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09. Emilye

Als wir in Calpe an der spanischen Mittelmeerküste anlegten, lag ihre Happy Day genau neben uns. Emilye hatte Klavierspielerhände, war zierlich und gar nicht robust, aber absolut selbstsicher – eine Person, die offenbar wusste, wie sie gegen den Wind aufkreuzen musste.

Die blonde Frau in den abgeschnittenen Jeans sprang auf den Steg, nahm unsere Leinen an und belegte sie routiniert an den Pollern. Sie empfahl uns, zwei Springs auszubringen, da nachts manchmal heftige Böen vom Hinterland herunter fegen würden. Wir bedankten uns und sie sagte, wenn wir nachher Zeit hätten, könnte sie uns das Procedere mit den Behörden erklären. So lernten wir sie kennen und saßen abwechselnd mal bei ihr, mal bei uns an Bord und erzählten uns Geschichten. Ihre ging so:

Zusammen mit ihrem Mann Frank war sie vor vier Jahren von Montreal aus zu einer Weltumseglung aufgebrochen. Sie hatten hart gearbeitet und mit ihrer Eventagentur so viel verdient, dass es zu einem mehrjährigen Sabbatical einmal rund um die Welt reichen würde. Zunächst überquerten sie den Atlantik von West nach Ost, segelten bis nach St. Petersburg und besuchten Schweden, Norwegen und die baltischen Länder; Dänemark und Holland gefielen ihnen besonders.

In Frankreich angekommen ereilte sie eine schlechte Nachricht: Frank war an Krebs erkrankt. Sie ließen das Boot in La Rochelle bei einer Werft liegen und flogen nach Quebec zurück. Franks Kampf gegen den Krebs dauerte nur ein Jahr, dann verlor er ihn. Kurz vor seinem Tod bat er seine Frau, ihre gemeinsame Reise mit der Happy Day in seinem Sinn fortzuführen und zu vollenden. Emilye besaß alle Patente; die gemeinsam erlebten zweieinhalb Jahre auf dem Boot konnten von großem Nutzen für ihre weitere Soloreise sein. Im Salon hing ein gerahmtes Foto an der Wand: Frank und Emilye im Cockpit der Happy Day, strahlend, eng nebeneinander. »Er ist immer mit dabei, wo ich auch hinkomme«, sagte sie.

Der Törn um die Welt war sein Jugendtraum. »Er sprach schon davon, als wir uns kennenlernten.« Langsam habe auch sie sich mit dem Plan angefreundet. Zuerst segelten sie an der Baie de Beauport bei Quebec mit einer Jolle, später mit einer 8-Meter-Slup auf dem St. Lawrence River. Die stählerne Happy Day war auf einer Werft nach ihren Vorstellungen gebaut worden. Das Revier um die Prince Edward Island sei jahrelang ihr Lieblingsrevier gewesen. Die vielen Buchten und kleinen Häfen und all die Inseln rundherum, »really beautiful!« Sie strahlte. »Wenn ich zurückkomme, werde ich mich dort niederlassen, mit der Happy Day vor der Türe.«

Wie sie das aushalte allein auf dem Boot, mit all den Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, wollten wir wissen. »Am Anfang, als ich nach La Rochelle zum Schiff zurückkam und mich alleine einrichten musste, war das extrem schwer. Da hab’ ich mich oft unter Tränen gefragt, ob ich das wirklich schaffe, ja, ob ich das wirklich will. Aber ich hatte es ihm am Krankenbett versprochen, seine Augen leuchteten so dankbar, er hat mir geglaubt. Ich muss mein Versprechen einlösen«, sagte sie und wirkte dabei ganz cool.

Es gefiel uns, dass Emilye nicht auf die Idee kam, dem Schicksal Vorwürfe zu machen, sie stellte sich einfach ganz selbstverständlich der Herausforderung. »Ich durfte keine Schwäche zeigen«, sagte sie »und habe deshalb keine Emotionen zugelassen. Ich konnte den Freunden, die mich bedauerten und mir ihre Ratschläge mitgaben, nicht zeigen, wie es wirklich um mich stand. Innerlich war ich natürlich schon bereit, in die Arme genommen zu werden. In solchen Situationen sucht man eine starke Schulter zum Anlehnen. Aber das konnte und durfte nicht sein.«

Emilye ließ den Kopf nicht hängen und lernte eine »Lass-dich-nicht-unterkriegen-Person« zu werden. »Mein Motto war …«, lächelte sie leise: »… was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Nur nicht in eine Depression abrutschen, habe sie sich wie ein Mantra immer wieder in Erinnerung gerufen.

Angst spiele schon auch eine Rolle. Nicht die Angst vor dem Meer, damit würde sie klar kommen – sondern Angst vor den Gefahren in den Häfen, die sie unterwegs immer wieder anlaufen würde. Der Umgang mit Menschen in den meist männerdominierten Ländern, dem Orient, dem fernen Osten, den fremden Religionen, den anderen Kulturen. Sie habe sich deshalb eine sichtbare Portion Selbstbewusstsein zugelegt, um so als kalt wahrgenommen zu werden. »Selbstbewusstsein als Schutzschild, damit werde ich es schaffen.« Davon war sie fest überzeugt.

Ob sie nicht daran gedacht habe, eine Freundin oder einen Partner, aufs Boot zu holen, mit der oder dem zusammen es ihr leichter gefallen wäre, ihr Versprechen Frank gegenüber, einzulösen. »Nein«, sie schüttelte den Kopf, »daran habe ich nie gedacht. Diese Reise mache ich alleine für ihn und für mich. Da hat niemand anderes etwas mit zu tun!«

Sie sehe schon ein, sagte sie ein anderes Mal, dass sie nicht übers Ziel hinausschießen und sich in ihrer Verpflichtung und in ihrem Unabhängigkeitsstreben nicht verrennen dürfe, das hätte Frank auch nicht gewollt. »Aber ich habe ein Versprechen gegeben und das werde ich einlösen. Ich bin nicht sehr gläubig, doch ich spüre eine Kraft in mir, die mir helfen wird, diese Aufgabe zu schaffen.«

Beim Abschied auf der Pier drückte sie uns einen Zettel in die Hand. Als die Happy Day hinter der Mole verschwunden war und wir nur noch die Mastspitze im leichten Schwell hin- und herschaukeln sahen, schauten wir auf den Zettel und lasen diese Zeilen aus einem uns unbekannten Gedicht:

Starke Frauen weinen nicht / Man kann sie nicht verletzen / Sie werden Tränen im Gesicht / durch Entschlossenheit ersetzen.


Starke Frauen weinen nicht …

Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln

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