Читать книгу Der lange Weg nach Alt-Reddewitz - Ulfried Schramm - Страница 5

DER LANGE WEG NACH ALT-REDDEWITZ II

Оглавление

Kahlischs Kunst trug die ersten Früchte. Er bekam die besondere Gelegenheit, seine Tuschezeichnungen von Alt-Reddewitz in einer Personalausstellung zu zeigen. Interessierte Menschen würden kommen und seine Bilder sehen.

Der kleine Raum im Jagdschloss hatte die richtige Größe für seine erste Ausstellung. Der Gedanke, seine Kunstwerke öffentlich zu zeigen, beflügelte ihn bei sämtlichen Vorbereitungsarbeiten.

Den Ausstellungsraum kannte er bereits. Er hatte zwei Renaissancefenster, die Decke lief in der Mitte spitz zu und endete an zwei runden Pfeilern in den Seitenwänden. Die Tür war dick und massiv in einem gewölbten Rahmen. Man konnte auch etwas in der Mitte des Raumes platzieren. Kahlisch dachte an die schöne, große Figur, die in seiner Küche stand. Eine Madonna-Skulptur, die er aus einem ganzen Holzblock gefertigt hatte. Sie eignete sich gut, um mit den Tuschezeichnungen an den Wänden zu korrespondieren.

Kahlisch kaufte Bilderrahmen und legte einige Zeichnungen mit Passepartout ein. Das sieht gut aus, sagte er laut zu sich selbst und eine feine innere Stimme antwortete: Wow, Kahlisch, du könntest jetzt ein bisschen Gas geben, oder die Skier etwas nachwachsen oder mit Leichtbenzin fahren, oder, oder, oder … denn der lange Weg erfordert Speed, Speed, Speed …

Die Tuschezeichnung vom alten Gehöft in Alt-Reddewitz mit der Esche im Vordergrund und dem weiten Blick über den glitzernden Bodden war ihm grafisch gelungen und hatte den stärksten Ausdruck. Man blickte so auf das Bild, dass man die kleine Erhebung im Gelände spürte, auf der er damals gestanden und diese Zeichnung angefertigt hatte. Man sah den alten Bauernhof. Seitlich davon hingen die Fischernetze zum Trocknen, daneben lag ein umgelegtes Holzboot im Gras. Bäume und Sträucher säumten den Eschehof ein.

Auf dem Bild waren seine Tuscheflecken mit feinen Linien und Strichen so verbunden und dargestellt, das sein künstlerischer Duktus gut zu sehen war. Ein passender Bilderrahmen brachte den letzten Schliff.

Zur Eröffnung gab es Sekt, eine Lobrede, Kunstbetrachtungen und persönliche Gespräche mit den Besuchern.

Kahlisch war mit dieser Ausstellung an einem guten Anfang für sein künstlerisches Schaffen. Es sollte für ihn damit weitergehen, er wollte im kreativen Tun keine Pause eintreten lassen.

Hey, Kahlisch, sagte seine innere Stimme da zu ihm. Dein Typ ist jetzt gefragt, mach dich auf den Weg. Merkst du nicht, wie du es in der Hand hast, endlich deinen immer wieder hoch kochenden Kunstsinn sprudeln zu lassen? Die Leute wollen mehr sehen von dir …

Ja, murmelte Kahlisch, ich mach was d’raus, schöpferisch soll es bei mir werden.

Im Außengelände des Jagdschlosses entdeckte Kahlisch an alten Gemäuern hochrankende Pflanzen, seltene Blatt- und Blütenformen, die er zeichnen konnte. Dabei spürte er eine Symbiose in der Darstellung von Pflanzen und Gegenständen. Es entstanden Zeichnungen mit Liniengeflecht und Schnittpunkten.

Kahlisch arbeitete nicht mehr mit Tusche, sondern benutzte einen dicken schwarzen Faserstift. Langsam tastete er sich an die äußeren Strukturen des kleinen Kräuterbeetes heran und übertrug diesen Sinneseindruck auf den Zeichenkarton und malte sogar blind weiter. Das war ein besonderer Reiz für sein künstlerisches Wollen. Er zeichnete damit – die Wirklichkeit vor Augen – seine Bilder in großer, künstlerischer Freiheit.

Das liebte Kahlisch besonders. Es ergaben sich Gebilde in feinsten Strukturierungen. Später setzte er mit farbigen Wachsmalstiften einen individuellen Farbeindruck hinzu, der ebenfalls seiner künstlerischen Freiheit entsprach. Das Gesamtbild verdichtete sich und Kahlisch erntete dafür Aahs und Oohs.

Na, geht doch, flüsterte es in ihm, willst doch ein freier Künstler werden, gell!

Nach der Ausstellung war bekanntlich vor der Ausstellung, und so ging es für Kahlisch in eine neue künstlerische Herausforderung.

Er versuchte sich als Bildhauer bei seinem Freund, dem Steinmetz.

In Sandstein formte er seine erste Figur. Beim Schlagen in den Stein nahm er die

Körperformen eines Eisbären wahr. Der Rücken und der vorgestreckte Kopf des Tieres waren gut zu erkennen. Der Eisbär stand auf einem Eisblock, den Kahlisch gleich als Sockel für die Skulptur nutzte.

Der lange Weg nach Alt-Reddewitz setzte sich fort und Kahlisch bekam neue künstlerische Eindrücke für seinen Werdegang im letzten Abschnitt seines Lebens.

Künstler sind Menschen, die etwas in sich tragen, für das sie noch kein sichtbares, hörbares, greifbares Gegenüber gefunden haben. Bildet sich der Drang, diesem Erleben eine Form, einen sinnlichen Ausdruck zu geben, dann entsteht Kunst, las Kahlisch in der Monatszeitschrift einer Kunstschule.1 Mit diesen Gedanken ging er dort an die neue Arbeit.

Es entstanden unter seinen Händen kleine Skulpturen, fest montiert auf Kirschholzblöcken. Kahlisch erkannte das zündende Kunsterlebnis aus Alt-Reddewitz wieder, wenn er auf seine gesägten, geschliffenen, polierten Arbeiten schaute.

Kunst kommt aus der Finsternis ans Licht, das hatte er bereits beim Malprozess in Alt-Reddewitz erkannt. Im Artikel der Zeitschrift las er weiter: …es geht im künstlerischen Prozess nicht, wie so oft angenommen, um ein Reproduzieren einer gelernten, erübten Fähigkeit, sondern um das Ringen im Ausdruck eines Geheimnisvollen, eines Unaussprechlichen, von dem auch der Künstler zunächst nichts weiß. Erst der künstlerische Akt bringt es hervor, macht sichtbar, hörbar, greifbar, auch für den Künstler selbst …2

Kahlisch hatte in letzter Zeit genügend künstlerische Anregungen bekommen, um auf eigenen Beinen stehen zu können. Das Machen sollte nun sein Lebensinhalt werden. Er wollte sehen, was in ihm steckte, wollte sichtbar machen, was er noch nicht von sich kannte, wollte andere Menschen teilhaben lassen an seinen kreativen Kunstschöpfungen.

War das Leben schön.

Schweb nicht gleich weg, bleib auf dem Teppich, hol dir den Most da, wo Bartel ihn holt, erklang es etwas frostig aus seinem Inneren. Übrigens ist der lange Weg nur so lang, wie du ihn dir machst.

Im Sommer fand er, wonach er suchte. Es gab ein Kloster an einer einsamen Flussbiegung, mit weitläufigen Gartenanlagen, alten Klostermauern, kleinen Kräutergärtchen, vielen Blumen und Gehölzen. Die Ruhe in der Klosteranlage und der ehrwürdige Ort zogen Kahlisch magisch an. Er erhielt die Unterstützung, um hier zu arbeiten. Mit einer eigenen Ausstellung und einer Kunstwerkstatt für interessierte Menschen erfüllte sich für Kahlisch der lange künstlerische Weg nach Alt-Reddewitz. Später bekam er die Referenz, diese Kunstwerkstatt im nächsten Jahr zu wiederholen.

Das Gehöft von Alt-Reddewitz mit der großen Esche wurde zu Kahlischs Piktogramm für seine Kunst.

Seine innere Stimme kicherte ein wenig dazu, und sagte verschmitzt: Na, ich hab dich doch gut beraten, oder?

1 Quelle: Zeitschrift info 3, Sonderheft April 2005, Suche nach Authentizität, Bildhauerei an der Edith Maryon Künstlerschule Freiburg/Munzingen, Geleitwort

2 Quelle: Zeitschrift info 3, Sonderheft April 2005, Suche nach Authentizität, Bildhauerei an der Edith Maryon Künstlerschule Freiburg/Munzingen, Geleitwort

Der lange Weg nach Alt-Reddewitz

Подняться наверх