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In Königstein im Taunus

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Am 2. September morgens hieß es auf einmal: „Sie fahren heute ins Kurlazarett nach Königstein im Taunus. Der Dienstälteste hat die Marschpapiere. Ihr Zug geht um so und soviel Uhr ab Marburg Hauptbahnhof, über Gießen nach Frankfurt, umsteigen in die Kleinbahn, die dann über Höchst nach Königstein führt.“ Wir fuhren durch den schönen Taunus. Man hätte aussteigen und nebenher laufen können, so langsam war das Züglein. Das Reservelazarett 1 befand sich in einem ehemaligen Grandhotel. Als sich in den 20er Jahren die englischen Besatzungstruppen dort einquartieren wollten, ließ der Eigentümer Kasernen in der Nähe errichten. Diese dienten während des zweiten Weltkrieges dem Reichsarbeitsdienst als Unterkunft.

Da wir als Soldaten im Gang des Zuges zu stehen hatten, wo es natürlich trotz großer Hitze von den Türen her ständig zog, bekam ich einen Rückfall. Zunächst kamen wir Neuen alle auf einer Isolierstation für Tbc-Kranke in Quarantäne. Ausgerechnet, als sich meine Eltern zum Erholen in Königstein für zwei Wochen angemeldet hatten, lag ich da oben im Dachgeschoss und hätte brüllen können vor Schmerzen. Nun hatte ich linksseitig trockene Rippenfellentzündung. Die Krankenschwester pinselte mich mit Jod ein. Und weil ich nun halb farbig aussah, pinselte man mir aus Sympathie auch noch die rechte Seite ein. Die Hölle kann nicht schlimmer sein. Nach ein paar Tagen kamen meine Eltern und mein Bruder Friedrich, um mich zu besuchen. Sie durften nicht zu mir, da ich ja auf der „Mottenstation“ isoliert war und ich selbst durfte auch nicht zu ihnen. Das ehemalige Hotel hatte aber zwei Treppenaufgänge für den Notfall. Ich schlich mich, in der Hoffnung ungesehen zu sein, den Notausgang hinunter in den Park zu meinem Besuch. Kaum unten angekommen, erschien eine Schwester: „Sofort rauf, Sie haben hier nichts zu suchen. Sofort ins Bett!“ Ich war schockiert, meine Eltern und mein Bruder saßen dort im Park an einem wunderschönen kleinen Teich, in dem sich das Grandhotel spiegelte. Bei einer Unterredung mit dem Chefarzt stieß mein Vater auf taube Ohren, bis sich mein Bruder Friedrich als Dr. Ing. der Architektur vorstellte. Da wurde der Herrgott in weiß gesprächig, er wandelte sich um 180 Grad. Man fand auch eine Lösung. Ich wurde auf Station 2 für leichtere Fälle verlegt und musste morgens und nachmittags zwei Stunden Liegekur machen bei einer Temperatur bis zu sechs Grad Außentemperatur. Ich durfte nun auch nach draußen gehen. Die Zeit meines Ausgangs war kurz bemessen: 15 bis 18 Uhr Ich bekam ein Bett in einer Suite des früheren Grandhotels, belegt mit drei Soldaten, mit Blick zum Feldberg und bis Frankfurt. Es war eine schöne Zeit. Uns wurde viel geboten. Die Opel-Werke sowie die Farbwerke Hoechst hatten eigene Aufführungsgruppen. Zu diesen Veranstaltungen musste der Speisesaal geräumt werden.

Wir Lungenkranke bekamen zusätzlich jeden Morgen ein zweites Frühstück in Form von einem halben Liter Milch, zwei Scheiben Brot, 20 Gramm Butter sowie einem Ei! Milch und Eier wurden jeden Morgen vom Rettershof mit einem sogenannten Milchwagen angeliefert. Ich habe nie wieder Milch und Eier von so guter Qualität genossen wie vom Rettershof, der damals einer Nichte des Außenministers von Ribbentrop gehörte, ebenso das Café Rettershof. Dort verkaufte man uns Soldaten immer noch Kuchen, ohne Brotmarken dafür zu verlangen. Die sieben Kilometer dorthin zu laufen, fiel mir jedoch ziemlich schwer.

Einen Ausflug zum Feldberg zu machen, war immer mein Traum gewesen. Es hatte lange gedauert, bis ich ein Clübchen beisammen hatte, das mir zuliebe dann eines Sonntagnachmittags den Aufstieg über das Reichenbachtal, das Wildgehege von Falkenstein rechts liegen lassend, über den „Fuchstanz“ zum Feldberg wagte. Endlich oben. Wir waren enttäuscht, denn der Fernsehturm, damals neu erbaut, war von der Luftfahrt besetzt. Der eigentliche Feldberg-Turm befand sich etwas weiter weg, auch den haben wir noch geschafft. Dann ging es über die normale Straße nach Königstein zurück, wir mussten ja um 18 Uhr im Hause sein. Auf dem Heimweg begegnete uns eine Gruppe von etwa 30 jungen Leuten mit Mandolinen und Gitarren. Sie waren nicht in Uniform. Ich war überrascht, hieß es doch immer, alle deutschen Jungen gehörten der Hitlerjugend an. Ich wusste damals noch nicht, dass Frankfurt trotz Drittem Reich links eingestellt war.

Am Samstag, dem 5. Dezember, überwies man mich in ein HNO-Lazarett in Frankfurt. Dort sollte eine Nasenscheidewandverkrümmung operiert werden, die man in der Klinik in Marburg festgestellt hatte. Kaum angekommen, wies man mich ab mit der Bemerkung: „Es gibt keinen freien Platz.“ Daraufhin fuhr ich zurück nach Königstein und aß dort zu Mittag. Als ich mich beim Zahlmeister zurückmeldete, meinte dieser besorgt und verzweifelt, er hätte keine Verpflegung für mich, da ich nicht gemeldet wäre. Er gab mir Essensmarken und Geld für zwei Tage. Die Marken schickte ich nach Hause, ebenso Brotreste, die übrig geblieben waren. Ich schrieb dazu: Brot für die Hühner. Aber meine Eltern kochten daraus eine Brotsuppe für sich, es wäre für die Hühner zu schade. So durfte ich noch den Dezember in Königstein verbringen. Heiligabend gab es für alle Speiseeis. Ich bekam ein Schachspiel, das ich immer noch habe. Ebenso bekam ich ein Buch von Goebbels, darin stand unter einer der Geschichten: „Alle Menschen sind Komödianten.“

Am 5. Januar 1943 kam ich nach Frankfurt zur Operation der Nasenscheidewand. Von dort kehrte ich in meine Garnison in Marburg zurück, die sich nun in der neuen Jägerkaserne befand. Ich bekam dann noch zwei Wochen Genesungsurlaub. In dieser Zeit – ich war kaum zu Hause – fiel Stalingrad, und der Chefarzt und seine Oberschwester in Königstein wurden wegen Lebensmittelverschiebung verhaftet. Nach Beendigung des Urlaubs und Vorstellung beim Truppenarzt fragte dieser nach meinen Beschwerden. Ich nannte: „Atemnot beim Laufen auf Grund der dreimaligen Rippenfellentzündung.“ Die Antwort: „Wenn der Russe hinter Ihnen ist, können Sie laufen!“

Nun hieß es: Neu einkleiden sowie Waffenempfang. Ich erhielt ein Gewehr 98 k1. Unser Marschbefehl lautete: Fulda, Konstantin-Kaserne. Abends um 21 Uhr kamen wir dort an. Am nächsten Tag wurde ein Marsch-Bataillon ZbV2 B9 zusammengestellt. Danach drillte man uns zwei Wochen lang mit Exerzieren, Scharfschießen und so weiter, um ein Manövrieren im Team zu üben.

1deutsches Gewehr mit verkürztem Lauf

2zur besonderen Verwendung

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