Читать книгу Ende gut, alles gut - Katja Freeh, u.a. - Страница 8

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Miami. Meine Lieblingsstadt. Mit einem innerlichen Grummeln biss Michelle die Zähne zusammen, als sie auf dem Flughafen in Miami ankam.

Früher hatte sie nie etwas gegen Miami gehabt, doch seit die Sache mit Cait passiert war . . . Aber Cait war nicht mehr hier. Jetzt war Miami die Stadt, in der Cindy war. Aus der sie stammte und in der ihre Mutter immer noch lebte, auf dem Familiensitz der Claybournes. Also sollte sie das Grummeln vielleicht vergessen.

Sie kannte den Club, von dem Candice gesprochen hatte. Es war der Club, in dem sie, Michelle, und Cindy sich kennengelernt hatten. Auch nicht gerade die beste Erinnerung . . . Bis auf die Tatsache an sich, dass Cindy und sie sich dort kennengelernt hatten. Sodass Cindy dann in Disney World auf Michelle zugekommen war, eben weil sie sich schon kannten. Auf eine intime Art, die dieser einen Begegnung auf keinen Fall entsprach. Michelle wollte lieber nicht daran denken, wie peinlich ihr das gewesen war. Nach dem, was vorher passiert war. Und alles nur wegen Cait . . . Nun biss sie doch noch einmal die Zähne zusammen.

Aber diese Zeiten waren vorbei. Cait war Vergangenheit. Cindy war die Gegenwart. Und die Zukunft.

Endlich konnte sie es nicht mehr verhindern zu lächeln. Obwohl sich ihre Stirn dann gleich wieder bewölkte. Würde Cindy sich überhaupt freuen, dass sie nun doch kam? Sie hatte ja sicher schon gar nicht mehr damit gerechnet, denn Michelle hatte sich nicht angekündigt. Vielleicht hatten Cindy und Candice tatsächlich schon –

Nein, das war unmöglich. Nicht Cindy. Aber so ganz sicher war sie sich trotzdem nicht. Vertrauen war für sie immer noch eine Art sehr fragiles Konstrukt.

Es stand für sie außer Frage, dass sie nicht in das Haus der Claybournes gehen würde. Lindsay Ann Claybourne war zwar jetzt ihre Schwiegermutter – daran konnte Michelle sich immer noch nicht gewöhnen, da sie altersmäßig gar nicht so weit auseinanderlagen –, aber genau das, diese selbstverständliche, freundliche Mütterlichkeit, konnte sie im Augenblick überhaupt nicht vertragen. Sie musste erst einmal allein hier ankommen.

Das würde Cindy wahrscheinlich nie verstehen. Für sie waren Menschen keine Bedrohung und auch keine Figuren auf einem Schachbrett, die man verschob oder in verschiedene Richtungen schickte, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Sie waren einfach . . . Menschen. Und Cindy nahm jeden Menschen so, wie er war. Egal, wie er auf sie zukam.

Wofür Michelle nur dankbar sein konnte. Denn so, wie sie das erste Mal auf Cindy zugekommen war . . . damals in jenem Hotelzimmer . . . das trieb ihr heute noch die Schamesröte ins Gesicht, obwohl sie überhaupt nicht dazu neigte, rot zu werden. Das wäre im Geschäftsleben äußerst schädlich gewesen. Da nahm einen kein Mann mehr ernst. Was sie ohnehin oft schon deshalb nicht taten, weil sie klein und zierlich war. Auch wenn die roten Haare es ein wenig wieder ausglichen.

Sie ging ganz automatisch auf den Taxistand zu und setzte sich in den ersten Wagen in der Reihe.

»Wohin, Lady?«, fragte der Taxifahrer nach ein paar Sekunden, weil sie nichts sagte, und blickte etwas ungeduldig in den Rückspiegel.

»In eine ruhige Ecke«, antwortete Michelle, als hätte ihr das jemand eingegeben.

»South Pointe Park?« Er hob die Augenbrauen und sah sie über den Spiegel an. »Oder nicht doch lieber Shopping? Ocean Drive?«

»Park klingt gut. Wenn es da ruhig ist«, gab Michelle zurück.

»Okay.« Er wandte seinen Blick in Richtung des Seitenspiegels, schaute nach hinten und fuhr los.

Während der Fahrt sah Michelle zwar durch das Fenster hinaus, aber in Wirklichkeit sah sie nichts. Und sie blickte auch nicht auf ihr Handy oder Tablet, wie sie es normalerweise tat, wenn ihre Chauffeurin sie fuhr oder sie in einer fremden Stadt in irgendeinem Taxi saß auf dem Weg zu einer geschäftlichen Konferenz oder Besprechung.

Nein, geschäftlich war das hier nicht. Es war eindeutig privat. Sehr privat.

Dieser private Teil ihres Lebens hatte massiv zugenommen, seit sie mit Cindy verheiratet war. Und er hatte schon vorher zugenommen, eigentlich fast schon seit dem Moment, als sie Cindy kennengelernt hatte. Spätestens aber, seit Cindy nach Disney World gekommen war. Erst jetzt erkannte sie, dass das ihr Leben praktisch auf den Kopf gestellt hatte. Weit mehr als jede von Keith’ Intrigen oder alle Angriffe, die sie beruflich hatte abwehren müssen.

Denn so sehr sie sich innerlich auch gewehrt hatte, sich auf eine private Beziehung, die über reinen Sex hinausging, einzulassen, äußerlich hatte es keinen Grund gegeben, Cindy abzuwehren. Sie war viel zu sanft und verständnisvoll, um so etwas herauszufordern.

Ja, es hatte Momente gegeben . . . Damals mit LaVerne McNamara zum Beispiel . . . Aber das war etwas anderes gewesen. Immer, wenn es um sie beide gegangen war, hatte Cindy eine unendliche Geduld bewiesen.

»Wir sind da, Lady.« Der Taxifahrer blickte erst in den Spiegel, dann drehte er sich über die Schulter zu Michelle um, als sie nicht reagierte. »Hey. Wir sind da. Hier wollten Sie doch hin. South Pointe Park. Oder jetzt doch nicht?«

»Doch. Natürlich.« Er hatte sie so aus ihren Gedanken gerissen, dass sie ihm nur ihre Kreditkarte reichte und ausstieg.

»Hey! Soll ich die behalten?« Er ließ das Fenster herunterfahren und streckte seinen Arm hinaus.

Sie schüttelte den Kopf, ging wieder zum Wagen zurück und nahm die Karte. »Zwanzig Prozent Trinkgeld haben Sie schon mit eingezogen?«

»Nope.« Er streckte seine Hand wieder aus, nahm die Karte erneut und reichte sie Michelle kurz darauf wieder hinaus. »Danke, Lady.« Das erste Mal wirkte er etwas freundlicher. »Schönen Tag noch. Und . . . Frohe Weihnachten.« Die Seitenscheibe fuhr noch hoch, um die Kühle der Klimaanlage im Innenraum zu halten, während er sich schon auf die Straße einfädelte.

»Frohe Weihnachten«, murmelte Michelle auch, aber das konnte er selbstverständlich nicht mehr hören.

Zwar betrug die Lufttemperatur 26 Grad, wie sie an den hier aufgestellten Säulen ablesen konnte, die Wassertemperatur jedoch nur 22. Ein bisschen kalt zum Baden. Aber deshalb war sie ja auch nicht hergekommen. Obwohl sich einige Touristen, die aus Europa wahrscheinlich kälteres Wetter um diese Jahreszeit gewöhnt waren, johlend im Wasser tummelten.

Es waren jedoch so wenige, dass der Lärm nicht störte. Aus dieser Entfernung wirkte er fast nur wie ein mildes, kaum zu identifizierendes Hintergrundrauschen. Der Taxifahrer hatte ihren Wunsch beachtet und sie tatsächlich an eine ruhige Ecke gebracht. Schon indem sie ein paar Schritte in den Park hineinging, quer über den grünen Rasen und unter den Palmen hindurch, merkte sie das.

Es war selten, dass sie Zeit hatte, sich ihren Gedanken zu widmen. Ihren privaten Gedanken wiederum, denn im geschäftlichen Bereich nahm sie sich die Zeit. Einfach, weil es sein musste. Man musste Lösungen finden für Probleme, die sich jeden Tag stellten. Zehntausende von Mitarbeitern und Millionen von Besuchern sorgten dafür, dass sich das nie änderte.

Deshalb war diese plötzliche Ruhe ungewohnt. Sie wurde fast nervös davon. Langsam schlenderte sie weiter und blieb dann an einer Art Aussichtspunkt stehen, von wo man den Strand, ankommende und abfahrende Schiffe und dahinter das weite Meer in all seiner Unendlichkeit sehen konnte. Das Meer hatte sie in Kalifornien auch, aber sie stellte wieder einmal fest, dass es hier an der Ostküste und zudem noch im Süden, nur einen Katzensprung entfernt von den Bahamas, völlig anders war als im vom Smog erdrückten Los Angeles.

Das ergab sich jedoch schon aus der Natur der Sache, denn Kalifornien grenzte an den Pazifik, den sogenannten Stillen Ozean, und Florida an den Atlantik. Dennoch war es in Kalifornien nicht still und hier nicht wilder. Wenn nicht gerade ein Hurricane tobte. Im Gegenteil, in diesem Moment kam sie sich so vor, als wäre sie im Auge des Sturms gelandet, in dem es absolut ruhig war.

Es gab jedoch gar keinen Sturm und demgemäß auch kein Auge, jedenfalls nicht, wenn man die äußeren Wetterbedingungen betrachtete. Die Wetterbedingungen in ihrem Inneren – das war eine ganz andere Geschichte. Sich mit ihren Gefühlen zu beschäftigen war ihr immer noch fremd. Lösungen für Probleme zu finden war ihr wesentlich vertrauter. Und da fühlte sie sich auch mehr auf der sicheren Seite, denn damit kannte sie sich aus.

Zudem gab es auch immer eine Lösung, man musste sie nur finden. In Gefühlsdingen war das nicht unbedingt der Fall. Dort konnte es auch einfach nur darum gehen, darüber zu reden. Ohne dass man nach einer Stunde – oder auch nach vier Stunden – auch nur einen Schritt weiter war. Merkwürdigerweise befriedigte das die meisten Frauen durchaus.

Michelle war aber nicht so. Was hatte sie also hierhergetrieben? Was erwartete sie überhaupt davon, dass sie hergekommen war? Wäre es nicht besser gewesen, einfach zu akzeptieren, dass Cindy und sie unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie man Weihnachten feierte – beziehungsweise nicht feierte? Sich also darüber zu einigen, dass man sich nicht einig war?

Sie atmete tief durch und sog die feuchte Meeresluft wie ein Lebenselixier, das sie jetzt unbedingt brauchte, in ihre Lungen ein. Ihr war ganz klar, sie suchte immer noch nach einer Lösung, und dabei konnte sie noch nicht einmal so richtig das Problem benennen. Sicherlich, sie hatte bis jetzt noch nicht viel Erfahrung als Ehefrau. Aber musste eine Ehe es nicht auch einmal aushalten, dass man verschiedener Meinung war?

Eine Weile starrte sie übers Meer, und als ob sich dadurch, dass der Himmel blau und klar über ihr schwebte, auch in ihrem Inneren etwas klärte, kamen ihr plötzlich Gedanken, die sie so noch nie gehabt hatte. Zum Beispiel dieser: Sie hatte Cindy nicht zugehört.

Ihre Stirn runzelte sich ganz von selbst, als sie das dachte. Langsam kam ihr zumindest ein Teil des Problems zu Bewusstsein. Statt den Vorschlag ihrer eigenen Frau sofort abzuschmettern, weil er nicht zu ihrer üblichen Routine passte, zu dem, was sie gewöhnt war und auch für notwendig hielt, hätte sie mit Cindy darüber reden sollen. Vielleicht hätten sie dann eine Lösung gefunden, die zu ihnen beiden passte.

Aber das wäre auf jeden Fall ein Kompromiss gewesen. Und sie hasste Kompromisse.

Da sie es sich nicht hatte nehmen lassen, am Morgen – oder eher halb in der Nacht, bis die Sonne kaum aufgegangen war – noch ein paar Stunden im Büro zu verbringen und erst danach abgeflogen war, neigte sich der Tag nun bereits seinem Ende zu. Der Sonnenuntergang fand um diese Jahreszeit immer so gegen halb sechs statt, das wusste sie noch sehr gut aus ihrer Zeit in Orlando. In Los Angeles ging die Sonne noch früher unter, und so hatte sie durch ihren Flug nach Südosten sogar eine gute Dreiviertelstunde mehr Sonnenlicht gewonnen.

Woran ihr im Moment allerdings nicht sehr viel lag. Die wenigen Menschen, die sich bis vor kurzem noch im Wasser getummelt hatten, und auch die paar, die hier mit einem Segway durch den Park gefahren oder eher lautlos geglitten waren, schienen wie auf einen Schlag verschwunden. Auf einmal herrschte eine fast gespenstische Ruhe, als wäre dies hier wirklich das Ende der Welt, das niemand erreichen konnte.

Der Sonnenuntergang war fantastisch, aber das bekam sie kaum mit, weil sie immer noch zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war. Es war noch zu früh, um in den Club zu gehen. Da würde jetzt noch nichts los sein. Wahrscheinlich war er noch nicht einmal auf.

Was sie sich jedoch fragte, war: Was würde später los sein? Sie kannte den Club nur von jenem einen Besuch mit Cait an jenem schicksalsträchtigen Abend, an dem das ganze Drama, dem Cindy später zum Opfer gefallen war, seinen Anfang genommen hatte. Freiwillig wäre sie niemals wieder dorthin zurückgekehrt.

Aber um Freiwilligkeit ging es jetzt wohl nicht. Sie musste mit Cindy sprechen. Sie musste sehen, was sie . . . tat.

Warum rufst du sie nicht an?

Na, dich kenne ich ja schon gar nicht mehr.

Michelle war überrascht, dass ihre innere Stimme sich meldete. So deutlich meldete, wie es schon seit langem nicht mehr der Fall gewesen war.

Natürlich hatte sie schon zuvor daran gedacht, Cindy anzurufen. Spätestens, seit sie hier gelandet war. Und doch hatte sie es nicht getan. Dabei hätte sie es schon im Taxi tun können. Warum alles nicht ganz normal ablaufen lassen? Vielleicht verzichtete Cindy dann auf diesen . . . Auftritt, den Michelle sich sowieso nicht so richtig vorstellen konnte. Ein hautenges Kleid mit einem Schlitz bis zum Bauchnabel? Sie wusste gar nicht, dass Cindy so etwas besaß. Oder hatte Candice da geflunkert? Cindy das Kleid sogar geliehen? Um Michelle eifersüchtig zu machen? Eines von ihren, Candice’, Kleidern, denn sie besaß so etwas definitiv.

Aber warum? Warum sollte sie Michelle eifersüchtig machen wollen? Sie liebte Cindy. Ja, das tat sie, auch wenn sie das lange Zeit nicht hatte zugeben wollen. Mittlerweile hatte sie jedoch keinen Zweifel mehr daran. Und sie betrog sie auch nicht. Sie wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen. Es gab also gar keinen Grund für Eifersucht von Cindys Seite her, für den Michelle eine Art Bestrafung verdient gehabt hätte.

Kurz blitzte in ihrem Kopf ein Bild auf, wie sie sich mit ausgebreiteten Armen vor die Tür des Clubs stellte und Cindy gar nicht erst hereinließ. Wenn sie nicht drin war, konnte sie auch nicht singen.

Singen. Wieso überhaupt singen? Wieso auf einer Bühne auftreten? Und dann auch noch in einem so sexy Outfit? So etwas hatte Cindy bisher noch nie getan. Und auch nie ein Interesse dafür bekundet. Vielleicht sollte sie sie wirklich anrufen und fragen, was ihr da eigentlich in den Sinn gekommen war.

Doch kaum hatte sie ihr Smartphone in der Hand, da meldete es sich auch schon. Cindys Bild erschien auf dem Display. Eine lächelnde Cindy, deren freundliche Augen Michelle liebevoll betrachteten.

Sie nahm den Anruf an. »Ja?«

»Störe ich dich?« Cindys Stimme klang entschuldigend. »Tut mir leid, ich weiß, es ist noch früh, und du bist sicher noch im Büro . . .«

Jetzt hätte sie die Chance gehabt, die Wahrheit zu sagen. Hatte sie das nicht eben noch tun wollen? Und normalerweise log sie auch nicht. Aber etwas verschweigen war nicht lügen, oder?

»Hm«, meinte sie unbestimmt. »Ist schon okay.«

Sie war froh, dass Cindy sie nur anrief und keine Videoverbindung angefordert hatte, denn dann hätte sie diese Frage sicher nicht gestellt, weil sie die Palmen im Hintergrund hätte sehen können, auch wenn sie sich im schwachen Dämmerlicht nur noch wie Schattenrisse vom Himmel abzeichneten. Nun ja, auch in LA gab es Palmen . . .

»Ich vermisse dich so«, flüsterte Cindy. »Aber ich weiß ja, wir fliegen nach Weihnachten nach Colorado . . . Damit versuche ich mich zu trösten.«

Michelle schluckte. Sie schämte sich jetzt fast dafür, dass sie Colorado vorgeschlagen hatte. Denn aus Cindys Mund klang es wie Eiseskälte in der Hölle.

So schlimm konnte es doch nicht sein. Oder doch? Sie war immer noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem sie Cindy hundertprozentig verstand. Vielleicht hatte sie sie überhaupt noch nie richtig verstanden. Es war doch alles sehr schnell gegangen, und sie waren immer von irgendwelchen Katastrophen abgelenkt gewesen, sodass sie sehr wenig Zeit für sich selbst und ihre Beziehung gehabt hatten. So richtig war Michelle das noch nie aufgefallen, denn das war überhaupt nicht ihr Thema.

Aber es war Cindys Thema. Das merkte sie jetzt deutlicher und deutlicher. Obwohl sie es natürlich auch vorher schon gewusst hatte. Doch vielleicht hatte sie es gar nicht so richtig wissen wollen. Cindy hatte dafür gesorgt, dass es diese Beziehung überhaupt gab, und dann dafür, dass sie weiterhin Bestand hatte, dass sie wuchs und sogar in eine Ehe mündete. Michelle war sich absolut dessen bewusst, dass nichts davon ihr Verdienst war.

»Hast du was?«, fragte Cindy mit einem besorgten Tonfall in der Stimme, weil Michelle nichts sagte. »Bitte, nicht böse sein. Ich weiß, ich hätte Colorado nicht erwähnen sollen. Oder Weihnachten. Aber . . .«, wahrscheinlich schluckte sie jetzt so, wie Michelle zuvor geschluckt hatte, »ich hatte mir das so schön vorgestellt.«

»Ich könnte ja noch kommen.« Auf einmal flossen diese Worte aus Michelle heraus, als hätten sie nur darauf gewartet, endlich losgelassen zu werden.

Sie hörte, wie Cindy heftig nach Luft schnappte. »Du würdest kommen? Jetzt? Zu mir?«

»Ich glaube, es war falsch, dass ich das sofort abgelehnt habe«, sagte Michelle. »Mittlerweile habe ich mir so meine Gedanken darüber gemacht. Und ehrlich gesagt hat sogar Chris mich darauf hingewiesen. Obwohl sie, wie du ja weißt, nicht gerade sentimental ist.«

»Chris?« Michelle konnte richtig sehen, wie Cindy jetzt die Stirn runzelte. »Was hat Chris denn damit zu tun?«

»Gar nichts«, beruhigte Michelle sie und musste gleichzeitig lächeln. Es gab nicht den geringsten Grund für Cindy, auf Chris eifersüchtig zu sein, aber sie glaubte so etwas aus ihrer Stimme herauszuhören.

Warum hatte sie ganz selbstverständlich angenommen, dass es nie Eifersucht zwischen ihnen geben würde? Doch nur, weil ihre vorherigen Beziehungen nie so tief gegangen waren, dass dieses Thema überhaupt hätte aufkommen können. Candice und sie hatten sich beispielsweise nie Treue versprochen. Das wäre überhaupt nicht gegangen. Bei Candice nicht und bei ihr selbst auch nicht.

»Oh Michelle . . . Liebling . . .«, hauchte Cindy mit tränenerstickter Stimme. »Dann kannst du ja morgen schon da sein. Meine Mutter wird sich so freuen . . .«

»Nur deine Mutter?«, fragte Michelle schmunzelnd.

Anscheinend hatte Cindy sich wieder gefasst und lachte jetzt auf. »Wenn ich meiner eigenen Frau sagen muss, dass ich mich freue, sie zu sehen, und sie das nicht von selbst weiß, dann ist aber irgendetwas nicht in Ordnung.«

»Da hast du wohl recht.« Michelle murmelte es nur, weil es eigentlich an sie selbst gerichtet war und nicht so an Cindy.

»Wenn du mir sagst, wann du ankommst«, fuhr Cindy ziemlich aufgeregt fort, »hole ich dich am Flugplatz ab.«

Michelle schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch nicht, wann ich fliege, das kommt darauf an.«

Kurz sagte Cindy nichts, dann akzeptierte sie offenbar das, was Michelle angedeutet hatte, nämlich dass sie sich nicht festlegen wollte. »Ist gut«, seufzte sie etwas enttäuscht. »Dann sehe ich dich eben, wenn du da bist.«

Warum fragte sie jetzt nicht nach Candice? Aber das tat Michelle nicht. Sie wollte es gar nicht wissen.

Eifersucht war eben keine Einbahnstraße. Sie wunderte sich, warum Cindy bei der Erwähnung von Chris auf einmal misstrauisch wurde, obwohl es dazu keinen Anlass gab und Cindy das auch wissen musste, aber umgekehrt? Ja, Candice hatte gesagt, dass es ihr nichts ausmachte, ob eine Frau verheiratet war oder nicht. Das wusste Michelle nur zu gut, denn Candice hatte mehr als einmal etwas mit jemandem gehabt, der diesen speziellen Ring am Finger trug. Aber auch wenn Cindy eine verheiratete Frau war, das musste doch nicht heißen . . . Dazu gehörten doch immer zwei. Und Cindy würde so etwas nie tun.

Und doch war Vertrauen etwas sehr, sehr Neues für Michelle. Sie hatte ihr ganzes Leben lang gelernt, dass man keinem Menschen vertrauen konnte. Bei ihrer Mutter angefangen. Vor Cindy hatte es nie jemanden gegeben, der diese ihre Einschätzung widerlegt hätte. Wenn man jemandem vertraute, ging man immer das Risiko ein, belogen und betrogen zu werden. Da konnte sie sich jetzt nicht so schnell umstellen. Vertrauen war immer noch mehr ein Wort für sie als ein Gefühl, als etwas, das tief in ihr verankert war. Es hing nur lose an einem seidenen Faden.

»Ja, dann siehst du mich, wenn ich da bin. Ich melde mich, wenn ich gelandet bin«, wiederholte sie noch einmal das, von dem sie wusste, dass es so gar nicht mehr geschehen konnte. Denn sie war ja schon hier.

»Nicht erst, wenn du gelandet bist. Melde dich, wenn du abfliegst«, bat Cindy. »Bitte . . .« Sie schluckte hörbar. »Dann bist du zwar noch nicht da, aber ich weiß, dass du wenigstens in der Luft bist. Auf dem Weg zu mir.«

»Traust du mir nicht?« Michelle reagierte, als hätte Cindy ihr etwas ganz Unglaubliches unterstellt. Und dabei stand sie hier, in einem Park in Miami, und schwindelte Cindy vor, sie wäre noch in Anaheim.

Na ja, sie schwindelte nicht wirklich. Selbst die Aussage, dass sie nicht wusste, wann sie fliegen würde, war nicht falsch, denn sie würde ja gar nicht fliegen, also konnte sie auch nicht wissen, wann. Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass das Haarspalterei war. Etwas, das sie sich in langen Jahren im Geschäftsleben hatte angewöhnen müssen und eigentlich nie gemocht hatte.

Sie wusste, dass sie Cindy durchaus hätte die Wahrheit sagen können, ohne etwas zu verschweigen, und dass sie es nicht tat. Vielleicht ging sie deshalb so in die Luft. Weil sie eigentlich Schuldgefühle hatte. Denn sie wusste noch nicht einmal, warum sie Cindy die Tatsache, dass sie bereits hier war, verschwieg. Sie wusste nur, dass etwas tief in ihr drin das verlangte, ohne ihr eine Erklärung abzugeben.

»Nein, natürlich traue ich dir«, widersprach Cindy sofort vehement. »Ich . . . ähm . . .«, auf einmal schien es, als wäre sie abgelenkt, »muss jetzt auflegen.«

Candice? dachte Michelle. Aber selbstverständlich sagte sie es nicht. Sie hätte auch fragen können, wo Cindy jetzt war. Vielleicht war sie schon im Club, zog sich bereits für ihren Auftritt um . . .

Nein, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Was, wenn Cindy sich jetzt gerade vor Candice splitterfasernackt auszog, um das hautenge Kleid anzuziehen? Ohne Unterwäsche, denn so trug Candice diese hautengen Kleider auch immer. Das ging gar nicht anders, weil sich bei dieser Art Bekleidung sonst selbst das textilärmste Höschen abzeichnete.

»Tschüss, mein Liebling«, rief Cindy offenbar schon im Gehen. »Bis morgen dann!«

Michelle war froh, dass sie dieses morgen nicht auch noch bestätigen musste, denn danach war die Verbindung gekappt und Cindys Bild vom Display verschwunden.

Dennoch starrte sie noch eine Weile darauf, als würde sie erwarten, dass Cindys Gesicht wieder erscheinen würde. Aber sie hatte keinen Grund, noch einmal anzurufen. Warum sollte sie?

Mit einer Bewegung, als würde sie damit ein Kapitel beenden, steckte sie das Handy wieder in ihre Tasche.

Jetzt musste sie eine Entscheidung treffen, ob sie wollte oder nicht.

Ende gut, alles gut

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