Читать книгу Gut Nass - Ulf Imwiehe - Страница 4

Montag: Signale

Оглавление

Nach einer ausgiebigen Dusche und dumpf schrumpeligem Herumgelungere in meinem Dachgeschoss gebe ich mich Frau Riebesehls unten brüllendem Fernseher geschlagen, steig in die Chucks und radel Richtung Forstbad. Seit einer Stunde Badeschluss. Die beste Zeit des Tages. Der Abend dampft verhalten, das Rauschen des stoisch umwälzenden Beckenwassers sonort aus dem Freibad herüber, als ich, vorbei an dem etwas zurückgeduckten Diensthäuschen, in dem immer noch der alte Leyendieck wohnt, obwohl er schon bald zwanzig Jahre in Rente ist, über den fast leeren Parkplatz sirre und mein Rad vor dem L'Afrique anschließe.

Forstbad Schweigen: das einzige Schwimmbad in der südlichen Heide mit Gastronomie im Afrikastil. Steht zumindest so ähnlich auf der Webseite der Gemeinde. Meredith verachtet den, wie sie es nennt, Ethnochauvinismus, den die Gemeinde ihr zur Auflage gemacht hat, zu bedienen und liebt es, das Afrikaklischee mit Hilfe von winterlichen Grünkohlorgien, im Raum verteilten Bienenkörben und plattdeutschen Leseabenden zu brechen. Merediths Plattdeutsch gereicht jedem Schweigener Rübenbauer zur Ehre. Hat sie als Kind in Celle gelernt, von ihrem Stiefvater, der zu allem Überfluss auch noch Imker war. L'Afrique, mein Quell und Balsam und weltenfeiger Trost, wo Ghana sich und Heide treffen, Herrmann-Löns-Kitsch und bunt gipserne panafrikanische Skulpturenreplikate, Masken, Schreine, ein künstlicher, beruhigend bizarrer Nukleus, hineingeglast und geziegelt zwischen Schwimmhalle und Freibad. Coole Kneipe.

Nicht allzuviel los, ist für einen Montagabend aber nicht ungewöhnlich. Vereinzelt schmatzen ein paar Stammgäste im schummrigen Dekor und murmeln in ihre Getränke. Akustikgitarren zirpen aus verborgenen Lautsprecherboxen. Pädagogenjazz. Verständnisvoll, harmlos, angenehm unauffällig, kann man so machen. Fleischgeruch fettet die Luft. Lamm und Couscous. Von einer Seite funzelt die Notbeleuchtung der leeren Schwimmhalle durch die linke gläserne Trennwand, hinter der anderen, schräg gegenüber blutet die Sonne hysterisch über die weite baumumstandene Liegewiese und bringt das Wasser in den Außenbecken zum Glühen. Ihre Fünf-Sterne-Deluxe Aussicht nennt Meredith das, wenn sie mal wieder über die Pacht schimpft, die sie der Gemeindeverwaltung jeden Monat zahlt.

Sie ruht herrschend hinter der menschenleeren Theke, eine Wand von Schnapspalisaden hinter sich und ihr Lächeln gerät ein wenig abschüssig, als ich durch den Gastraum auf sie zu schlurfe. Hat sicher auch keinen leichten Tag gehabt, die Gute. Bei dem Wetter und noch dazu Ferien. Ich stelle mir vor, wie sich Armbündel vom Freibad aus in die Durchreiche winden, nach Pommes gieren, nach Eis, Mäusespeck und zahnschmelzhassenden Gummimonstren. Meredith als kühne Feldherrin, ihre Kämpfer in diesem kulinarischen Zweifrontenkrieg dirigierend, die kurzen Dreadlocks straff in alle Richtungen wachend. Wir umarmen uns ungeschickt langarmig über die Theke hinweg. Küsschen, Küsschen. Ihre Wangen sind warm und trocken, ihr Griff stark und fest.

»Hast du das mit Klamm schon gehört?« flüstert sie fast während sie mir ungefragt ein Weizenbier einschenkt. Medizin des Sommers. Ich nehme einen kurzen fiebrigen Schluck, nicke Unverfängliches krächzend. Woher weiß sie denn das nun schon wieder?

»Walter hat's mir vorhin erzählt«, fährt sie fort. »Da wär wohl heute vormittag ein Fax gekommen, von Tante Heidi. Hängt im Personalraum aus.«

Hinter ihr schwingt die Flügeltür zur Küche auf und Merediths Aushilfskraft Simon kommt mager herausgeglitten, überblickt den Gastraum, schnappt sich ein Tablett und spurtet zu Tisch vier, an dem ein Touristenpaar zufrieden speckig über leeren Tellern und Schälchen glänzt.

»Na, Flex, schon wieder Sehnsucht nach dem Forstbad? Geht nicht ohne, oder was?« bleckt er mich an und balanciert klappernd beladen in die Küche zurück, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich denke kurz an Maike, die nach einer unserer Zankereien über meine Dienstzeiten mal bitter vorschlug, ich möge doch im Rathaus beantragen, mir eine Zelle im Keller des Bades einzurichten damit ich auch ja immer vor Ort sein kann. Als ob es hier um Hingabe ginge! Als ob ich darin Erfüllung suchte! In der Verfügbarkeit. Mich greifen lassen. Mich in der Pflicht auflösen. Was die alle immer denken. Einer muss doch...!

»Wie hat er denn reagiert?« frage ich. »Also, Walter, jetzt.«

Er ist immerhin derjenige, der Klamm am längsten kannte und dessen rustikale Art des Umgangs mit seinen Untergebenen am erfolgreichsten an sich abperlen ließ. Eine Souveränität, die sich resoluter Gleichgültigkeit ebenso verdanken mochte wie tiefer Zuneigung. Man weiß es nie so recht bei Walter, dieser stachelbärtigen granitenen Sphinx.

»Ach, du kennst den doch«, winkt Meredith ab. »Too cool for school. Der lässt sich nicht so einfach in die Karten gucken.«

Wieder fliegt die Küchentür auf und Caruso wälzt sich dramatisch heraus. Caruso, diese berlinernde, stampfende, grellmähnige Explosion grölender Vitalität, zwei Meter muskulös schwellendes Mallorcafleisch, teils gutmütig prolliges Wrestlingmonstrum, teils sozialer Selbstmordattentäter, ein Bademeister wie aus dem Klischeebrockhaus. Obwohl er sich aufgrund seines Spezialgebietes und diverser entsprechender Fortbildungen ja lieber als Saunameister tituliert, aber was soll die Pedanterie? Er trägt noch seine Dienstkleidung. Das giftgrüne T-Shirt, mit dem die Gemeinde Schweigen ihre Bediensteten im Forstbad modisch verstümmelt, spannt sich über seine Brust, die schwarzen Ballonseidenshorts wirken absurd winzig an diesem Kubikgiganten, er rasselt im Takt der Musik mit seinem Schlüsselbund.

»Ich muss doch sehr bitten, meine hochverehrte Miss Ampofo«, dröhnt Caruso Autorität dilettierend, küsst Meredith auf die Stirn, schlappt mit klatschenden Adiletten hinter der Theke hervor und setzt sich auf den Barhocker zu meiner Rechten. »Walter hat die Nachricht vom so plötzlichen Ableben unseres geliebten Anführers eben nicht mit der ihn sonst auszeichnenden Fassung aufgenommen. Vielmehr offenbarte er mir gegenüber heute die erste authentische Gefühlsregung, seit Tante Heidi ihm damals aus Versehen doppelt das Weihnachtsgeld zugeschlagen hat. Ob ihr es glaubt oder nicht, und ich hab's selbst kaum geglaubt, der zähe alte Knochen hatte doch tatsächlich Tränen in den Augen. Kann ich auch ein Weizen kriegen, bitte, Merry?«

Er legt seinen Schlüsselbund auf die Theke, rupft seinen Zopf zurecht und schlingt die Arme übereinander. Meredith schenkt gewittrig ein und hiebt das Glas vor ihn, wie eine Kampfansage.

»Caruso, du Arsch, wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass du nicht durch meine Küche hier reinzulatschen hast?«

Es macht sie wahnsinnig, wenn das Schwimmbadpersonal den Zugang nutzt, der Merediths Lager im Technikkeller der Halle über eine Treppe mit der Küche verbindet. Wir stoßen an und Caruso leert mit einem wilden Zug sein Glas zur Hälfte. Schaum krabbelt träge in seinem Hufeisenschnurrbart herum, diesem unmöglichen, ebenfalls blondierten Porno-Schnuppi. Er mimt Kränkung und streckt Meredith die Handflächen hin.

»Na, na, na. Ich werd doch wohl noch meine Runde durch den Betrieb drehen dürfen, bevor ich das Bad zumache. Sicherheit geht schließlich vor!«

»Meinetwegen kannst du Runden drehen, bis du einen Graben in die Liegewiese gelaufen hast. Meine Küche ist tabu für Außenstehende! Verbotene Zone! Was sollen denn meine Gäste denken?«

Caruso sieht betont betroffen zu mir rüber. Er schüttelt schwer den Kopf.

»Außenstehende, Flex. Hast du das gehört? Außenstehende! Und das mir... Wo wir doch alle eine glückliche Forstbadfamilie sein sollten.«

»Mit dir als schwer erziehbarem Riesenbaby, oder was?« schnaube ich.

Caruso kichert kieselig und pult eine völlig zerknitterte Packung Lucky Strikes aus seinen Shorts. Meredith legt die Fäuste auf den Tresen und neigt sich vor.

»Wenn du hier jetzt auch noch rauchst...«, haucht sie mit Mörderflüstern und muss die Drohung nicht einmal vollenden.

»Ist ja gut, ist ja gut«, wirft Caruso die Hände in die Luft. »Scheiß Gesundheitsterror! Rauchverbot in Kneipen... manchmal möchte man fast gar nicht mehr auf diesem Planeten leben.«

»Restaurant«, korrigiert Meredith stählern. »Und mir ist piepegal was du auf dem Planeten Caruso so alles treibst. Auf dem Planeten Merry tanzt du nach meiner Pfeife, Dicker, das ist mal klar. Die Fluppen bleiben aus! Und die Küche ist 'ne No-Go-Area, so einfach ist das.«

Caruso nimmt einen weiteren Zug von seinem Weizenbier, stellt sein fast leeres Glas übertrieben bedächtig ab und umklammert es zärtlich mit beiden Pranken. Er scheint weniger Freude an diesem Gekabbel zu haben, als gewöhnlich.

»Mann, Mann, Mann, ist das heute eine gereizte Atmosphäre hier«, poltert er. »Im Bad auch schon. Bloß weil der olle Klamm den Arsch zugekniffen hat sind alle auf einmal so eklig unentspannt. Kennt man gar nicht von diesem Verein.«

Ich verschlucke mich fast an meinem Bier.

»Nee, was bist du nicht für ein sensibler, einfühlsamer Kerl«, tue ich entsetzt. Meredith sieht aus, als wolle sie Caruso am liebsten mit dem Kopf ins Spülbecken tauchen.

»Was ist das denn für ein pietätloser Scheiß?« Sie schiebt das Kinn vor. »Kann ja sein, dass Klamm nicht gerade der tollste Chef unter Schweigens Sonne war aber deswegen lässt einen doch sowas nicht unberührt. Der ist tot, Caruso. Vielleicht ist dir nicht ganz klar, was das bedeutet?«

Caruso schweigt grübelnd, trinkt behutsam den Rest seines Bieres aus und bedenkt Meredith und mich abwechselnd mit versöhnlich tiefem Blick.

»Das bedeutet, dass es trotzdem irgendwie weitergehen muss«, grummelt er. »Und vor allem bedeutet es, dass seine Frau nie erfahren wird, wie der hinter ihrem Rücken rumgevögelt hat, der alte Stelzbock. Zumindest nicht mehr von ihm selbst.« Er fängt lässig das nasse Geschirrhandtuch, das Meredith auf sein Gesicht zielt und rollt es seelenruhig vor sich auf dem Tresen zu einer losen Wurst.

»Witwe«, verbessere ich automatisch. Meredith blinzelt. Caruso sieht mich schräg von der Seite an, schnauft. Ich trinke, den Mund voller Fell. Hab gar keinen Durst mehr. Habe ich aber ja nie auf Alkohol. Geht schließlich auch nicht um Genuss beim Saufen. Wer glaubt denn schon an so etwas? Freiheit, ja, das schon eher. Und die stumpfe beruhigende Wucht des Vergessens, flüssig brennende Lobotomie. Jemand hustet verlegen. Oh, das bin ja ich.

»Na ja«, seufze ich. »Irgendwie hat Caruso ja auch recht. Die Show muss weitergehen, so bescheuert das klingt. Ich meine, das hat ja nicht unbedingt was damit zu tun, dass es einem nicht leidtut um Klamm und so weiter.«

Meredith sieht mich fast mitleidig an während Caruso mich mit seiner Handtuchwurst auf den Oberarm boxt. Feuchtigkeit sickert durch den Ärmel meines T-Shirts.

»So ist es, Flex. So sieht das nämlich mal aus. Und wie genau das Ganze weitergeht, werden wir ja sicher morgen Mittag aus berufenem Munde erfahren.« Er grinst Meredith mutig an. »Das heißt, diejenigen von uns, die zum Personal gehören. Irgendwelche Gastronomiepächterinnen haben bei solchen Anlässen ja leider keinen Zutritt. So als Außenstehende.« Meredith lodert still.

»Was steht denn eigentlich genau drin, in Tante Heidis Fax?« fahre ich dazwischen, ganz Unschuld.

»Nix weiter, du weißt doch, wie die ist«, rollt Caruso mit den Augen. »Ganz ungünstiges Verhältnis zwischen Datenmüll und Information, wie immer. Haufenweise Betroffenheitsblabla weil Klamm abgekackt... also, verstorben ist und nachdrückliche Einladung zur Personalversammlung zum Schichtwechsel zwecks Zukunftsplanung. Das war's.«

Er beugt sich über den Tresen und legt seine Handtuchwurst vorsichtig neben das Spülbecken.

»Ich würde aber jede Wette eingehen, dass ich genau weiß, was kommt«, sagt er dann in Merediths Richtung, die ihm eine um Nuancen gelüpfte skeptische Braue gönnt.

»Ich würde nämlich einen Hunni wetten, dass unser Flex hier morgen offiziell zum Nachfolger von Klamm ernannt wird und das Forstbad mit ruhiger Hand in eine goldene, sorglose Zukunft führen wird. Warst ja lange genug Stellvertreter von dem alten Sackgesicht.« Er windet einen Arm um meinen Nacken und schüttelt mich sachte. »Und jetzt wirste endlich Thronfolger.«

»Tja«, murmle ich und kann mich nicht bremsen vor Gedankenlosigkeit. »Zumindest bis hier Ende des Jahres der Hammer fällt.«

Caruso blickt mich fragend an, die Stirn in Knoten. Meredith gefriert. Oh, verdammt... Ich knete und zerre für eine Sekunde an meinem Gesichtsfleisch herum, ganz wie Bürgermeister Marther, fällt mir auf, reiße mir beim Gedanken an ihn hektisch die Hände von den Wangen und sehe mich um. Schräg hinter Meredith, an der Fensterseite zum Freibadteil, steht Simon und sortiert mit auffallender Gründlichkeit einen Stapel Speisekarten. Ich ringe den Impuls nieder, aufs Fahrrad zu springen und für immer durch die Nacht zu rasen, trinke mein Bier aus, blicke von Caruso zu Meredith, zum hilflos lauschenden Simon und zurück. Meredith versteht.

»Sag mal Simon, kommst du 'ne Weile allein klar?« ruft sie zu ihm herüber, worauf er fast alles fallen lässt, und ertappt auf der Stelle herumtänzelt, der inkompetenteste Spion der Welt. Er wedelt in alle Richtungen, weist mit je einer Handvoll in Papyrusimitat gebundener Karten von Tisch zu Tisch zu Theke und reißt die Augen auf.

»Was? Wer, ich? Klar! Ja, nee, na klar, Merry, kein Problem. Gar kein Problem.«

»Sauna?« fragt Meredith leise.

»Sauna«, bestätige ich.

Caruso grunzt zufrieden.

»Och, nee«, stöhne ich, als Caruso zum ich weiß nicht wievielten Mal die Milchglastür der Aufgusssauna aufstößt, zwei Schritte zum Eisbrunnen im Vorraum neben dem Durchgang zu den Duschen nimmt und die Wodkaflasche aus dem gefrorenen Gebrösel hervorknirscht.

»Nun wein mal nicht, kleiner Mann«, tut er samten als er wieder eintritt. »Gibt ja schließlich was zu feiern heute.«

Er schenkt in der schummerigen Hitze des Schwitzraumes unsere Gläser voll, wirft die Flasche in so leichtsinnigem Bogen zurück in das in die Wand eingelassene Becken voller Crushed Ice, dass mir kurz die Kehle krampft und schließt die Tür hinter sich. Wir glänzen buttern nackt in der vertäfelten Finnenhölle. Caruso, stolz türmend in seinem Sanctum Sanctorum, gleich neben dem Elektroofen mit den glühenden Saunasteinen, den Kopf fast bis unter die Decke gereckt, Meredith und ich auf den hölzernen Bänken keuchend, sie weiter unten, näher zur Tür, ich auf einem der oberen Plätze in der Ecke, da wo die Hitze sich sammelt, wo die Büßer sitzen.

»Auf Flex, unseren neuen Herrn Oberforstbaddirektor«, hebt Caruso albern feierlich sein Glas. Ich habe es aufgegeben, mich über seine dusseligen Trinksprüche aufzuregen. Wenigstens drückt er dieses Mal nicht wieder seinen Dank an Klamm für dessen spontanen Abgang aus. Manchmal weiß ich auch nicht, dieser Kerl...

»Auf Flex«, sagt Meredith.

»Ach Scheiße«, sage ich und versuche den widerlich puffig-scharfen Absolut Vanille in einem Sturz zu schlucken, ohne dass er mir gleich wieder hochkommt. Wie kann man nur so einen Fusel saufen? Meredith schüttelt sich wohlig. Caruso zischt grinsend. Ich unterdrücke ein Würgen. Schnaps ist einfach nichts für mich. Normalerweise trinken wir ja keinen Hartalk, wenn wir uns mal wieder, wie so oft, nach Badeschluss in der verlassenen Sauna treffen, es sei denn, Walter und Saskia sind dabei, aber Caruso und Meredith haben, nachdem ich ihnen ausführlich von meinem plötzlichen Termin in der Verwaltung erzählt hatte, zur angeblichen Feier des Tages darauf bestanden. Alkohol in der Sauna, nach Dienstschluss nachts im Betrieb herumgeistern, wenn das Bürgermeister Marther wüsste. Ja, doch, es hat tatsächlich seine Vorteile, hinter den Kulissen zu arbeiten.

»Das war jetzt aber echt der letzte«, versuche ich resolut zu klingen, wenig überzeugend. »Ich will morgen bei dieser bekackten Versammlung nicht in den Seilen hängen, an meinem ersten Tag als, als... Außerdem hab ich noch gar nichts gegessen heute Abend.«

Caruso lacht schnaufend durch die Nase. »Kein Wunder, dass du aussiehst wie 'ne Teewurst für Veganer. Nicht immer nur Schwimmen und Radfahren wie ein Idiot, Flex, auch mal ordentlich was hinter die Kiemen stopfen.«

Er löst seinen Zopf, schüttelt die geölte Wasserstoffperoxidmatte, dann sammelt er unsere Gläser ein, stellt sie vorsichtig in einem winzigen Türmchen neben sich auf den Boden und kichert erneut.

»Das erinnert mich an den Spruch vom ollen Klamm, immer wenn wir mal am Grillen waren oder so und alle so richtig schmerzbefreit zugelangt haben.«

»Fressen wie die Pferde und arbeiten wie die Ponys«, leiern Meredith und ich im Duett und wir lachen wie die Teenager. Älter geht’s ja nicht. Ich muss an die erste Begegnung zwischen Klamm und Meredith vor fünf Jahren denken, als sie die Gastronomie im Forstbad übernahm und erneut heulen wir durchs stille dunkle Bad, als ich nachmache, wie Meredith auf Klamms Spruch, dass sie ja super deutsch spräche, mit einem knochentrockenen »Sie aber auch« reagierte.

Caruso setzt sich ans andere Ende von Merediths Bank, lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und schließt die Augen. Stummes, wohliges Brüten. Neunzig Grad Celsius, Minutenfrieden. Meredith verschränkt die Beine im Lotussitz und streckt und biegt sich sehnig. Ich versuche, ihr nicht zu auffällig auf die Brüste zu glotzen. Wir sind hier schließlich unter Freunden. Da geiert man nicht. Da hab ich meine Prinzipien.

»Mmmhhh...«, macht sie und gähnt genüsslich. »Mir reicht's jetzt allerdings auch. Ist bestimmt schon nach zehn. Ich geh mal rüber und helf Simon, klar Schiff zu machen und dann muss ich zu Hause bestimmt wieder Lily vom PC losmeißeln.«

Die Kämpfe zwischen Meredith und ihrer dreizehnjährigen Inkarnation sind legendär. Wahrscheinlich sind sich die beiden einfach zu ähnlich und hängen zu sehr aneinander, um dauerhaft zur Ruhe zu kommen. Familien... Ich möchte Meredith umarmen und für alles danken. Dafür, wie bedingungslos und tief sie ihre Tochter liebt und wie die beiden alles füreinander tun. Dafür, wie klar sie ist und stark. Dass wir befreundet sind. Caruso kommt mir zuvor.

»So einfach verdrückt ihr euch hier nicht, ihr Deserteure. Einen letzten Aufguss noch, für die nötige Bettschwere«, verfügt er mit erhobenem Zeigefinger und rauscht erneut aus dem Schwitzraum. Die Tür schließt sich schmatzend hinter ihm. Meredith stützt die Ellenbogen auf die Schenkel und ruht ihr Kinn in den Handflächen.

»Meinst du, die machen das Bad dicht, Flex?« fragt sie leise. Im Gegensatz zu Caruso, der die Zusammenfassung meines Gesprächs mit Bürgermeister Marther und Tante Heidi mit der üblichen nonchalanten Flapsigkeit aufgenommen hat, wirkt Meredith weitaus grüblerischer. Sie hat zuviel erlebt, um sogenannten Autoritäten zu vertrauen. Vor allem hier in Schweigen.

»Kann ich mir nicht vorstellen«, sage ich und weiß doch nicht, ob ich es wirklich so meine. Ich reibe mir den Nacken, verteile glitschigen frischen Schweiß der nach nichts riecht. »So eine Riesenkiste wie die hier, das wär ja totaler Wahnsinn. Das wird schon irgendwie weitergehen.«

»Ja, aber was könnte ein privater Betreiber denn groß anders machen, als die Gemeinde? Das ergibt doch wirtschaftlich keinen Sinn, Flex.«

Ich tue so, als würde ich nachdenken. Ich will aber gar nicht nachdenken. Ich will noch nicht mal über die ganze Scheiße reden. Weiß ich doch nicht. Weiß ich doch alles nicht!

»Ach Merry, jetzt mach dir mal nicht so 'nen Kopf...« floskele ich als die Tür auffliegt und Caruso, beladen mit einem kleinen Bottich, Saunakelle, Plastikschüsselchen und einem um den Nacken gelegten Saunatuch hereinkommt.

»Genau, Merry,« orgelt er und stellt seine Utensilien ab. »Immer geschmeidig bleiben und einfach mal abwarten. Amok laufen können wir immer noch.«

Wie so oft, bin ich ein wenig unsicher, ob er scherzt oder nicht. Caruso greift den Bottich in eine Hand, tunkt die hölzerne Kelle hinein und rührt glücklich.

»Jetzt gibt’s erstmal schick was auf die Drüsen. Anis!« intoniert er und gießt drei Kellen voll Wasser mit aromatisiertem Aufgusskonzentrat versetzt über die glühenden Steine. Der Dampf brüht über uns, verheißungsvoll nach Jahrmarkt duftend. Caruso stellt Bottich und Kelle beiseite und wedelt mit dem Saunatuch wie ein wahnsinnig gewordener Waldteufel über dem Ofen, über seinem Kopf, faltet dann den Stoff auf und schlägt die herrlich quälende Hitze vor uns ab. Ich schnappe vergeblich nach Luft. Mein linkes Ohrläppchen schmerzt, als der Ohrring darin zu schmelzen scheint. Meredith kauert sich zusammen, ihr Rücken zuckender Glanz. Wir wimmern ein wenig während Caruso die Prozedur zweimal wiederholt, dann das Schüsselchen ergreift und mit einer Hand darin gräbt. Salz. Der Kerl versteht sein Handwerk.

»Und noch was feines für die Schwarte«, freut er sich und hält mir die Schüssel unter die Nase. »Das reißt nochmal so richtig die Poren auf und ist außerdem ein super Peeling.« Ich nehme mir eine Handvoll Salz und verteile es über meine Arme, meine Brust, meinen fischigen Bauch, nehme noch etwas und reibe es über meine Beine. Über meine Schultern und Nacken. Kleine Kristallblitze fressen sich in meine Haut, reinigen mich, salben mich mit klebrigem Biss.

»Hast du da was reingemischt?« frage ich schnüffelnd.

»Zitronenmelisse.« Er dehnt das Wort gourmant, klatscht mir eine Pranke seiner Rezeptur auf den Rücken und rubbelt auf mir herum, als wolle er mich gerben. »Und eine Winzigkeit Honig.«

Meredith greift ebenfalls zu, reibt sich von oben bis unten ein, nur ihr Gesicht aussparend.

»Riecht nach Halsbonbons für Senioren«, murrt sie halbherzig und neigt sich ein wenig vor, während Caruso ihr, über sie gebeugt, sorgfältig den Rücken einreibt. Und reibt. Und reibt.

»Sag mal, werd ich hier jetzt gepökelt?« schimpft sie nach einer Weile und blinzelt unter ihren Dreadlocks hervor. »Und fahr gefälligst den Zauberstab ein, du pimmelgesteuerter Barbar!«

Erstaunt stelle ich fest, dass Caruso zusammenzuckt und sich seiner verschämt im anschwellen begriffenen grobädrigen Erektion ein wenig zu genieren scheint.

»Kannste ja als Kompliment auffassen«, murmelt er verlegen, rubbelt sich das Salz über die Brust und dreht sich hilflos hierhin und dorthin.

Meredith schüttelt den Kopf, seufzt, steht auf und streckt sich.

»Bis demnächst, Jungs. Ich geh duschen«, sagt sie und fügt im Vorbeigehen an Caruso hinzu. »Kalt! Solltest du vielleicht auch tun.« Caruso, die Schüssel in der Hand, blickt ihr unglücklich nach. Ob das zwischen den beiden irgendwann mal etwas wird? Ach, was weiß ich denn. Ist mir jetzt auch zu verstiegen. Ich denke an Maike. Maike geht nie mit mir in die Sauna. Maike mag keine Schwimmbäder.

»Jetzt denkt sie wieder, ich will nur das Eine von ihr«, brummt Caruso und bläst verächtlich Zigarettenrauch durch die Nase in die Nacht.

»Na ja«, sage ich vorsichtig. »Die Signale, die du da vorhin gesendet hast könnte man ja durchaus dementsprechend interpretieren.«

Caruso legt den Kopf in den Nacken und sinnt stumm den Schweigener Sternenhimmel an, der sich über das Forstbad wirft. Wir sitzen auf der Bank beim Kinderplanschbecken und blicken über die Liegewiese. Die kleine Rutsche kauert wie ein verlassenes Dinosaurierbaby im flachen Wasser vor uns. Der Schiffchenkanal gurgelt leise. Der Matschspielplatz duftet schlammig. Nach der Hitzeorgie in der Sauna ist die milde Nacht nahezu erfrischend. Verlassen rauscht das Freibad um uns. Ich genieße die Stille, die bedrückende Magie eines leeren Ortes, der sonst vor Leben wimmelt. Es ist, als wenn ein nächtliches Geheimnis das Dunkel durchstreift und die von Gewimmel verschmutzte Atmosphäre durchlüftet, umgeht, Frische bereitet für den neuen Tag. Eine bedächtige, ewige Mühle. So kann es bleiben. Jeder, der diesen Beruf wählt, weil er angeblich gern mit Menschen umgeht, wird bestätigen, dass die besten Zeiten, die kraftvollsten Momente jene sind, wenn von Menschen weit und breit nichts zu sehen ist und friedliche Verlassenheit herrscht.

»Signale!« knurrt Caruso und zermalmt seine Kippe am Betonsockel der Bank. »Was kann ich denn dafür wenn mein Körper mich im Stich lässt? Ich bin doch kein Fakir oder so was, dass ich die totale Kontrolle über meinen Organismus hätte.«

»Solange dir so was nicht im Dienst passiert«, versuche ich einen schlaffen Scherz, bringe Caruso jedoch damit erst so richtig auf Touren.

»Sag mal, zweifelst du hier etwa meine nötige professionelle Distanz gegenüber unseren Gästen und Schutzbefohlenen an?«

Ich wedele abwehrend mit den Händen und beschließe, ihn noch ein bisschen zu piesacken.

»Nee, nee, Caruso. Ich weiß doch, dass du Saunadienst immer nur streng nach Dienstanweisung machst.«

Die da nämlich vorsieht, dass wer die Sauna bedient, dies niemals nackt, sondern mit um die Hüften geschlungenem Saunatuch tut. Giftgrün natürlich, wie der Rest der Dienstkleidung. Frauen dazu mit passendem Bikinitop, sonst droht die Abmahnung und, schlimmer, ein wirrer Vortrag von Tante Heidi. Und Caruso, der es sonst nicht so mit Regeln hat, achtet schärfstens darauf, dass in seiner Sauna alles vorbildlich läuft.

»So ist es, mein lieber Flex«, grollt er. »Dienst ist Dienst und... ach, Scheiße was!«

Er stützt das Kinn in eine Pranke und stiert vor sich hin.

»Caruso«, sage ich leise, vorsichtig und lege ihm eine Hand auf die Schulter. »Wie lange kennt ihr euch schon, Merry und du? Vier Jahre oder wie lange du jetzt in Schweigen bist? Glaubst du echt, die weiß dich nicht zu nehmen?«

»Genau das frage ich mich«, nuschelt er und schielt mich von der Seite an. »Ehrlich, Flex, ich hab keine Ahnung wie sie mich eigentlich sieht. Ich mein, ich hab ja mittlerweile fast schon akzeptiert, dass sie nichts als Mann für mich empfindet. Oder als Frau... ach, egal, du weißt schon!«

Ich setzte zu einer Antwort an aber er fährt mir fast priesterlich streng über den Mund.

»Und dann sag ich mir, gut, Caruso, sie will nix von dir, raff es endlich und gib auf. Ihr seid gute Freunde, sei dankbar dafür. Außerdem, da lass uns mal ganz ehrlich sein, Flex, sind wir ja von Frauen umgeben in diesem Job. Da ist doch nichts leichter, als sich, ähm, abzulenken, wenn man will. Und man guckt und macht vielleicht ein bisschen rum, jaja, aber das hilft alles nichts. Dann denk ich an Merry, ganz allein mit ihrer Tochter, wie sie sich den Arsch aufreißt, damit das Kind es gut hat und wünsche mir so sehr, an ihrer Seite zu sein. Für sie da zu sein. Miteinander. So etwas kenne ich gar nicht von mir, Flex. So was, so...«

Caruso reißt sich das Zopfgummi vom Kopf, wühlt sich durch die Mähne und bindet sorgfältig die ganze Pracht erneut zusammen. Dann faltet er die Hände im Schoß, lehnt sich zurück und starrt ins Dunkel. Er riecht nach Kokosöl. Ich möchte ihn umarmen, kann es jedoch nicht. Caruso ist so etwas wie mein bester Freund. Um genau zu sein, sind er und Meredith und meine einzigen Freunde. Abgesehen von Maike natürlich, aber das ist etwas anderes. Doch egal, wie gut ich ihn kenne, egal, was wir schon alles gemeinsam erlebt haben (Saufen, Partys, Leben retten...), es sind diese wenigen, emotionalen Eruptionen, in denen ich mich ihm so richtig verbunden fühle und doch gleichzeitig am deutlichsten merke, dass immer noch irgendetwas zwischen uns steht und die letzte wahre Nähe zwischen uns verhindert. Wahrscheinlich ist es seine Intensität, die mich überfordert. Ich bin nicht stark wie Meredith. Nicht aufgeräumt und organisiert wie Maike. Oder der Mann. Der bin ich schon gar nicht. Ich bin bloß Flex, leider. Oder wie man's sieht.

»Ja, aber hast du ihr das denn auch mal erzählt?« frage ich sachte nach einer Weile.

»Flex!« fährt er auf. »Jetzt werd aber mal nicht kompliziert, verdammt noch mal...!«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich etwas in der Ferne am Rande des Schwimmerbeckens bewegt, wie ein gemächlicher Nebel, bloß solider, fast schimmernd. Ein Eisen, ein Rauch, ein Mondlicht.

»Was ist das denn?« flüstere ich und springe auf.

Caruso wirrt den Blick hin und her.

»Was denn?« fragt er und wächst neben mir in die Höhe.

Der Schemen wandert weiter, verschwindet hinter einem üppig wuchernden Pflanzbeet, erscheint erneut unmittelbar am Beckenrand und tritt durch den schwachen Lichtschein einer der Laternen am Aufsichtsturm. Jetzt kann ich die Gestalt eindeutig ausmachen. Solide.

»Ein Kind!« rufe ich und renne los, springe über ein Durchschreitebecken, sprinte am Nichtschwimmerbecken vorbei, stürze fast die kurze Treppe neben dem Aufsichtsturm hinunter und hetze am Beckenrand des in der Nachtluft leise dampfenden Schwimmerbeckens auf und ab. Nichts.

Ich laufe zur Stirnseite des Beckens, da wo ein weiteres Beet die Grenze zum Sprungbecken bildet, suche den Beckenboden ab, zu dunkel, renne zum Sprungbecken, rufe: »Hallo?«

Brülle: »He, hallo!«

Nichts.

Caruso kommt stampfend neben mir zum Stehen.

»Was ist denn los?« keucht er, die Augen wild.

»Ein Kind!« rufe ich erneut. »Da war ein Kind.«

Ich renne die Treppe hinauf, fummele meine Schlüssel aus der Hosentasche und schließe den Aufsichtsturm auf. Im Dunklen durchwühle ich sämtliche Schubladen nach einer Taschenlampe, werde fündig hinter dem Verbandskasten und einem Stapel Kicker-Heften (Walter, alte Schule, stimmt schon...), stürme die Treppe runter und leuchte immer auf und ab trabend sämtliche Becken ab.

Nichts.

»Flex«, ruft Caruso.

Ich ignoriere ihn. Laufe. Leuchte. Suche.

»Flex«, sagt Carsuo sanft und dreht mich an der Schulter herum zu sich. »Flex, jetzt beruhig dich doch mal. Da war nichts.«

Ich sehe ihn keuchend an, meine Lungen brennen, mein Bauch sticht, meine Kehle hämmert. Ich sage nichts.

Da war nichts.

Scheiß Wodka. Ich will schlafen.

Gut Nass

Подняться наверх