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4. Der Erdmittelpunktlurch

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Meine Frau ist eigentlich sehr erfolgreich, Marketingleiterin in einer nicht ganz kleinen Firma. Ich allerdings bin nur schwer vermittelbar, wie man mich neulich wissen ließ. Was auch irgendwie stimmt, denn in jeder Arbeit bleibe ich irgendwann stehen. Da brauchen auf einem Bildschirm nur zwei Nullen in der gleichen Zeile zu stehen, in Augenabstand etwa, dann ist es um mich geschehen. Ich schaue durch die beiden Nullen hindurch und fange an zu träumen.

„Das werden wir doch in den Griff bekommen“, sagte der Psychologe mit einem Lachen. „Versuchen Sie’s doch mit Fahrradfahren. Wenn Sie da stehen bleiben, merken Sie’s gleich.“

Warum eigentlich nicht, dachte ich, und seitdem fahre ich sehr viel mit dem Rad. Meistens durchkämme ich das Umland, fahre hier über Feldwege, dort durch ein Waldstück und dann wieder über schmale Teerstraßen.

Dabei kommt es natürlich vor, dass ich eine Reifenpanne habe. Dann nehme ich das Flickzeug heraus, drehe das Rad um, taste im Mantel nach Glasscherben und beginne mit der eigentlichen Flickarbeit.

Neulich war es wieder soweit. Ich fuhr gerade auf einem Feldweg dahin, als das Hinterrad verdächtig zu schwimmen anfing.

Also auf die Wiese, Flickzeug raus, Rad umdrehen und Fahrradmantel nach Scherben absuchen.

Doch plötzlich kam da dicht über dem Boden ein graues Ufo herangeglitten, so mit Schwung über die Wiese hinweg und direkt auf mich zu. „Grau auch noch“, dachte ich. "Hat sicher nichts Gutes zu bedeuten", und rumms machte das Gefährt neben mir Halt. Das Surren der Motoren klang langsam aus.

„Sauber!“, dachte ich mir noch, als eine Klappe aufging, ein Männchen herauslugte und sagte: „Wenn Sie mit ihrem Fahrrad ein Stück zur Seite könnten. Wir haben zu tun.“

„Ich?“, fragte ich nach, wie man halt so fragt, wenn man von einem Ufofahrer angesprochen wird.

„Kleines Stück nur, wenn’s recht wär’.“

„Klar, mach’ ich“, sagte ich, sammelte mein Werkzeug wieder ein, das ich inzwischen im Gras verstreute hatte, steckte alles in die Werkzeugtasche und zog mein Rad mehrere Meter in die Wiese hinein.

Das Männchen bedankte sich, stellte die Motoren wieder an und mit einem lauten Surren rückte das Flugobjekt um drei Meter nach vorne.

Ich ging einmal um das Gefährt herum, das aussah wie eine unförmige Metallschachtel. Ich klopfte sogar einmal dagegen, aber es gab keine Reaktion außer einem klirrenden Schaben und Gurgeln.

Hm, dachte ich mir und machte mich wieder an die Reparatur meines Fahrradschlauchs. Doch wenig später kam ein zweites Flugobjekt angeschwebt und landete kurz hinter dem ersten.

Jetzt ging auch die Klappe des ersten Raumschiffs wieder auf, das Männchen kam heraus, begrüßte lachend das neue Männchen und gemeinsam öffneten sie eine weitere Klappe, aus der sie Schläuche herauszogen und deren Enden in das erste Raumschiff hineinschoben.

„So“, sagte das erste Männchen. „Ich pack’s mal.“

„Viel Glück!“, sagte das zweite Männchen, zündete sich eine Zigarette an und blieb mit den Händen in den Hosentaschen stehen, den Blick genüsslich in das schöne Umland meiner Stadt gerichtet.

„Was macht ihr eigentlich da?“, fragte ich möglichst beiläufig. Man will ja nicht neugierig wirken. Kommt einer mit einem Ufo an und schon stehen alle drum herum und stellen blöde Fragen. Wie bei unserem Nachbarn, dem Schorsch, mit seiner Harley Davidson. Da stehen alle Männer drum herum und fragen nach PS, Geschwindigkeit oder Sound, und vor allem, wie viele Male er schon die One-O-One damit gefahren sei. Der Schorsch schnauft dann ein über seinem Schnauzbart, genießerisch, und sagt dann mit großer Gewichtigkeit: „Viele viele Male.“

Das Männchen aber zog an seiner Zigarette und antwortete eher gelangweilt: „Was wir hier machen? Wir pumpen Energie aus dem Erdmittelpunkt ab.“

„Tatsächlich?“

„Ja sicher“, sagte das Männchen wie ein Kanalarbeiter beim Fluten der Röhren. „Mein Kollege fährt runter, sieht sich die Sache an, und dann legen wir los. Wir holen die Wärme rauf, durch diese Schläuche da, dann jagen wir die Hitze durch die Turbinen, erzeugen hochfrequentige Energie und schicken das Ganze dann zu uns rüber.

„Zu euch rüber?“

„Nun, ja“, sagte das Männchen etwas herablassend. „Wir kommen von weiter her.“

„Verstehe“, sagte ich, und da ich nicht wusste, was ich noch fragen sollte, machte ich mich wieder auf die Suche nach dem Loch im Fahrradschlauch.

Bald aber kam das erste Männchen wieder aus dem Erdinneren zurück.

„Ist alles okay“, sagte es mit erhobenem Daumen. „Wir können anfangen.“

Und dann fiel mir doch noch eine Frage ein, nämlich was denn passieren würde, wenn man die ganze Hitze aus dem Erdinneren abpumpte.

Doch plötzlich kam ein drittes Ufo angeflogen, knallrot, und landete direkt vor mir. Heraus sprangen wieder zwei Männchen und begannen mit den anderen heftig zu diskutieren. Dann sprangen sie alle in ihre Raumschiffe und alles war wieder ruhig. Nur die Schläuche rollten sich in hoher Geschwindigkeit ab.

Etwa eine Stunde später, die Sonne neigte sich bereits tief über dem Horizont, hatte ich das Loch schließlich doch noch gefunden.

Und wieder kamen die Männchen aus ihren Raumschiffen herausgesprungen. Heftig diskutierend trieb es sie auf mich zu. Einer aus den grauen Raumschiffen schrie: „Ihr wollt wirklich diesen Idioten entscheiden lassen?“

„Ja genau, das machen wir“, konterte einer der anderen beiden aus dem roten Raumschiff, stellte sich vor mich hin und machte ein freundliches Gesicht: „Wären Sie so gütig und würden bezeugen, ob es ihn gibt?“

„Wen denn?“

„Den Erdmittelpunktlurch.“

Ich schüttelte den Kopf: „Kenn’ ich nicht.“

„Macht nichts“, sagte er. „Sie müssten nur mitkommen und sagen, was Sie sehen. Es ist sehr wichtig.“

„Wenn’s nicht zu lange dauert“, sagte ich noch. „Weil meine Frau ist eine wichtige Marketingleiterin und ich muss ihr das Essen…“

Die Männchen aber hörten mir gar nicht zu. Stattdessen sagten sie: „Würden Sie bitte zu dem roten Raumschiff kommen?“

Innen war das Raumschiff überall mit dem Bild eines lurchenähnlichen Tieres beklebt, fast ein wenig fanatisch, wie ich fand, mit all den Plakaten und der Aufschrift: „Rettet den Erdmittelpunktlurch!“

Doch schon stiegen wir in eine Erdkapsel ein, so eine Art Tiefseekapsel, rundherum aus Glas.

Kaum hatte ich mich angeschnallt, ging es in die Tiefe. Mit atemberaubender Geschwindigkeit fuhren wir nach unten, ich in der Mitte, vorne und hinten die beiden Männchen aus dem Raumschiff. Durch Gesteinsschichten und Feuerflüsse hindurch rasten wir hinein in das ewige Innere der Erde. Das Thermometer stieg und stieg, doch wir hielten erst, als wir uns direkt am Erdmittelpunkt befanden. Sechstausend Kilometer hatten wir zurückgelegt und jetzt trieb unsere Kapsel gemächlich durch ein glühendes Meer.

Plötzlich glitt etwas an uns vorbei. Es sah aus wie ein Lurch, nicht sehr groß, acht Zentimeter vielleicht. Er hatte riesige Augen, fast so groß wie Trauben, und er sah mich an. Er klebte an der Scheibe und guckte.

„Das ist er“, sagte der Fahrer vor mir mit Ehrfurcht in der Stimme, während weitere Tierchen angeschwommen kamen. „Es gibt nur noch wenige davon. Und wenn wir die Wärme absaugen, kriegen sie kalte Füße.“

Wir blieben noch eine Weile in dieser unwirtlichen Umgebung und ließen die Lurche zu uns hereinschauen. Viel mehr gab es hier eigentlich nicht.

Als wir wieder oben waren, bedankten sich die Männchen bei mir und traten dabei ein bisschen verlegen auf den Füßen herum: „Würden Sie noch mitkommen und eine eidesstattliche Erklärung abgeben – weil uns sonst die Energiebehörde nicht ernst nimmt.“

„Wenn’s nicht zu lange dauert. Meine Frau hat nämlich eine wichtige Werbekampagne…“

Aber da hob das Raumschiff schon ab und in Lichtwindeseile entfernten wir uns von der Erde.

Schön war es nicht. Bei tiefer Nacht dockten wir irgendwo an, ich wurde hineingeführt in einen unspektakulären Raum, in dem ein Richter oder so etwas saß, und wurde gebeten zu erklären, dass ich den Erdmittelpunktlurch gesehen hatte: Ja, ich hatte ihn gesehen – Punkt. Das war’s dann auch schon.

Aber meine beiden Männchen klatschten in die Hände vor Freude und brachten mich wieder zurück auf die Erde. Die grauen Raumschiffe waren verschwunden.

„Mein Fahrrad?“, rief ich. „Wo ist mein Fahrrad?“

„Da haben wir neue Mäntel und Schläuche aufgezogen“, sagte der eine der beiden und schob mein repariertes Fahrrad aus dem Raumschiff. „Besseres Material, strapazierfähig, als kleines Dankeschön. Denn solange der Erdmittelpunktlurch lebt, darf keine Energie abgepumpt werden. In Tausend Jahren wird man es wieder versuchen.“

Ich bedankte mich meinerseits und blieb solange stehen, bis das Raumschiff gestartet war. In einer leichten Linkskurve glitt es über die Wiese dahin und entschwand in einer leuchtenden Bahn.

Jetzt musste ich aber schnell nach Hause. Also schwang ich mich in den Sattel, trat in die Pedale und radelte, was das Zeug hielt.

Schleunigst stellte ich mich an den Herd und kochte Nudeln für mich und meine Frau.

Genau zum richtigen Zeitpunkt goss ich das Wasser ab. Denn schon kam sie nach Hause, mit Schwung, wie es sich für eine Marketingleiterin gehört. Sie hängte das Jackett auf einen Bügel, setzte sich an den Tisch und schwärmte von ihrer neuesten Werbekampagne: „Die geht ab wie eine Rakete“, sagte sie, während sie sich eine dicke Gabel Spaghetti in den Mund schob. Sie schluckte und erzählte und schob neue Spaghetti nach. Bis sie irgendwann fragte: „Bei dir alles wie immer?“

„Ja“, sagte ich und dachte dabei an den Erdmittelpunktlurch, wie er seine Augen an die Scheiben der Kapsel gedrückt und uns soeben vor Schlimmem bewahrt hatte.

Na? Gestempelt?

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