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Berlin-Schöneberg, den 1. Februar 2001

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Lieber Ulrich,

Du machst wirklich Nägel mit Köpfen. Kaum hatten wir darüber gesprochen, schon fand ich Deinen ersten Brief im Kasten. So muss man es auch machen, sonst verschiebt man es auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Erst wollte ich Dich um eine Gnadenfrist bitten, wo ich doch jetzt gerade allmählich ein wenig zu mir komme und mich vor dem Amerika-Aufenthalt unbedingt um den Wiedereinstieg in meinen Roman kümmern möchte, damit die Zeit dort wirklich produktiv wird. Irgendwann muss ich ja mit diesem Roman fertig werden. Aber gut, warum nicht jetzt schon auf kleiner Flamme anfangen, damit die Sache wenigstens ins Rollen kommt.

Also ich war fest entschlossen, Dir schon am Wochenanfang zu schreiben, da kam der Nord-Süd-Verlag mit einer Übersetzung eines weiteren Eisbär-Buches dazwischen.

[..] Sich einfach mal von Freund zu Freund, von Kollege zu Kollege austauschen. Ich verspreche mir davon, mich mit existenziellen, beruflichen und privaten Themen auseinanderzusetzen, für die man sich sonst die Zeit und die Muse nicht gönnt. Die schriftliche Ausdruckweise wird, denke ich, für eine gewisse Verbindlichkeit und Sorgfalt und tiefer gehende Reflexionen sorgen. Unbedingt sollten die Briefe in zwei Richtungen gehen. Auch Du hast für Dich einen Weg gewählt, der meinem sehr ähnelt, indem Du, anstatt in Deiner schönen, malerischen bayerischen Heimat zu leben, es vorgezogen hat, Dich im grau-kalten Preußenland niederzulassen. Auch Du plagst Dich wie ich mit einer undankbaren schriftstellerischen und darüber hinaus literaturkritischen Tätigkeit. Wie kamst Du darauf? Die Gründe hierfür, Dein Weg dahin, schreien danach, erzählt zu werden. Fang an! Über manche Themen wie Religion hast Du Dir bestimmt viel mehr Gedanken gemacht als ich. Für mich war das praktisch kein Thema – Du wirst Dich wundern, wie wenig ich darüber weiß.

Zeitlich gesehen hat die Sache für mich einen Haken. Schreiben auf Deutsch war für mich immer eine Fronarbeit. Es fließt alles nicht so schnell und gut ausformuliert wie bei Dir aus meiner Feder / meinem Cursor, sondern braucht viel Zeit und Konzentration, verbraucht viel Energie. Ich muss sie ja erstmal haben, von meiner täglichen Arbeit bleibt nicht viel davon übrig. Keinesfalls darf ich zulassen, dass ein fälliger Brief mich innerlich unruhig macht und bedrängt mit der Folge, dass ich eine andere angefangene Sache schluderig mache. Also ich plädiere dafür, keine zeitliche Grenzen zu setzen. Ein Brief muss warten können, bis Zeit und Muse dafür da ist. Wir dürfen einen eine Weile liegengebliebenen Brief nicht als eine Störung empfinden.

Briefe von Kemal Kurt (1947-2002)

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