Читать книгу Ende gut, alles gut - Katja Freeh, u.a. - Страница 6

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»S»o etwas hatte ich fast schon ein bisschen befürchtet.« Cindys Mutter Lindsay Ann seufzte. »Sie ist nun einmal so. Normalerweise kennt man das ja eher von Männern, aber sie . . .«, tief holte sie Luft, »ist eben eine besondere Frau.«

»Sie ist meine Frau, Mum«, erwiderte Cindy etwas gereizt. »Auch wenn du das vielleicht nicht verstehst.«

»Aber ich verstehe dich doch.« Lindsay Ann Claybourne lachte. »Wieso sollte ich nicht? Sie ist eine sehr schöne Frau, eine sehr erfolgreiche Frau und außerdem die Frau, die du liebst. Ich mag sie ja auch. Wie kommst du darauf, das wäre nicht so?«

»Sie liebt mich auch.« Das musste Cindy noch erwähnen, denn das hatte ihre Mutter in der Aufzählung vergessen. »Aber ihr Job ist eben . . .« Beinah schicksalsergeben atmete sie durch. »Den kennt sie schon länger als mich. Viel länger.«

»Und deshalb hat er ältere Rechte, meinst du? Nein, nein.« Ihre Mutter schüttelte heftig den Kopf, was Cindy auf dem Bildschirm ihres Smartphones sah. »So funktioniert das nicht. Wenn man verheiratet ist, dann gibt es einfach Tage, die gehören der Familie. So war es immer.«

»Sie hatte nie eine Familie«, wandte Cindy Michelle in Schutz nehmend ein. »Sie kennt das nicht.«

»Das ist keine Entschuldigung.« In so etwas verstand Lindsay Ann keinen Spaß. »Mag ja sein, dass sie nie eine hatte, aber jetzt hat sie eine. Zumindest dich. Wenn sie mich nicht dazuzählt. Und John.«

»Ich glaube schon, dass sie dich dazuzählt«, sagte Cindy. »Aber das Wort Mutter hat für sie nicht direkt eine Bedeutung. Jedenfalls keine positive.«

»Ich weiß.« Lindsay Ann nickte. »Aber ich bin nicht ihre Mutter, nur ihre Schwiegermutter. Ich habe noch nie von ihr verlangt, dass sie Mutter zu mir sagt. Dennoch gehört es sich einfach, dass man Weihnachten mit der Familie verbringt. Ist ja nicht so, dass sie Flaschen sammeln müsste, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie verdient genug. Und du hast auch dein Auskommen. Mehr als das. Also gibt es keinen Grund, an einem Feiertag zu arbeiten. Vor allem nicht an diesem Feiertag.«

»Aber was soll ich machen, wenn sie nicht will?«, fragte Cindy und biss sich auf die Unterlippe.

Kurz schien ihre Mutter zu überlegen. »Ich glaube, sie hat Angst«, sagte sie dann.

»Michelle? Angst?« Verblüfft lachte Cindy auf. »Höchstens die, ihren Job zu verlieren«, ergänzte sie in Erinnerung an all das, was geschehen war. »Und die Gefahr besteht nicht mehr. Seit wir das mit dem Brand damals geklärt haben, sitzt sie sehr fest im Sattel.«

Lindsay Ann schüttelte den Kopf. »Auch wenn ihr Job immer ihr Leben war, aber ich glaube nicht, dass das das ist, was ihr am meisten Angst macht im Leben«, sagte sie. »Nach allem, was du mir erzählt hast, hat sie vor allem Angst vor Gefühlen. Und da ist Weihnachten natürlich ganz besonders gefährlich.«

Nachdem sie sich das kurz hatte durch den Kopf gehen lassen, nickte Cindy nachdenklich. »Damit könntest du recht haben. Es ist jedes Mal ein Kampf mit ihr, wenn es um Gefühle geht. Obwohl sie sie hat.« Um Verständnis flehend schaute sie ihre Mutter an. »Sie hat sie. Ganz bestimmt, Mum. Das hat sie mir schon oft gezeigt. Aber wenn andere Leute dabei sind . . .«

»Und ich bin natürlich andere Leute. Für sie.« Scheinbar resigniert atmete Lindsay Ann durch. »Da muss man mal überlegen . . .«

Cindy kannte ihre Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie sich nie so schnell geschlagen geben würde. Nicht, wenn es um die Familie ging. »Warum?«, fragte sie deshalb vorsichtig. »Was hast du vor?« Sie wartete kurz auf eine Antwort, die nicht kam. »Was denkst du gerade?«, fügte sie aus diesem Grund jetzt doch etwas alarmiert hinzu.

»Oh, mir geht so einiges durch den Kopf.« Lindsay Ann tat ziemlich harmlos, aber Cindy wusste, dass nichts, was jetzt in ihrem Kopf vor sich ging, harmlos war. Nicht für Michelle.

»Bitte, Mum . . .« Cindy fühlte sich hin und her gerissen, denn sie wusste, dass alles, was ihre Mutter jetzt dachte, darauf hinauslief, doch noch ein schönes Weihnachtsfest zu haben. Mit Michelle.

Gleichzeitig wusste sie, dass Michelle einen Wutanfall kriegen würde, wenn sie herausfand, dass sie manipuliert worden war. Das liebte sie gar nicht. Nein, das war zu schwach ausgedrückt. Sie hasste es.

»Du musst das verstehen . . .«, setzte sie erneut vorsichtig an.

Aber sofort wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen. »Ich verstehe das durchaus.« Lindsay Ann schürzte die Lippen. »Aber ich unterstütze so etwas nicht. Manche Leute müssen eben zu ihrem Glück gezwungen werden. Und ich denke, Michelle gehört dazu.« Leicht bedauernd verzog sie das Gesicht. »Weil sie anscheinend immer noch nicht wirklich weiß, was Glück ist.« Gleich darauf wandelte sich ihr Gesichtsausdruck jedoch wieder und wurde geradezu spitzbübisch. »In der Beziehung ist sie glaube ich tatsächlich wie ein Mann. Die muss man auch manchmal in die richtige Richtung schubsen. Sie dürfen es nur nicht merken.« Sie grinste fast wie ein Teenager, der sich einen Streich ausgedacht hat.

Ablehnend schüttelte Cindy den Kopf. »Ich will nicht unehrlich zu ihr sein, Mum. Das verträgt sie nicht. Ganz und gar nicht.« Sie holte tief durchatmend Luft. »Man weiß nie, was dann passiert.«

Kurz schaute ihre Mutter besorgt, doch dann lachte sie. »Sie hat dich schon ziemlich gut erzogen, hm? Du bemühst dich immer, sie wie ein rohes Ei zu behandeln. Aber glaub mir, das ist nicht nötig. Sie hat eine ganz schön harte Schale. Auch wenn das Innere butterweich ist.« Ihre Mundwinkel zuckten. »Kommt öfter vor. Du bist nicht die erste Frau, die damit zu kämpfen hat. Aber auf die Dauer ist es ziemlich anstrengend, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und so einen Eiertanz aufzuführen. Deshalb solltest du da jetzt schon einen Riegel vorschieben. Sonst hast du in deiner ganzen Ehe damit zu tun. Und das ist nicht schön.«

Cindy schnappte nach Luft. »Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass Dad –?«

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dein Dad. Aber ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass dein Vater nicht der einzige Mann war, den ich näher gekannt habe?«

»Mum!« Der Ausruf entfuhr Cindy unvermittelt, ohne dass sie es wollte.

Gespielt missbilligend schüttelte Lindsay Ann den Kopf. »Ts, ts. Ihr Kinder immer . . . Selbst die tollsten Sachen veranstalten, aber wir Eltern sollen die reinsten Engel gewesen sein, als wir jung waren? Findest du das nicht ein bisschen unlogisch?«

Das musste Cindy zwar zugeben, aber trotzdem konnte sie sich ihre Mutter nicht als eine wilde Peggy Sue vorstellen.

Lindsay Ann beobachtete ihr Gesicht und lachte dann ganz laut auf. »Du müsstest jetzt mal dein Gesicht sehen. Nein, ich habe kein ›kleines schwarzes Buch‹.« Sie schüttelte erneut den Kopf, wurde dabei jedoch wieder ernst. »Aber ich habe leider die eine oder andere Freundin, Bekannte, Nachbarin gehabt, die sich da sehr vertan hat. Und das hatte höchst unangenehme Folgen.« Besänftigend hob sie die Hände, als sie sah, wie Cindy die Lippen öffnete, um zu widersprechen. »Ich will ja gar nicht behaupten, dass Michelle so ist. Aber wie ich schon erwähnte, mein Rat ist: Wehret den Anfängen. Das ist immer das Beste.«

So grundsätzlich konnte Cindy dem kaum widersprechen. Das war eine immer gültige Wahrheit. »Ich möchte einfach nur ein schönes Weihnachtsfest haben«, murmelte sie etwas selbstvergessen vor sich hin. »Mit meiner Frau. Ist das denn zu viel verlangt?«

Lindsay Ann lachte. »Selbstverständlich ist das nicht zu viel verlangt.«

Cindy zuckte fast zusammen, weil sie mehr zu sich selbst gesprochen hatte als zu ihrer Mutter und jetzt beinah überrascht war, dass sie ihr antwortete. »Ich wusste, wie sie ist, als ich sie geheiratet habe«, seufzte sie. »Wenn ich ein Heimchen am Herd hätte haben wollen, hätte ich jemand anderen heiraten müssen.«

»Ihr habt schon so viel miteinander durchgemacht.« Lächelnd betrachtete Lindsay Ann ihre Tochter auf dem Bildschirm des PCs vor sich, an dem sie saß. »Da wird jetzt doch Weihnachten nicht das piece de resistance sein, das ihr nicht zusammen genießen könnt.«

»Ach Mum . . .« Bis jetzt hatte Cindy gestanden, während sie mit ihrer Mutter telefonierte, nun ließ sie sich auf die Couch fallen und hielt das Handy über sich in die Luft. »Vielleicht war ich doch zu . . . naiv.« Sie seufzte erneut. »Ich glaube, niemand, der nicht das durchgemacht hat, was sie in ihrer Kindheit durchgemacht hat, als sie aufgewachsen ist, kann das nachempfinden. Und ich bin nicht so aufgewachsen. Noch nicht mal ansatzweise. Ganz im Gegenteil.«

Ihre Mutter atmete tief durch. »Da bin ich natürlich auch überfragt. Ich weiß aber, dass das langwierige Folgen haben kann. Selbst wenn man so erfolgreich ist wie Michelle. So richtig bekommt man das wohl sein Leben lang nicht mehr los.«

»Sie tut immer so, als hätte sie alles im Griff, aber in Wirklichkeit ist sie glaube ich sehr . . . verunsichert«, stellte Cindy bedrückt fest. »Sie kämpft ständig dagegen an, und das kostet sie sehr viel Kraft. Die ihr dann in anderen Dingen fehlt.«

»In Gefühlsdingen zum Beispiel«, vermutete Lindsay Ann, ohne dass es eine Frage war.

Dazu konnte Cindy noch nicht einmal etwas sagen, denn plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. »Ich liebe sie so, Mum«, brachte sie dann tränenerstickt hervor. »Und ich bin glücklich mit ihr. Sie ist alles, was ich will. Aber manchmal habe ich das Gefühl –« Sie brach ab, sonst hätte sie ein Schluchzen nicht mehr zurückhalten können.

Ihre Mutter verstand sie sofort. »Manchmal hast du das Gefühl, dass du nicht alles bist, was sie will«, setzte sie den Satz mit einem mitfühlenden Nicken fort. »Sie würde für dich niemals ihren Job aufgeben. Das ist es doch, nicht wahr? Während du damit wahrscheinlich keine Probleme hättest. Obwohl du das gern tust, was du tust.«

»Das würde ich doch niemals von ihr verlangen.« Cindy schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie wichtig das für sie ist. Wie hart sie dafür gearbeitet hat. Immer noch arbeitet. Sie hat diesen Job mehr als verdient.«

Ein verdächtiges Zucken bildete sich um Lindsay Anns Mundwinkel. »Aber nicht an Weihnachten. An Weihnachten willst du sie für dich haben.«

Eine Weile sagte Cindy nichts, denn sie musste zugeben, dass ihre Mutter recht hatte. Michelles Wünsche hin oder her, an Weihnachten wollte Cindy das haben, was sie sich wünschte. Aber das konnte sie nicht. Sie seufzte zum dritten Mal in dieser Unterhaltung, und diesmal klang es resigniert. »Ja, das ist wirklich zu viel verlangt, Mum«, sagte sie leise. »Ich sehe es ein. Ich bin unvernünftig. Ich habe mir dieses Leben mit ihr ausgesucht, und nun muss ich auch dazu stehen.«

Das versteckte Lächeln auf Lindsay Anns Gesicht verwandelte sich in ein fast jugendliches Grinsen. »Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte sie lebenserfahren. »Du musst nur einen Weg finden, das, was du machen willst, zu etwas zu machen, das ihr beide wollt. Es hat keinen Sinn, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Das bringt nie etwas. Aber wenn Michelle denkt, sie würde etwas verpassen, wenn sie Weihnachten nicht mit dir verbringt, könnte sie sich vielleicht selbst dafür entscheiden, ein paar Stunden für dich abzuzweigen.«

»Und was könnte das wohl sein, was sie nicht verpassen will?«, fragte Cindy, richtete sich wieder leicht auf und saß nun mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa. Sie verzog die Lippen. »Und das nicht den Namen Disney quer über die Stirn tätowiert trägt?«

Ihre Mutter machte eine kurze Pause, in der sie sie nur ansah. »Wie wäre es, wenn wir das hier in Florida besprechen würden? Nicht mit einem Bildschirm zwischen uns?«

Cindy stutzte. »Du meinst, ich soll . . .«, stammelte sie etwas überrumpelt, »jetzt schon zu dir kommen? Nicht erst zu Weihnachten?«

»Das ist schon in einer Woche.« Lindsay Ann zuckte die Schultern. »Die paar Tage mehr oder weniger . . .«

Nun machte Cindy eine kurze Pause. »Ah, ich verstehe«, nickte sie dann schmunzelnd. »Ich soll sie am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Vielleicht vermisst sie mich und kommt nach. Rechtzeitig zur gemeinsamen Weihnachtsfeier.«

Lindsay Ann schüttelte den Kopf. »Darauf allein würde ich nicht wetten. Schließlich habt ihr euch schon oft tagelang nicht gesehen. Sie ist das gewöhnt. Und ihre Arbeit läuft einfach weiter. Ohne dass du sie störst.« Etwas bedauernd hob sie die Augenbrauen. »Das könnte sie sogar noch mehr vergessen lassen, dass es neben dem geschäftlichen Weihnachten auch noch ein privates Weihnachten gibt. Aber ich würde mich freuen«, sie beugte sich vor, »wenn du nicht nur zwei Tage da wärst.«

Cindy lachte. »Das ist also ganz egoistisch? Ich war doch erst an Thanksgiving da, wie üblich.«

»Thanksgiving ist schon ewig her«, winkte Lindsay Ann ab. »Und außerdem warst du da allein hier. Weil sie . . .«, diese Pause jetzt war eine bedeutungsvolle, »natürlich wieder mal keine Zeit hatte.«

»Du darfst ihr das nicht –«, setzte Cindy schon an, Michelle zu entschuldigen wie immer. Aber dann brach sie den Satz selbst ab. »Nein, diesmal nicht«, fügte sie stattdessen entschlossen hinzu. »Du darfst ihr das übelnehmen. Die Zeiten haben sich geändert. Sie ist jetzt eine verheiratete Frau und hat eine Familie. Das muss sie jetzt einfach mal akzeptieren.«

Vergnügt warf Lindsay Ann den Kopf zurück und lachte laut auf. »So gefällst du mir. Wesentlich besser als vorher. So kenne ich meine Tochter.« Sie beugte sich wieder vor. »Dann kommst du?«

Cindy nickte heftig. »Ja. Ich setze mich ins nächste Flugzeug.«

Ende gut, alles gut

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