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Am folgenden Samstag feierten wir zwar keine weitere Party, aber wir hatten wieder einen Gast. Der blieb dafür gleich eine ganze Woche. Obwohl Carla ständig Gäste um sich herumhaben konnte, war der Fall diesmal etwas anders gelagert. Unser Gast war Lenas schwarzer Mischlingshund Nelson. Unsere Tochter, sie wohnte seit einem halben Jahr in einer Zweizimmer-Wohnung in Friedrichshain, war mit ihrem neuen Freund nach Barcelona geflogen und Nelson war für Städtebesuche nicht geeignet.

Nun war es so, dass Carla für alles Mögliche einen Sinn hatte, ausgenommen waren nur ein paar ganz unwesentliche Dinge…und Hunde. Meine exklusive Zuständigkeit für Nelson drängte sich geradezu auf. Der Hund schien das geahnt zu haben. Um halb acht holte er mich an diesem Samstagmorgen mit seiner warmen, schleimigen Zunge aus dem Tiefschlaf. Der faulige Geruch verschiedener Fleisch- und Fischsorten führte dazu, dass ich nur Sekunden später hellwach war, was mir an anderen Sonntagen noch nicht einmal bis zum Nachmittag gelingen wollte. Ein paar Augenblicke später saßen wir nebeneinander im Bad, ich auf dem Klo und Nelson auf den mattgrauen Fliesen neben mir. Mit den kräftigen, nicht ganz taktfesten Schlägen seines buschigen Schwanzes bewegte er Carlas verchromte Klobürstenhalterung an der gefliesten Badezimmerwand entlang und irgendwann kippte sie um. Mein Blick klammerte sich wie jeden Morgen auf dem Klo an die stahlgebürsteten Badregale und ich realisierte ein weiteres Mal, wie sich Zeiten geändert hatten. Vor 25 Jahren, ich dachte oft an die Zeit vor Carla zurück, waren meine Badezimmereinrichtungen immer schlicht und spartanisch gehalten. Meistens saß mir Frank Zappa gegenüber. Nackt und auch auf dem Klo. Es war mein Lieblingsposter. Ich schleppte es damals in jede WG mit und platzierte es im Badezimmer; wenn es irgendwie ging, direkt gegenüber dem Klo. Seit ich mit Carla zusammenwohnte, starrte ich nur noch auf Feuchtigkeitscremes, Bodylotionen, Haarkuren, Schminkpinselchen, Mitesserspiegel und Puderdosen. Das Badezimmerinterieur, inklusive der sorgfältig aufeinander abgestimmten Handtuchfarben, violett oder meeresgrün, entsprang allein Carlas ausgeprägtem Gestaltungsdrang. Ihr Schlüsselwort war Feng Shui. Feng Shui war ein Eckpfeiler von Carlas Lebensphilosophie und beherrschte fast alle Zimmer unserer Wohnung. Als sie Feng Shui zum ersten Mal erwähnte, glaubte ich, es handele sich um ein chinesisches Dosengericht wie Chop Suey oder Nasi Goreng. Das war zu kurz gedacht, Carla reagierte pikiert. Feng Shui ist Leben auf anderen Ebenen, wie sie mir auf meine vorsichtige Nachfrage hin in einem zwanzigminütigen Referat erklärte, obwohl fünf bis sieben Minuten völlig ausgereicht hätten. Der Mensch hat Einfluss auf seine Umgebung, aber die Umgebung hat auch Einfluss auf den Menschen, war die Botschaft, die ich mitgenommen hatte.

»Gehst du zu OBI, Sweety?«, grunzte Carla verschlafen, als ich nach dem Duschen im Schlafzimmer erschien, um mich anzuziehen.

»Es ist noch nicht mal neun Uhr. Was soll ich um diese Zeit bei OBI? Ich gehe zum Bäcker.«

»Nimm bitte den Köter mit, ja? Der muss unbedingt raus.«

»Was glaubst du, warum ich jetzt schon zum Bäcker gehe, Carla? Nur wegen Nelson.«

Wie zur Bestätigung vernahm ich ein zufriedenes Knurren des Hundes, während sein schwarzer Schwanz wieder rhythmisch zu schlagen begann, diesmal gegen Carlas überquellenden Wäscheständer hinter der Schlafzimmertür.

»Und denk an die Hundehandschuhe, Sweety.«

»Was für Hundehandschuhe?« Ein Blitz durchschoss mein noch müdes Hirn.

»Du weißt schon, für Nelsons Geschäft. Wir hatten am Freitag mit Lena darüber gesprochen.«

»Aber wieso denn…«

»Du kannst die Scheiße doch nicht auf der Straße liegen lassen. Das kostet mittlerweile richtig viel Geld. Die Hundehandschuhe, die Lena mitgebracht hat, liegen bei den Putzmitteln im Schrank hinter der Tür.«

Nach Nelsons Maulgeruch vor zwanzig Minuten wurde mir ein zweites Mal schlecht. Innerlich bäumte ich mich auf, sah aber gleich einen Ausweg. Ich würde ihn in den Rhododendronbüschen vor dem Kinderspielplatz auf der anderen Straßenseite abladen lassen, dachte ich und glaubte, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben. Es erschien mir jedenfalls unproblematisch und die Hundehandschuhe würden gar nicht zum Einsatz kommen.

Natürlich kackte Nelson nicht in den Rhododendronbüschen. Ohne jegliche Vorwarnung senkte er, noch bevor die Büsche überhaupt zu sehen waren, mitten auf dem Bürgersteig, höchstens zwanzig Meter von unserem Hauseingang entfernt, seine kräftigen Hinterbeine und brachte den Schwanz in eine waagerechte Stellung. Sein verklärter, schielender Blick signalisierte definitive Bereitschaft zum Abwurf. Mich ergriff Panik. Instinktiv befummelte ich die Zellophanhandschuhe in meiner Tasche während Nelson ganze Arbeit verrichtete. Nachdem der Hund seinen wunderschön geformten Haufen noch einmal genauer besichtigt und beschnüffelt hatte, setzte er sich daneben und schaute mit aufforderndem Blick zu mir hoch. Ich überlegte, was er mir sagen wollte. Wahrscheinlich: Mach das weg oder lass uns schnell Leine ziehen, bevor jemand kommt. Nein, dieses braune Prachtstück musste verschwinden! Mir fiel meine ehemalige Wohnung in der Genter Straße im Wedding ein, wo der Bürgersteig ständig mit Tretminen dieser Art so flächendeckend belegt war, dass man auf die kotfreien Felder fast hüpfen musste. Und trotz aller Vorsicht hatte ich mindestens einmal im Monat einen gigantischen Fladen an der Schuhsohle. Meistens passierte das am Wochenende, wenn ich müde und betrunken von meinen Touren am frühen Morgen nach Hause kam und mich außer meinem Bett nichts interessierte. Bemerkt hatte ich es meistens erst am Nachmittag, wenn sich bestialischer Gestank in der Wohnung entfaltete und sich im Sommer größere Mengen von grünschillernden Fliegen eingefunden hatten. Irgendjemand hatte einmal jeden dieser Haufen bis zur nächsten Straßenecke mit blau-weiß-roten Frankreichfähnchen aus Papier verziert, wie sie in den Käsehäppchen der Gourmet-Etage vom KaDeWe steckten. Der Bürgersteig hatte sich in ein riesiges Flaggenmeer verwandelt und sah aus wie der Pariser Champs-Elysées am 14.

Juli.

Vorsichtig und gefühlvoll wie ein Präservativ streifte ich die Folie über meine linke Hand. Bloß kein Loch hineinreißen! Langsam ging ich in die Knie und hielt den Atem an. Mir wurde schwindelig vom fehlenden Sauerstoff und den aufsteigenden Dämpfen. Nelson dachte an ein Spiel und stolzierte mit heftigem Schwanzwedeln vor meinem Kopf herum. Ich glaubte, ein Lächeln in seinem Blick erkannt zu haben. Den Kopf streng zur Seite gerichtet, ging ich zum Straßenrand und legte die Masse, die sich wie Knetgummi anfühlte, neben einem Autoreifen ab. Dann zogen wir zügig weiter.

Als ich mit meinen vier Kürbiskernbrötchen, zwei Croissants und zwei Schrippen den kleinen Bäckerladen verließ, hatte Nelson, den ich draußen mit der Leine an einem Fahrradständer befestigt hatte, Gesellschaft bekommen. Ein schwarzer Riesenschnauzer mit den Außenabmessungen eines Galway-Kalbes stand neben ihm und schnüffelte an seinem Hintern. Ich hatte keine schlüssige Erklärung dafür, aber in diesem Moment fiel mir Arlette ein. Schon während der Woche hatte ich einige Male überlegt, sie anzurufen. Ich holte mein Handy aus der Tasche und suchte ihre Nummer. Auf den Gedanken, dass es vielleicht ein wenig früh sein könnte, kam ich nicht. Ich wollte gerade die grüne Taste drücken, als mich ein zähes Jaulen und Kläffen stoppte. Die beiden Vierbeiner hatten ein heftiges Spiel begonnen. Der Riesenschnauzer lag halb über Nelson, der penetrant quietschte und pfiff. Die Leinen waren unnachvollziehbar miteinander verquirlt. Mein Gott, dachte ich, die drehen sich ja gegenseitig die Luft ab. Ich musste unbedingt eingreifen. Aber wie? Einfach so dazwischen gehen?

»Nelson, aus! Platz! Sitz! Platz!«

Nelson hörte nicht die Bohne. Der Riesenschnauzer erst recht nicht, aber der war ja auch nicht gemeint. Nicht einmal die wichtigsten Grundbefehle hatte Lena ihrem Köter beigebracht. Ein Gartenschlauch mit ordentlichem Wasserdruck hätte jetzt helfen können.

»Oh, was ist denn hier los?«, hörte ich eine swingende Fistelstimme von der Eingangstür zur Bäckerei. Ein drahtiger Bursche in grauen Turnschuhen, Jogginghose und weinrotem Sweatshirt tänzelte uns entgegen. Welliges längeres Haar, Studiobräune Medium und Grunge-Bärtchen. Sportlehrer, definitiv! »Borco, Schluss jetzt! Aus!«

Der Schnauzer machte einen Satz, soweit es die verdrehte Leine zuließ, und saß umgehend wie eine in Basalt gehauene Statue, stramm ausgerichtet auf sein sportliches Herrchen mit der Brötchentüte im Arm. Genau so muss es sein, sinnierte ich. Ich sah noch eine Menge Arbeit auf Lena und Nelson zukommen. Mit einigen gekonnten Griffen löste Sporty die völlig verschlungenen Leinen der Hunde.

»Der ist noch nicht alt, oder? Zehn Monate?«, fragte er mit Hundekennerblick.

»Ja, ungefähr«, erwiderte ich, obwohl ich es gar nicht wusste.

»Ein schönes Tier. Schätze mal, da ist ein Labrador-

Retriever mit drin, hab' ich Recht?«

»Ja, Retriever, Schäferhund und Pudel.« Es sollte ein Scherz sein. War vielleicht zu früh. Sporty lächelte nur gequält.

»Nein, im Ernst, es ist der Hund von meiner Tochter. Wir haben ihn seit gestern Abend.«

Mir fielen die Worte meiner ehemaligen Nachbarin in der Pestalozzistraße ein, der liebenswürdigen, etwas spleenigen Frau Hertel mit ihrem braungelockten Cocker-Spaniel: Wenn Sie Leute kennen lernen wollen, hatte sie mir einmal bei einer Tasse Tee in ihrem plüschigen Wintergarten anvertraut, dann besorgen Sie sich einen Hund. Sie glauben gar nicht, was Sie mit dem für Bekanntschaften machen. Es war eine Zeit, als mit Frauen gar nichts lief. Zweimal hatte ich mir ihren Cocker-Spaniel ausgeliehen. Der Hund hörte damals ebenso wenig wie Nelson, und kennengelernt hatte ich lediglich den Postboten, dem das Vieh ständig an die Wäsche wollte.

»Borco ist zwei Jahre alt. Ist schon unser dritter Riesenschnauzer. Borco vom Aschenberg, Zweiter seines Wurfes. Wir haben ihn aus dem Weserbergland.«

Mein Gott, ein Adliger aus dem Weserbergland. Der ist bestimmt für Höheres vorgesehen. Polizeihund ist mit Sicherheit nicht drin.

»Wie ich sehe, verstehen sich die beiden ja ausgezeichnet. Wie wäre es mit einem Kaffee drüben im Café? Das hat gerade aufgemacht.« Sporty schlug mir wie einem alten Kumpel freundschaftlich auf die Schulter und setzte sich mit seinem Riesenschnauzer in Bewegung. Nelson zerrte an der Leine. Also gut, auf einen Kaffee ins Café.

»Sagen Sie, haben Sie nicht ein paar Bouletten für die beiden?«, fragte Sporty die gerade an unserem Stehtisch vorbeistürmende Kellnerin und deutete auf die Hunde, die in der Ecke lagen wie zwei Luftmatratzen, denen man die Luft abgelassen hatte.

»Nein, leider nicht. Sie befinden sich hier in einem Cafe und nicht in einer Eckkneipe. Aber Sie könnten ein paar Sandwichs bekommen. Schauen Sie doch mal vorne am Tresen.« Mit den letzten Worten war sie auch schon wieder durch den kleinen Spalt zur Küche entschwunden.

»Soll ich denen Sandwichs servieren, die werden doch verwöhnt«, sagte Sporty mit einem zwinkernden Auge. »Wenn die hier wenigstens ein paar Mortadella-Schrippen hätten. Aber davon frisst allein Borco zehn Stück. In weniger als einer Minute, sag ich dir.«

Beim Namen Borco nahm der Riesenschnauzer mit einem geräuschvollen Rasseln der Leine seine Statuenhaltung ein, wieder sauber ausgerichtet hin zum Tisch seines Herrn. Nelson drehte kurz seinen schweren Kopf, um ihn danach wieder auf seine Vorderpfoten zu betten.

»Was machst du eigentlich so die ganze Woche über, ich meine, beruflich natürlich?«, fragte ich nach einem kräftigen Schluck Mineralwasser. Nach fünf Cappuchino und drei Besuchen auf der Toilette hatte ich mich entschieden, das Getränk zu wechseln.

»Lehrer. Sport und Mathematik. Am Gymnasium.«

»Da kommt man ja gar nicht richtig zum Arbeiten«, sagte ich süffisant. Wieso Carla wohl immer meinte, ich hätte keine Menschenkenntnis.

»Ach, hör auf, die alten Vorurteile gegen Lehrer. Ich sage immer, jeder sollte sich so einrichten, wie es ihm gefällt.« Sporty lümmelte, den Kopf auf beide Handflächen gestützt, am Tisch und versuchte, mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand eine seiner herunterhängenden Haarstränen in eine Korkenzieherfigur zu bringen.

»War nur ein Scherz. Meine Frau ist auch Lehrerin. Englisch und Geschichte.«

»Und du, was ist dein Job?«, fragte Sporty.

»Finanzdienstleister.« Hörte sich gut an und sagte gar nichts. Sporty wusste damit scheinbar etwas anzufangen. »Verstehe. Aktien, Termingeschäfte, Derivate.«

Eher Bausparverträge, Lebensversicherungen und Immobilienfonds, aber egal. »Ja, so ungefähr.«

»Kannst du was empfehlen? Ich meine, Aktien, nicht zu spekulativ. 15.000 Euro.«

Ich hätte doch noch einmal die Pilotennummer auspacken sollen. Vom Aktiengeschäft hatte ich keinen Schimmer. Mein eigenes Portfolio bestand aus vermeintlich ganz sicheren Werten, und alle waren sie im kontinuierlichen Sinkflug. Einige waren schon notgelandet.

»Nicht spontan«, sagte ich mit gewichtiger Tonlage und schaute auf meine Armbanduhr. Halb zehn.

»Bist du verheiratet?«

»Ja. Schon zwanzig Jahre.«

»Zwanzig Jahre? Ich glaube es nicht. Ist das nicht langweilig?« Irgendwie schon.

»Nein, wir haben uns gut arrangiert.«

»Und Kinder?«

»Zwei.« Ich hielt Zeige- und Mittelfinger zu einem V hoch. »Und was ist mit dir?«

»Eine Frau, offiziell jedenfalls, und keine Kinder.«

»Wie, offiziell?«

»Na, du weißt schon. Habe nebenbei hier und da noch was zu laufen.«

»Ach so, klar.«

»Du siehst auch nicht so aus, als wenn du die letzten zwanzig Jahre nur mit deiner Frau zusammen warst.«

Leider schon, viel mehr war nicht drin. Bis auf diese Geschichte vor drei Jahren nach der Weihnachtsfeier mit Tina.

»Nein«, sagte ich, »das hält man doch gar nicht aus.« Wahrscheinlich bin ich der einzige Trottel, der nur eine Frau hat, überlegte ich. Sporty, Frank, Andy. Gut, Andy war klar. Mir fiel Arlette ein.

»Aber es wird immer schwieriger«, fügte ich nach einem weiteren Schluck Mineralwasser hinzu. »Ich meine, wo kannst du heute noch Frauen kennen lernen?«

»Das ist doch ganz einfach«, sagte Sporty und schmunzelte, »zu Hause am Schreibtisch.«

»Ach so?«

»Ja, aber nicht Online! Der gute alte Tip, unser Stadtmagazin. Schau dir mal die Seiten an. Das läuft wirklich gut und kostet dich nichts.«

»Echt?«

»Klar, aber nimm nur lose Kontakte. Keine festen Geschichten! Ist viel zu dramatisch! Und lass die Finger von diesen komischen Kontakt-Partys.«

»Was ist das denn?«

»Single-Partys. Da läufst du mit einer Nummer rum. Alle laufen sie mit einer Nummer rum.«

»Das ist doch bescheuert, oder?«

»Natürlich. Da findest du nie, was du willst.«

Ich weiß auch gar nicht, was ich will, dachte ich. Auf jeden Fall kannte Sporty sich aus. Ich fühlte mich wie einer der wenigen Ahnungslosen. Scheinbar entsprach es nicht mehr dem Zeitgeist, mit nur einer Frau zusammen zu sein. Wenn ich wirklich noch auf Augenhöhe mitreden wollte, ob in der Kneipe oder beim Fußball, selbst beim Brötchenholen, dann musste ich etwas tun. In diesem Moment fiel mir Carla ein und die Croissants, die vor mir auf dem Tisch lagen. »Ich muss mal telefonieren«, sagte ich und fummelte umständlich mein Handy aus der Tasche. An unserem Festnetzanschluss meldete sich Alex, und das auch erst, nachdem ich das Telefon zwölf oder dreizehn Mal hatte klingeln lassen. Carla war nicht mehr zu Hause. Ich hätte es wissen müssen. Carla war nach Steglitz aufgebrochen. Es war heute der erste Samstag im Monat, und die ersten Samstage eines jeden Monats waren genauso rot in unserem Wandkalender eingezeichnet wie Ostermontag oder Himmelfahrt. Zusammen mit Rita durchpflügten sie an jedem dieser Samstage in aller Ausgiebigkeit die Schuh- und Porzellanläden, Boutiquen und Parfümerien und besonders die neuen Shopping-Malls in der Schlossstraße. Irgendwann am frühen Abend landete Carla meistens, platt wie ein Eierkuchen, auf unserer Wohnzimmercouch. Ich hatte also keinen Zeitdruck, wenn ich mal davon absah, dass um 18 Uhr die Sportschau begann.

Als ich mit Nelson am frühen Nachmittag gegen halb drei die Wohnung betrat, war das Wohnzimmer von den Klängen Compay Segundos erfüllt. Carla schien zurück zu sein. Sehr früh, war mein erster Gedanke, irgendetwas muss schiefgelaufen sein. Unbedachterweise gab ich das Halsband von Nelson frei. Der Hund machte sich sofort auf den Weg ins Wohnzimmer. Ich hörte einen Schrei, der mich an die U-Bahn-Linie 7 in der Kurve zwischen Halleschem Tor und Mehringdamm erinnerte. Als ich das Zimmer betrat, war Nelson gerade damit beschäftigt, Carla das letzte verbliebene Rouge aus dem Gesicht zu wischen.

»Nimm doch mal den Köter weg, Simon. Der macht mich wahnsinnig!«

Obwohl ich ahnte, dass es umsonst war, rief ich: »Nelson, aus, Platz!« Ich hatte mich nicht getäuscht. Carla sah aus wie ein von einer intensiven Sonnenbestrahlung erfasster Schneemann. Sie glotzte mich dennoch spöttisch an.

»Wollen wir frühstücken, Sweety? Es hat dir beim Bäcker gefallen, nehme ich an?«

»Wie man es nimmt.«

»Kannst du mir deinen ausgiebigen Ausflug vielleicht einmal näher erklären?«

»Wir, Nelson und ich, haben eine Bekanntschaft gemacht.«

Carla kicherte schrill auf. »Wen habt ihr denn kennengelernt? Eine wohlhabende Witwe mit einem weißen Pudel?«

»Einen Sportlehrer mit Riesenschnauzer.«

»Oh, lass dir doch auch mal einen Schnauzer wachsen, Simon.«

»Er hatte keinen Schnauzer, sein Hund war ein Riesenschnauzer.«

»Ist doch egal, Sweety. Wo sind meine Croissants? Ich habe ein wenig Hunger, verstehst du.«

»Das muss ich dir erklären, Carla«, sagte ich leise und sah mich nach einer Möglichkeit um, aus dem Zimmer zu kommen, »deine Croissants hat Nelson verdrückt.«

»Wie bitte? Sag das noch einmal, Sweety.«

»Es ist leider so. Wir haben uns verplauscht und die beiden Hunde hatten mächtigen Kohldampf.«


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