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Prolog

Hör nicht auf die Welt,

die Welt ist verloren.

Bewahre das Glück in Deinem Herzen.

Der liebe Herrgott wird mir diesen blasphemischen Titel wohl verzeihen, denn er weiß, dass der Nächste auch ein Esel sein kann. Mit diesem Titel und dieser Schrift trete ich bewusst nicht in Konkurrenz mit dem unvergleichlichen Werk von Desiderius Erasmus. Der Bezug ergibt sich, wenn man geneigt ist, Eselei mit Torheit gleichzusetzen. So jedenfalls wurde meine Wanderung durch die Cevennen in Begleitung eines Esels und eines kleinen, 4 Monate alten Hundes während und nach der Reise gelegentlich mehr oder weniger direkt ironisch von einigen Weggefährten, Freunden und Artgenossen kommentiert.

Gleichwohl bekenne ich mich dazu, mich über viele Dinge etwas großzügig hinwegzusetzen, auch über die spöttischen Schmähungen meiner Freunde. Ich hatte den Entschluss zu dieser Wanderung gefasst und sie mit großem Vergnügen durchlebt. Zudem halte ich es für unsinnig, etwas zu beurteilen, das man nicht kennt, wie zum Beispiel das Wandern mit einem Esel.

Diese Großzügigkeit, sich über so manche Spitzfindigkeit hinwegzusetzen, erlaube ich mir auch in vielen anderen Dingen. Ich bin mir bewusst, mich auch bei bestimmten Redewendungen in den Augen gestrenger Kritiker nicht auf korrekten sprachlichen Bahnen zu bewegen. Das fängt schon bei dem Titel an, denn der müsste korrekterweise heißen: Liebe deine Eselin wie dich selbst, denn es war ein weiblicher Reisebegleiter – ach –, Verzeihung, eine weibliche Reisebegleiterin. Das war mir dann doch etwas zu holprig. Diese korrekte Differenzierung, Polarisierung, oder auch Diskriminierung der Geschlechter ist ja groß in Mode. Da heißt es, wie aktuell zu Wahlzeiten: Liebe Freundinnen und Freunde, oder je nach politischer Couleur: Liebe Genossinnen und Genossen. In der Kirche heißt es: Liebe Christinnen und Christen, und ich denke, es dauert nicht mehr lange, bis ich die Wendung: Liebe Menschinnen und Menschen, vernehmen werde.

Neuerdings hat man als Kürzel wieder eine neue Formalie erfunden, eine Verschmelzung der genderspezifischen Unterschiede. Jetzt sagt man: Liebe Freund:innen. Dabei fällt mir ein, dass wenn es den Begriff Freund:innen gibt, müsste es doch vielleicht auch einen Freund:außen geben. Aber die richtigen Gender∙pro∙viel∙List:innen sind ja auf einem guten Weg. „Frau Lehmann“, „Frau Müller“ und „Frau Schneider“, das geht ja gar nicht und wäre es nicht auch ein großartiger Erfolg für die Gendergerechtigkeit, wenn man die Stadt Mannheim in Menschheim umbenennen würde, oder die Amerikaner davon überzeugen könnte, den New Yorker Stadtteil Manhattan in Humanhattan umzubenennen?

Wie auch immer. Es ist schon putzig, was im Zusammenleben von Menschen als wichtig erachtet wird. Immerhin wird die Genderdebatte an dem Artikel festgemacht, der männlich, weiblich oder sächlich sein kann und so verfängt sich so manche Argumentation an dem Artikel eines bestimmten Begriffs.

Der Geist ist männlich, so, als hätten Frauen keinen Geist. Das sollte doch die Feministinnen dieser Erde auf den Plan rufen. Ich kenne viele sehr intelligente und geistvolle Frauen. Also reden wir von dem weiblichen Geist, aber das ist ein Widerspruch in sich, ein männlicher Artikel gepaart mit dem Adjektiv „weiblich“. Das Problem löst eigentlich nur ein weiblicher Ausdruck für den „Geist“, z. B. die Geistin.

Hallo, liebe Emmas dieser Welt. Wie gefällt euch das? Die Vernunft ist weiblich, die Weisheit ist weiblich, ebenso wie die Anmut. Ist das nicht wundervoll. Da sollten die männlichen Wesen neidisch drauf sein. So etwas gibt es nur in der deutschen Sprache. Sie verführt dazu, den geschlechtsbezogenen Artikel einer Sache dem jeweiligen Geschlecht zuzuordnen. Auf jeden Fall und das möchte ich an dieser Stelle nachdrücklich betonen, bevor man mich bezichtigt, ein Macho zu sein, es käme mir nie in den Sinn, einem Esel einen weiblichen Artikel zu verpassen.

Was ich aber befürchte, ist, dass zukünftig die genderbezogenen Artikel verschiedener Begriffe verändert werden, die einen negativen Inhalt haben, z. B. die Hinterlist, die Feigheit, die Dummheit, die Eifersucht, die Niedertracht usw. Dann werden die Frauen darauf dringen, diese Begriffe mit einem männlichen Artikel zu versehen. Den Männern wird das nicht gefallen und sie werden dafür plädieren – um des lieben Friedens willen –, diesen Begriffen einen sächlichen Artikel zu verpassen. Das wird dann das dritte Geschlecht auf den Plan rufen, die für sich auch einen eigenen, den sächlichen Artikel beanspruchen. Dann haben wir ein echtes Problem der Gendergerechtigkeit, das erst durch tiefgreifende Reformen der deutschen Sprache gelöst werden könnte.

Das, was mich bei dieser intellektuellen Blödelei eigentlich bewegt, ist die Erkenntnis, dass uns als Gesellschaft diese geschlechtliche Polarisierung sehr geschadet hat. Die sogenannte Genderkonformität, die unter dem Begriff „Gendergerechtigkeit“ völlig überhöht wird, ist gesellschaftlich die größte Eselei, die wir nicht nur den Feministen und Feministinnen zu verdanken haben. Alleine die Umstellung des Begriffs „Studentenwerk“ in „Studierendenwerk“ hat die Universität Heidelberg nach Auskunft von Insidern 800.000 € gekostet. Da kann man schon ins Grübeln kommen, wenn man dieses Ereignis auf alle Begriffe hochrechnet, die in der Öffentlichkeit, Ämtern und Behörden im Laufe der Zeit im Sinne der Genderkonformität umgestellt worden sind. Das betrifft aber nur die materielle Konsequenz. Viel nachhaltiger ist die ideelle, die gesellschaftliche Konsequenz. Sie geht einher mit einem Werteverfall, mit einer Paralysierung der kommunalen Gemeinschaft, und erodiert damit zutiefst nicht zuletzt den wichtigsten Träger der sozialen Gemeinschaft, die Familie.

Einfach gesagt umfasst der Begriff: Wähler, Arbeiter, Polizisten, Studenten, Christen und was auch immer, die Gemeinschaft einer Gruppierung, die als Gemeinschaft eine viel stärkere Gruppierung darstellt als die geschlechtsspezifische Betonung der jeweiligen Gruppe. Für mich ist die Ansprache eines Pfarrers erbärmlich, der seine Gemeinde mit „Liebe Christinnen und Christen“ anspricht, im Vergleich zu „Liebe Christen“, als Ausdruck der Gemeinschaft von Männern und Frauen, Kindern und Großeltern, Witwen und Waisen, die zusammenstehen und zusammenhalten, als den Begriff einer sozialen Gemeinschaft, unabhängig von dem jeweiligen Geschlecht, der sozialen Stellung und dem persönlichen Schicksal jeder einzelnen Person. Solche sozialkritischen Gedanken, geneigter Leser, die mich auf meiner Wanderung des Öfteren beschäftigen, werde ich in meinem Reisebericht mit einfließen lassen.

Liebe deinen Esel, wie dich selbst

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