Читать книгу Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln - Udo Hinnerkopf - Страница 15

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10. Hunter

Sie hieß Caroline, er Hunter. Ich traf sie in der Marina Porto d‘Andratx auf Mallorca. Es war der erste Regentag seit Mai, die Wolken hingen tief über der Bucht, es tropfte und alles war klamm. Die rote Flagge mit dem kanadischen Ahornblatt hing schlaff und nass am Achterstag. Niemand war zu sehen. Kaum hatte ich die Leinen belegt, verzog ich mich unter Deck und kochte Tee.

Am nächsten Morgen weckte mich strahlender Sonnenschein. Frühstück an Deck, anschließend Anmelden im Marinabüro. Ich wollte eine Woche bleiben, bis das Päckchen mit dem Ersatzteil für die Heizung eingetroffen war. Dann wollte ich noch ein wenig in den Herbst hinein segeln und die hoffentlich letzten Sonnentage genießen. Und vor allem in dem noch sommerwarmen Meer in den Buchten baden.

Vor mir am Büro-Tresen stand ein kleiner Mann, der ein sehr melodiös klingendes Englisch sprach, das in deutlichem Gegensatz zu seinem Äußeren stand. Sein ehemals dunkelblauer Sweater war ausgebleicht und hing schlapp von seinen Schultern über seiner ausgewaschenen grauen Hose, die mit einem Gummiband um den Bauch gehalten wurde. Die Slipper an seinen nackten Füßen waren früher wohl mal weiß gewesen, jetzt sahen sie mehr nach dem Ende eines langen Slipperlebens aus. Sein Haar war kurz geschnitten, sein faltiges Gesicht unrasiert, der den Hals umschließende Hemdkragen krumpelig und verschlissen. Das Gesicht war im Gegensatz zum übrigen Erscheinungsbild hell und erstaunlich frisch.

»I need your help«, sprach er zu dem Mädchen hinter dem Tresen. Er könne heute die Liegegebühren noch nicht bezahlen, aber morgen, ganz sicher, er erwarte eine Überweisung aus Postville in Canada. Das Mädchen blickte mit großen Augen von einem Formular auf, das vor ihr lag und sagte in einem in spanischem Stakkato perlendem Englisch: »Yes Sir, but we wait already since three weeks« – sie würden jetzt schon seit drei Wochen darauf warten.

Der kleine Mann drehte sich nach mir um, sah mir kurz in die Augen und schüttelte seinen Kopf. Was sind die ungeduldig hier, meinte er und wandte sich wieder der hübschen Marina-Angestellten zu. Nur einen Tag noch, dann werde er bezahlen. »Please, believe me.«

Er verließ das Büro und schlurfte über den gefliesten Boden. Ich sah ihm nach und beobachtete, wie er zu unserem Steg lief und in dem vor uns festgemachten Boot mit der kanadischen Flagge verschwand. Ich füllte unseren Liegeplatz-Antrag aus und zahlte die Gebühr im Voraus. Dann ging ich zu unserem Boot zurück.

Als ich über die Reling stieg, tauchte der Mann im Cockpit der kleinen Yacht auf. Er hatte eine geöffnete Dose in der Hand und in der anderen einen Futternapf. Eine rotbraune Katze und eine tiefschwarze kamen hinter ihm her und stürzten sich auf den Napf, den der Mann im Cockpit abgestellt und in den er den Inhalt der Dose entleert hatte. Er beobachtete, wie die beiden Katzen, sich gegenseitig vom Napf wegdrängend, die Fleischklößchen gierig verschlangen. Dazu schnurrte er seltsame Laute, wie um die Katzen bei ihrer Fressorgie akustisch zu begleiten.

Als er kurz aufblickte, sah er mich und nickte. Ich rief hinüber, dass ich das spannend fände, wie die Katzen sich über die Mahlzeit hermachten. Ja, meinte er, die zwei hätten sie in Palma halbverhungert aufgegriffen. Ob ich Katzen möge? Er heiße übrigens Hunter und seine Freundin, die noch schliefe, sei Caroline. Nach vier Jahren Mittelmeer seien sie auf dem Weg zurück nach Canada. In ein, zwei Wochen würden sie aufbrechen, wenn bis dahin die Route über den Atlantik im November sturmfrei sei.

Ich sagte, ich sei jetzt alleine auf meinem Boot, meine Freundin sei zu ihrer kranken Mutter nach Hause gereist. Ich bliebe im Winter hier auf der Insel, wolle aber noch ein wenig den Herbst genießen. Damit war unser Gespräch beendet. Er verschwand unter Deck. Ich prüfte meine Leinen, setzte mich ins Cockpit und überlegte, welche Arbeit am Boot für heute vorgesehen war.

Kurz darauf sah ich Caroline an Land steigen. Sie war schlank, fast zu schlank, hoffentlich nicht magersüchtig. Die leicht strähnigen Haare hingen ihr bis auf die Schultern, das Gesicht war blass, Pullover und Hose waren ähnlich abgetragen wie Hunters Klamotten. Sie trug einen Rucksack auf dem Rücken und kam auf mich zu.

Hi, sagte sie und stellte sich vor. Sie wolle zum Supermercado Katzenfutter kaufen, ob ich etwas brauche. Ich bedankte mich und sagte, ich würde nachher sowieso einkaufen gehen. Irgendwie machte sie einen seltsamen Eindruck auf mich. Etwas scheu einerseits, andererseits fand ich es verblüffend, dass sie mir gleich bei der ersten Begegnung ihre Hilfe angeboten hatte. Hunter war ganz sicher ein kauziger Typ, sie schien mir aber auch irgendwie kurios. Die beiden passten, so schien es mir, schrullig-seltsam zusammen.

Am frühen Abend kurz nach Sonnenuntergang – ich saß noch im Cockpit und hatte gerade das Seehandbuch zugeklappt, in dem ich über die bei Südwind offenen Buchten rund um Mallorca gelesen hatte – da tauchte Hunter im Cockpit auf. Aber wie verändert war er jetzt! Statt zerschlissenem Sweater und Trainingshose hatte er einen schwarzen Anzug an, auf dem strahlend weißen Hemd prangte eine silbern leuchtende Fliege und die Schuhe glänzten hochpoliert. Sein Gesicht war glatt rasiert und seine Haare mit Pomade fest an die Schläfen getrimmt. Mit einem kleinen Lächeln nickte er mir zu und verschwand in Richtung Ausgang.

Oh là là, dachte ich, was ist das denn für eine Maskerade! Ich huschte über den Steg hinter ihm her und sah gerade noch im Halbdunkel, wie er in ein Taxi stieg, das vor dem Marina-Tor offenbar auf ihn gewartet hatte und nun mit ihm verschwand. Heute Morgen hatte er kein Geld gehabt, um die Marina zu bezahlen. Jetzt kam er quasi im Smoking daher und fuhr mit einem Taxi davon. Seltsame Geschichte. Ich schlenderte zum Anleger zurück und dachte über das soeben Gesehene nach.

Im Cockpit des kleinen Bootes saß Caroline im selben Outfit wie am Morgen. Sie hatte sicher beobachtet, wie ich hinter Hunter hergelaufen war und schaute mich jetzt mit leicht trüben, aber neugierigen Augen an.

»You wonder about him«, sie kicherte – Du wunderst dich über ihn.

»Ja,« sagte ich, »was macht er da?«

Er sei Croupier in einem Spielcasino auf Ibiza gewesen, erklärte sie zögernd, da hätten sie ihn rausgeschmissen, weil er selbst gespielt habe, heimlich, nach dem Job. Sie verstummte und stöhnte leicht. »Heut‘ Abend ist er Aushilfs-Croupier drüben im Casino Club. Er hat geschworen, nie wieder zu spielen. Aber die Verführung ist groß, ich bin nicht sicher …!« Sie schaute mich energielos an. »Wir müssen bald los, aber vorher noch unsere Marinagebühr bezahlen. Je länger wir bleiben, desto teurer wird es. Und Aushilfs-Croupier kann er nur manchmal sein, wenn einer der Croupiers ausfällt. Die im Büro hier wissen das, und lassen uns noch ungeschoren. Aber wie lange noch?« Ihre Stimme klang verzweifelt.

Was sollte ich antworten? Ich hörte stumm zu, nickte ab und zu verständnisvoll und wünschte, ich hätte mich nie mit den beiden eingelassen. Aussteiger in Not waren mir in letzter Zeit öfter begegnet. Meist segelten sie ohne genügend Reserven los und hofften, unterwegs irgendetwas arbeiten zu können. Aber das funktionierte nicht mehr so gut. Die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen in den südlichen Küstenländern war immer größer geworden. Das war auch der Grund, weshalb Caroline keinen Job fand. »Nicht mal als Putzfrau kann ich hier arbeiten!« Sie war ausgebildete Psychotherapeutin.

Zwei Tage später gab es große Aufregung am Steg. Der Marina-Chef kam mit zwei Mitarbeitern. Es wurde heftig hin und her diskutiert. Offenbar hatte Hunter den größten Teil der Marinagebühr bezahlt, aber es fehlte immer noch ein kleiner Betrag. Der Marinaboss brüllte: »Der da!« – dabei zeigte er auf Hunter – könne nicht einfach so abhauen, er werde die Polizei holen.

Hunter rief, er werde ganz bestimmt zahlen, von unterwegs überweisen. Er warte auf einen größeren Betrag aus Quebec. Der Marina-Boss antwortete böse, darauf warteten sie schon lange, das sei doch bloß ein leeres Versprechen. Schließlich kam Caroline mit einigen Geldscheinen in der Hand den Niedergang herauf und drückte sie dem Marina-Boss in die Hand. »Okay«, sagte sie, »that’s my last private money ever.« Sie schluchzte und verschwand blass im Boot.

Der Marina-Chef und seine Mitarbeiter zogen ab. Hunter schaute wirr umher und startete den Motor. »Wohin?«, fragte jemand von einer anderen Yacht, der neugierig dabei stand. »Canarien Island and Canada«, Hunter schluckte und löste die Achterleine – in diesem Moment kam Caroline von unten hochgeschossen. Sie hatte die pechschwarze Katze im Arm und drückte sie mir an die Brust. »Please, wir können nicht beide durchfüttern …«

Hunter hatte bereits die auf Slip liegende Vorderleine durchgezogen und war ins Cockpit gesaust. Der Motor heulte auf, das Boot kam in Fahrt und fuhr in Richtung Ausfahrt. Ich stand da mit der sich aufbäumenden Katze im Arm und war sprachlos. Caroline winkte und weinte. Mechanisch und ziemlich hilflos winkte ich zurück. Hunter blickte starr geradeaus. Zwei Minuten später waren sie hinter der Mole verschwunden.

Der Kater – ich nannte ihn »Hunter« – freundete sich nur langsam mit mir an. Gleich zu Beginn unserer Beziehung setzte er einen stinkenden Haufen auf meine Koje. Als er jedoch begann, mir jeden Morgen einen toten Vogel vor die Niedergangstüre zu legen, war ich überzeugt, er habe die kleine Yacht vergessen und sich an mich gewöhnt. Da es mir aber nicht gelingen wollte, ihm die Beweise seiner Zuneigung als nicht nötig auszureden, nahm ich ihn mit ins Ferienhaus in Santa Eugenia in der Mitte der Insel, wo eine befreundete Familie mit zwei Kindern ihren Urlaub verbrachten. Die Kinder und Hunter wurden schnell dicke Freunde. Und eigenartigerweise verzichtete Hunter ab sofort auf die Opfergaben am Morgen. Wahrscheinlich, weil er merkte, dass er auch ohne sie geliebt wurde.


Thema mit Sprengkraft: Katze an Bord

Vom Wind Verwehte: Aussteiger unter Segeln

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