Читать книгу C'est la Vie - Ulrich Robin - Страница 5
KAPITEL DREI
ОглавлениеEs ist weder zu übersehen noch zu überhören, dass die Männergespräche in der Klinik dominiert werden von den fast täglich mitgeteilten Zustandsberichten – in ihrer Regelmäßigkeit werden sie nur noch übertroffen von den Wasserstandsmeldungen in Deutschen Hafenstädten – die die männlichen spezifischen Befindlichkeiten zum Inhalt haben. Zunächst möchte man meinen, die älteren Herren tun es ihren mitgereisten Ehefrauen gleich und analysieren durch lautes Nachdenken ihre Lage, was man auch altersbedingte Geschwätzigkeit nennen könnte. Das aber wird der Sache und den Männern nicht gerecht, ist uns doch eingangs empfohlen worden, Gespräche untereinander zu führen, uns auszutauschen, unsere Erfahrungen weiterzugeben, den Heilungsprozess zu reflektieren – auch im Vergleich – , und dienliche Gespräche als integralen Teil der Heilungstherapie zu betrachten.
Die Empfehlungen, so meine Beobachtungen, werden auf die unterschiedlichsten Weisen befolgt.
Meist in größerem Kreis, werden von den älteren Herren alle Inneren Organe die sich unterhalb des Zwerchfells drängen, auf das akribischste besprochen. Details werden klar und verständlich erläutert, und so nehmen auch weiter entfernt sitzende Mitbewohner noch am Wissen der Diskutanten teil, ob sie wollen oder nicht. Für einige aus dem Gesprächskreis wäre, im Hinblick auf ihren sich offenbarenden minderen Wissenstand, ein medizinisches Lexikon, neuester Stand, ein angemessenes Abschiedsgeschenk.
Binnen weniger Tage regelt in den verschiedenen Gruppen der Mitbewohner eine gewisse Vertrautheit das Miteinander. In diesen Gruppen kennen sie bald voneinander Operationsdatum und weitere Eckdaten der Krankheitsgeschichten. Und es werden auch Körperdaten ausgetauscht. Das mögen Pulsfrequenz und Blutdruck sein, aber auch solche wie die gemessenen Mengen beim abgelegten Urinstrahltest. Die Daten werden mitunter auch im Aufzug oder auf dem Treppenabsatz kommuniziert, wobei Informationen auch schon mal falsch ankommen, falsch verstanden werden oder falsch weitergegeben werden. Dennoch, dem Genesungsprozess schadet das nicht. Die Kommunikation um der Kommunikation willen ist in diesem Fall der Balsam mit Heilwirkung, nicht das Weiterleiten einer Zahl, die auch nach der zweiten Kommastelle noch korrekt ist.
Skurriler geht es da schon in den Kleingruppen zu, deren Teilnehmer sich gegenseitig ihre Operationsdetails erläutern. Die Operationen und ihre Vor- und Nachbereitungen werden nachgespielt so wie Preußens glorreiche Schlachten von greisen Generälen nachgestellt wurden. Wie die Herren an das minutiöses Wissen über ihre eigene Operation gelangt sind, bleibt unklar.
Einzelgänger in diesem Umfeld gibt es auch. Das sind diejenigen, die jedem ihnen näher tretenden Neuankömmling ihren Krankheitsbefund erläutern und den Grund ihrer Einweisung in die Rehabilitationsklinik schildern. Dauerhafte Bekanntschaften entwickeln sich daraus kaum. Möglicherweise ist das darauf zurückzuführen, dass die Inhalte der Schilderungen immer verschieden sind, was nicht nur von mir bemerkt wird, sondern auch von denjenigen, die die Adressaten der Erzählungen sind. Es steht zu befürchten, dass das Variieren der Kranken-Vita nicht als rhetorisches Stilmittel einzustufen ist, sondern eher als Anzeichen zunehmenden Verlusts an Übersicht zu werten ist.