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Dienstag: Der Ruf des Nestes

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Gierig leere ich eine 1,5-Liter-Flache Volvic mit nur dreimal Ansetzen bis es in mir schwappt und prallt. Das Stacheln in meinem Kopf lässt ein wenig nach. Holm-Rüdiger Andersens Deodorant geistert noch schwach golden durch den Raum. Verdammt, ich kenn den Duft, aber ich komm einfach nicht drauf! Riecht auf jeden Fall nach Gewinner. Nach Tempo. Ich dämmere vor mich hin, wippte sachte im Drehstuhl, um mich die beruhigende Anonymität und nackte Zweckmäßigkeit von Klamms Büro. Abwaschbar beige und grau, praktisch, unpersönlich. Nicht ein Foto, keine Pflanze, noch nicht einmal die Schreibtischunterlage ist bekritzelt, nichts. Auch gut, muss ich wenigstens keine Sentimentalitäten wegräumen. Kann so bleiben.

Nachdem Tante Heidi und Bürgermeister Marther gegangen waren, um bei Meredith für Samstagabend das Lokal zu buchen, wischte und tippte Holm-Rüdiger Andersen mit diesen langen biegsamen Fingern auf seinem iPad herum und bat mich, sich sämtliche Dienstpläne aller Mitarbeiter der letzten Jahre von Klamms, nein, meinem Laptop darauf ziehen zu dürfen, damit er sich am Abend in seiner Pension schon einmal einen ersten Überblick über die bisherige Personalplanung verschaffen könne. Nach einigem Gefummel und dem üblichen Kompatibilitätsscheiß klappte das sogar, woraufhin er sich verabschiedete, schließlich müsse ich ja Gelegenheit bekommen, wie er meinte, mich in Ruhe zu akklimatisieren. Dann kündigte er sich zu meinem Entsetzen voller Eifer für morgen sechs Uhr zum Beginn der Frühschicht an, was natürlich bedeutet, dass ich auch da sein werde, obwohl ich eigentlich eher eine Mittelschicht für meinen ersten offiziellen Arbeitstag als Betriebsleiter eingeplant hatte, und verschwand, wie ein rauschend heißer Windstoß.

Ich klicke mich dumpf durch die Dateien auf dem Laptop, kann mich jedoch nicht konzentrieren. Meine Gedanken sind sandig mürbe vor lauter Evolution und langsam abebbendem Wodkaschmerz und gleichzeitig bin ich fahrig wie ein panisches Insekt. Fühlt sich eigentlich gar nicht schlecht an. Sollte ich vielleicht tatsächlich der Richtige sein, wie Bürgermeister Marther behauptet? Könnte dies wirklich der Moment sein, an dem ich meine Aufgabe finde? Ist das hier jetzt mein Ding, oder was? Warum nicht? Was der alte Klamm konnte krieg ich locker hin und wenn alles glatt läuft mit der Übernahme durch Holm-Rüdiger Andersens komische Firma da und ich mich bis dahin nicht zu doof anstelle, dann könnte doch noch richtig was draus werden aus dieser Geschichte.

Aus einem Impuls narzisstischen Enthusiasmus heraus, rufe ich das Email-Programm auf, richte mir unter Abgleich der Daten auf meinem iPhone mit einiger Mühe und Zeitaufwand mein Dienstkonto auf dem Laptop ein und schreibe an den Mann:

Alles gesund? Wie schön. Hier auch. Das Unglaubliche ist geschehen. Karriere. Wenn man die unverhoffte Beförderung auf den Posten als Chef vom Forstbad Schweigen so bezeichnen möchte. Wer hätte das gedacht? Ich nicht.

Gruß,

Felix

Ich prüfe noch einmal, ob Laptop und Smartphone auch den Postausgang synchronisieren, fahre dann den Computer herunter, überlege kurz, ob ich noch einmal zu Caruso in die Sauna gehe, dem Halunken, oder vielleicht ein paar Bahnen schwimmen soll. Schwimmen klingt gut. Schwimmen hilft. Hart schwimmen. Qual beruhigt. Ich rolle mich im Drehstuhl vom Schreibtisch zurück und packe meine Sachen zusammen. Doch der Ruf des Nestes zerrt an mir. An meiner Eitelkeit. Ich sehe auf die nüchterne Wanduhr. Gleich zwanzig nach fünf. Müsste passen. Ich greife zum iPhone und versuche Maike zu erreichen, lande jedoch in ihrer Mailbox.

»Ahoi, Käpt'n, hier ist Flex! Wollte dir nur kurz Bericht erstatten. Heute war nämlich so eine ad hoc Personalversammlung und meine offizielle Ernennung zum... ach, egal jetzt, kann ich dir ja am Wochenende zu Hause erzählen. Ähm, ja, pass schön auf dich auf in der großen Stadt, Käpt'n. Ich freu mich schon darauf, dich wiederzusehen. Hab dich lieb.«

Flex, du Charmeur! Wahrscheinlich sollte ich doch mal an meinem Stil arbeiten, damit ich nicht immer klinge wie ein stotternd verliebter Pubertist auf der Konfirmandenfreizeit.. Ich zögere kurz, dann wähle ich Maikes Festnetznummer in Bremen. Vielleicht lädt sie ja gerade ihr Handy auf und kann deswegen nicht drangehen.

»Hallo? Wer is'n da?«

Ach du Scheiße, der Künstler. Christian, Christoph, oder so ähnlich. Und, so wie es sich anhört, wieder zugekifft bis in die letzte Synapse.

»Äh, hi, Christoph, hier ist Flex.«

»Christoph? Wer is'n Christoph? Hier ist Bendedikt.«

Ach, genau. Benedikt! Wusste doch, dass es irgendwas Heiliges war.

»Ja, Mensch, Benedikt! Moin, hier ist Flex!«

»Hmmm?«

Ich werfe die Badelatschen ungeduldig von mir und lege meine Füße auf den Schreibtisch neben das Laptop. Nicht schlecht. Kann man so machen.

»Flex«, erkläre ich geduldig. »Hier ist Flex. Felix. Der Freund von Maike.«

»Ach Felix, du bist das!« ruft Benedikt vollkommen überrascht. »Wart mal kurz. Bleib dran!«

Ich höre ihn durch die Wohnung trampeln. Es räumt, hustet und rasselt für eine stattliche Minute im Hintergrund, mehrere männliche Stimmen röhren und lachen durcheinander, dann ist Benedikt wieder da.

»Hallo? Felix? Sorry, ich komm grad rein. Hab mit ein paar Kumpels meinen ganzen Kram aus dem Atelier hier rüber geschafft. Bin da ja rausgeflogen, Scheiße. Muss ich erstmal hier im Wintergarten was machen bis ich was Neues finde, wo ich in Ruhe arbeiten kann.«

»Oh, das tut mir leid. Hör mal ist...«

»Felix, der Glückliche.«

»Äh, wie bitte?«

»Dein Name. Heißt doch so, oder nicht? Der Glückliche.« Benedikt kichert heiser. »Aber, ach nee, warte mal, du hast doch da diesen komischen Spitznamen den Maike so bescheuert findet. Wie war der noch? Phönix?«

»Flex«, murmele ich und frage mich zum tausendsten Mal, wie Maike und ihre Mitbewohnerin Katja (Maja? Vaja?) es bloß mit diesem Knallkopp aushalten.

»Flex!« ruft Benedikt begeistert. »So war das! Flex! Cool. Cool. Cooler Name, Alter. Klingt so richtig geschmeidig. Biegsam. Wie heißt das noch... elastisch? Alter, glücklich und geschmeidig zugleich, das ist doch wohl geil.«

»Ja, danke. Sag mal ist Maike auch da? Ich hab versucht, sie auf ihrem...«

»Von wo rufst du denn an?« fragt Benedikt. »Aus'm Kindergarten?« Er kriegt einen hechelnden Lachanfall.

»Benedikt, hey, hallo, Benedikt!« werde ich lauter. »Gib mir doch mal bitte Maike, wenn sie da ist.«

»Da schon wieder!«

Ich atme zweimal tief durch. »Was denn?« frage ich verzweifelt.

»Kinder. Immer wenn du was sagst, hör ich im Hintergrund 'ne Kinderstimme. Hast du Kinder, Phönix? Da hat Maike gar nichts von erzählt.«

»Nee, hab ich auch nicht«, antworte ich leise. Kinderstimmen? Was hat der bloß geraucht? Ich denke kurz an die letzte Nacht mit Caruso im Freibad. Ist hier Woche der minderjährigen Halluzinationen oder was?

»Ist sie jetzt da oder nicht?«

»Das fragen Vaja und ich uns mittlerweile auch jeden Tag«, grunzt Benedikt. Vaja! Richtig!

»Wie meinst du denn das, Benedikt?« Ich nehme die Füße vom Tisch und setzte mich aufrecht hin.

»Boah, Phönix, sag doch mal diesem Gör da bei dir es soll nicht immer dazwischen quatschen! Man kann dich ja kaum verstehen.«

Im Bremer Hintergrund scheppert es, mehrere Stimmen brüllen durcheinander und Benedikt schreit irgendeinen Tom an, gefälligst mit der Skulptur aufzupassen.

»Sorry, da bin ich wieder«, nuschelt er. »Ja, also, wie gesagt, wir haben uns auch schon gewundert, wofür Maike eigentlich noch ihren Mietanteil ablatzt wo sie ja seit ein paar Wochen oder so kaum noch hier ist. Also, vor allem nachts jetzt, so wie ich das mitkriege.«

»Wie bitte? Was soll das denn heißen? Nachts? Wo ist sie denn?«

Benedikt prustet schwer geplagt.

»Das geht mich doch nichts an, Mann! Privatsphäre und so. Muss man respektieren.«

Das hat doch alles keinen Sinn mit dem Typen. Am Besten, ich versuche später noch einmal, Maike zu erreichen.

»Äh, ja wenn du sie heute noch sehen solltest, bestell ihr mal einen schönen Gruß von mir und sag ihr doch bitte, dass ich angerufen habe. Ich probier's sonst auch einfach noch mal auf dem Handy.«

»Wann bist du denn mal wieder in Bremen, Phönix? Du wolltest mir doch mal beibringen, wie man richtig krault.«

»Klar, kriegen wir hin, Benedikt«, wimmele ich ihn ab. »Aber jetzt muss ich dringend los, sorry, mach's gut.«

Das wird ja immer seltsamer. Wo bist du, Maike? Und vor allem, wo bist du nachts? Ich drehe mich langsam im Stuhl um die eigene Achse. War das bloß dusseliges Gerede von diesem Wirrkopf Benedikt oder verheimlicht Maike mir etwas? Ist doch alles gut zwischen uns. Alles wie immer, oder? Außer, dass wir uns seltener als sonst gesehen haben in der letzten Zeit, weil sie so oft Wochenenddienst in der Wohngruppe hat. Aber das kommt ihr ja auch zugute in ihrer Ausbildung. Das Furzgeräusch meines iPhones reißt mich aus meinem Gedankengenage. Eine Email. Vom Mann. Immer noch Frühaufsteher, selbst in den Tropen.

Wenn ich deine kryptische Botschaft richtig deute, darf man wohl gratulieren. Sollte dies allerdings bedeuten, dass du entgegen all meiner (zugegeben äußert schmalen) Hoffnung in diesem Job hängen bleibst, spare ich mir die Glückwünsche lieber bis zu einem ausführlichen, klärenden Gespräch zum stets spannenden Thema deines Lebensentwurfes. Morgen Abend 23.00 Uhr Skype. Deine Zeit, wohlgemerkt! Nicht wieder verwechseln, wie letztes Mal!

Und danke der herzlichen Nachfrage, mein Sohn. Es geht mir in der Tat gut.

Keine Floskel zum Abschied, noch nicht einmal eines dieser blöden Kürzel. Nur die Signatur darunter:

Alexander Freiwaldt

Head of PR and Communication

Tyler & Tyler Creative Solutions

Singapore

So ist er, der Mann. Und fast fühle ich mich wieder wie damals, als ich mit einem Aufsatz nach Hause kam, der meiner Lehrerin eine glatte Eins wert war, an dem ihm jedoch die naive Erzählperspektive und die zu wenig stringente Tonalität nicht gefiel. Die Frau lebte da, glaube ich, schon gar nicht mehr.

Mein Bart juckt. Ich habe in meinem Leben noch keinen Bart gehabt. Schon gar nicht so ein übles ZZ Top Monstrum. Und dann noch rot. Oder schwarz oder was das sein soll. Selbst wenn ich wollte, ich könnte mir keinen Bart wachsen lassen. So was gibt meine spärlich milchig-braune Gesichtsbehaarung gar nicht her und die Hormone, manchmal weiß ich auch nicht... Und doch liebe ich meinen Bart, bin ich mein Bart. Ich will wohl so sein, gut soll es sein. Das Forstbad duckt sich unterm silberschweren Spätherbsthimmel. Nass und schlapp von zaghaft tauendem Reif liegt die Wiese im Mittag, die Luft droht mit Schnee oder mindestens Graupel, kahl und skelettiert schweigen die Bäume im Kreis umher. Warm und verheißungsvoll glüht es durch die Fenster des Hallenbades am Rande der Liegewiese. Ich schwitze in meinem dicken Pullover und dem schlotterigen Blaumann, meiner Arbeitskleidung für einen Tag im Freibadteil außerhalb der Saison, harke das Laub auf der Wiese zu Wällen und Haufen bis der Rasen glänzt und die Hände leise schmerzen. Allein. Wie ich das liebe! Ich werfe den Laubkratzer in meine Schubkarre und steige den Wall hinauf, um zwischen den Eichen einen Platz zum Pinkeln zu suchen. Die Lautsprecheranlage bratzt und Klamms Stimme brüllt durchs menschenleere Bad: »Nie den Rücken zum Becken, Felix! Am Gefährlichsten ist es immer wenn kein Betrieb ist im Bad und alle sich sicher fühlen!« Ich wirble herum, und stehe plötzlich am Sprungturm. Vom Aufgang zum Dreier und weiter hoch zum Fünfer tropft mir Wasser ins Gesicht. Tiefgrün von Algen schwappt das um zwei Fliesen breit abgesenkte Beckenwasser, die L-förmig eingehängten Eisdruckpolster klopfen kanonisch an den Kanten, noch ist alles eisfrei um diese Jahreszeit aber sicher ist sicher und überhaupt kann sich das nächtlich ändern. Caruso zerrt mich am Bart und wirbelt mich sachte schmerzhaft an sich, dreht mein Gesicht zum Wasser. »Ist ja irre, Flex!« lacht er und umfasst mich. »So was Abgefahrenes gibt’s nur hier in Schweigen!« Auf dem Wasser treiben Topfdeckel, hunderte, und Dinge, die aussehen wie Schilde aus einem Ritterfilm, Töpfe und Klingen. Wieso schwimmt der ganze Mist denn oben? So ein Quatsch! Ich reiße mich von Caruso los und sehe, dass die Treppen zum Sprungturm sich vor Menschen fast durchbiegen. Beide Einer, beide Dreier und der Fünfer, alles wimmelt von triefenden Badegästen. In dieser Kälte? Wer hat die Durchgänge vom Hallenbad nach hier draußen aufgelassen? Ich reiße mich von Caruso los und renne an den Beckenrand, schreie gleichzeitig vom Aufsichtsturm durch die Lautsprecheranlage: »Achtung, eine Durchsage, der Freibadteil ist geschlossen, bitte verlassen sie unverzüglich die Becken und suchen das Hallenbad auf.« Körper prasseln juchzend von den Sprungbrettern und Plattformen, wälzen sich träge zwischen dem auf dem Wasser treibenden Metall, es scheppert, es klatscht fleischig, während ich hilflos am Sprungbecken auf und ab renne und versuche, die illegalen Besucher zur Ordnung zu rufen. Ich suche Caruso, gerade eben stand er doch noch hier, dann sehe ich, wie er mit einer Gruppe weißhaariger Frauen seelenruhig plaudernd seine Bahnen im Schwimmerbecken zieht. Könnten auch Schwäne sein oder Papierreste. »Achtung, eine Durchsage«, lautsprechert eine Stimme aus der Ferne, es ist natürlich meine. »Die Freibadsaison ist zu Ende, bitte verlassen sie die Schwimmbecken, ansonsten sehen wir uns gezwungen ein allgemeines Hausverbot auszusprechen.« Ich kauere über dem nicht angeschlossenen Mikrofon im Aufsichtsturm während ich auf der Wiese mit meinem Laubrechen angewidert einen stetig wachsenden Berg Haare zusammenkratze und mit einem Käscher versuche, die Metallteile aus dem Sprungbecken zu fischen, zum Schutz der Springer. Klamm brüllt: »So wird das nie was, Felix!« Ich suche die Schilder, um die Sprungtürme abzusperren und rufe nach Caruso. Zwei dicke Jungen springen zwischen auf dem Wasser treibende Messer, Kirchenglocken und Schneebesen. Caruso sagt: »So ist das richtig. Wir, für uns.« Mein Laubrechen verfängt sich in meinem Bart. Ich rupfe und reiße tanzend, dann stürze ich ins feuchte Gras, platsche zwischen die Topfdeckel im Sprungbecken und falle völlig schmerzfrei aber umso schwindeliger die Treppe zum Aufsichtsturm hinunter. Auf dem Rücken liegend blicke ich in den Schneehimmel. Klamm türmt über mir, meinen amputierten Bart in der Faust, zischt verächtlich und schwimmt in den Wald.

Gut Nass

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