Читать книгу Kennen Sie Raketenbert? - Ulrich Preiß - Страница 5

Warum man am Mars nicht immer vorbei fliegen sollte

Оглавление

Ein kaum merkliches Rütteln und schon hat man die Gravitation der Erde überwunden. Ganz ruhig und gleichmäßig gleiten wir durch den Raum. Eigentlich spürt man es gar nicht, man bemerkt es nur an den sich langsam, in noch unvorstellbar entfernten Entfernungen, bewegenden Sternen. Na ja, also die Sterne bewegen sich nicht, eigentlich, sondern unser Raumschiff, aber es sieht halt so aus.

Ich verstaue Berts mitgenommene Sachen in einem Schrank mit der Aufschrift „Schrank für mitgenommene Sachen“.

Bei Bert, und erst recht in seiner Rakete, herrscht zum Teil eine strenge Ordnung.

„Sag mal, Bert, außer, weil es die Möglichkeit gibt, warum fliegst du so gerne ins All?“

„Das ist nicht so leicht zu beantworten“, flötet eine fast empfindlich hoch frequentierte Stimme aus dem Nichts.

„Mir hat er es bis jetzt noch nicht verraten. Und außerdem bin ich heute etwas nervös. Emotional angeschlagen. Leicht aufgebracht über die kleinsten Geringigkeiten. Man könnte schon sagen ich habe heute neurologisches Flattern. Oder auch … ogottogottogott.“

„Darf ich vorstellen“, Bert kommt aus dem Nebenraum und unterbricht die Stimme, „mein neuer Bordcomputer. Eine sehr mitfühlende Intelligenz. Nicht wahr?“

„Oh ja, wie wahr“, antwortet dieser.

„Ich beschreibe ihn mal so“, ergänzt Bert, „der lange Tag hat viele Worte. Billig geschossen.“

„Was soll denn das heißen?“, piepst es aus dem Lautsprecher.

„Schon gut“, sagt Bert, „ich liebe dich.“

„Danke.“

„Bitte.“

Bert dreht sich zu mir: „Der Weltraum bietet mir angenehme Ruhe und Frieden wie nirgendwo sonst. Seine Bewohner und Gegebenheiten, Spaß und Spannung. Die Menschen nehmen sich zu wichtig; kommt das Wort wichtig eigentlich von Wicht? Persönliche Eitelkeiten werden in den Vordergrund gestellt. Fast alles ist durchschaubar und vorhersehbar. Im Weltall passieren ständig eigentlich unglaubliche, überraschende Dinge. Wenn du auf der Erde einen Stein in die Hand nimmst und versuchst, ihn in eine Pfütze zu werfen, so wird dir das gelingen. Machst du das im Weltall, weißt du nicht, ob das, was du da in der Hand hältst, überhaupt ein Stein ist! Geschweige von der Pfütze, die sich vielleicht erhebt und davon schwebt.“

Ich bin beeindruckt von den wohl möglichen Möglichkeiten und hoffe, ein paar davon kennen zu lernen.

„Wie kommst du so schnell überall hin?“

Neben der Tankanzeige, die einzige Anzeige neben der Geschwindigkeitsanzeige, öffnet sich eine Konsole mit exakt geschätzten zweihundert Knöpfen, von denen jeder einzelne mit einer Abkürzung beschriftet ist.

„Hier, bitte“, sagt Bert und ein kaum merkbares Grinsen zeigt, wie viel Freude es ihm macht, dieses geheimnisvolle Geheimnis zu offenbaren.

Auf dem ersten Knopf, links oben, sind klitzeklein die Buchstaben NGSWW eingraviert. Und beim näheren Hinschauen bemerkt man die hochgradig künstlerische Feinarbeit, die Liebe und Hingabe bei der Fertigung der leicht geschwungenen, mit Blattgold belegten, völlig gleichmäßigen Miniatur-Gravuren. Die Arbeit eines echten Künstlers.

„Der Steckermacher“, sagt Bert, als könnte er Gedanken lesen.

„Eines seiner zahlreichen, geheimen Hobbys ist die Hingabe bei der Fertigung von leicht geschwungenen, völlig gleichmäßigen Miniatur-Gravuren. Und diese dann mit Blattgold belegen. Er ist ein echter Künstler.“

„Okay“, gebe ich zurück, „aber was bedeuten diese Abkürzungen? Kein Mensch kann sich all diese Abkürzungen merken.“

„Aber klar doch. Hör zu. NGSWW bedeutet: Nicht Ganz So Weit Weg. BWANGSWW: Bisschen Weiter Als Nicht Ganz So Weit Weg. Knopf Nummer drei, und schon wird es einfacher, FWW heißt natürlich: Fast Weit Weg. Nummer vier: … … …“

Meine Augen und Ohren beginnen schlagartig träge und müde zu werden.

„… … … Nummer einhundertneunundneunzig: SWWWNKW steht für: So Weit Weg Wie Noch Keiner War. Und letztendlich Knopf Nummer zweihundert: UWW, na, kannst du dir es denken? Richtig, Unvorstellbar Weit Weg. Das ist doch ganz einfach.“

Ich bin beeindruckt von den wohl möglichen Möglichkeiten des Fortbewegungssystems dieser Rakete.

Ich schaue gerade auf die Sternenkarte des hiesigen Sektors, als Bert sagt: „Da sind wir schon. Die erste Etappe unseres Ausfluges.“

„Wir sind doch gerade erst los geflogen“, bemerke ich.

Bert lacht, ein wenig.

Der Bordcomputer ist sofort parat: „Terrestrisch: Mars, auch roter Planet genannt, wegen seines rötlichen Oberflächengesteins, der vierte Rotationskörper des neu geordneten Systems Solar 28/RNS 17.3 im ersten Raumquadranten, Sektor 232.“

„Danke.“

„Bitte.“

„Ich möchte dir hier jemanden vorstellen und dann geht es auch schon weiter. Du wirst dich wundern“, sagt Bert.

„Das glaube ich auch“, antworte ich, „ich dachte, der Mars ist steinig, öde und völlig UNBEWOHNT?“

„Das denken die meisten, aber dem ist nicht so. Schade eigentlich.“

Eine elegante Kurve, ein geschmeidiger Sinkflug und schon gleiten wir dicht über die Marsoberfläche dahin. Ich schaue interessiert aus dem Fenster. Ich traue meinen Augen nicht. An schier endlos erscheinenden, in den Boden gefrästen Linien, die offenbar der Orientierung dienen sollen, stehen verschieden große Reklameschilder! Die aufgedruckten, nein, aufgemalten Schriftzeichen kann ich nicht entziffern.Die Bilder sagen mir allerdings, dass es sich hier um Essen, Trinken und wahrscheinlich Werkzeug handelt.

Am Horizont sehe ich einen beleuchteten Punkt. Je näher wir ihm kommen, um so größer werden die Angebotsschilder.

Zwischenrufe

„Hallo…..hallooo!…..Hier spricht der oberbeauftragte Sprecher des obersten Oberrates des Rates…hört mich jemand?“

Lautes Klopfen unterbricht die Stimme.

„Blödes Gerät. Da hat doch wieder jemand dran rumgefummelt.“ Klopfen.

„Hallo…..kann mal jemand antworten, es ist wichtig!…..Hallo!“

Sehr heftiges Klopfen.

„Hallo, wer kann hrmsta brambl……….pieeeeep.“

Die Rakete parkt in nähester Nähe eines kleinen, einstöckigen Gebäudes. Eigentlich ist es mehr eine Hütte. Für eine Hütte allerdings eine recht große Hütte.

Ohne zu klopfen, öffnet Bert die Tür.

„Aloha, bist du zu Hause? Ich bin es, Bert.“

Aus der rechten, hinteren Ecke kommt ein Rascheln.

„Aloha, Bert! Wie sssön, dasss du dich mal wieder sssehen lässst.“

Ein Kopf mit Oberkörper erscheint hinter einem niedrigen Tresen und schaut uns mit blitzenden Augen an.

„Oh, du hassst einen Freund mitgebracht. Aloha, Freund.“

Eine Hand mit extrem schlanken Fingern, an dessen Kuppen sich kleine Saugnäpfe befinden, winkt zu uns herüber. Die spitzen Ohren bewegen sich langsam hin und her. Die kleinen Schuppen auf seinem Rücken bewegen sich auf und ab, als würde er mit ihnen atmen.

„Kommt und lasst euch drücken.“

Eine lange, runde Zunge, wie eine Makkaroni, schiebt sich beim Sprechen aus dem Mund. Das muss beim Essen störend sein. Vielleicht aber auch nicht. Was isst er überhaupt?

So vor ihm stehend fallen mir noch drei Sachen auf. Für seinen langen Oberkörper muss er bei seiner Größe sehr kurze Beine haben. Und er ist selbstverständlich, wie es sich vom Hörensagen gehört, absolut grün.

Aber am außergewöhnlichsten, ich kann es kaum glauben….. es ist, als schaute ich in einen Spiegel. Trotz kleinster Unterschiede bei Ohren und Zunge und so weiter, sind wir uns, das gleiche bemerkt mein Gegenüber in diesem Moment, wie aus dem Gesicht geschnitten. Wir haben ein absolut identisches Konterfei. Zunächst verwundert, dann total begeistert, streicht er mir mit seinen Saugnäpfen über das Gesicht.

„Sssagenhaft. Wasss sssoll ich sssagen. Boah, ey!“

„Hab ich es nicht gesagt“, lacht Bert, „du wirst dich wundern.“

Der Marsmensch kommt um den Tresen herum und wird dabei immer größer.

„Mann, dasss tut ganz sssön weh, wenn man ssso lange auf den Knien sssitz.“

So stehend vor mir überragt er mich um eine Kopfeslänge.

„Wie heißt du?“, will ich wissen.

Er guckt mich mit schiefem Kopf fragend an.

„Wie ist dein Name?“

Er guckt Bert fragend an.

Bert sagt zu ihm: „Na, er möchte wissen, wie man dich anspricht.“

„He, du“, sagt er, „manchmal auch ‚Aloha, du'.“

„Mmh“, sagt Bert, „darüber habe ich mir tatsächlich keine Gedanken gemacht. Also ich bin ja Bert. Das ist mein Name. Durch Namen können wir uns unterscheiden und zuordnen. Sein Name“, Bert deutet auf mich, „ist Milton. Wie ist eigentlich dein Name?“

„Oh, ich verstehe“, sagt der Grüne. „Ich brauche mich nicht unterssseiden oder zuordnen. Ich bin der einzige hier auf diesssem Planeten. Da brauche ich keinen Namen. Aber ich finde die Vorssstellung sssön. Und da ich ssso ausssehe wie du, will ich ab jetzt auch Milton heisssen. Nein, zur bessseren Unterssseidung und Zuordnung: Marsssianer-Milton. Wasss haltet ihr davon?“

„Eine prima Idee, Marsianer-Milton“, sagt Bert, „vielleicht fühlst du dich dann auch nicht so alleine hier, mit einem Namen.“

„Oh, ich fühle mich hier nicht allein. Es kommen doch ssso einige hierher, du weissst ssson. Ich musss sssie mal nach ihren Namen fragen.“

„Was machst du hier eigentlich, wenn mal keiner kommt?“, will ich wissen.

„Dann male ich Reklamesssilder, dasss issst gut für den Umsssatz. Und ich habe genug Platz, sssie aufzussstellen. Oh, und ich musss natürlich auch aufpasssen.“

„Genau deshalb bin ich auch hier, Marsianer-Milton. Da ich so lange nicht unterwegs war, möchte ich mich erkundigen, ob das RRPS funktioniert.“

„Ja, ja, oh ja. Vor kurzem issst der Sssslüssselmacher gekommen und wir haben allesss gecheckt und getessstet.“

Ich denke gerade an die Reklameschilder und mische mich in das Gespräch: „Was verkaufst du hier eigentlich?“

„Oh, ssso diesssesss und dasss. Zum Beissspiel Sssandwichesss.“

Blitzschnell, wie von Zauberhand, hält er mir einen dekorierten Teller mit einem belegten Brot entgegen.

„Hier, probier dasss mal.“

Unsicher greife ich nach dem Brot. Es sieht bunt und lecker aus. Trotzdem schaue ich, ob sich etwas selbstständig zwischen den beiden knusprigen Brotteilen bewegt. Skeptisch beiße ich ab. Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter.

K-Ö-S-T-L-I-C-H! Unbeschreiblich. So etwas habe ich noch nie gegessen.

„Was ist das?“

Bert lacht: „Das willst du gar nicht wissen. Glaub mir. Aber es ist sehr bekömmlich und nahrhaft.“

Marsianer-Milton: „Und esss issst nicht ssso giftig, wie dasss, wasss ihr auf der Erde zu esssen bekommt. Auch wenn esss alsss gesssund verkauft wird.“

Er führt mich noch stolz in seinem Verkaufslager herum und zeigt mir die skurrilsten Dinge, die es im ganzen Universum nur bei ihm zu kaufen gibt, und die, wie er behauptet, für eine sichere Raumfahrt unabdingbar sind. Zum Beispiel der Blasensauger. Ein Gerät zum Trinken von frei schwebenden Flüssigkeiten im schwerelosen Zustand. Oder, ganz wichtig, der GALAXO P4000. Ein Universal-Übersetzer aller kommunikatorischen Vorkommnisse des bekannten Weltalls.

Plötzlich meldet sich Berts Taschenfunk, seine ständige Verbindung mit der Rakete.

„Alarm, Alarm, ogottogottogott, Alarm!“

„Was ist los, Boco?“

„Ich heiße nicht Boco!“

„Ja, ich weiß, also, was ist los?“

„Wer spricht denn da?“

„Ich bin es, Bert, wer sonst!“

„Ich frag ja nur. Phh!“

„Entschuldigung. Was gibt es, etwas Schlimmes?“

„Ich weiß nicht so genau. Eine wichtige Nachricht halt.“

„Von wem?“

„Ich weiß nicht so genau. Irgend so ein Ober- oder Unterrat. Galaktische Sicherheit…..sofort…..wer helfen kann…..prxl brizz…..große Wichtigkeit, oder so ähnlich. Ich schlage vor, du hörst es dir selbst mal an.“

„Gute Idee. Wir kommen sofort.“

Bert wendet sich Marsianer-Milton zu: „Tja, alter Kumpel, wie es aussieht, müssen wir wohl wieder los. Es ist immer schön, dich zu sehen.“

„Ja, Bert, esss issst auch immer sssön, dich zu sssehen.“

Seine Saugnäpfe berühren meine Hand.

„Bisss dann mal wieder, Milton. Esss hat mich sssehr gefreut.“

„Es hat mich auch sehr gefreut, Marsianer-Milton.“

Er lächelt glücklich und nuschelt vor sich hin: „Marsianer-Milton. Ha, haaa.“

Beim Verlassen des Gebäudes dreht Bert sich noch einmal um, zeigt mit dem Finger auf Marsianer-Milton und fragt: „RRPS?“

„RRPS, Bert, Aloha!“

„Aloha!“

„Wichtige Ansssage desss Verkaufbürosss Marsss von Marsssianer-Milton. Ssso, jetzt kommt die Ansssage: Greifen Sssie zu! Nur heute! Nehmen Sssie drei, zahlen Sssie zwei! Beim Kauf von drei lege ich noch einen drauf, ha, ha!

Aussserdem im Angebot: die leckeren…..krrrks, knarks…..Missst…..krchchch…..pieeep.“

Wir setzen uns in die bequemen Sessel des Kommando-

Raumes.

„Da seid ihr ja endlich“, piepst der Computer, „ihr trödelt auf diesem öden Stück Felsen herum und ich bin hier ganz, ich betone, ganz alleine mit dieser wichtigen Wichtigkeitsdurch-

sage dieses Oberrates dieser wichtigen Oberweltraumberater, oder so.“

„Ja, ja, schon gut“, sagt Bert ruhig und gelassen. „Und jetzt spiel uns bitte die Durchsage mal vor.“

„Okay.“

„Bzzzzzrracks…..hallo…..kann mal jemand antworten, es ist wichtig!…..Hallo…..hallo, we kann…..hrmsta brambl…..

pieeep…..hier spricht der oberste Oberrat des …..Universums. Hilfe. An alle Raumfahrer. Dringend Hilfe…..Notfall…..sofort zu brzzzzw…..Sektor 35-A12, Quadrant 7 kommen…..Galaktische Sicherheit…..sofort…..wer helfen kann…..prxl brizz…..große Wichtigkeit…..“

Wir schauen uns beide fragend an.

„Und?“, frage ich.

„Hast du ein bisschen Zeit?“, fragt Bert.

„Klar!“

„Na dann, schätze ich, wird unser kleiner Ausflug etwas länger dauern.“

Bert öffnet die Konsole mit den wunderschön verzierten Knöpfen und drückt, so ungefähr die Nummer vierundachtzig mit der Gravur GRWW.

Ein kleiner Ruck, der uns kurz in die bequemen Sessel drückt, und schon ziehen die Sterne in langen Farbfäden, wie gekochte Spaghetti, an den Raketenfenstern vorbei.

Was zum Teufel ist eigentlich RRPS?

Kennen Sie Raketenbert?

Подняться наверх