzupflanzen. Der Erzeuger der Lady vom See war Gerüchten nach ein Hexer mit einer Vorliebe für Nymphen. Ihre Halbschwestern wurden Jahrhunderte vor ihr geboren und das Verhältnis zwischen den vieren ist … schwierig. Für sich allein sind Ludmilla, Cantra und Nissin bestenfalls als dysfunktional zu bezeichnen, aber wenn die drei zusammenarbeiten, haben sie sich als erstaunlich kompetentes Team erwiesen.« Morgan machte eine Pause und Grayson dachte, dass man diese Aussage locker auf die Anwesenden übertragen konnte. Das ungemütliche Schweigen im Wagen machte ihm klar, dass er wohl nicht als einziger so dachte. Bevor die Stimmung komplett kippen konnte, stellte Grayson eine Frage, die ihm auf dem Herzen brannte, seit die Lady ihnen von ihrem Auftrag erzählt hatte.
»Wieso lässt man es zu, dass drei Familienangehörige der Lady vom See als Präfekten von Paris dienen? Das schreit doch geradezu nach Vetternwirtschaft. Und warum drei? Ich dachte, es gibt nur einen Präfekten pro Herrschaftsgebiet.« Grayson hatte sich nach Hamburg durch die Territorien der Nebula Convicto gewühlt und festgestellt, dass es nicht einfach einen Präfektor pro Land gab. Einige der modernen Grenzen waren von den magischen Wesen nie anerkannt worden und gerade in Osteuropa und Russland gab es eine Vielzahl von kleineren Gebieten, die je einem Präfektor unterstanden. Aber egal, wie groß oder klein eines der Territorien war, es gab immer nur eine Person an dessen Spitze.
Zu Graysons Überraschung antwortete Shaja auf die Frage. »Das liegt an der Sonderstellung, die Paris innerhalb der Nebula Convicto genießt«, sagte sie stöhnend. Die magische Ausnüchterung machte ihr noch immer zu schaffen und sie hielt beim Sprechen ihre Augen geschlossen. »In Paris werden sämtliche Abkommen verhandelt, die die Nebula Convicto betreffen. Der Verhangene Rat macht die Gesetze, aber alles, was einzelne Gruppierungen miteinander aushandeln, wird in der französischen Hauptstadt besprochen. Vampirclans, Magier-Cabale, Ork-Stämme, Trollälteste, alles, was Rang und Namen hat, stellt mindestens einen Botschafter bereit, der ganzjährig in Paris die Interessen der eigenen Leute vertritt. Egal, ob Handelsabkommen, Fehden oder Allianzen, in dieser Stadt werden sie wahr.«
»Ganz Paris liegt unter einem strikten Friedenspakt«, ergänzte Richard. »Waffen sind nur in Ausnahmefällen gestattet, Gewalt ist nicht erlaubt. Es gibt über fünfhundert Residenzen mit diplomatischer Immunität in der Stadt und jedes gesprochene Wort wird dort auf die Goldwaage gelegt.«
Grayson starrte die beiden fassungslos an. »Sie verarschen mich doch«, entfuhr es ihm schließlich. »Und dahin will mich die Lady vom See freiwillig schicken? Soll ich den ganzen Laden niederbrennen, oder was?«
»Wir sind ja auch noch da, Mr. Steel«, sagte Morgan brüskiert. »Bisher haben wir Sie vor den schlimmsten Fehlern bewahrt und immerhin sind Sie ja nicht mehr ganz unbedarft, was die magische Gemeinschaft angeht.«
Grayson nickte wenig überzeugt. »Und was hat das jetzt mit den drei Präfektorinnen zu tun?«
»Paris ist zu wichtig, um Partei in der Politik zu ergreifen«, erklärte Morgan. »Es muss dringend in allen politischen Diskussionen neutral bleiben, um als Verhandlungsort funktionieren zu können. Deswegen auch die räumliche Trennung vom Verhangenen Rat. Es wurde vor Jahrhunderten beschlossen, dass je ein Vertreter der Freien, der Erben und des Equilibrium gemeinsam den Frieden der Stadt wahren.«
»Diese Regelung funktionierte eher schlecht als recht«, sagte Richard. »Es gab immer ein großes Hauen und Stechen zwischen den drei Herrschern, alles natürlich hinter einem Lächeln verborgen. Bis die drei Schwestern sich zur Wahl stellten. Jede von ihnen verfolgt eine andere politische Agenda, aber da sie Schwestern sind und sich einen Fluss teilen, nämlich die Seine, gehen sie freundschaftlicher miteinander um als ihre Vorgänger. Zum Erstaunen aller wurden aus drei skandalumwitterten Lebefrauen innerhalb kürzester Zeit respektierte Diplomatinnen, die die Neutralität von Paris gegen jeden Widerstand von innen oder außen aufrechterhielten.«
»Warum ist die Lady dann so schlecht auf die drei zu sprechen?«, fragte Grayson.
»Familie«, sagte Shaja lakonisch, aber Morgan schüttelte den Kopf.
»Es ist mehr als eine Animosität unter Verwandten«, widersprach er grüblerisch. »Werden die Drei Schwestern als Präfektorinnen abgelöst, schwächt das nicht nur Paris als Zentrum der Diplomatie, es fällt natürlich auch auf die Ratsherrin zurück, wenn ihre Verwandtschaft derart versagt. Die Lady schickt uns daher unter dem Deckmantel einer diplomatischen Mission, damit wir diskret nach dem Rechten sehen. Dies ist keine offizielle Ermittlung. Deswegen wollte sie so unbedingt die Zusage unseres Quaestors.« Er blickte Grayson an. »Sie vertraut Ihnen. Deswegen hofft die Lady wohl, dass Sie herausfinden, was in Paris los ist. Nach dem, was ich in den letzten Wochen gehört habe, verfallen die drei Schwestern wieder in ihre alten Verhaltensmuster aus der Zeit, bevor sie der Stadt vorstanden.«
»Und riskieren alles, was sie sich in Jahrhunderten aufgebaut haben?«, fragte Grayson zweifelnd. Langsam ergab ihr Auftrag für ihn ein sinnvolles Ganzes, auch wenn ihm nicht gefiel, was er dort sah. »Also schön«, sagte er schließlich. »Dann polieren wir mal unsere Manieren auf und fliegen in die Stadt der Liebe, um ein paar Nymphen den Kopf zurechtzurücken.«