Читать книгу Reformatorische Theologie im 21. Jahrhundert - Ulrich H. J Körtner - Страница 6
|7| Vorwort
ОглавлениеWas haben wir unter reformatorischer Theologie zu verstehen, und welche Potentiale bietet das Erbe der Reformation für unsere Gegenwart? Diese Fragen stellt das vorliegende Bändchen weniger in historischer als in systematischer Absicht. So notwendig es zunächst ist, sich historisch über das Grundanliegen der Reformation, ihrer inneren Einheit und Vielfalt zu verständigen, geht es im Folgenden doch nicht in erster Linie um eine kirchengeschichtliche Bestandsaufnahme, welche die Sache fachlich Berufenerer ist, sondern um systematisch-theologische Zugänge zu der Gedankenwelt der Reformatoren des 16. Jahrhunderts. So sehr die Reformation auch die Moderne vorbereitet hat und bis heute prägt, so sehr ist das reformatorische Erbe gravierenden Transformationsprozessen ausgesetzt, in denen Versuche einer Neuaneignung reformatorischen Denkens Erscheinungsformen der Distanzierung und Fremdheitserfahrungen gegenüberstehen. Ist für die einen das theologische Erbe der Reformation die Norm ihres eigenen Denkens, so für andere Gegenstand der Kritik, wobei die Theologie der Reformatoren nicht nur zwischen den Konfessionen, sondern auch innerhalb des Protestantismus dem Konflikt der Interpretationen ausgesetzt ist.
Reformatorische Theologie, wie der Begriff hier gebraucht wird, ist nicht mit der historischen Rekonstruktion der Theologie der Reformatoren oder einer Quersumme ihres Denkens zu verwechseln, auch nicht mit einer ungeschichtlichen Wiederholung theologischer Lehraussagen des 16. Jahrhunderts. Gemeint ist vielmehr eine gegenwartstaugliche Theologie, die sich an den grundlegenden Einsichten der Reformation orientiert. Eine sich an der Reformation orientierende Theologie ist von der Überzeugung getragen, dass die Werke eines Luther, eines Zwingli, eines Melanchthon oder eines Calvin unserer Gegenwart Maßgebliches zu sagen haben und auch für uns eine Schule theologischer Urteils- und Kritikfähigkeit sind. Reformatorische Theologie in dem hier in Rede stehenden Sinne lässt sich freilich nur so treiben, dass die Sachanliegen der Reformation in anderen Worten als denen des 16. Jahrhunderts formuliert werden, während die bloße Wiederholung reformatorischer Theologoumena in der Gefahr steht, die Sache der Reformatoren zu verfehlen. Jeder Versuch einer Neuformulierung reformatorischer Grundgedanken stellt ein Wagnis dar, ist aber aufgrund des hermeneutischen Problems aller Theologie eine unabweisbare Aufgabe.
|8| Die vorliegende Skizze reformatorischer Theologie geht davon aus, dass die Lehre von der bedingungslosen Annahme und Rechtfertigung des Gottlosen und die aus ihr abgeleitete Kirchenkritik nicht der alleinige Inhalt, wohl aber das theologische Zentrum der Reformation ist. Nach einem einleitenden Kapitel zum Begriff des Reformatorischen wird darum zunächst nach der Bedeutung der Rechtfertigungslehre für unsere Gegenwart gefragt. Die Rechtfertigungslehre aber ist als Freiheitslehre zu verstehen, deren Impulse und Implikationen für das Freiheitsproblem in der Moderne im dritten Kapitel diskutiert werden. Maßstab und Quelle christlichen Glaubens und Lebens aber ist nach reformatorischem Verständnis die Bibel, verstanden und gelesen als Heilige Schrift, weil in ihr das gewiss machende Evangelium von der bedingungslosen Rechtfertigung des Gottlosen ursprünglich und maßgeblich bezeugt wird. Das reformatorische Schriftverständnis und seine Bedeutung für die Gegenwart sind Gegenstand des vierten Kapitels. Überlegungen zum Verhältnis von Reformation und Moderne im fünften Kapitel sollen meine Skizze reformatorischer Theologie abschließen.
Der Einladung der Herausgeber, den Eröffnungsband für die neue Folge der Theologischen Studien zu schreiben, bin ich gern gefolgt. Ihnen danke ich ebenso herzlich wie meinem Mitarbeiter Mag. Felix Hulla, der mit bei den Recherchen behilflich war und das Manuskript sowie die Druckfahnen Korrektur gelesen hat. Auch Herrn PD Dr. Andreas Klein danke ich herzlich für seine Unterstützung bei den Korrekturen.
Wien, im April 2010
Ulrich H. J. Körtner