Читать книгу Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht - Ulrike Babusiaux - Страница 10

Оглавление

2 Voraussetzungen

Das Erbrecht ist mehr als jedes andere Rechtsgebiet von den kulturellen Prägungen einer Gesellschaft abhängig. Ein vertieftes Verständnis und die Darstellung der historischen Entwicklung des römischen Erbrechts verlangen daher Kenntnisse des allgemeinen historischen wie des rechtshistorischen Rahmens, in dem sich die Erbrechtsentwicklung vollzieht.

Im Folgenden ist zunächst die historische Entwicklung Roms zu skizzieren, bevor die wichtigsten Stadien der römischen Rechtsentwicklung zu beschreiben sind.

2.1 Der allgemeine historische Rahmen

Die Geschichte Roms lässt sich in die Zeit der Republik (510 – 27 v. Chr.), des Prinzipats (27 v. Chr. – 284 n. Chr.) und der Spätantike (306 n. Chr. – 565 n. Chr.) einteilen.

Übersicht 5: Zeittafel zur Orientierung


Zur Orientierung sind im Folgenden diese Eckdaten zu erläutern und Schlaglichter auf einige Ereignisse und Akteure zu werfen, die für die Rechtsentwicklung bedeutsam waren.

2.1.1 Die römische Republik

Nach römischer Geschichtsschreibung beginnt die Republik mit dem Sturz des letzten Königs, der seine Herrschaft über die Stadt Rom und das Umland (Latium) ausgeübt hatte. Mit dem Sturz des Königs scheint die Macht in die Hände von einflussreichen und wohlhabenden Familien (Patriziern) übergegangen zu sein, die alle Schlüsselpositionen des Staates besetzten. In der Nachfolge des Königs stand der Höchstmagistrat (praetor maximus), wobei der Name praetor (von praeire = „vorangehen“) darauf hindeutet, dass er zugleich der Heerführer gewesen sein dürfte. Im Unterschied zum Königtum wurde das Amt jährlich neu vergeben, also wechselweise von Angehörigen der Patrizier ausgeübt.

Die nicht an der Macht beteiligten Bevölkerungsgruppen entwickelten mit der Zeit ein eigenes Standesgefühl und wurden als Plebejer (von plebs = „Menge“) bezeichnet. Da sie an den Kriegen Roms teilnehmen mussten, forderten sie Beteiligung an der politischen Macht. Zugeständnisse der Patrizier wurden in verschiedenen Schritten erreicht: So erhielten die Plebejer 494 v. Chr. zwei eigene Magistrate, die als Gegengewicht zur Herrschaft der Patrizier durch den praetor maximus dienten. Diese Magistrate wurden als Vorsteher der Plebs (tribuni plebis) gewählt und auch von den Patriziern als unantastbar (sakrosankt, von sacrosanctus = „unverletzlich, hochheilig“) angesehen. Auf diese Weise konnten die Volkstribune die Plebejer gegen magistratische Willkür schützen, indem sie Widerspruch (veto) gegen Maßnahmen der Patrizier einlegten, selbst aber nicht dafür belangt werden konnten. Im Laufe des fünften Jahrhunderts v. Chr. verdoppelte sich sowohl die Zahl der patrizischen Höchstmagistrate (praetores) als auch die der tribuni plebis auf je vier. Das Recht lag jedoch nach wie vor in den Händen patrizischer Familien, welche die Priester (pontifices) stellten, denen die Auskunft über die Sätze des göttlichen wie des menschlichen Rechts anvertraut war und die dieses Vorrecht – so die römische Geschichtsschreibung – einseitig zugunsten ihres Standes nutzten.

Eine erneute Revolte der plebs richtete sich gegen diese Willkür. Sie mündete in die erste umfassende Fixierung rechtlicher Vorschriften, in das um 450 v. Chr. erlassene Zwölftafelgesetz (lex duodecim tabularum).7 Seine Rechtsvorschriften wurden im Rom der Kaiserzeit auf griechische Vorbilder zurückgeführt: Eine Delegation sei aus Rom in griechische Städte gereist und mit zehn Gesetzestafeln nach Rom zurückgekehrt. In der Rechtsanwendung hätten sich Regelungslücken gezeigt, die durch zwei weitere Tafeln geschlossen worden seien. Auch wenn schon in der Republik die Tafeln des Gesetzes nicht mehr verfügbar waren, dienten die Zwölftafeln im gesamten hier betrachteten Zeitraum als Referenz- und Ausgangspunkt der Rechtsentwicklung. Berühmt geworden ist die Aussage des 27 v. Chr. bis 17 n. Chr. schreibenden Historikers Livius, die Zwölftafeln seien die „Quelle allen öffentlichen und privaten Rechts“ (fons omnis publici privatique est iuris, Liv. 3,34,6).

Zur Befriedung des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern genügte das Zwölftafelgesetz allerdings nicht. Der römischen Geschichtsschreibung zufolge erstritten die Plebejer in verschiedenen weiteren Schritten die Beteiligung an weiteren Ämtern, insbesondere auch an den magistratischen Höchstämtern, der Prätur und dem Konsulat. Nachdem 387 v. Chr. die Gallier Rom eingenommen und zerstört hatten, soll es im Rahmen der Bemühungen um den Wiederaufbau zur entscheidenden Auseinandersetzung und zum Kompromiss zwischen den beiden Ständen gekommen sein. Die leges Liciniae Sextiae von 367 v. Chr. sahen vor, dass zwei Konsuln das höchste Staatsamt ausüben sollten, von denen einer Plebejer sein konnte. Im Gegenzug erhielten die Patrizier das Recht, zwei neu geschaffene Magistraturen zu besetzen.

Die eine der neu geschaffenen Magistraturen war eine Prätur, die sich auf die Regelung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern beschränkte. Diesem Prätor, der als praetor urbanus bezeichnet wurde, stand die Befugnis zu, Recht zu sprechen, er hatte also die Jurisdiktionsgewalt inne (von ius dicere = „Recht sprechen“). Diese erfasste ursprünglich vor allem die Zulassung und Überwachung der Vollstreckung, das heißt den zwangsweisen Zugriff auf Person oder Vermögen des Beklagten. Grundlage der vom Prätor überwachten Vollstreckung war zunächst die zugestandene oder offenkundige Verpflichtung des Beklagten, später auch das Ergebnis eines Erkenntnisverfahrens. Das Erkenntnisverfahren selbst wurde nicht vom Jurisdiktionsmagistraten durchgeführt. Dieser setzte vielmehr einen Richter (iudex) ein, der das Erkenntnisverfahren durchzuführen und ein Urteil zu fällen hatte, das dann vollstreckt werden konnte. Aus der Zuweisung des Erkenntnisverfahrens an den Richter ergab sich eine Zweiteilung des Verfahrens in eine erste Phase vor dem Prätor (Phase in iure) und eine zweite vor dem Richter (Phase apud iudicem). Diese Zweiteilung des Prozesses blieb bis in die Kaiserzeit erhalten und ist als Charakteristikum des römischen Zivilprozesses anzusehen.

Die Veränderungen in der inneren Organisation gingen mit ständigen militärischen Auseinandersetzungen einher, in deren Verlauf Rom zunächst Italien unterwarf und sich sodann auch gegenüber Karthago als Konkurrent für die Vorherrschaft im Mittelmeerraum durchsetzte (Erster Punischer Krieg, 264 v. Chr.–241 v. Chr.; Zweiter Punischer Krieg, 218 v. Chr.–201 v. Chr.). Diese Ausweitung der römischen Herrschaft führte zu einer Intensivierung des Handels mit nichtrömischen Städten. In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung einer weiteren Prätur zu sehen, deren Inhaber Jurisdiktionsgewalt für die Streitigkeiten zwischen Nichtrömern und zwischen Nichtrömern und Römern hatte. Das Amt des Fremdenprätors (praetor peregrinus) soll im Jahr 242 v. Chr. geschaffen worden sein. Ab diesem Zeitpunkt sind zwei unterschiedliche Rechtsprechungsbereiche der Prätoren zu unterscheiden: Der Stadtprätor (praetor urbanus) entscheidet Streitigkeiten zwischen Römern, der Fremdenprätor (praetor peregrinus) ist für Prozesse zwischen Römern und Nichtrömern oder zwischen Nichtrömern zuständig.

In der Folge wurden weitere Prätorenämter für die Gebiete geschaffen, die Rom dauerhaft besetzte und die nach dem Begriff für den Kompetenzbereich eines Magistraten (provincia) als Provinzen bezeichnet wurden. Unter der Alleinherrschaft des Sulla (82 v. Chr. – 79 v. Chr.) wurde die Zahl der Prätoren auf acht festgesetzt, gleichzeitig wurde bestimmt, dass jeder Prätor nach seiner Tätigkeit in Rom (als praetor urbanus oder praetor peregrinus) ein weiteres Amtsjahr in der Provinz zu verbringen habe (81 v. Chr.). In den Provinzen nahm ein ehemaliger Prätor (Proprätor) die Funktion des römischen Statthalters (praeses provinciae) wahr, zu der vor allem die Jurisdiktionsgewalt über alle Provinzbewohner gehörte. Die Herrschaft der Prätoren folgte den Grundsätzen, die jeder Prätor zu Beginn seines Amtsjahres in einer Anordnung (edictum = „Bekanntmachung“, davon Edikt) niederlegte. Dieses Edikt stellte nicht mehr als ein ‚Programm‘ über die Grundsätze der Amtsführung des Prätors dar. Daher stand dem Gerichtsmagistraten im Einzelfall durchaus die Möglichkeit offen, von seinen eigenen Vorgaben abzuweichen. Seit der lex Cornelia de iurisdictione (67 v. Chr.) war der Prätor aber an sein Edikt gebunden und musste dem Rechtssuchenden die dort vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere die im Edikt vorgesehenen Klagen und Einreden, gewähren. Dabei setzte der Prätor nicht nur die Vorgaben um, die durch das Zwölftafelgesetz und andere Gesetze (leges) formuliert worden waren; vielmehr enthielt das Edikt auch Klageformeln (formulae), die vom Prätor (unter Beratung mit Juristen) aufgrund eigener Jurisdiktionsgewalt geschaffen worden waren.

Im letzten Jahrhundert v. Chr. geriet die römische Republik in eine Krise, die durch innenpolitische Unruhen (Bürgerkrieg) und außenpolitische Bedrohungen gekennzeichnet war. Durch die Abwehr der Bedrohung von außen setzte sich Oktavian (63 v. Chr.–14 n. Chr.) auch im Innern durch: Der Senat verlieh ihm den Ehrentitel „Augustus“ (27 v. Chr.) und erteilte ihm Sondervollmachten, um nach dem Bürgerkrieg die Ordnung des Staates wiederherzustellen. Auf diese Weise wurde formell die Republik erneuert, materiell aber eine neue Staatsform begründet: der Prinzipat.

2.1.2 Der Prinzipat

Als „Prinzipat“ wird die seit der Verleihung von Sondervollmachten an Oktavian (27 v. Chr.) bis zum Beginn der Herrschaft Diokletians (284 n. Chr.) gültige Staatsform bezeichnet. Die Bezeichnung ist abgeleitet vom Begriff princeps (wörtlich: „der Erste“) und bezieht sich auf die besonderen Befugnisse, die Oktavian zunächst persönlich, seinen Nachfolgern kraft ihres Amtes zustanden, und die eine besondere rechtliche Position des Herrschers begründeten. Auch wenn sich das Selbstverständnis und der Machtanspruch des princeps im Laufe der Kaiserzeit ebenso wandelten wie die politischen Gegebenheiten, blieb die rechtliche Konstruktion im Wesentlichen unverändert. Sie beruhte auf zwei bereits in der Republik bekannten Befugnissen, die dem princeps in außerordentlicher Form zuerkannt wurden. Es handelte sich zum einen um eine uneingeschränkte und zeitlich unbegrenzte Kompetenz des Volkstribuns (tribunicia potestas), zum anderen um eine unbegrenzte Amtsvollmacht des Statthalters (imperium proconsulare). Außerordentlich waren diese Befugnisse deshalb, weil der princeps sie ohne die institutionellen Begrenzungen des republikanischen Amtes ausübte: Durch die Verleihung der Befugnisse eines Volkstribuns konnte der Kaiser das den Tribunen zustehende Veto gegenüber allen magistratischen Anordnungen ausüben und – der ursprünglichen Funktion des Amtes entsprechend – den einzelnen Bürger vor magistratischer Willkür schützen. Gleichzeitig war er selbst unantastbar (sakrosankt), so dass das Veto für ihn keine negativen Folgen zeitigte. Da der Kaiser nicht in das Amt des Volkstribuns gehoben wurde, konnte er die tribunicia potestas gelöst von den Begrenzungen und Verpflichtungen des Amtes als wirkungsvolles Instrument der innenpolitischen Machtausübung nutzen. Die Amtsvollmacht des Statthalters dagegen war vor allem für die Außenpolitik, insbesondere für die Herrschaft in den Provinzen, von Bedeutung. Die an Oktavian verliehene Herrschaftsmacht (imperium) war entgegen der für Statthalter gültigen Praxis weder zeitlich noch gegenständlich begrenzt. Der princeps hatte mithin die dauerhafte Obergewalt über die Truppen und das Herrschaftsrecht über alle Bewohner der Provinzen. Zudem kontrollierte er die Statthalter, deren eigene Herrschaftsgewalt über die ihnen zugewiesene Provinz hinter der umfassenderen des princeps zurückstehen musste.

Die skizzierte Herrschaftskonstruktion des Prinzipats brachte freilich mit sich, dass die Thronfolge nicht gesichert war, weil die Gewalt mit dem Tod des princeps immer wieder an das Volk zurückfiel. Damit war es notwendig, schon zu Lebzeiten des princeps einen Nachfolger zu bestimmen und diesem mit Blick auf die Zukunft Teilhabe an den beiden Hauptbefugnissen zu übertragen. Auch war der princeps auf Unterstützung der Eliten des Reiches angewiesen, um beim Herrscherwechsel die Einsetzung seines Nachfolgers auf die beiden Befugnisse zu gewährleisten. Eine besondere Bedeutung bei der Unterstützung des princeps kam dabei den Juristen zu, die von Kaiser Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.), aber auch unter den Kaisern Hadrian (117 – 138 n. Chr.) und Septimius Severus (193 – 211 n. Chr.) eine besondere Förderung erfuhren und an der kaiserlichen Rechtssetzung beteiligt waren.

Mit dem Amtsantritt Oktavians soll ein kaiserliches Respondierrecht (ius respondendi) für Juristen eingeführt worden sein. Diese, als Privileg verstandene Befugnis soll ihrem Inhaber das Recht verschafft haben, Rechtsgutachten (responsa, wörtlich: „Antworten“) nicht nur im eigenen Namen, sondern im Namen des Kaisers zu erteilen, um die vertretene Rechtsansicht mit besonderer Autorität auszustatten. Diese kaiserliche Privilegierung des Respondierrechts von Juristen führte zur Verstärkung der Rechtswirkungen von responsa im Prozess: Während die zuvor privat verantworteten Gutachten als Parteivortrag durch den Prätor und den Richter zu beachten waren, galten die aus der Autorität des princeps erlassenen Gutachten als verbindliche Anordnung (lex, wörtlich „Gesetz“). Sofern also verschiedene Juristen im Namen des Kaisers übereinstimmende Auskünfte über die Rechtslage erteilt hatten, konnte der Richter sein Urteil nicht mehr auf eine abweichende Rechtsansicht stützen. Nur wenn die vorgelegten Gutachten abweichende Meinungen vertraten, blieb ihm die Wahl, sich einer der beiden Meinungen anzuschließen. Der kaiserliche Zugriff auf die Juristen sorgte mithin für eine einheitlichere Rechtsanwendung und führte gleichzeitig zu einer kaiserlichen Kontrolle über das vor Gericht angewandte Recht.

In die gleiche Richtung weist die von Kaiser Hadrian veranlasste Verkündung eines ewigen Edikts (edictum perpetuum) für Prätoren und Statthalter: Während die jährlichen Edikte der Magistrate Ausdruck ihrer eigenen Jurisdiktionsgewalt waren und trotz Anlehnung an das Edikt des Vorgängers auf eigener Schöpfung beruhten, ließ Kaiser Hadrian durch den Juristen Julian (2. Jahrhundert n. Chr.) eine allgemeingültige Version des prätorischen Edikts vorbereiten. Dieses Edikt wurde um 130 n. Chr. durch einen Senatsbeschluss in Kraft gesetzt und bildete fortan die unveränderliche Grundlage der Rechtsprechung in Rom und in den Provinzen. Zwar stand den Juristen weiterhin die Interpretation und interpretative Ergänzung von Ediktsklauseln offen, durch die Fixierung des Edikts wurde aber der Rechtssetzungsspielraum der Magistrate begrenzt und vor allem schon im Vorhinein durch den princeps kontrolliert.

Die Zeit der severischen Kaiser (193 – 235 n. Chr.) gilt in verschiedener Hinsicht als Höhepunkt des Einflusses der Juristen auf die Staatsgeschäfte. Schon seit Hadrian (117 – 138 n. Chr.) waren die Juristen sowohl im kaiserlichen Rat (consilium) als auch in der kaiserlichen Kanzlei unmittelbar an der Rechtssetzung durch den princeps beteiligt. In der Epoche der Severer wirkten mit Aemilius Papinianus (Papinian), Iulius Paulus (Paulus) und Domitius Ulpianus (Ulpian) gleich drei Juristen, die auch durch ihre Schriften zu den bedeutendsten Fachvertretern zählen, als kaiserliche Beamte und Mitglieder des Rates. Alle drei hatten die Position des Prätorianerpräfekten (praefectus praetorio) inne und waren damit direkte Vertreter des Kaisers in der Zivilverwaltung und Rechtsprechung. Auf diese Weise waren sie für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit zuständig und konnten in Vertretung des Kaisers auch Berufungsverfahren (appellationes) gegen Urteile durchführen. Auch in weniger prominenter Stellung wirkten sie auf die kaiserliche Rechtssetzung ein, indem sie als Kanzleibeamte die kaiserlichen Antworten (rescripta, davon Reskripte) auf Rechtsanfragen aus dem ganzen Reich vorbereiteten und als Beratungsgremium für das Kaisergericht dienten. Diese doppelte Funktion ist typisch für die Juristen der gesamten Kaiserzeit, die uns durch ihre ‚private‘ literarische Produktion (Rechtsliteratur) in Justinians Digesten bekannt sind.

In Übersicht 6 sind die Namen der im Folgenden am häufigsten zitierten Juristen – geordnet nach der kaiserlichen Dynastie, unter der sie wirkten – aufgeführt:

Übersicht 6: Die Jurisprudenz der Kaiserzeit


Die zeitliche Zuordnung eines Juristen zu einer bestimmten kaiserlichen Dynastie kann Aufschluss über die Rahmenbedingungen seines Wirkens geben und erlaubt, seinen Platz innerhalb der verschiedenen Juristengenerationen zu bestimmen. Die Details dieser Geschichte der römischen Jurisprudenz bleiben hier jedoch ebenso wie die Biographien und die Beschreibung der Schriften der einzelnen Prinzipatsjuristen ausgeklammert. Festzuhalten ist lediglich, dass der Prinzipat mit seiner engen Verbindung zwischen Kaisertum und Jurisprudenz die Voraussetzungen bot, die fachwissenschaftliche Diskussion auch literarisch zu fixieren und eine juristische Fachliteratur auszuprägen. Schon in der an die Severerzeit anschließenden Epoche, die als Zeit der „Soldatenkaiser“ (235 – 284 n. Chr.) bezeichnet wird, weil die häufigen Herrscherwechsel meist durch militärische Umstürze erfolgten, geht diese Möglichkeit wieder verloren. Dies lag vor allem daran, dass die kaiserliche Verwaltung aufgrund der gewaltsamen Herrscherwechsel in dieser Zeit nicht mehr von Juristen, sondern von Militärs dominiert wurde. Wenngleich die kaiserliche Kanzlei weiterhin Rechtsauskünfte erteilte und Recht setzte, verlor die Jurisprudenz ihre herausragende und mächtige Stellung, die sie seit Oktavian innehatte. Allerdings wirkten die Juristen des Prinzipats über ihre Schriften auch auf die Rechtssetzung der nachfolgenden Kaiser ein. Dies gilt in besonderem Maße für die Kaiser Diokletian (Ostrom, 284 – 305 n. Chr.) und Maximian (Westrom, 286 – 305 n. Chr.), die versuchten, die Herrschaft über das römische Reich durch dessen Neuorganisation zu sichern, und dabei in ihrer Rechtsprechung bewusst an die Vorbilder des Prinzipats anknüpften.

2.1.3 Die Spätantike

Die Zäsur zur Spätantike bildete der mit Kaiser Konstantin I. (306 – 337 n. Chr.) beginnende Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion. Die Berufung auf eine göttliche Legitimation der Herrschaft führte zu einer Veränderung der Herrschaftsbegründung und der Herrschaftsformen, und die Gebote des Christentums veränderten die Vorgaben für das Recht. Dennoch blieben die Schriften der Prinzipatsjuristen und die Rechtssetzungsakte der früheren römischen Kaiser auch im 4. Jahrhundert n. Chr. bekannt und wurden weiter abgeschrieben und verbreitet. In der Zeit der Völkerwanderung (4. und 5. Jahrhundert n. Chr.) wurden sowohl die Rechts- als auch die Reichseinheit geschwächt: Während im Osten des Reiches die antike Tradition fortlebte, endete das Westreich mit dem Tod des letzten von Byzanz anerkannten weströmischen Kaisers Julius Nepos (474 – 480 n. Chr.).

2.1.4 Zeitlicher Rahmen dieses Lehrbuchs

Die Zeitspanne, für welche die Entwicklung des römischen Erbrechts zu betrachten sein wird, ist gegenüber dem skizzierten zeitlichen Rahmen begrenzt. Sie betrifft – allein schon aufgrund der Quellenlage (Kap. 1.2) – vorrangig die Zeit vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. (in der Übersicht 7 hervorgehoben). Historisch gesehen erfasst die Darstellung damit die ausgehende römische Republik sowie die römische Kaiserzeit (Prinzipat).

Übersicht 7: Zeitlicher Rahmen dieses Lehrbuchs


Auch dieser Zeitraum von knapp 400 Jahren ist – wie schon die skizzierte historische Entwicklung gezeigt hat – keine homogene Epoche. In der justinianischen Kompilation der römischen Juristenschriften (Digesten) finden sich aber nahezu ausschließlich Werke aus diesem Zeitraum mit einem Schwerpunkt im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Es ist daher die Rechtsanschauung dieser Juristen der Prinzipatszeit, die auch die Darstellung der römischen Rechtsentwicklung prägt.

2.2 Rechtsschichten des römischen Privatrechts

Die römischen Juristen des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. unterscheiden verschiedene Rechtsschichten, das heißt Regelungen, die einer gemeinsamen Entwicklungsstufe angehören. Diese Unterscheidung von Rechtsschichten nach historischem Ursprung und damit verbunden abweichender rechtspolitischer Zwecksetzung dient den Juristen als elementare Rechtsquellenlehre. Dabei ordnen die römischen Juristen die Rechtsquellen nicht hierarchisch, sondern genetisch, indem sie eine nachfolgende oder hinzutretende Rechtsschicht vor allem in ihrer Gegensätzlichkeit zum bestehenden Recht kennzeichnen. Die Forschung zum römischen Recht bedient sich dieser Ansätze, um die römische Rechtsordnung zu charakterisieren. Man spricht daher von den ‚Rechtsschichten des römischen Privatrechts‘. Damit ist die bereits beschriebene historische Anlagerung von Normen unterschiedlicher Provenienz und Zielsetzung gemeint, die das römische Privatrecht kennzeichnet (Kap. 1.3.1). Da dieses Rechtsschichtenmodell auch bei der Darstellung der erbrechtlichen Institute zugrunde gelegt werden wird, sind im Folgenden die in den Juristenschriften anzutreffenden Charakterisierungen verschiedener Rechtsschichten vorzustellen.

2.2.1 Ius naturale

Den theoretischen Ausgangspunkt der Reflexion über Rechtsschichten in den Juristenschriften bildet das ius naturale („natürliches Recht“), das nicht mit dem heutigen Naturrecht verwechselt werden darf:

D. 1.1.1.3 Ulpianus 1 institutionumIus naturale est, quod natura omnia animalia docuit: Nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium, quae in terra, quae in mari nascuntur, avium quoque commune est. Hinc descendit maris atque feminae coniunctio, quam nos matrimonium appellamus, hinc liberorum procreatio, hinc educatio: Videmus etenim cetera quoque animalia, feras etiam istius iuris peritia censeri.

Das natürliche Recht besteht aus dem, was die Natur alle Lebewesen gelehrt hat: Denn dieses Recht ist nicht der Menschheit vorbehalten, sondern ist allen Lebewesen, die auf der Erde und die im Meer geboren werden, und auch den Vögeln gemeinsam. Von diesem Recht stammt die Verbindung von Mann und Frau ab, die wir als Ehe (matrimonium) bezeichnen; ebenso die Zeugung von Kindern und ihre Erziehung. Wir sehen nämlich, dass auch die anderen Lebewesen, sogar die wilden Tiere, durch die Kenntnis dieses Rechts erfasst werden.

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) definiert als ius naturale das von der Natur gegebene Recht, das als ursprünglich vorgefundenes Recht dem vom Menschen geschaffenen Recht gegenübersteht. Da das menschliche Recht dem naturgegebenen Zustand widersprechen kann, bildet das ius naturale einen Ansatzpunkt für Rechtskritik:

D. 1.1.11 Paulus 14 ad SabinumIus pluribus modis dicitur: Uno modo, cum id quod semper aequum ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale. Altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque civitate utile est, ut est ius civile. […].

Der Begriff „Recht“ wird auf mehrere Weisen verwendet: In der einen Weise, wenn das, was immer billig und gut ist, als Recht bezeichnet wird, das heißt das ius naturale. Auf andere Weise, was allen oder der Mehrheit in jeder beliebigen Gemeinde nützlich ist, das heißt das ius civile. […].

Während das ius naturale der allgemeinen Gerechtigkeit (aequitas) verpflichtet ist, dient das ius civile, das heißt das für die Bürger einer Gemeinde geschaffene Recht, der Nützlichkeit (utilitas). Das ius civile kann daher einseitig bestimmte Gruppen oder Personen begünstigen, was gegen die allgemeine Gerechtigkeit, also das ius naturale, verstößt. Die Berufung auf die grundlegende Rechtsschicht des ius naturale kann daher – genau wie die Berufung auf die aequitas – dazu dienen, Rechtsänderungen und Anpassungen der bestehenden Regelungen zu fordern.

2.2.2 Ius civile

Die grundlegende Rechtsschicht des vom Menschen geschaffenen Rechts bildet das ius civile:

Gai. 1,1Omnes populi, qui legibus et moribus reguntur, partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utuntur: Nam quod quisque populus ipse sibi ius constituit, id ipsius proprium est vocaturque ius civile, quasi ius proprium civitatis; […].

Alle Völker, die von Gesetzen und Sitten regiert werden, wenden teils ihr eigenes, teils das allen Menschen gemeinsame Recht an. Denn was ein jedes Volk selbst für sich als Recht festsetzt, das ist sein eigenes und wird ius civile genannt, sozusagen „das eigene Recht der Gemeinde (civitas)“; […].

Das ius civile ist das innerhalb einer Bürgerschaft (civitas) geltende Recht; die Berufung auf dieses Recht setzt die Zugehörigkeit zur Bürgerschaft, also das Bürgerrecht, voraus.8 Hauptquellen des ius civile in Rom sind das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) und andere Volksgesetze (leges) der republikanischen Zeit. Seinen Gegenpol bildet das über die Gemeinde (Rom) hinausweisende Recht, das unabhängig vom Bürgerrecht Anwendung findet und das als ius gentium (‚Völkergemeinrecht‘) bezeichnet wird. Dieses Völkergemeinrecht ist nicht wie das ‚Völkerrecht‘ auf die zwischenstaatliche Sphäre beschränkt, sondern umfasst auch das Privatrecht, das heißt Rechtsverbindungen zwischen Bürgern verschiedener Gemeinden, zum Beispiel in Handelsbeziehungen. Im hier untersuchten Erbrecht spielt das ius gentium keine Rolle, was sich aus der engen Verbindung zum Familien- und Personenrecht erklären lässt: Solange das Erbrecht in der archaischen Zeit der Fortsetzung der Familie über den Tod hinaus dient, gibt es kaum Raum für Übertragungen auf Nichtrömer (peregrinus = „fremd, ausländisch“, davon Peregrine). Soweit im Verlauf von Republik und Kaiserzeit auch das Erbrecht von Nichtrömern zum Thema wurde, wurden die Lücken des ius civile durch das prätorische Recht (ius praetorium) und das Kaiserrecht geschlossen.

2.2.3 Ius praetorium und ius honorarium

Das ius praetorium oder ius honorarium bildet die zweite wichtige Rechtsschicht des vom Menschen geschaffenen Rechts:

D. 1.1.7.1 Papinianus 2 definitionumIus praetorium est, quod praetores introduxerunt adiuvandi vel supplendi vel corrigendi iuris civilis gratia propter utilitatem publicam. Quod et honorarium dicitur ad honorem praetorum sic nominatum.

Das prätorische Recht ist dasjenige, das die Prätoren um der Unterstützung oder der Ergänzung oder der Korrektur des ius civile willen zum öffentlichen Wohl eingeführt haben. Dieses wird auch als ius honorarium bezeichnet, das zu Ehren (honor) der Prätoren so genannt wurde.

Der Name ius praetorium leitet sich vom Amt des Gerichtsmagistraten (praetor oder allgemeiner honor = „Amt“, daher auch „Amtsrecht“) ab, verweist also darauf, dass das Recht auf dem prätorischen Edikt beruht. Sein Zweck ergibt sich aus dem Rechtsdurchsetzungszweck des prätorischen Edikts: Das Edikt stellt die Klageformeln und Einreden zur Verfügung, die Voraussetzung für die Gewährung von Rechtsschutz sind. Aus diesem Grund wird das ius praetorium vorrangig in seiner Funktion für das ius civile, verstanden als Summe der für den römischen Bürger geltenden Rechtsgrundsätze und Rechtsinstitute, definiert. Das prätorische Recht als Prozessrecht des ius civile dient in dieser Perspektive zunächst dazu, das ius civile zu unterstützen und bei dessen Lückenhaftigkeit zu ergänzen. Der vom Prätor gewährte Rechtsschutz kann aber auch eine das ius civile korrigierende Funktion haben. Auch diese Korrekturwirkung kann – wie das gesamte ius praetorium – aus dem öffentlichen Auftrag des Prätors gerechtfertigt werden.

Auf diese Weise besteht tendenziell ein Spannungsverhältnis zwischen ius civile und ius praetorium. Diese Dualität beider Rechtsschichten dauert auch nach Beginn des Prinzipats fort. Obwohl das Edikt seit Kaiser Hadrian (117 – 138 n. Chr.) als kaiserliches Recht wirkt (Kap. 2.1.2), wird es in den Juristenschriften weiter als ius praetorium bezeichnet. Auch das ius civile wird bis in die Kaiserzeit als eigenständige Rechtsschicht angesehen, wenngleich das Kaiserrecht auch für dieses neue Vorgaben setzt und unmittelbar verändernd in das ius civile eingreift.

2.2.4 Ius civile und ius novum im Prinzipat

Das Kaiserrecht, verstanden als dritte Rechtsschicht des menschlich geschaffenen Rechts, besteht aus Senatsbeschlüssen (senatusconsulta) und kaiserlichen Konstitutionen (constitutiones). Beiden Rechtssetzungsakten kommt nach Meinung der kaiserzeitlichen Juristen Gesetzeskraft zu:

Gai. 1,4Senatus consultum est, quod senatus iubet atque constituit; idque legis vicem optinet, quamvis [de ea re] fuerit quaesitum.

Ein Senatsbeschluss ist, was der Senat befiehlt und festsetzt. Und dieser erhält die Aufgabe eines Gesetzes, obwohl diese Wirkung in Frage gestellt wurde.

Als Senatsbeschluss (senatusconsultum) wird eine verbindliche Anordnung des Senats bezeichnet. Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) erkennt ihr Gesetzesgleichheit zu, wobei er andeutet, dass diese Wirkung umstritten war. Diese knappe Bemerkung spielt auf die Entwicklung des Senats zu einem Gesetzgebungsorgan des princeps an: In der Republik war der Senat die Versammlung der früheren Höchstmagistrate (Prätoren und Konsuln). Seine Hauptbefugnisse waren die staatsrechtliche Genehmigung (auctoritas patrum) von Gesetzen (leges) und die Erteilung von ‚Ratschlägen‘ (consultum von consulere = „um Rat fragen“) an Magistrate. Auf Antrag des Höchstmagistraten trat der Senat zusammen, beriet und entschied über die magistratischen Anfragen. Dieses Antragsrecht vor dem Senat (ius agendi cum senatu) kam in der Kaiserzeit dem princeps aufgrund der tribunicia potestas (Kap. 2.1.2) zu. Mit dem Ausbau der kaiserlichen Macht und der Dominanz des kaiserlichen Antrags (oratio principis) über die senatorische Diskussion wurde das senatusconsultum zur Rechtsquelle, das heißt zum allgemeinverbindlichen Rechtsakt.

Auch die mit dem Sammelbegriff als Konstitutionen (von constitutum, constituere = „festlegen“) bezeichneten weiteren Rechtssetzungen des princeps sind allgemeinverbindlich:

D. 1.4.1pr.-1 Ulpianus 1 institutionumpr. Quod principi placuit, legis habet vigorem: Utpote cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in eum omne suum imperium et potestatem conferat. 1 Quodcumque igitur imperator per epistulam et subscriptionem statuit vel cognoscens decrevit vel de plano interlocutus est vel edicto praecepit, legem esse constat. Haec sunt quas volgo constitutiones appellamus.

pr. Was dem princeps gefiel, hat Gesetzeskraft, weil ja mit dem Königsgesetz (lex regia), das hinsichtlich seines imperium erlassen worden ist, das Volk ihm und auf ihn all seine Befugnis und Macht überträgt. 1 Es steht daher fest, dass alles, was der Herrscher folglich durch einen Brief und eine Subskription festgelegt hat oder als Gerichtsherr geurteilt oder durch formlosen Zwischenbescheid befunden hat oder durch Edikt festgelegt hat, Gesetz ist. Dies sind diejenigen Dinge, die wir gemeinhin Konstitutionen nennen.

Die Verbindlichkeit der Konstitutionen wird von Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) darauf zurückgeführt, dass der princeps selbst durch ein Königsgesetz (lex regia) in seine Amtsbefugnisse eingesetzt worden sei. Es liegt nahe, dieses Königsgesetz mit einem Antrittsgesetz (lex de imperio) in Verbindung zu bringen. Ein solches ist für den Kaiser Vespasian (69 – 79 n. Chr.) auf einer Bronzetafel überliefert, aber auch für andere Kaiser zu vermuten. Mit diesem Antrittsgesetz werden dem neuen princeps von Volk und Senat die kaiserlichen Machtbefugnisse zugestanden. Da das Volk und der Senat Gesetzgeber sind – so Ulpians Argument –, erhält der princeps gleichfalls die Kompetenz eines Gesetzgebers.

Von den genannten Konstitutionen sind zunächst die Edikte (edicta) zu betrachten: Während das Edikt in der Republik die Anordnung eines Magistraten in seinem Kompetenzbereich bezeichnet, mit der die Grundzüge der Amtsführung festlegt werden (Kap. 2.1.1), kommt dem princeps als Inhaber des imperium proconsulare maius et infinitum die Befugnis zu, generell verbindliche Edikte zu erlassen. Das bekannteste und vielleicht wichtigste dieser Edikte ist die unter Kaiser Caracalla 212 n. Chr. erlassene constitutio Antoniniana (von Antoninus = Caracalla), durch die allen Bewohnern des römischen Reiches das römische Bürgerrecht verliehen wird.

Dagegen sind die übrigen Konstitutionen ihrer Natur nach Einzelfallentscheidungen. Die wichtigsten sind die Reskripte (rescripta, von rescribere = „zurückschreiben, schriftlich antworten“), das heißt Rechtsauskünfte, welche die kaiserliche Kanzlei auf Anfrage erteilt. Die genaue Form des Reskriptes richtet sich nach seinem Adressaten: Das Reskript erfolgt in Briefform (epistula), wenn sich der Bescheid an bedeutende Persönlichkeiten, Beamte des Kaisers oder eine Gemeinde richtet. Allen übrigen Privatleuten wird der kaiserliche Bescheid dagegen formlos auf dem Anfrageschreiben mitgeteilt, was den Namen subscriptio (wörtlich: „Unterschrift“) erklärt. Verbindlich war diese Auskunft zunächst nur für den Sachverhalt, auf den sich die Anfrage bezog; der gegenüber dem Kaiser niederrangige Entscheidungsträger, zum Beispiel ein Richter, ist also bei seiner Entscheidung an die kaiserliche Rechtsauskunft gebunden. Darüber hinaus erhalten Reskripte präjudizielle Wirkung, indem sie auch in Rechtsstreitigkeiten zitiert werden, die zwar nicht Anlass für die Anfrage waren, aber eine vergleichbare Rechtsfrage betreffen. Eine vergleichbare Wirkung kommt den vom Kaiser als Gerichtsherrn erlassenen Urteilen (decreta) oder Zwischenbescheiden (interlocutiones) zu, da sie über den Einzelfall hinaus als Präjudizien verwendet werden.

Die Gleichstellung der kaiserlichen Rechtssetzung mit dem Volksgesetz (lex) erklärt, warum das Kaiserrecht auch als Rechtsquelle des ius civile genannt wird:

D. 1.1.7pr. Papinianus 2 definitionumIus autem civile est, quod ex legibus, plebis scitis, senatus consultis, decretis principum, auctoritate prudentium venit.

Das ius civile aber besteht aus dem, was sich aus Gesetzen, Plebisziten, Senatsbeschlüssen, Urteilen der Kaiser und aus der Auslegung der Rechtsgelehrten herleitet.

Rechtsquellen des ius civile sind sowohl die republikanischen Volksgesetze (leges) und Plebiszite (plebiscita) als auch die Senatsbeschlüsse (senatusconsulta) und kaiserlichen Urteile (decreta principum). Als letzte Rechtsquelle nennt Papinian die Autorität der Rechtsgelehrten (auctoritas prudentium). Damit werden die Ansichten und Lehrmeinungen, welche die Juristen als Berater von Parteien, Prätoren oder auch dem Kaiser vertraten oder in ihren Schriften niederlegten, bezeichnet. Grundlage für die Geltung dieser Ansichten bildete der fachwissenschaftliche Konsens zwischen verschiedenen Juristen über die richtige Lösung eines Falls oder einer abstrakten Rechtsfrage. Sie wird seit Augustus durch das kaiserliche Privileg des Respondierrechts verstärkt (Kap. 2.1.2).

Die Liste der bei Papinian aufgeführten Rechtsquellen belegt, dass das ius civile auch im 3. Jahrhundert n. Chr. keine abgeschlossene Rechtsschicht bildet, sondern auch in der Kaiserzeit weiter anwächst. Dabei ist einerseits zu beobachten, dass die Konstitutionen, für die Papinian stellvertretend die Urteile (decreta) nennt, das bestehende ius civile für den Einzelfall konkretisieren. Nur soweit sich im Einzelfall ein Bedürfnis ergibt, wird das bestehende Recht verändert und entsprechend dem Bedürfnis angepasst. Vorbild dieser schrittweisen kaiserlichen Rechtsanwendung ist die kasuistische Methode der Juristen (Kap. 1.3.2). Andererseits gibt es Senatsbeschlüsse, mit denen der Kaiser ein neues und abweichendes Recht (ius novum) gegenüber dem tradierten ius civile setzt und durchsetzt.

Das Kaiserrecht ist also nicht lediglich als eine dritte Rechtsschicht zu verstehen, die sich über dem überkommenen ius civile und ius praetorium anlagert. Vielmehr umgreift das Kaiserrecht aufgrund des Anspruchs, umfassendes Recht zu sein, die bestehende Ordnung und nimmt sie in sich auf, soweit dies mit den rechtspolitischen Zielen des Herrschers vereinbar ist. Dieses Selbstverständnis entspricht der verfassungsrechtlichen Konstruktion des Prinzipats: Genauso wie die Staatsform des Prinzipats die in der Republik für bestimmte Amtsträger ausgebildeten Befugnisse verwendet, um eine die republikanischen Befugnisse überschreitende Herrschaft des princeps zu legitimieren (Kap. 2.1.2), nimmt auch das vom princeps gesetzte Recht das republikanisch gebildete Recht in sich auf und bildet es unter Anlehnung an das republikanische Vorbild fort.

Das Festhalten an republikanischen Rechtsvorstellungen zeigt sich sogar dort, wo die Kaiser bewusst neues Recht (ius novum) schaffen: Dies geschieht einerseits – wie gesehen – durch Senatsbeschlüsse, also einer bereits zu Zeiten der Republik bekannten Rechtssetzungsform, andererseits im Rahmen kaiserlich geschaffener Gerichte mit Spezialzuständigkeiten. Das für einzelne Fragen von kaiserlichen Beamten angewandte Verfahren wird als cognitio extra ordinem, das heißt „außerordentliches Erkenntnisverfahren“ (davon: „Kognitionsverfahren“), bezeichnet. In dieser Bezeichnung kommt zum Ausdruck, dass die kaiserlichen Gerichte nicht nach den Regeln des prätorischen Edikts, sondern allein nach den vom Kaiser formulierten Regeln Recht sprechen. Die Besonderheiten der cognitio extra ordinem liegen mithin sowohl in den Durchführungsfragen des Prozesses als auch in den für die erörterten Rechtsfragen geltenden Regeln. Obwohl die kaiserlichen Spezialzuständigkeiten im Laufe der Kaiserzeit eine wichtige Quelle neuen Rechts (ius novum) werden, bleibt es formell bei der Begrenzung auf Spezialfragen und auf die kaiserliche Gerichtsbarkeit. Indem jedoch die kaiserliche cognitio extra ordinem neben die bestehenden Jurisdiktionsinstanzen, vor allem den Prätor und den Statthalter tritt, geraten diese unter Konkurrenz- und Anpassungsdruck. Auf diese Weise führt das durch die Kognition geschaffene ius novum ganz allmählich zur Ablösung der aus ius civile und ius praetorium gebildeten Ordnung, ohne dass diese jemals formell außer Kraft gesetzt würden.

Übersicht 8: Rechtsschichten der Kaiserzeit


Die beschriebenen Entwicklungsstufen des römischen Privatrechts, die sich aus Sicht der kaiserzeitlichen Juristen als unterschiedliche Rechtsschichten darstellen, sind im Folgenden für das römische Erbrecht zu untersuchen.

7 Das Gesetz ist nicht erhalten; es wird aufgrund von Zitaten vor allem aus der juristischen und antiquarischen Literatur rekonstruiert, dazu zuletzt Oliviero Diliberto, Materiali per la palingenesia delle XII Tavole, Vol. 1, Cagliari 1992; Michel Humbert/Andrew D. E. Lewis/Michael H. Crawford, Lex duodecim tabularum, in: Michael H. Crawford (Hrsg.), Roman Statutes II, London 1996, 555 – 721. Nützlich die zweisprachige Ausgabe von Dieter Flach/Andreas Flach (Hrsg.), Das Zwölftafelgesetz. Leges XII tabularum, Darmstadt 2004.

8 Daher wird das ius civile in traditionellen Formulierungen auch als ius Quiritium = „Recht der Quiriten“, von quirites = „römische Bürger“, bezeichnet.

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht

Подняться наверх