Читать книгу Liebe deinen Esel, wie dich selbst - Ulrich Hilgenfeldt - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Heute Früh bin ich so gegen 7 Uhr aufgestanden und habe geduscht. Die Dusche hatte keinen Vorhang und der Duschgriff keine Wandhalterung. Das Wasser war leidlich warm, aber es ergoss sich aus verschiedenen Ritzen des Griffs, weil der Duschgriff gesprungen war. Also musste man den Griff festhalten, um nicht noch vom Griff geduscht zu werden. Das Frühstück war spartanisch, aber es musste ja nicht immer ein Ei geben, zumal ich morgens in meinem alltäglichen Leben eigentlich nie gefrühstückt habe. Eine Scheibe Baguette, etwas Butter und Orangenmarmelade waren schon in Ordnung. Die Hauptsache, es gab genügend Kaffee mit Milch, Café au lait. Der war zwar auch nicht der Hochgenuss, aber auch das ist etwas, was mich nicht aus der Fassung bringt. Nach dem Frühstück bewegte mich dann noch die Frage, wie ich zu meinem Esel kommen würde. Auf dem Hof vor dem Hotel war kein Esel zu sehen. Mein Versuch, Gilles Becaud mit dem Handy anzurufen, der in meinen Reiseunterlagen als Vermieter des Esels mit einer Telefonnummer aufgeführt war, entpuppte sich als Reinfall. Da meldete sich keiner. Ich fragte eine ältere Frau an der Rezeption, wie ich denn nun zu dem Esel käme, die mir daraufhin etwas in geschliffenem Französisch erklärte, das ich nicht verstand. Ich konnte aber aus ihrer unaufgeregten Rede entnehmen, dass schon alles in Ordnung sei. Gegenüber von dem Hotel befand sich ein Supermarkt und ich beschloss, mich in der Zwischenzeit etwas mit Brot, einer Wurst, Tomaten und Wein zu versorgen. Nobby hatte ich vor dem Geschäft angebunden. Das gefiel ihm gar nicht, denn ich hörte ihn gelegentlich bellen. Als ich nach wenigen Minuten den Laden wieder verließ, wartete vor dem Hotel bereits der Transporter mit dem Esel. „Gilles“ entpuppte sich als Frau im mittleren Alter. Als ich mein Gepäck aus dem Wagen holte, galt ihre Sorge meinem Auto und der Frage, ob man es hier auf dem Platz stehen lassen könne. Sie rief bei jemandem an, wahrscheinlich ihrem Mann, und erklärte ihm ihr Problem. „Mais oui, il est une Porsch(e)“, kommentierte sie aufgeregt. Dann schlug sie mir vor, ihr den Autoschlüssel zu überlassen. Sie würde dafür sorgen, dass das Auto an eine sichere Stelle gebracht würde, wenn es erforderlich wäre. Mich überraschte es schon etwas, dass man hier wegen eines 18 Jahre alten Porsches so viel Aufhebens machte.
Nachdem ich mein Gepäck in dem Lieferwagen verstaut hatte, Nobby wurde auf der Rückbank platziert, fuhren wir aus der Stadt hinaus zu einer Stelle, die an einer Pferdekoppel lag. Hier wurde der Esel entladen. Nobby bellte aufgeregt und dann erklärte mir „Gilles“, wie man dem Esel das Zaumzeug anlegt, die Satteldecke und das Gerüst für die Satteltaschen mit dem Gepäck belädt. Schließlich erklärte sie mir, wie der Esel zu pflegen sei. Wie bereits erwähnt, entpuppte sich der Esel als Eselin mit Namen Lisette, nicht Modestine wie bei Stevenson. Mein Nobby stand auf der Mauer längs der Pferdekoppel und beobachtete alles mit Ungeduld. Von der Koppel kamen zwei Pferde angelaufen, die sich auch für uns und den Hund interessierten.
Nachdem das Gepäck verstaut war, verabschiedete ich mich von „Gilles“, und dann machte ich mich mit Nobby an der einen Seite und Lisette an der anderen Seite mit Leine auf. Ich wusste zunächst nur, dass unser Tagesziel Chaudeyrac hieß. Man hatte mir zwar eine Karte mitgegeben, aber eine genaue Wegbeschreibung hatte ich nicht. So war der erste Reisetag ein Erlebnis gemäß des Musters „trial and error“. Am Ende wurden aus einer Tagestour von 12 km vielleicht 22 km. Anfangs scheuchte ich meine kleine Reisetruppe über eine Autostraße, wobei ich Nobby als Erstes von der Leine nahm. Er erwies sich als sehr folgsam, immer wenn ein Auto kam und ich ihn rief, stand er neben mir. Das mit dem Esel war am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, denn der Esel wollte nur halb so schnell laufen wie ich. Irgendwie dachte ich dann, dass es kein Vorteil ist, einen Esel das Gepäck tragen zu lassen, denn die Kraft, die andere dazu brauchen, um ihr Gepäck zu tragen, benötigte ich, um den Esel zu ziehen. Nach einer halben Stunde kreuzte der offizielle Wanderweg meine Straße. Von weitem sah ich eine Gruppe Eseltreiber auf diesem Weg laufen und war von da an auf der richtigen Route. In St. Flour-de-Mercoire hatte ich gegen Mittag eine größere Eselwandergruppe eingeholt, von der ich einige wichtige Informationen erhielt. Der Wanderweg hieß GR70 und ist mit einem weißen und roten Strich gekennzeichnet. Das war es, was mir bisher gefehlt hatte.
Die Gruppe machte in dem Dorf Rast und ich wanderte von da an mit meiner kleinen Truppe weiter. Das Wetter entwickelte sich traumhaft. Der Pullover war schnell ausgezogen und dann folgte meine Regenjacke. Die Sonne schien. Es war leicht bewölkt und als ich mein Problem mit meinem Esel leidlich gelöst hatte, konnte ich mich auch in der Landschaft umsehen. Lisette war eigentlich ein gutmütiger Esel. Eine Tüte Möhren als Reiseproviant tat da das Übrige, so dass ich schnell Lisettes Vertrauen gewonnen hatte. Auf einer Anhöhe mit Blick über die Felder wurde Rast gemacht. Ich packte Nobbys Proviant aus, doch dann zeigte sich, dass sich Nobby mehr für meine Salami interessierte und Lisette mehr für mein Baguette als für das umliegende grüne Gras. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass wir dabei waren, zu einer Reisegemeinschaft zusammen zu wachsen. Ich war dabei zu akzeptieren, dass Lisette keine konstante Reisegeschwindigkeit vorlegt, mal schnell lief und mal langsam. Was ich nicht akzeptieren konnte, war, wenn Lisette einfach stehen blieb. Dann schaute ich, was ihr fehlte, waren es die Fliegen, die sie quälten oder ein besonders grüner Grasfleck in der Nähe? In meiner Ungeduld und eingedenk des ersten Reisetages habe ich dann unter Einsatz meines Körpergewichts Lisette an der Leine hinter mir hergezogen, habe freundlich auf sie eingeredet, ihr eine Möhre ins Maul geschoben und sie nach besten Kräften gelobt und schließlich hat mir das Tier dann immer wieder den Gefallen getan und ist weitergelaufen. Dieses Tier hatte schon etwas Faszinierendes. Es trägt mein ganzes Gepäck. Das sind 10 kg links und 10 kg rechts und außer einem Schnauben und einer gelegentlichen Störrigkeit ist sie die Sanftmut in Person. Nobby hat sich nach seiner anfänglichen Aufregung auch schnell an die Situation gewöhnt und läuft mal links und mal recht, mal vorne und mal hinten, oder unter Lisette durch und wenn uns gelegentlich Wanderer mit Hunden begegnen, rennt er auf sie zu, um sie zu begrüßen. Abgesehen von einem temperamentvollen, schwanzwedelnden Gebell nervt er sie nicht und kann sich auch schnell wieder von den Wanderern lösen, die unsere Wege kreuzen.