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Vorwort

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Im Oktober 2012 jährte sich der zehnte Todestag und damit nahezu zeitgleich der 65. Geburtstag von Kemal Kurt.

Gut zehn Jahre nach seinem Tod hält meine Trauer um Kemal Kurt immer noch an. Nehme ich allein die miteinander verbrachte Zeit zum Maßstab, würde ich es nicht wagen, unsere Beziehung im umfassenderen Sinne mit „Freundschaft“ zu kennzeichnen – wiewohl das weite Herz von Kemal das vermutlich längst nicht so eng gesehen hätte und wir beide schon auf einem guten Weg dahin waren. Jedenfalls habe ich ihn als freundlichen und mir zumindest freundschaftlich verbundenen Kollegen erlebt, der stets auf die Balance achtete und neben der Darlegung eigener Anliegen eher mehr als weniger die Rolle eines empathischen Zuhörers und Nachfragers eingenommen hat. Ein wenig davon zurückzugeben ist nicht zuletzt das Anliegen dieser Veröffentlichung.

Je nach Betrachtungsweise – das Glas halbvoll oder halbleer – finden sich im Internet (bereits) postume Zeugnisse, die in englischer, deutscher und türkischer Sprache nicht zuletzt das Wirken eines großartigen Verständigers zwischen verschiedenen Sprach- und Lebenswelten herausstreichen. (Siehe hierzu auch das von der Erbengemeinschaft eingerichtete Internetarchiv www.kemalkurt.de.) Das Schöneberg Museum in Berlin betreut den literarischen Nachlass und das Deutsche Literaturarchiv in Marbach verfügt über einen umfangreichen Bestand seiner literarischen Werke. Jenen Teil seines Nachlasses an 20000 Fotografien, der sich im engeren Sinne mit dem Thema Migration befasst, betreut das in Köln ansässige Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. (DOMiD), und dank seiner Nachlassverwalterinnen stand und steht noch heute die von Kemal Kurt selbst mit Fotos und Gedichten konzipierte Wanderausstellung "menschen.orte" für Präsentationen zur Verfügung. Doch noch gibt es keine den Namen verdienende Monografie zu Leben und Werk dieses Ausnahmekünstlers, dessen vielfältige Kreativität zwar viele Jahre lang sehr präsent war und auch mit Preisen ausgezeichnet wurde, dem aber – zu Unrecht! – der „Durchbruch“ als Bestsellerautor zeitlebens versagt blieb. Mit diesem E-Book, das seinen Namen im Titel trägt, soll nun ein wenn auch kleiner Anfang gesetzt werden, der hoffentlich andere ermutigt und ermuntert, sich noch weit erschöpfender als ich es vermag, mit Kemal Kurt und der nach wie vor virulenten Strahlkraft seiner literarischen wie fotografischen Arbeiten auseinanderzusetzen. Was ich seinerzeit selbst konkret über ihn und sein Werk zu sagen wusste, findet sich hier in den beiden angefügten Kapiteln mit meinen Nachrufen und Rezensionen, denen ich jeweils zum Kapitelanfang – wie auch den Briefen unter I. BRIEFE noch einige editoriale und persönliche Anmerkungen vorangestellt habe. Den Titel gebenden Kern dieses E-Books bilden jedoch fünf Briefe von Kemal Kurt an mich. Als „freier“ Schriftsteller sehr beansprucht – durch das parallele Schreiben an kleineren und größeren Projekten, aber auch durch zahlreiche Lesungen und Studienaufenthalten im In- und Ausland – blieben nur wenige Gelegenheiten zum direkten Gedankenaustausch. Daher unsere Anfang 2001 gemeinsam getroffene Verabredung, neben dem üblichen Hin und Her an Telefonaten und Emails ein tiefer schürfendes Kennenlernen mittels „echter“ Briefe als Email-Datenanhang zu versuchen. In zwanzig, dreißig Jahren aus einem entsprechend angewachsenem Konvolut dann womöglich sogar einen „Briefwechsel“ à la Thomas Mann und Hermann Hesse veröffentlichen zu können, war dabei durchaus im Gespräch – scherzhaft, denn das schien uns beiden zwar wünschenswert, in Wirklichkeit aber so fern, wie einmal gleich den angesprochenen Vorbildern den Nobelpreis zu erlangen. Wie so oft im Leben kam es dann ganz anders. Bereits sein fünfter und letzter Brief vom 2. Juli 2001 datiert nur ein Jahr vor seinem Tod: Er wollte, er musste sich unbedingt Zeit freischaufeln für seinen historisch angelegten und in Englisch verfassten „Tulpen-Roman“ – das Drittelfragment einer 400-seitigen Rohfassung so gut wie ausgearbeitet, ist Kemal Kurt kurz vor der Vollendung einer Krebskrankheit erlegen. Doch gerade die Qualität des Vorhandenen dürfte zugleich das größte Hindernis sein, diesen Roman jemals dank einer kongenialen Nachbearbeitung fertig gestellt zu sehen, denn neben der Vielsprachigkeit – Kemal Kurt sprach und schrieb u.a. ein exzellentes Englisch, das selbst mit Idiomen aus dem 18. Jahrhundert vertraut war – setzte dies auch umfassende Kenntnisse des Handlungsortes Istanbul bzw. Konstantinopel voraus. „Schreiben auf Deutsch war für mich immer eine Fronarbeit“, meint Kemal Kurt gleich zu Anfang des ersten Briefes – eine Aussage, die meinem Erleben seiner mündlichen Gewandtheit und der Lektüre seiner wunderbar ausformulierten Romane und Kindererzählungen geradezu kokett zu widersprechen schien. Doch bezog sie sich nicht auf das Ergebnis, sondern eben auf den zeitlichen Aufwand seines Schreibens in deutscher Sprache. So waren in den hier vorgestellten Briefauszügen auch nur sehr wenige Flüchtigkeitsfehler zu korrigieren, und seine zuweilen eigenwilligen Satzumstellungen habe ich bewusst erhalten, weil sie einerseits seine Anstrengung um Verständlichkeit in der ihm fremden Sprache, aber auch sein kreatives Temperament dokumentieren. In seinen fünf Briefen erzählt er ausführlich u.a. von seinen Eltern und der Kindheit, von Auswanderungswellen in die Türkei und seiner letzten Reise in die USA, und er erläutert seine Haltung zu Religion, speziell zum Alewitentum, sowie zum Begriff „Heimat“, dem er in „Was ist die Mehrzahl von Heimat?“ ja ein viel beachtetes Buch gewidmet hatte. Auch der Auslöser für diese Briefe, nämlich sein immer stärker empfundener Zeitmangel, spiegelt sich in ihnen mehrfach wieder. Umso dankbarer war und bin ich dafür, ihr Adressat gewesen zu sein – noch dazu als einer der wenigen, der derart ausführlich in deutscher Sprache überhaupt welche von ihm erhalten hat.

Ulrich Karger, Berlin, im Januar 2013

Briefe von Kemal Kurt (1947-2002)

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