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3. Kapitel

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Wann wollt ihr aufbrechen?« Mr Carrington lächelte Joe und Meryl an, die vor ihm standen und so taten, als wären sie ein Herz und eine Seele.

Meryl war froh, dass ihr Vater nicht länger bedrückt wirkte, obwohl sie es furchtbar fand, ihn zu hintergehen. »Erst nach dem Wochenende«, erwiderte sie gelassen, obwohl sie fest entschlossen war, sich noch am gleichen Tag auf den Weg zu machen. Doch davon durfte Joe nichts erfahren.

»Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, dass ihr beide zusammenarbeitet«, lachte Mr Carrington. »Gemeinsam werdet ihr den Kauf von Westgate hervorragend meistern.«

Er legte Joe die Hand auf die Schulter. »Und was dich angeht, mein Sohn: Ich verlasse mich darauf, dass du während dieser Reise gut auf mein Mädchen aufpasst. Sie ist nun mal mein kleiner Schnuppel.« Mit diesen Worten tätschelte er Meryls Wange.

Meryl schluckte peinlich berührt. Sie liebte ihren Vater sehr, aber er besaß ein unglaubliches Geschick, sich die unpassendsten Momente auszusuchen, um seine Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Joe würde glauben, er hätte nichts zu befürchten, wenn er gegen den »kleinen Schnuppel« antrat.

Andererseits – die Wette war mit Handschlag besiegelt, sollte Joe doch ruhig denken, dass sie keine ernstzunehmende Konkurrenz darstellte. Sie riss sich zusammen, schenkte ihrem Vater ein strahlendes Lächeln und setzte all ihren Charme ein. »Oh, Vater, wie lieb von dir. Ich verspreche, dass wir dich nicht enttäuschen werden.«

»Keine Sorge, Mr Carrington«, sagte Joe. »Ich werde gut auf sie aufpassen – sofern sie mich lässt.« Er und Meryl tauschten einen verschwörerischen Blick. Er würde noch nicht einmal versuchen, »auf sie aufzupassen«. Er lächelte ihr zu und zeigte dabei seine Grübchen. »Meryl ist für mich wie eine kleine Schwester.«

Meryl kniff die Augen zusammen. Wenn geschwisterliche Zuneigung darin bestand, eine kleine Schwester zu quälen und zu ärgern, konnte er sich wahrhaft als Bruder bezeichnen. Sie konnte das zuckersüße Lächeln, das er ihrem Vater zuwarf, nur schwer ertragen.

Der Nachmittag schleppte sich dahin. Das Ticken der Kaminuhr erinnerte Meryl ständig daran, dass ihr die Zeit davonlief, und noch immer hatte sich keine Gelegenheit ergeben, unauffällig zu verschwinden. Meryl plauderte mit dem einen oder anderen und kämpfte gegen das Bedürfnis, einfach aus dem Zimmer zu stürzen und in den nächsten Zug zu springen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf den geeigneten Moment zu warten.

»Clara, möchtest du nicht für uns spielen?«, schlug Mrs Carrington vor.

»Mutter, du weißt doch, dass meine Fähigkeiten am Klavier bei weitem nicht ausreichend sind«, sagte Clara mit einem Blick zu ihrem gut aussehenden Ehemann, einem ehemaligen Captain der britischen Armee mit dem ungewöhnlichen Namen Stone Hawke.

Stone lächelte ihr liebevoll zu. »Du bist viel zu bescheiden. Spiel doch für uns, Liebes. Ich höre dir so gerne zu.« Sein zärtlicher Tonfall ließ erkennen, wie sehr die beiden einander zugetan waren. Derart ermutigt stand Clara auf und strich ihr Kleid glatt. Während sie zum Klavier ging, nahm die gesamte Gesellschaft Platz, um dem Vortrag zu lauschen.

Kurz darauf erklangen die zarten Töne einer Mozartsonate. Doch Meryl konnte sich nicht auf das Spiel ihrer talentierten Schwester konzentrieren. Stattdessen schmiedete sie Pläne – was sie einpacken musste, welchen Weg sie am besten nahm und wie sie Manfred, den Kutscher, überzeugen konnte, sie so schnell wie möglich zum Bahnhof zu bringen – ohne dass Joe es bemerkte.

Als sich die Sonate dem Ende neigte, war Meryl dermaßen in ihre Gedanken vertieft, dass sie die Gelegenheit beinahe verpasste. Aber dann sprang sie auf, bevor Clara ein weiteres Stück anstimmen konnte. »Clara, das war wundervoll! Mutter, wenn du mich bitte entschuldigen würdest, ich habe ein wenig Kopfweh.« Sie fasste sich an die Schläfen. »Vielleicht war der Wein zu schwer für mich.«

Meryl sah, dass Joe sie misstrauisch beäugte. Sie musste sich beeilen und ihren Vorsprung nutzen, bevor er Gelegenheit bekam, aufzubrechen.

Unter den besorgten Kommentaren und guten Wünschen der anderen ging Meryl langsam zur Tür und stöhnte ein paar Mal auf, damit alle hörten, wie elend sie sich fühlte. Sobald sie den Salon verlassen hatte, raffte sie die Röcke und lief die Treppen hinauf zu ihrem Zimmer.

Ihre Zofe hatte heute frei, aber Manfred war zum Glück da. Er musste sofort anspannen, um sie die zwei Meilen zum Bahnhof zu bringen. Wenn sie sich beeilte, würde sie den Sechs-Uhr-Zug nach New York noch erwischen. Von dort konnte sie dann auf direktem Weg nach San Francisco fahren.

Meryl zog an der Klingelschnur, die mit der Glocke in der Küche verbunden war. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und griff zu Feder und Papier, um eine Nachricht an ihre Eltern zu verfassen.

Liebe Mutter, lieber Vater,

macht euch bitte keine Sorgen. Ich bin nach San Francisco gefahren, um den Vertrag mit Westgate abzuschließen. Joe wird mich am Bahnhof treffen. Ihr braucht euch nicht ...«

Es klopfte. Meryl legte die Feder hin, stürzte zur Tür und öffnete sie. Draußen stand der Kutscher, die Serviette steckte noch in seinem Kragen.

»Manfred. Es tut mir leid, dass ich dich beim Thanksgiving-Dinner stören muss, aber ich habe es sehr eilig. Bring bitte mein Gepäck hinunter zur Kutsche. Ich muss so schnell wie möglich nach New York zurück.«

»Ja, Madam«, entgegnete Manfred.

Sie senkte die Stimme, um ihm zu vermitteln, dass höchste Diskretion geboten war. »Und fahr die Kutsche bitte zum Dienstboteneingang. Ich möchte nicht ... dass die Gäste gestört werden.« Manfred sah sie misstrauisch an. »Weiß Ihre Mutter, dass Sie abreisen, Miss?«

»Selbstverständlich! Aber sie hat mir aufgetragen, keinen Wirbel zu machen, damit sich die Whitneys und McDougalls nicht brüskiert fühlen.«

Der Kutscher wirkte nicht sonderlich überzeugt, schien aber in erster Linie daran interessiert, möglichst schnell an den Esstisch in der Küche zurückzukehren. »Ja, Madam.« Er blickte über ihre Schulter hinweg ins Zimmer. »Wo ist Ihr Gepäck?«

Ihr Gepäck! Sie hatte ganz vergessen, dass sie erst noch packen musste. »Ich klingele nach dir, sobald ich gepackt habe. In zehn Minuten – nein, in fünf.«

»Sie beabsichtigen, in fünf Minuten gepackt zu haben?« Manfred starrte sie ungläubig an. Die meisten Damen brauchten einen halben Tag, um sich reisefertig zu machen.

»So ist es.«

Er schüttelte den Kopf. »Wenn Sie es sagen, Miss.«

»Da wäre noch etwas, Manfred.«

»Ja, Madam?«

»Stör niemanden, indem du von meiner Abreise erzählst. Bitte.«

Erneut sah er sie misstrauisch an, nickte dann aber. »Sehr wohl.« Mit diesen Worten entfernte er sich.

Meryl schloss die Tür, eilte hinüber zu den beiden großen Kleiderschränken und riss alle vier Türen auf. Mühsam zerrte sie einen Koffer aus einem der Schränke heraus. Als er mit lautem Knall auf dem Holzfußboden landete, zuckte sie zusammen. Hoffentlich wunderte sich im Salon unter ihr niemand über das Geräusch.

Meryl öffnete den Koffer und stellte sich vor die Schränke. Sie sollte mit leichtem Gepäck reisen, allerdings würde sie auch einige Wochen unterwegs sein. Mehr als ein oder zwei Abendkleider brauchte sie nicht. Na, vielleicht drei. Reisekostüme. Sie würde hauptsächlich Reisekostüme einpacken. Sie wählte rasch und warf in unglaublichem Tempo Kleidungsstücke in den Koffer. Trotz der selbst auferlegten Beschränkungen zeigte sich jedoch schnell, dass er schon allein mit dem Nötigsten überquoll.

»Du fährst weg?«

Meryl wirbelte herum. Ihre Schwester Clara stand im Türrahmen und sah sie erschrocken an. Meryl zog sie ins Zimmer und schloss rasch die Tür. »Ich muss fort, Clara.«

»Du willst durchbrennen? Aber du weißt doch, dass Mutter und Vater nichts dagegen hätten, wenn du Joe heiratest!«

Claras Bemerkung war so lächerlich, dass Meryl am liebsten laut losgelacht hätte. »Ich brenne nicht durch, und schon gar nicht mit Joe!«

»Sondern?« Clara runzelte die Stirn.

Meryl seufzte. Nachdem Clara sie entdeckt hatte, konnte sie auch genauso gut eingeweiht werden. Von ihren vier Schwestern hatte ihr Clara immer am nächsten gestanden, und sie würde ihr sicherlich helfen. »Es geht darum, eine Wette zu gewinnen – gegen Joe.«

Während sie von der Vereinbarung berichtete, ging sie die ausgewählten Kleidungsstücke und Accessoires noch einmal durch und sortierte einiges aus, damit sich der Koffer schließen ließ. »Du darfst auf keinen Fall Vater und Mutter davon erzählen. Jedenfalls nicht, bis ich weg bin – sonst werden sie mich aufhalten und erst einmal einen Anstandswauwau als Reisebegleitung besorgen. Und bis dahin ist Joe längst über alle Berge.«

Clara überlegte einen Moment, und ihr entspannter Gesichtsausdruck erleichterte Meryl sehr. »Es wird schon nichts passieren, insbesondere, wenn Joe auf dich aufpasst.«

Merkwürdig – jeder ging davon aus, dass Joe auf sie achten würde, dabei lag ihnen beiden nichts ferner als das. »Ich will gar nicht, dass er auf mich aufpasst. Und er kann es ja kaum ertragen, mich auch nur in seiner Nähe zu haben.«

»Wie kommst du denn darauf? Als Kinder wart ihr doch unzertrennlich«, erklärte Clara lächelnd. »Manchmal war ich regelrecht eifersüchtig, weil du eigentlich meine beste Spielkameradin warst.«

Meryl hielt inne und sah ihre Schwester ungläubig an. »Dazu hattest du keinen Grund. Joe konnte mich damals genauso wenig ausstehen wie heute. Aber darum geht es nicht. Er ist mein Konkurrent! Davon abgesehen kann ich selbst auf mich Acht geben.«

»Trotzdem ...«

»Bitte, hilf mir packen.«

Clara nahm ein Kleid und faltete es so zusammen, dass es nicht viel Platz im Koffer einnahm. Die beiden Schwestern packten hektisch ein paar Minuten lang, bis Clara plötzlich fragte: »Hast du eigentlich genug Geld?«

Meryl suchte nach ihrer Handtasche. Ohne Geld würde sie nicht weit kommen, und über das Wochenende hatten die Banken geschlossen. Sie sah in ihrer kleinen bestickten Börse nach und fand nicht einmal fünfzig Dollar. Ihr Mut sank. »Viel ist es nicht.«

»Ich habe Geld, warte einen Moment.« Clara eilte aus dem Zimmer. Wenige Minuten später war sie mit mehr als 300 Dollar wieder zurück. Sie drückte Meryl die Scheine in die Hand. »Stone und ich haben unsere Rückfahrkarten schon. Wir brauchen das Geld nicht.«

»Vielen Dank, Clara.«

»Falls du mehr brauchst, schick mir ein Telegramm. Dann überweise ich dir welches. Wenn es dir wirklich ernst sein sollte mit ...«

»Du weißt, dass es mein Ernst ist.«

»Ich werde tun, was ich kann, um dich zu unterstützen.« Meryls Augen füllten sich mit Tränen. »Danke, Clara. Vielen Dank.«

Sie fiel ihrer Schwester um den Hals und drückte sie.

Clara trat einen Schritt zurück. »Ich sollte jetzt besser hinuntergehen und allen erzählen, dass du friedlich schläfst, bevor Mutter auf die Idee kommt, selbst nach dir zu sehen.«

Meryl nickte und blickte ihrer Schwester nach. Clara würde ihr fehlen. Mit ihr konnte sie über alles reden, und San Francisco war ziemlich weit weg von zu Hause ...

Schluss damit!, ermahnte sie sich. Denke an das, was du Vater beweisen willst. Ihnen allen. Auch Joe Hammond.

Entschlossen zerrte sie Hutschachteln aus dem zweiten Kleiderschrank und schüttete den Inhalt auf das Bett. Sie musste Hüte mitnehmen, die zu ihrer Garderobe passten, ebenso Schuhe und Handschuhe. Und Unterröcke und Mieder ...

Wie eine Wahnsinnige lief Meryl im Zimmer hin und her, packte Kleidungsstücke in den Koffer, stopfte Unerlässliches in ihre kleine Reisetasche und schrieb zwischendurch an der Nachricht für ihre Eltern. Und während der ganzen Zeit hoffte sie inständig, dass Joe wirklich glaubte, sie würde schlafen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich dermaßen beeilt. Als Letztes steckte sie das von ihr aufgesetzte Kaufangebot ein. Sie würde es Mr Philbottom von Westgate Railroad überreichen. Selbst wenn er zögerte, die Übernahme mit einer Frau auszuhandeln – ihr sorgfältig ausgearbeitetes Papier würde ihm deutlich machen, dass er jemanden vor sich hatte, mit dem er Geschäfte machen konnte. Ihr Vater hatte zwar nie das ganze Angebot gesehen, aber sie hatte über jeden einzelnen Punkt mit ihm gesprochen und wusste, dass beide Seiten von ihrem Vorschlag profitieren würden.

Schließlich schlug sie den Deckel des überquellenden Koffers zu, beendete die Nachricht an ihre Eltern und klingelte nach Manfred.

Beladen mit zwei Hutschachteln, ihrer Reisetasche und einer Handtasche stieg Meryl die enge Dienstbotentreppe hinab, gefolgt von Manfred und einem jungen Stallburschen, die ihren Schrankkoffer schleppten.

Das Herz pochte ihr bis zum Hals und ihre Hände in den mit Seide gefütterten Handschuhen waren feucht. Sie hatte es beinahe geschafft. Während Joe Sherry trank, über Politik redete und versuchte, ihren Vater zu beeindrucken, schlich sie sich einfach ohne sein Wissen davon. Und sobald sie im letzten Zug saß, der an diesem Abend nach New York ging, konnte Joe sie nicht mehr einholen. Sie würde die Übernahme besiegeln, noch bevor Joe in San Francisco eintraf. Ein Gefühl des Triumphs durchflutete sie, dabei hatte ihre Reise noch nicht einmal begonnen. Sie würde die Wette gewinnen und allen beweisen, wozu sie fähig war. Am Fuß der Treppe fragte sie den Kutscher: »Hast du die Kutsche zum Hintereingang gebracht, Manfred?«

»Ja, Miss.« Er öffnete ihr die Tür. Gemeinsam mit dem Stallburschen schaffte Manfred den Schrankkoffer zur Rückseite der zweispännigen Kutsche. Es dauerte einige Minuten, bis die beiden Männer das Gepäckstück festgezurrt hatten. Währenddessen schritt Meryl ungeduldig auf und ab. Schließlich hielt ihr Manfred die Kutschentür auf und klappte das Treppchen herunter. »Es kann losgehen, Miss.«

»Gut, also zum Bahnhof, so schnell wie möglich.«

»Sie möchten den Sechs-Uhr-Zug in die Stadt noch erwischen?«, erkundigte er sich und reichte ihr den Arm, um ihr beim Einsteigen behilflich zu sein.

»Ja, wir müssen uns beeilen.« Meryl war auf halbem Weg in die Kutsche, da sagte Manfred: »Ich möchte ja nicht respektlos erscheinen, aber Mr Hammond ist mit seiner eigenen Kutsche ebenfalls zum Bahnhof gefahren. Darin wäre für Sie noch Platz gewesen.«

Meryl blieb wie angewurzelt stehen und starrte den Kutscher an. »Mr Hammond ist abgefahren? Wann?«

»Vor etwa einer halben Stunde. Er wollte ebenfalls den Sechs-Uhr-Zug nehmen. Jetzt ist es schon Viertel vor sechs, das schaffen wir nicht mehr.«

Meryl war am Boden zerstört, ihr Gefühl von Triumph flatterte auf und davon wie ein Blatt im Wind. So schnell hatte Joe sie also an die Wand gespielt. Wie demütigend.

Und es war ihre eigene Schuld. Sie hatte sich beeilt wie noch nie in ihrem Leben, doch die Zeit war ihr förmlich zwischen den Fingern zerronnen. Jetzt war Joe in Führung gegangen. Sie verfluchte ihn dafür, dass er so wenig Gepäck brauchte. Das war eine weitere Ungerechtigkeit, unter der sie als Frau zu leiden hatte – ohne umfangreiche Garderobe war es ihr unmöglich, sich angemessen zu kleiden. Dabei hatte sie wirklich nur das Allernötigste eingepackt.

Joe würde nach New York fahren, sie nicht. Manfred hatte Recht. Sie konnten den Bahnhof unmöglich noch rechtzeitig erreichen.

Küsse unterm Weihnachtsbaum

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