Читать книгу Nebula Convicto. Grayson Steel und der Verhangene Rat von London. Band 1 (Fantasy) - Torsten Weitze - Страница 6
ОглавлениеDie Bannmünze
London, Islington, Dienstag, 11. Oktober, 7.08 Uhr
Grimmig starrte Grayson auf die braune Brühe hinab, die in diesem Laden als Kaffee durchging. Nach wenigen hundert Metern hatte er den Versuch, das Auto in seinem nervlichen Zustand zu steuern, aufgegeben und sich kurzentschlossen in das nächstbeste Café gesetzt. Seine Hände zitterten noch immer, und sein Verstand raste aufgrund der Ereignisse der letzten Stunde. Bevor er sich nicht beruhigt hatte, war es wahrscheinlicher, dass er einen Unfall verursachte, als dass er wohlbehalten im Hauptquartier von Scotland Yard ankam.
Hinter der fleckigen Glasscheibe, die den Dreck auf dem Bürgersteig vom Dreck in diesem Schuppen trennte, erhob sich die Stadt langsam aus dem Schlummer der Nacht. Immer mehr müde Gestalten schleppten sich, verdammten Schemen gleich, durch das trübe Grau eines nebelverhangenen Morgens. Der Verkehr nahm zu, schon waren in der Ferne die ersten Hupen zu hören, die vom Ärger oder der Ungeduld ihrer Fahrer kündeten. Während der Kaffee seine Wirkung tat und das Adrenalin langsam verflog, drehte und wendete Grayson seine seltsame Begegnung immer wieder im Kopf.
Die Gestalt war real gewesen, daran gab es keinen Zweifel, dessen war sich Grayson sicher. Denn an der Gestalt zu zweifeln, hieße, an seinem Verstand zu zweifeln, und auf dieses Terrain wollte er sich ganz sicher nicht begeben. Aber wie konnte sich jemand derart schnell bewegen? Durch die Nebelwallungen hatte Grayson die Bewegung nachverfolgen können, aber gesehen hatte er sie nicht. Frustriert begann er, die Details des Falles durchzugehen, aber auch das half nicht. Zu viele widersprüchliche Fakten und zu wenig Informationen. Grayson hoffte, dass die Identifizierung des Opfers und die Obduktion der Leiche wesentliche Anhaltspunkte zu Tage fördern würden, mit deren Hilfe er alle bisherigen Erkenntnisse dieser Ermittlung in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte. Andernfalls würde das ein ganz schön hartes Stück Arbeit werden.
Er stand auf und ging zum Tresen, um den Kaffee zu bezahlen. Als er in seine Manteltasche griff, um seine Brieftasche hervorzuholen, spürte er das Beweismitteltütchen mit der Münze, die er am Tatort eingesteckt hatte. In der Aufregung hatte er seine letzte Entdeckung ganz vergessen! Aufgeregt bezahlte er den teilnahmslosen Mann hinter dem Tresen, der offensichtlich schon jetzt die Minuten bis zum Feierabend zählte, und ging hinaus. Dort zog er das kleine Tütchen hervor und betrachtete die Münze im Schein der grellblauen Neonreklame, die das heruntergekommene Café noch weiter verschandelte. Die verschlungenen Linien auf der Oberfläche waren sehr komplex und ihnen mit den Augen zu folgen war äußerst anstrengend. Ich habe einen ersten Ansatz, dachte Grayson zuversichtlich. Das Ding ist bestimmt selten. Und was selten ist, lässt sich gut zurückverfolgen. Jetzt musste er nur noch jemanden finden, der ihm sagen konnte, was das Ding überhaupt war.
Grayson stieg in seinen Wagen, zog sich ein paar Einweghandschuhe über und holte die Münze vorsichtig aus der Beweismitteltüte, wobei wieder ein Funke übersprang. Vielleicht ein besonders gut leitendes Material., dachte Grayson. Er nahm zwei Spezial-Folien aus dem Handschuhfach, mit denen er die beiden Seiten der Münze beklebte, um sie dann vorsichtig wieder abzuziehen und in dem Tütchen zu verstauen. Sollten noch brauchbare Fingerabdrücke oder andere Spuren an der Münze gewesen sein, wären diese nun auf der Oberfläche der Folie gesichert. Später würde Grayson die Folien im forensischen Labor abgeben.
Nachdem er nun alle Spuren an der Münze gesichert hatte, streifte der Ermittler die Handschuhe ab und warf sie mit einem widerwilligen Laut in den hinteren Teil des Wagens. Ich hasse diese Dinger, dachte er angewidert. Dann legte er die Münze auf den Beifahrersitz und machte einige Fotos für das Archiv. Zumindest versuchte er es. Nach dem sechzehnten Versuch landete die Kamera bei den Handschuhen auf dem Rücksitz, und Grayson starrte die Münze wütend an. Keines der Fotos war brauchbar, denn entweder waren die Linien auf den Fotos nicht zu erkennen, oder die Fotos waren komplett unscharf. Als ob das Ding nicht fotografiert werden will, fluchte Grayson innerlich. Kopfschüttelnd startete er den BMW und legte sich im Kopf seine Route zurecht. Im Laufe der Jahre hatte Grayson schon häufig die Hilfe von Antiquitäten- und Münzhändlern in Anspruch genommen, um seine Ermittlungen voranzutreiben. Er würde zwei oder drei von ihnen einen Besuch abstatten, und dann wäre er bestimmt schlauer. Mit diesem hoffungsvollen Gedanken fädelte sich Grayson in den Verkehr ein und verschwand im Nebel.
London, City of London, Dienstag, 11. Oktober, 11.39 Uhr
Einige Stunden später, die er größtenteils damit verbracht hatte, im Stau auf die Rücklichter seines Vordermannes zu starren, verließ ein entnervter Sonderermittler das sechste Geschäft, das er an diesem Vormittag bereits aufgesucht hatte. Auch bei diesem Laden war er nicht fündig geworden, der Besitzer hatte die Münze nur flüchtig angesehen und für wertlos erklärt, genau wie drei seiner Kollegen vor ihm. Die anderen zwei hatten zwar geringes Interesse gezeigt, wollten sich aber nicht genau festlegen, da ihnen so eine Gravur noch nie untergekommen war. Zusätzlich hatte Grayson jedes Mal einen elektrischen Schlag bekommen, wenn er das Beweisstück angefasst hatte. Die Händler hatten sich gar nicht erst damit abgegeben, die Münze in die Hand zu nehmen. Grayson lehnte sich an sein Auto und dachte über seinen nächsten Schritt nach. Auch seine Hartnäckigkeit hatte ihre Grenzen, und wenn die Münze eine Sackgasse war, wollte er nicht zu viel Zeit darauf verschwenden. Trotz allem war er sich sicher, dass sie eine Rolle spielte, und er beschloss, noch einen letzten Versuch zu wagen. Er kramte den Zettel aus der Hosentasche, den ihm eine Antiquitätenhändlerin heute Morgen in die Hand gedrückt hatte.
»Hier könnten Sie es mal versuchen«, hatte die Frau gesagt. »Der alte Rudvig Straage ist auf kuriose Sachen wie das hier spezialisiert.« Dabei hatte die rundliche Händlerin mit ihrem Stift auf die Münze gedeutet, um dann stirnrunzelnd fortzufahren: »Aber sein Ruf ist recht … schillernd, wenn Sie verstehen.«
Grayson hatte die Notiz zwar dankend angenommen, aber zuerst weitere seiner etablierten Quellen aufgesucht. Am Anfang seiner Karriere hatte er sich einmal auf die Meinung eines Spezialisten mit zweifelhaftem Ruf gestützt, und das hätte ihn beinahe den betreffenden Fall gekostet. Seitdem hatte er sich eine Kontaktliste aus vertrauenswürdigen Quellen geschaffen und nahm nur sehr zögerlich die Hilfe von jemandem in Kauf, der nicht dort drauf stand.
Er starrte noch einmal auf die Adresse und zuckte dann die Achseln.
Den einen Versuch noch, danach ermittele ich vorerst in eine andere Richtung, dachte er. Es würde zwar schmerzen, sich selbst eine Fehleinschätzung einzugestehen, aber falscher Stolz gehörte zu den vielen Dingen, die Grayson im Laufe seiner Arbeit aufgegeben hatte. Er streckte sich vor dem Einsteigen noch einmal und blinzelte in den dunkel verhangenen Himmel hinauf, der ihm seinerseits einen leichten Nieselregen entgegensandte. Der Nebel ist fort, damit der Regen einsetzen kann. Man muss dieses Wetter einfach lieben. Seufzend setzte er sich in den Wagen und machte sich ein weiteres Mal auf den Weg.
London, Downham, Dienstag, 11. Oktober, 12.20 Uhr
Vierzig Minuten später fand sich Grayson in der perfekt gepflegten Vorstadtsiedlung von Downham im Südosten Londons wieder. Verklinkerte Häuser, kleine quadratische Vorgärten mit Blumen am Weg, gepflasterte Garageneinfahrten und überwiegend rote Dächer, soweit das Auge reichte. Grayson kam sich vor wie in einem dieser Albträume, bei denen man läuft und läuft und nicht von der Stelle kommt. Die einzelnen Straßen glichen sich derart, dass man schon zweimal hinsehen musste, um geringfügige Unterschiede feststellen zu können. Nur wenige der Grundstücke boten Grayson eine Orientierungshilfe, während er sein Ziel suchte.
Bei so viel Gleichförmigkeit wurde ihm immer mulmig. Nach seiner Erfahrung war in einer solchen Wohngegend jeder jedermanns bester Freund und schlimmster Feind. Plötzlich war er froh, dass sein Tatort in dem heruntergekommenen Teil Islingtons lag. Da waren sich wenigstens alle Anwohner einig, dass man den Ordnungshütern nur das Allernötigste sagt und sich ansonsten um seinen eigenen Kram kümmert. Das war zwar ebenso hinderlich wie eine Horde hilfsbereiter Nachbarn voller Klatsch, aber zumindest erfrischend einfach und ehrlich. Grayson hielt seinen BMW an und ließ die quietschende Scheibe herunter. Nach seiner festen Meinung war er schon dreimal an seinem Ziel vorbeigekommen, aber jedes Mal hatte er sich dann doch irgendwo verfahren, und sein Navigationssystem weigerte sich standhaft, die Adresse anzunehmen und behauptete, die Straße existiere nicht.
Mit seinem gewinnendsten Lächeln sprach der Ermittler eine junge Frau an, die ihren Kinderwagen in sicherem Abstand an ihm vorbeischob und ihn dabei argwöhnisch anschaute.
»Entschuldigung, haben Sie eine Ahnung, wo ich die Plymouth Road Nr. 1 finde? Irgendwie scheine ich immer falsch abzubiegen.«
Das Gesicht der jungen Frau zeigte nun deutliche Ablehnung, als sie erwiderte: »Was wollen Sie denn dort, um Himmels willen?«
Die Nachteile einer Ziviluniform, dachte sich Grayson abermals und kramte seinen Ausweis hervor.
»New Scotland Yard, offizielle Ermittlungen«, brummte Grayson und hielt der Frau die Marke entgegen. Nun war es schon so weit, dass er sich ausweisen musste, wenn er Leute nach dem Weg fragte. Vielleicht hätte er doch an dem Seminar zur Verbesserung der sozialen Kompetenz teilnehmen sollen.
Ihr harter Ausdruck schmolz förmlich von ihrem Gesicht, um einer Miene der Häme Platz zu machen. In Graysons Augen stellte das keinerlei Verbesserung dar. »Na endlich, es wird aber auch Zeit, dass jemand den alten Mann mal unter die Lupe nimmt. Jeder hier weiß doch, dass bei dem nicht alles mit rechten Dingen zugeht.« Und nun gesellte sich ungezügelte Neugier zur Häme, so dass die Frau auf einmal zehn Jahre älter und doppelt so boshaft wirkte, fast wie in einem dieser Zerrspiegel, die Grayson als kleinen Jungen auf dem Jahrmarkt so fasziniert hatten. Es war damals seine erste Lektion gewesen, dass jede Wahrnehmung immer nur vom Blickwinkel abhing.
»Drei Blöcke geradeaus und dann links rein. Was genau wollen Sie denn …?«, fuhr sie fort.
»Vielen Dank für die Auskunft. Einen schönen Tag noch«, unterbrach Grayson sie so freundlich er konnte. Dann fuhr er schnell das Fenster wieder hoch und setzte seinen Weg fort, bevor die Anwohnerin weiterreden konnte. Im Rückspiegel erkannte er genau, dass sie wohl noch einiges zu sagen gehabt hätte, und nichts davon wäre nett gewesen. Sein Nervenkostüm war nach seiner unheimlichen Begegnung am Tatort nicht das beste, und da war es sicherer weiterzufahren, bevor seine Höflichkeit vollständig versiegte. Auch wenn Grayson Zivilbeschwerden sammelte wie andere Kollegen Rabattmarken, musste er es ja nicht unbedingt darauf anlegen.
Er fuhr weiter und bog in die kleine Nebenstraße ohne Straßenschild ein, die ihm genannt worden war. Sie zwängte sich zwischen zwei Häusern hindurch, deren fünf Meter hohe Hecken links und rechts der Fahrbahn aufragten wie zwei grüne Sturmwellen, bereit, jeden Eindringling zu verschlingen. Nach wenigen Sekunden kam Grayson an einen Kreisverkehr mit einer dicht bewachsenen Verkehrsinsel. Er hielt an und schaute sich irritiert um. Auch der Kreisverkehr war von Hecken umgeben, keine Spur von Häusern. Achselzuckend fuhr Grayson in den Kreisverkehr, in der festen Absicht zu wenden. Als er um das Hindernis herumfuhr, sah er plötzlich ein zweistöckiges Fachwerkhaus vor sich. Dieses so gar nicht in die Gegend mit seinen geklinkerten Häusern aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert passende Gebäude wurde geschickt durch den Bewuchs der Verkehrsinsel verborgen. Alles an dem Bauwerk strahlte ein hohes Alter aus. Wettergegerbte, ein wenig ungleichmäßige Balken waren zwischen den rauen Steinblöcken der Fassade sichtbar, und schwere, leicht unförmige Ziegel bedeckten das Dach, untrügliche Zeichen einer manuellen Herstellung. Eine von Grünspan bedeckte, messingverzierte Regenrinne umrahmte das Haus, und der Briefkasten sah mit seiner gusseisernen Machart auch schon mindestens hundert Jahre alt aus.
Das nenne ich konsequent, der Kerl lebt sogar in einer Antiquität, schoss es Grayson durch den Kopf. Das muss gebaut worden sein, noch bevor die Gegend offiziell erschlossen wurde.
Er parkte direkt vor dem Haus, stellte den Motor ab und ließ das Bild auf sich wirken. Dieses Gebäude schien das einzige Haus in der Plymouth Road zu sein, und die Konstruktion des Kreisverkehrs in Kombination mit den Hecken schottete es auf wirksame Weise von der Hauptstraße ab. Wie jemand ein Geschäft ausgerechnet hier und derart versteckt betreiben und davon leben konnte, war Grayson schleierhaft. Vielleicht ein exzentrischer Erbe mit genug Geld auf dem Konto, dachte er sich.
Für einen kurzen Moment überlegte Grayson, ob er wieder fahren sollte. Das wirkte alles zu skurril, und er bezweifelte mittlerweile stark, dass er hier stichhaltige Informationen bekommen könnte. Aber der Zeitaufwand, herzufinden, war einfach zu groß gewesen, um nicht wenigstens einmal reinzuschauen.
Als Grayson ausstieg und den langen Vorgarten durchquerte, stellte er verdutzt fest, dass er sich auf einem Belag aus Muschelschalen bewegte. Der gesamte Vorhof war mit Muschelsplittern ausgelegt, ebenso wie der schmale Pfad, der sich durch den Vorgarten schlängelte. Das Knirschen unter seinen Sohlen klang entsetzlich laut in seinen Ohren, und erst jetzt fiel ihm die absolute Ruhe auf, die hier hinter all den Hecken und der Verkehrsinsel herrschte. Der gesamte Ort wirkte irgendwie unwirklich und Grayson musste ein mulmiges Gefühl unterdrücken.
Eine schwere dunkle Eichentür mit einem schlichten Messingschild erhob sich am Ende des Weges. Die Worte »Rudvig Straage, Kuriositäten« waren kunstfertig auf dem Schild eingraviert. Darüber befand sich ein Türklopfer, Grayson sah keinen Hinweis auf eine Türklingel.
Zweifelnd griff er nach dem Klopfer, seine Idee, hierher zu fahren, zum wiederholten Male bedauernd, als er plötzlich innehielt. Die gesamte Fläche der Klopfplatte war mit feinen, komplexen Linien übersät. Schnell holte er die Münze hervor und hielt sie daneben. Die Muster waren definitiv unterschiedlich, aber die Machart sehr ähnlich. Als er die Platte berührte, bekam er einen leichten elektrischen Schlag. Von neuer Hoffnung erfüllt, ließ Grayson den Türklopfer niedersausen und zuckte zusammen. In der Stille hallte das Geräusch des schweren Messingrings wie ein Donnerschlag in seinen Ohren.
Für einige Sekunden war es still, dann nahm Grayson langsame Schritte wahr, und die Tür wurde geöffnet. Ein alter Mann mit freundlichem Gesicht und klarem Blick schaute ihn aus dunkelbraunen Augen an. Eine leicht zerknitterte Cordhose und ein fleckiges weißes Leinenhemd, von dem sich die schwarzen Hosenträger scharf abhoben, standen in starkem Kontrast zu der mit feinen Gravuren verzierten, goldgefassten Brille und den makellos anliegenden, zurückgekämmten schlohweißen Haaren. Er stand in einem kurzen, dunklen Flur ohne Fenster, der an eine Schleuse erinnerte.
»Wie kann ich Ihnen helfen, mein Herr?«, sprach er Grayson mit einer warmen und ruhigen Stimme an.
»New Scotland Yard, Sonderermittler Grayson Steel. Sind Sie Mr. Rudvig Straage? Ich hätte gerne Ihre Meinung zu einer Münze, die wir an einem Tatort sichergestellt haben. Man hat Sie als Fachmann empfohlen.«
Der alte Mann beäugte ihn durch seine Brille und lächelte dann seltsam wissend. Er machte einen Schritt zur Seite. »Selbstverständlich, kommen Sie doch bitte mit in den Verkaufsraum.«
Als Grayson das Haus betrat, knirschte es noch einmal laut, als sich die Muschelreste von seinen Schuhen lösten. Der Antiquitätenhändler deutete Graysons fragenden Blick Richtung Vorgarten richtig und erklärte etwas kryptisch: »Muschelschalen. Kein Wesen kann sich auf Muschelschalen anschleichen, ohne ein Geräusch zu verursachen.« Als ob das alles erklären würde, schloss er vor sich hin nickend die Haustür, schob sich an einem verblüfften Grayson vorbei und öffnete anschließend die Tür am Ende des Flures. War der Korridor sehr unscheinbar und karg eingerichtet, so stand der Raum, den Grayson nun betrat, im krassen Gegensatz dazu. Jede Wand war mit hölzernen Regalen und hohen Vitrinen bedeckt, in denen sich fein säuberlich aufgereiht die unterschiedlichsten Gegenstände befanden. Die größeren Stücke waren mitten in dem riesigen Raum platziert worden, der neben dem Flur das gesamte Erdgeschoss des Hauses in Anspruch nahm.
Neugierig beäugte Grayson einige der Kuriositäten. Auf Anhieb sah er Porzellan, das vollständig aus Perlmutt zu bestehen schien, ohne irgendwelche Naht- oder Klebestellen aufzuweisen, eine Pflanze mit drei verschiedenen Blüten in drei verschiedenen Farben und eine zwei Meter hohe Ritterrüstung ohne erkennbare Öffnung, die neben ihrem hohen Alter auch Kampfspuren erkennen ließ. Und Bücher. Jede Menge Bücher in allen erdenklichen Einbänden und Färbungen, die ältesten unter ihnen sahen so zerbrechlich aus, als ob sie schon vom Ansehen auseinander fallen könnten. Trotzdem schien Straage sie hier sorglos auszustellen, obwohl sogar Grayson wusste, dass Sonnenlicht Gift für derart alte Exemplare war.
Mitten im Raum stand ein runder, hoher Holztisch mit mehreren Schemeln, an dem der Antiquitätenhändler Platz nahm und Grayson mit einer Geste aufforderte, sich ebenfalls zu setzen. Zwei Tassen standen darauf, und Grayson roch den verlockenden Duft von hochwertigem Kaffee, der bereits in beiden Tassen darauf wartete, getrunken zu werden. Als er sich dem alten Mann gegenüber niederließ, dachte er darüber nach, wann der Händler den Kaffee für ihn eingeschüttet haben konnte. Er wollte ihn gerade fragen, als sein Gegenüber lächelnd sagte: »Muschelschalen. Kein Wesen bewegt sich leise über Muschelschalen.« Die entwaffnend freundliche Art des Mannes hatte etwas an sich, das Grayson dazu verleitete, einfach nur zu nicken und seine Aussage hinzunehmen, ohne weiter nachzubohren.
»Ich habe hier eine Münze, zu der ich gerne Ihre Meinung hätte. Jede Art von Information ist hilfreich.« Damit holte er die seltsame Crown hervor und legte sie auf den Tisch. Mit wachsamem und interessiertem Blick nahm Straage den obligatorischen Funken zur Kenntnis, an den Grayson sich mittlerweile gewöhnt hatte, wenn er die Münze berührte. Der Händler nahm die kleine silberne Scheibe auf und begann, sie eingehend zu studieren. Neidisch nahm der Ermittler zur Kenntnis, dass der alte Mann von einer Entladung verschont blieb. Vielleicht irgendetwas an meiner Kleidung …?, sinnierte Grayson. Als ihm klar wurde, dass er keine schnelle Antwort bekommen würde, beschloss er, sich um seinen Kaffee zu kümmern. Nachdem er gekostet hatte, war es um Graysons Aufmerksamkeit geschehen.
Eine halbe Tasse und zwei Minuten später hätte jeder Beobachter, der durch eines der hohen Fenster in den Raum geschaut hätte, zwei rundum zufriedene Menschen erblickt. Der alte Mann schien ganz in der Betrachtung der Münze aufzugehen, und Grayson war bei der festen Überzeugung angelangt, dass sich all die Mühe und das Herumfahren gelohnt hatten, inklusive des mysteriösen Mordes, nur für diese Tasse Kaffee. Grayson war definitiv kein Mensch, der zu Übertreibungen neigte, aber er war sich sicher, noch nie ein derart gutes Gebräu getrunken zu haben. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen, seine Stimmung war gut, was für Graysons Verhältnisse schon mit Euphorie gleichzusetzen war, und seine Geduld war seit langer Zeit zum ersten Mal wieder auf einem normalen Niveau. Kurz überlegte er, ob der alte Mann ihn unter Drogen gesetzt hatte, so absurd der Gedanke auch war, nur um dann lächelnd zu entscheiden, dass es ihm im Moment völlig egal war. Ein Räuspern ließ ihn aufschauen, und er starrte in das verschmitzt dreinblickende Gesicht Mr. Straages.
»Ich sehe, Ihnen schmeckt meine Züchtung. Ein kleines Hobby von mir, mit dem ich mir die Zeit vertreibe. Ich habe ein halbes Dutzend Kaffeesorten gekreuzt, um den richtigen Geschmack zu treffen.« Bevor Grayson antworten konnte, fuhr er fort: »Was Ihre Münze angeht, so habe ich bisher nur einen Verdacht, den ich erst noch bestätigen muss. Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment.« Straage stand auf und holte einen Lederband aus einer der Vitrinen hervor. Als er damit zum Tisch zurückkehrte und ihn öffnete, erkannte Grayson, dass es sich um einen Münzband handelte. Straage suchte einige Augenblicke und nahm dann zwei Münzen heraus, die er neben die andere auf den Tisch legte.
»Wie wichtig ist Ihnen diese Information?«, fragte er unvermittelt.
Vollkommen überrascht zog Grayson die Augenbrauen hoch. Nie hätte er den alten Mann für einen dieser Halsabschneider gehalten, die der Regierung nur gegen Bezahlung halfen.
»Ich versichere Ihnen, dass diese Information äußerst wichtig ist und Sie dabei helfen, ein Verbrechen aufzuklären. Leider sind unsere finanziellen Mittel in diesen Zeiten …«:, begann Grayson, als Straage ihn unterbrach. »Sie haben mich missverstanden, Inspector. Wenn Sie die Information so dringend benötigen, wie Sie sagen, dann schauen Sie sich doch bitte einmal die linke Münze an.« Dabei bedeutete er Grayson, die Münze aufzuheben.
Grayson nahm die Münze vom Tisch, begleitet von einem weiteren Funken. Er sah einen kleinen zerkratzen Penny und wunderte sich über das Verhalten des alten Mannes. Dieser fragte: »Und? Was sehen Sie?« Grayson kniff die Augen zusammen und hielt sich die Münze vor die Augen. Was er zuerst für Kratzer gehalten hatte, waren feine Linien, wie auf dem Beweisstück, das er hergebracht hatte, nur viel kleiner und dichter angebracht.
»Hier befindet sich auch ein Muster auf der Oberfläche. Fast identisch zu dem auf der Münze, die wir am Tatort sichergestellt haben«, erwiderte er.
Der Antiquitätenhändler nickte und schaute Grayson etwas überrascht an. »Sie haben … gute Augen. Die meisten sehen nur Kratzer.«
»Scheint so zu sein. Unsere Spurensicherer haben meine Münze am Tatort komplett übersehen und sie auch dann noch ignoriert, als ich sie darauf hingewiesen habe.« Der Vorfall machte Grayson immer noch wütend. Schlamperei, schimpfte er innerlich.
»Und nun betrachten Sie bitte die rechte Münze«, sagte Straage und beugte sich dabei vor, um Grayson genau zu beobachten.
Der kam sich vor wie bei einer Art Test. Er starrte auf die besagte Münze herab, eine alte Golddublone, schartig und schäbig. Seltsam widerwillig griff er danach und verharrte dann, die Hand knapp zwanzig Zentimeter über dem Geldstück. Er hatte nicht übel Lust, den alten Mann sitzen zu lassen und einfach zu gehen. Was bildete der sich eigentlich ein? Bevor er die Münze berührt hatte, ließ Grayson die Hand wieder sinken und schaute seinem Gegenüber in die Augen. Der alte Mann hatte sich sichtlich entspannt, als Grayson die Hand fortgezogen hatte, so als hätte er diese Reaktion erwartet. Ein unerklärlicher Zorn stieg in Grayson auf.
»Können Sie mir erzählen, was das Ganze soll? Die Münzen sind ja nicht mal identisch. Wenn Sie eine Information haben, dann geben Sie sie mir endlich.« Grayson war überrascht, wie rau seine Stimme klang, so wütend war er auf einmal.
Straage lächelte weiter und sagte: »Wenn es für Sie so wichtig ist, dann sollten Sie sich vorher definitiv diese Münze ansehen. Sonst können Sie meinen Ausführungen nicht folgen.«
Grayson war unbewusst aufgestanden und ernsthaft in Versuchung, einfach den Raum zu verlassen. Mittlerweile ging es ihm ums Prinzip. Und was konnte ihm dieser komische Mann schon sagen? Alle seine Experten waren sich einig, dass die Münze wertlos war! Er hatte sich nur in eine fixe Idee verrannt. Er sollte die Münze einfach zurücklassen. Keiner würde sie vermissen, sie tauchte ja noch nicht einmal auf der Beweismittelliste auf.
Als ob der Antiquitätenhändler seine Gedanken gelesen hätte, sagte er: »Sie können selbstverständlich auch einfach gehen und die Münze hierlassen. Legen Sie den Fall zu den Akten. Vergessen Sie diese unerfreuliche Geschichte, und die Geschichte wird auch Sie vergessen.«
Irgendetwas an der Art, wie der Mann dies sagte, wirkte wie ein Kübel Eiswasser auf Grayson. Er war tatsächlich schon auf dem Weg zur Tür gewesen, als ihm bewusst wurde, was er da gerade tat. Er wollte allen Ernstes ein Beweismittel zurücklassen und seine einzige heiße Spur opfern, weil er sich weigerte, eine Münze aufzuheben und anzusehen?
Was war nur los mit ihm?
Er machte einige schnelle Schritte zurück zu dem Tisch, wobei er sich weigerte, Straage in die Augen zu sehen. Grayson ließ seine rechte Hand schwer auf den Tisch fallen und schob sie immer näher an die goldene Münze heran. Aus irgendeinem Grund fiel ihm diese Bewegung unglaublich schwer. Es schien, als ob all sein Stolz verletzt, all seine Zeit verschwendet und all sein Handeln verfälscht werden würde, wenn er sich dazu herabließ, diese seltsame Münze hochzuheben. Gerade als er aufgeben wollte, erinnerte er sich wieder an Straages Worte: »Legen Sie den Fall zu den Akten.« Das hatte er noch nie gekonnt, würde er nie können. Mit einer fließenden Bewegung nahm Grayson die Münze auf.
Für einen Moment schien es Grayson, als würde etwas in seiner Brust bersten, wie eine dünne Schale, die unter dem Ansturm eines mächtigen Schlags zerplatzt.
Und um ihn herum brach die Hölle los. Bücher fielen krachend aus den Regalen, mit einem ohrenbetäubenden Scheppern kippte die Ritterrüstung um, und das Geschirr zersprang mit lautem Krachen. Die Fenster vibrierten, und der Boden schien zu schwanken. Der alte Mann kippte vom Stuhl, und Grayson dachte, er sähe einen mächtigen silbrigen Blitz, der kurz über die Münze hinweg und seine Hand hinaufraste.
So schnell wie alles begonnen hatte, war es vorbei. Das ganze Schauspiel hatte vielleicht zwei Sekunden gedauert, und nun stand Grayson völlig entgeistert mitten in einem verwüsteten Raum und blickte sich desorientiert um, während Straage sich ächzend vom Boden erhob.
»Was ist denn hier gerade passiert?«, brachte Grayson heiser hervor. Das merkwürdige Gefühl im Brustkorb war fort, aber in seinem Kopf drehte sich alles. Die letzten Minuten wirkten auf ihn furchtbar unwirklich. Er konnte sich sein aggressives und irrationales Verhalten genauso wenig erklären, wie die gerade erlebte spontane Verwüstung des Zimmers. Sein ganzer Körper kribbelte, besonders stark seine rechte Hand, die immer noch die goldene Münze umschlossen hielt. Um überhaupt irgendetwas zu tun und damit die lähmende Wirkung des gerade Erlebten abzuschütteln, öffnete Grayson die Faust und hob die Dublone vor sein Gesicht. Wie er schon erwartet hatte, war die Oberfläche übersät mit Linien, nur dass das Muster hier deutlich ausgeprägter war, fast als würden mehrere einzelne Formen ein Gesamtmuster ergeben, das einfach zu komplex war, um wahrgenommen zu werden.
Mittlerweile hatte Straage sich aufgerappelt und schwer auf seinen Stuhl fallen lassen. Er hatte eine kleine Platzwunde über der linken Augenbraue, aber das schien ihn nicht zu kümmern. Vorgebeugt, die Unterarme auf den Tisch gestützt, um sich aufrecht zu halten, starrte er mit weit aufgerissenen Augen zu Grayson hinüber. Ob aus Erstaunen oder Furcht konnte der Ermittler nicht sagen.
Wahrscheinlich beides. Was auch immer hier passiert ist, hat ihn mindestens genauso überrumpelt wie mich, stellte er überrascht fest.
Seiner eigenen Stimme immer noch misstrauend, setzte Grayson sich ebenfalls wieder hin und legte die Münze zu den anderen auf den Tisch, der seltsamerweise nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Dann schauten sich die beiden Männer über eine Minute stumm an, bevor Grayson sich räusperte und fragte: »Sie wollten mir etwas zu meinem Beweisstück mitteilen?« Nicht die beste und auch nicht die erste von vielen Fragen, die ihm im Kopf herumgingen, aber er klammerte sich momentan verzweifelt an jeden Funken Normalität, den er finden konnte, und Nachforschungen waren normal und vertraut und zudem alles, was er momentan hatte, um der wachsenden Verunsicherung Herr zu werden.
Straage blinzelte und wischte sich das Blut aus dem linken Auge, es schien, als hätte ihn die Frage aus seiner Starre gelöst. Das, oder der Ausweg, den Grayson ihm gerade geboten hatte, über etwas anderes, als das Geschehene zu sprechen. »Ja, äh, allerdings. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, gibt es mehrere ähnlich verzierte Münzen. Sie werden für … bestimmte … äh, Sammler gefertigt und sind außerhalb dieses speziellen Kreises von Individuen vollkommen wertlos.«
Die Sprechweise des Antiquitätenhändlers wirkte recht schleppend, während er offenkundig gegen seine Erschöpfung ankämpfte. »Wenn Sie erlauben, werde ich mit ein, zwei Personen … Rücksprache halten und Sie für einige Minuten allein lassen.« Er blickte ihn ernst an und fügte hinzu: »Bitte verzeihen Sie meine kryptische Ausdrucksweise, aber ich habe einigen meiner Kunden absolute Verschwiegenheit versprochen und muss Sie daher um ein wenig Geduld bitten.« Die Wunde hatte wieder Blut in Straages Auge laufen lassen, und der alte Mann schien leicht zu schwanken.
»Es würde mich zwar freuen, nicht mit leeren Händen davonzufahren, aber soll ich Sie nicht lieber in ein Krankenhaus bringen?«, bot Grayson an.
»Nein, vielen Dank. Ich habe schon Schlimmeres überstanden. Ich muss mich nachher nur eine Weile hinlegen.« Das offene Lächeln war für einen kurzen Moment in das Gesicht des Mannes zurückgekehrt, während er aufstand, um im hinteren Teil des Ausstellungsraums zu verschwinden.
Grayson schaute ihm hinterher und ließ den Blick dann über die heruntergefallenen Bücher und Porzellantrümmer schweifen, während er sich endlich der Frage stellte, was zum Teufel hier gerade geschehen war. Nach einer Minute intensiver Betrachtung der Trümmer erkannte er ein Muster. Es schien, als hätte das, was auch immer es war, genau einen Meter vom Tisch entfernt begonnen, um den Rest des Raumes in Mitleidenschaft zu ziehen, ganz so, als wäre der Tisch mit den Münzen darauf das Auge eines Tornados. Grayson hatte gerade beschlossen, aufzustehen und sich genauer umzusehen, als Mr. Straage aus den Tiefen des Ausstellungsraums auftauchte und sich müde auf seinen Stuhl fallen ließ.
»Ich habe die Erlaubnis erhalten, einige Informationen preiszugeben, die normalerweise keine … Außenstehenden erfahren, Mr. Steel.« Er richtete sich gerade auf und räusperte sich, um dann fortzufahren. »Die drei vor Ihnen liegenden Münzen sind Bannmünzen. Sie erfüllen ausnahmslos den Zweck, ein bestimmtes Verhalten auszulösen. Der Träger einer Bannmünze wird dazu gebracht, etwas Bestimmtes zu tun oder nicht zu tun. In Ihrem Fall wird der rechtmäßige Besitzer der Münze, so er nicht um die ihr innewohnende Macht weiß, dazu gebracht, einen speziellen Ort aufzusuchen. Auf alle weiteren Personen wirkt sie deutlich subtiler. Man ignoriert sie, tut sie als wertlos ab oder lässt sie einfach liegen. So wie Ihre Kollegen von der Spurensicherung oder die anderen Antiquitätenhändler. Je stärker der Bann auf der Münze, desto größer der Zwang. Diese goldene dort ist über dreihundert Jahre alt und etwa zehnmal so mächtig wie Ihr Beweisstück. Deswegen hat es Sie so viel Überwindung gekostet, sie auch nur aufzuheben. Obwohl Ihnen das eigentlich nicht hätte gelingen dürfen, aber dazu wird Ihnen später jemand anderes mehr erzählen.«
Während des gesamten Vortrages hatte Straage ihm ernst in die Augen geblickt, und Grayson erkannte, dass der Mann glaubte, die Wahrheit zu sprechen. Mit einem Seufzen erhob der Ermittler sich und nahm das Beweisstück vom Tisch. Man hatte ihn mehrfach gewarnt herzukommen, und auch sein eigenes Gefühl hatte ihm von dem Besuch abgeraten. Dies war nur die gerechte Strafe dafür, seinen gesunden Menschenverstand zu ignorieren. Der Mann war offensichtlich geistig verwirrt oder ein Betrüger. Grayson würde es nicht wundern, wenn bei einer genaueren Untersuchung des Raumes, Rückstände von winzigen Sprengkapseln gefunden würden, mit denen der Mann den kleinen »Zwischenfall« wahrscheinlich inszeniert hatte.
»Vielen Dank für Ihre Zeit, Mr. Straage, aber bevor Sie mir jetzt einen Exorzismus oder eine Weissagung für nur fünfhundert Pfund im Tagesangebot anbieten, werde ich lieber gehen.« Grayson war übel vor Wut, auf den alten Mann ebenso wie auf sich selbst, dass er sich wie ein Anfänger verhalten hatte. Der alte Mann lächelte nur traurig und erhob sich schwerfällig. »Ich kann Ihre Bedenken verstehen und nehme Ihnen Ihre Zweifel an meiner Person auch nicht weiter übel. Sollten Ihnen die konventionellen Antworten auf Ihre Fragen ausgehen, wissen Sie, wo Sie mich finden.«
Sie gingen schweigend den kurzen Korridor entlang und standen Sekunden später an der Eingangstür. Während Straage ihm öffnete, dachte Grayson kurz darüber nach, hier und jetzt weitere Antworten einzufordern. Aber seine eigenen Nerven waren einfach zu zerrüttet, und er war auch nicht bereit, die vorherige Antwort des Antiquitätenhändlers als Basis für weitere Fragen zu verwenden, das war ihm einfach zu absurd.
Draußen hatte es sich eingeregnet, und der Himmel war bleigrau und düster. Er nickte dem Antiquitätenhändler noch einmal knapp zu und trat wortlos hinaus in den Regen. Als er den Vorgarten etwa zur Hälfte durchquert hatte, hörte er aus der Tür die Stimme Straages: »Es tut mir leid, Inspector. Etwas in Ihrem Inneren wurde vorhin erweckt. Ich befürchte, dies war erst der Anfang.«
Grayson drehte sich noch einmal um, um zu antworten, aber er sah nur noch, wie der Mann einen Schritt nach hinten machte und seine Gestalt mitsamt dem blutverschmierten Gesicht und den traurig blickenden Augen von der Düsternis des Korridors verschluckt wurde. Dann schloss sich die schwere Eichentür mit einem dumpfen Schlag, und er stand allein im Regen.