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3 Das Intestaterbrecht

Bereits das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v. Chr.) unterscheidet danach, ob die Erbfolge aufgrund Testaments oder nach dem Gesetz eintritt. Die gesetzliche Erbfolge ist subsidiär, kommt also nur dann zur Anwendung, wenn der Erblasser kein Testament hinterlassen hat (V,4): „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, soll der gradnächste agnatische Verwandte den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ 9 (si intestato moritur, cui suus heres nec essit, agnatus proximus familiam pecuniamque habeto.) Die Voraussetzung des testamentslosen Versterbens (intestatus = „ohne Testament“, davon: Intestaterbfolge) meint dabei Folgendes:

D. 50.16.64 Paulus 67 ad edictum„Intestatus“ est non tantum qui testamentum non fecit, sed etiam cuius ex testamento hereditas adita non est.

„Ein ohne Testament Verstorbener“ (intestatus) ist nicht nur derjenige, der kein Testament errichtet hat, sondern auch derjenige, aus dessen Testament die Erbschaft nicht angetreten worden ist.

Das Intestaterbrecht greift nicht nur dann ein, wenn der Erblasser von vornherein kein wirksames Testament errichtet hat, sondern auch dann, wenn das errichtete Testament aus einem anderen Grund nicht zur Anwendung gelangt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der eingesetzte Erbe vorverstorben ist, oder sich weigert, die Erbschaft anzutreten. In diesem Fall treten Familienangehörige und Verwandte des Erblassers die Erbfolge an; das Intestaterbrecht wird daher auch als „Familienerbrecht“ bezeichnet.

Die von den Erben erworbene Rechtsposition wird in den Zwölftafeln als Vermögensinhaberschaft beschrieben. Dabei wird das Vermögen mit der Synonymdoppelung familia pecuniaque gekennzeichnet, erfasst also sowohl die Dienerschaft (Sklaven) des Testators (familia = „Dienerschaft, Hausgenossenschaft“) als auch die finanziellen Mittel (pecunia = „Geld“):

D. 50.16.195.1 Ulpianus 46 ad edictum„Familiae“ appellatio qualiter accipiatur, videamus. et quidem varie accepta est: Nam et in res et in personas deducitur. in res, ut puta in lege duodecim tabularum his verbis „adgnatus proximus familiam habeto“. […].

Wir wollen betrachten, auf welche Weise die Bezeichnung familia verstanden wird. Und sie ist allerdings auf verschiedene Weise aufgefasst worden: Sie wird nämlich sowohl auf Sachen als auch auf Personen angewendet. Auf Sachen, wie zum Beispiel im Zwölftafelgesetz, mit diesen Worten „der gradnächste agnatische Verwandte soll die familia haben“. […].

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) betont, dass sich der Begriff familia im Intestaterbrecht der Zwölftafeln auf Sachen, nicht auf Personen beziehe. Das Wort familia steht also nicht nur für die personenrechtliche Beziehung zwischen Familienangehörigen, sondern kann auch das Vermögen bezeichnen.

Aufgrund der Abhängigkeit des Intestaterbrechts von den Familienstrukturen sind im Folgenden auch die Grundsätze des römischen Familienrechts vorzustellen und in ihrer Bedeutung für das Intestaterbrecht zu würdigen.

3.1 Die Familie als Hierarchie

Die römische Familie ist – genau wie die civitas (Kap. 2.2.2) – als Rechtsgemeinschaft definiert. Diese Gemeinschaft ist hierarchisch organisiert:

D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] iure proprio familiam dicimus plures personas, quae sunt sub unius potestate aut natura aut iure subiectae, ut puta patrem familias, matrem familias, filium familias, filiam familias quique deinceps vicem eorum sequuntur, ut puta nepotes et neptes et deinceps. Pater autem familias appellatur, qui in domo dominium habet, recteque hoc nomine appellatur, quamvis filium non habeat: non enim solam personam eius, sed et ius demonstramus. […].

[…] nach eigenem Recht (ius civile) bezeichnen wir als Familie mehrere Personen, die entweder der Natur nach oder rechtlich der Gewalt eines einzelnen unterworfen worden sind, wie zum Beispiel den Hausvater (pater familias), die Mutter (mater familias), den Haussohn (filius familias), die Haustochter (filia familias) und diejenigen, die der Reihe nach an ihre Stelle nachfolgen, wie zum Beispiel Enkel und Enkelinnen und so weiter. Als pater familias aber wird derjenige bezeichnet, der im Haus die Vermögensgewalt innehat, und richtigerweise wird er auch mit diesem Namen bezeichnet, wenn er auch kein Kind hat. Wir bezeichnen nämlich nicht allein seine Person, sondern auch die Rechtsstellung. […].

Familie im Sinne des ius civile ist ein Personenverband, welcher der Gewalt eines Oberhaupts untersteht. Das Oberhaupt der römischen Familie ist der Hausvater (pater familias), der die anderen Angehörigen der Familie in seiner Gewalt hat. Dabei ist zu beachten, dass die väterliche Gewalt auch für die Abkömmlinge der Haussöhne gilt, also generationsübergreifend wirkt. Solange also der Großvater lebt, stehen seine Söhne und deren Kinder in seiner Gewalt. Da einem Haussohn mit dem Ausscheiden aus der väterlichen Gewalt die Möglichkeit eröffnet wird, selbst Oberhaupt einer Familie zu sein, wird er als pater familias („Hausvater“) bezeichnet, sobald er aus der Gewalt des Vaters ausscheidet. Diese Bezeichnung gilt unabhängig davon, ob der aus der Gewalt Ausscheidende verheiratet ist oder Kinder hat; sie kennzeichnet also nur die eigene Unabhängigkeit von der väterlichen Gewalt. Bei Enkeln ist zu beachten, dass sie mit dem Tod des Großvaters in die Gewalt ihres Vaters übergehen, also ihrerseits nicht rechtlich selbstständig werden, sondern nur den Gewalthaber wechseln.

Die Hausgewalt des Hausvaters (patria potestas) umfasste ursprünglich das Recht, über Leben und Tod der Abkömmlinge zu entscheiden; noch in der Zeit des Prinzipats beinhaltet sie die Befugnis zur Aussetzung von neugeborenen Hauskindern. Vermögensrechtlich führt die Gewaltunterworfenheit zur Vermögensunfähigkeit: Hauskinder erwerben durch Geschäfte nicht für sich selbst, sondern – gleichsam als „verlängerter Arm“ des Hausvaters – nur mit Wirkung für diesen. Aus diesem Verständnis der Hausgewalt erklärt sich, warum die familia in einem weiteren Sinne auch die Sklaven erfasst: Auch sie stehen in der Gewalt des Hausvaters und erwerben – genau wie die Hauskinder – mit Wirkung für diesen:

Gai. 2,87Igitur liberi nostri, quos in potestate habemus, item quod servi nostri […] nanciscuntur […] id nobis adquiritur […]; et ideo si heres institutus sit, nisi nostro iussu hereditatem adire non potest; et si iubentibus nobis adierit, hereditas nobis adquiritur, proinde atque si nos ipsi heredes instituti essemus; et convenienter scilicet legatum per eos nobis adquiritur.

Was also unsere Hauskinder, die wir in der Hausgewalt haben, ebenso was unsere Sklaven […] erlangen, […] das wird für uns erworben, […]. Und daher kann er [derjenige, der in der Hausgewalt ist], wenn er zum Erben eingesetzt worden ist, nur auf unser Geheiß hin die Erbschaft antreten […]; und wenn er sie auf unseren Befehl hin angetreten hat, wird die Erbschaft für uns ebenso erworben, wie wenn wir selbst zu Erben eingesetzt worden wären; und dementsprechend wird – wie sich versteht – ein Vermächtnis durch sie für uns erworben.

Sowohl Sklaven als auch Hauskinder erwerben für den pater familias. Dies gilt auch für den erbschaftlichen Erwerb: Ist ein Haussohn oder eine Haustochter im Testament eines Dritten zum Erben eingesetzt oder ist ihnen ein Vermächtnis zugedacht worden, entscheidet der Hausvater, ob das Erbe anzutreten oder das Vermächtnis anzunehmen ist. Die Hauskinder erwerben die Erbschaft also nicht für sich selbst, sondern für den Hausvater als Inhaber des Familienvermögens.

Voraussetzung für die Begründung der Hausgewalt (patria potestas) über die Kinder ist das Bestehen einer rechtmäßigen römischen Ehe zwischen den Eltern:

Gai. 1,55Item in potestate nostra sunt liberi nostri, quos iustis nuptiis procreavimus, quod ius proprium civium Romanorum est. […].

Ebenso stehen unsere Kinder, die wir in rechtmäßiger Ehe gezeugt haben, in unserer Hausgewalt (potestas). Dieses Recht ist den römischen Bürgern vorbehalten. […].

Eine rechtmäßige Ehe setzt voraus, dass beide Eheleute das römische Bürgerrecht haben. Mit Nichtrömerinnen kann ausnahmsweise dann eine nach römischem Recht gültige Ehe eingegangen werden, wenn ihnen das Privileg der Eheeingehung nach römischem Recht, das conubium, verliehen worden ist.

Das Gewaltverhältnis – das heißt die Vermögensunfähigkeit des Hauskindes – endet grundsätzlich erst dann, wenn der Gewalthaber verstirbt:

D. 50.16.195.2 Ulpianus 46 ad edictum[…] Et cum pater familias moritur, quotquot capita ei subiecta fuerint, singulas familias incipiunt habere: Singuli enim patrum familiarum nomen subeunt. […].

[…] Und wenn der pater familias verstirbt, beginnen die Personen, wie viele auch immer ihm unterworfen gewesen sind, einzelne Familien zu haben; denn jeder einzelne von ihnen übernimmt den Namen pater familias. […].

Mit dem Tod des Hausvaters werden die Hauskinder gewaltfrei und vermögensfähig; dabei wird nicht zwischen Haussöhnen und Haustöchtern unterschieden. Ein Unterschied zwischen Haussöhnen und Haustöchtern ergibt sich aber daraus, dass Haussöhne selbst Hausgewalt über in rechtmäßiger Ehe geborene Abkömmlinge begründen können, während die Haustöchter lediglich Gewalt über sich selbst erlangen (Kap. 3.1.4).

Aus diesem Nachrücken der Hauskinder in die Position des Hausvaters bei dessen Tod ergibt sich die erste Stufe der römischen Intestaterbfolge nach ius civile. Der bereits zitierte Zwölftafelsatz V,4 sieht vor, dass der testamentslose Erblasser von seinem Hauserben (suus heres) beerbt wird: „Wenn jemand, der keinen Hauserben hat, testamentslos stirbt, […]“ (si intestato moritur, cui suus heres nec essit [].). Die Rechtsnachfolge der Hauskinder in die Stellung des Hausvaters wird dabei nicht angeordnet, sondern vorausgesetzt.

3.1.1 Das Erbrecht der Hauskinder

Die gleichsam natürliche Nachfolge der Hauserben in die Rechtsposition des Hausvaters ist eine Konsequenz der Vermögensunfähigkeit der Hauskinder zu Lebzeiten des Hausvaters:

D. 28.2.11 Paulus 2 ad SabinumIn suis heredibus evidentius apparet continuationem dominii eo rem perducere, ut nulla videatur hereditas fuisse, quasi olim hi domini essent, qui etiam vivo patre quodammodo domini existimantur. Unde etiam filius familias appellatur sicut pater familias, sola nota hac adiecta, per quam distinguitur genitor ab eo qui genitus sit. Itaque post mortem patris non hereditatem percipere videntur, sed magis liberam bonorum administrationem consequuntur. […].

Es erscheint in Bezug auf die Hauserben ziemlich einleuchtend, dass die Fortsetzung der Eigentümerstellung dazu führt, dass es keine Erbschaft gegeben zu haben scheint, weil diese angeblich seit langem Eigentümer waren, die auch zu Lebzeiten ihres Vaters auf gewisse Weise für Eigentümer gehalten werden. Daher wird auch der Haussohn nach dem Hausvater benannt, unter Hinzufügung dieses alleinigen Merkmals, durch das der Erzeuger von dem, der gezeugt worden ist, unterschieden wird. Nach dem Tod des Vaters scheinen sie daher nicht eine Erbschaft zu erwerben, sondern sie erlangen vielmehr die freie Verwaltung des Vermögens. […].

Zu Lebzeiten des Hausvaters sind die Hauskinder selbst nicht vermögensfähig, aber aufgrund des Gewaltverhältnisses am Familienvermögen beteiligt. Sie haben also keine eigene Verwaltungsbefugnis, sondern unterstehen auch insoweit dem Vorrecht des Hausvaters. Aus dieser Sicht bedeutet der Tod des Hausvaters die Übernahme der Verwaltung durch die schon zuvor mitberechtigten Hauskinder. Da der Hausvater wie die Hauskinder der Familie angehören, führt der Tod des Hausvaters nicht zum Ende des Familienvermögens, sondern nur zum Wechsel der Verwaltungsbefugnis.

Gai. 3,2Sui autem heredes existimantur […] liberi, qui in potestate morientis fuerunt, veluti filius filiave, nepos neptisve ex filio, pronepos proneptisve ex nepote filio nato prognatus prognatave. […] ita demum tamen nepos neptisve et pronepos proneptisve suorum heredum numero sunt, si praecedens persona desierit in potestate parentis esse, sive morte id acciderit sive alia ratione, veluti emancipatione; nam si per id tempus, quo quis moriatur, filius in potestate eius sit, nepos ex eo suus heres esse non potest. Idem et in ceteris deinceps liberorum personis dictum intellegemus.

Als Hauserben gelten aber […] die Hauskinder, die in der Hausgewalt des Sterbenden standen, wie beispielsweise ein Sohn oder eine Tochter, ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, ein Urenkel oder eine Urenkelin, der oder die von einem Enkel abstammen, welcher der Sohn des Sohnes ist. […]. Dennoch zählen ein Enkel oder eine Enkelin und ein Urenkel oder eine Urenkelin nur dann zu den Hauserben, wenn die im Grade vorhergehende Person aus der Hausgewalt des Hausvaters ausgeschieden ist, sei es, dass dies durch den Tod oder aus einem anderen Grund geschehen ist, beispielsweise durch emancipatio; wenn nämlich jemand zu dem Zeitpunkt, an dem er stirbt, einen Sohn in seiner Hausgewalt hat, kann der von diesem abstammende Enkel nicht Hauserbe sein. Dieselbe Aussage gilt auch im Falle der übrigen Hauskinder der Reihe nach.

Die Hauserbenstellung ist nicht auf die Kinder des Erblassers beschränkt. Vielmehr sind alle Abkömmlinge, die über die Söhne in der Gewalt des (Groß-)Vaters stehen, als Hauserben anzusehen. Die gradferneren Abkömmlinge wie Enkel und Urenkel werden aber zu Lebzeiten der gradnäheren, also der Söhne und Enkel, von diesen verdrängt. Erst wenn ein Sohn oder Enkel aus der Hausgewalt ausscheidet, rücken seine Kinder, das heißt die Enkel des Erblassers, in die Position ihres Vaters ein (Stammesprinzip). Solange der Haussohn lebt und nicht emanzipiert ist, verdrängt er die Abkömmlinge (Repräsentationsprinzip).

Diese Verdrängung betrifft freilich nur die eigenen Abkömmlinge:

Gai. 3,7Igitur cum filius filiave et ex altero filio nepotes neptesve extant, pariter ad hereditatem vocantur; nec qui gradu proximior est, ulteriorem excludit. Aequum enim videbatur nepotes neptesve in patris sui locum portionemque succedere. Pari ratione et si nepos neptisque sit ex filio et ex nepote pronepos proneptisve, simul omnes vocantur ad hereditatem.

Wenn folglich ein Sohn oder eine Tochter sowie Enkel oder Enkelinnen, die vom anderen Sohn abstammen, vorhanden sind, werden sie gleichermaßen zur Erbschaft berufen, und der Gradnähere schließt den Gradferneren nicht aus; denn man hielt es für gerecht, dass Enkel und Enkelinnen an die Stelle und in den Erbteil ihres Vaters nachrückten. Aus der gleichen Überlegung werden auch dann, wenn sowohl ein Enkel oder eine Enkelin, die von einem Sohn abstammen, als auch ein Urenkel oder eine Urenkelin, die von einem Enkel abstammen, vorhanden sind, alle zugleich zur Erbschaft berufen.

Durch das Stammesprinzip sind die von einem vorverstorbenen Sohn oder Enkel abstammenden Abkömmlinge neben den gradnäheren Söhnen oder Enkeln zur Erbfolge berufen. Die Kinder des vorverstorbenen Sohnes oder Enkels sind daher gleichberechtigte Hauserben mit den Geschwistern des Sohnes, also ihren Onkeln und Tanten. Haustöchter dagegen, die zu ihren Lebzeiten gleichberechtigt mit ihren Brüdern als Hauserben berufen sind, bilden keinen Stamm. Daher werden ihre Abkömmlinge nicht als Hauserben des mütterlichen Großvaters berufen, sondern sind, sofern sie in legitimer Ehe gezeugt wurden, in der Familie des Ehemanns erbberechtigt.

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich die in Übersicht 9a – 9c dargestellte erste Erbklasse der Intestaterbfolge nach ius civile:

Übersicht 9a: Erbfolge der Hauskinder


Verstirbt der Großvater zu Lebzeiten von Vater 1, Vater 2 und deren Schwester, erben die drei gemeinsam nach Kopfteilen; somit erhält jeder ein Drittel des Nachlasses.

Übersicht 9b: Nachrücken der Abkömmlinge


Ist Vater 1 vorverstorben, treten seine Söhne (Sohn 1 und Sohn 2) an seine Stelle. Auf diese Weise erhalten die Söhne 1 und 2 je ein Sechstel, Vater 2 und dessen Schwester je ein Drittel.

Übersicht 9c: Kein Nachrücken bei weiblichen Hauskindern


Ist die Schwester vorverstorben, während Vater 1 und Vater 2 leben, teilen sich die beiden den Nachlass, erhalten also je die Hälfte. Abkömmlinge der Schwester erhalten nichts, treten also nicht an die Stelle der Schwester, weil sie als Frau keinen Stamm bildet. Dagegen bilden die männlichen Abkömmlinge Stämme: Aus diesem Grund treten Enkel 1 und 2 anstelle des Sohnes 1, Enkelin 1 anstelle des Sohnes 2 und Enkel 3 anstelle des Sohnes 3, wenn der jeweilige Sohn vorverstorben ist. Während aber die männlichen Abkömmlinge ihrerseits einen Stamm bilden, endet der Stamm von Sohn 2 mit der Enkelin 1, da sie selbst keine Hausgewalt begründen kann.

Das die Hauserbenstellung begründende Gewaltverhältnis des Hausvaters über seine Hauskinder endet aber nicht nur mit dem Tod des Gewalthabers, sondern kann auch zu dessen Lebzeiten beendet werden.

3.1.2 Die emancipatio des Hauskindes

Diese rechtsgeschäftliche Beendigung der Hausgewalt wird als emancipatio („Entlassung aus der väterlichen Gewalt“) bezeichnet. Die Bezeichnung leitet sich ab von der Form des Rechtsgeschäfts, der Manzipation (mancipatio), die in diesem Zusammenhang zum Zwecke der Freilassung vollzogen wird. Die Manzipation ist ein Libralakt, das heißt ein kaufähnliches Rechtsgeschäft, das „mit Kupfer und Waage“ (per aes et libram) vorgenommen wird. Der Ursprung der Libralakte ist im Zuwägen des Kaufpreises zu sehen, liegt also im Barkauf. Im hier interessierenden Zeitraum dient das Geschäft per aes et libram als Übertragungsakt, mit dem Eigentum an manzipierfähigen Sachen (res mancipi) sowie Gewalt an gewaltunterworfenen Personen (Sklaven und Hauskindern) erworben wird. Der kaufrechtliche Ursprung des Geschäftes lebt allein im Ritual fort: Zum Erwerb des Eigentums oder der Gewalt schlägt der Erwerber mit einer Kupfermünze an die Waage und übergibt diese dem Veräußerer „sozusagen anstelle des Kaufpreises“ (quasi pretii loco, Gai. 1,119). Diese „Manzipation mittels einer Münze“ (mancipatio nummo uno) hat sich vom ursprünglichen Erwerbszweck des Geschäftes gelöst. Damit kann die Manzipation für andere Zwecke genutzt werden:

Gai. 1,132Praeterea emancipatione desinunt liberi in potestate parentum esse. Sed filius quidem tribus mancipationibus, ceteri vero liberi sive masculini sexus sive feminini una mancipatione exeunt de parentium potestate: Lex enim XII tabularum tantum in persona filii de tribus mancipationibus loquitur his verbis: „Si pater ter filium venum duit a patre filius liber esto.“ […]

Im Übrigen hören Hauskinder durch emancipatio auf, in der Hausgewalt der Väter zu sein. Aber ein Sohn tritt freilich erst nach drei Manzipationen, alle anderen Abkömmlinge aber sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts treten nach einer Manzipation aus der Hausgewalt der Väter aus; das Zwölftafelgesetz spricht nämlich nur bei einem Sohn von drei Manzipationen mit folgenden Worten: „Wenn der Vater den Sohn dreimal zum Verkauf gegeben hat, soll der Sohn vom Vater frei sein.“ […]

Zur Entlassung aus der väterlichen Gewalt müssen Haussöhne dreimal, übrige Abkömmlinge nur einmal in fremde Gewalt veräußert und vom neuen Gewalthaber freigelassen werden. Die Erschwernis bei der emancipatio des Sohnes stützt Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) auf einen Satz des Zwölftafelgesetzes (ca. 450 v. Chr.), nach dem der Sohn vom Vater frei sei, wenn dieser ihn dreimal zum Verkauf gegeben habe. Es besteht die Vermutung, dass die Freiheit des Sohnes im Zwölftafelgesetz ursprünglich als Strafe für den Hausvater vorgesehen war, der seine elterliche Macht durch zu häufigen Verkauf des Sohnes in fremde Dienste missbraucht hatte. Diese Sanktion wird im hier interessierenden Zeitraum ausgenutzt, um das Gewaltverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden. Ernst Rabel hat die emancipatio daher als ‚nachgeformtes Rechtsgeschäft‘ bezeichnet, mit dem die anerkannten Rechtsfolgen des väterlichen Manzipationsaktes („Freiheit des Sohnes“) zweckentfremdet werden („Entlassung aus der Gewalt“).

Auf Ebene des Intestaterbrechts nach ius civile führt die emancipatio zum Ausscheiden des Hauskindes aus der Gruppe der Hauserben, und – sofern es sich um einen Sohn handelt – zum Nachrücken seiner Abkömmlinge. Die Gewaltfreiheit des Hauskindes wird als Verlust der Familienzugehörigkeit und damit als Statusverlust (capitis deminutio) angesehen. In der Tat steht das emanzipierte Hauskind erbrechtlich einem vorverstorbenen Hauskind gleich.

Sind bei testamentslosem Versterben des Hausvaters keine Hauskinder (mehr) vorhanden, sieht das Zwölftafelgesetz (V,4) vor, dass der gradnächste Agnat Erbe werden soll: „[…], soll der gradnächste Agnat den Hausbesitz und das Vermögen haben.“ (agnatus proximus familiam pecuniamque habeto).

3.1.3 Das Erbrecht der Agnaten

Als agnatus (von adgnatus = „der Hinzugeborene“) wird ein Blutsverwandter bezeichnet, der in ununterbrochener männlicher Linie von einem gemeinsamen Vorvater abstammt:

Gai. 3,10Vocantur autem adgnati, qui legitima cognatione iuncti sunt. Legitima autem cognatio est ea, quae per virilis sexus personas coniungitur. Itaque eodem patre nati fratres agnati sibi sunt, qui etiam consanguinei vocantur, nec requiritur, an etiam matrem eandem habuerint. Item patruus fratris filio et invicem is illi agnatus est. […].

Diejenigen werden aber Agnaten genannt, die durch gesetzliche Verwandtschaft verbunden sind. Gesetzlich aber ist diejenige Verwandtschaft, die durch Personen männlichen Geschlechts vermittelt wird. Daher sind Brüder, die von demselben Vater geboren wurden, gegenseitig Agnaten, die auch „Geschwister von der Vaterseite“ (consanguinei) genannt werden, und es wird nicht geprüft, ob sie auch dieselbe Mutter gehabt haben. Ebenso ist der Onkel dem Neffen und umgekehrt der Neffe dem Onkel Agnat. […].

Agnatisch verwandt sind danach Personen, die gemeinsam unter der Gewalt ein- und desselben pater familias stehen oder stehen würden, falls dieser noch lebte. Es handelt sich um eine Verwandtschaftsform, die aufgrund der Beschränkung der Hausgewalt auf Männer nur über diese vermittelt wird. Frauen können nur insoweit agnatisch verwandt sein, als sie mit anderen unter einer gemeinsamen Hausgewalt stehen oder stehen würden, also soweit sie Töchter, Enkelinnen oder Cousinen sind.

Die Verwandtschaftsgrade der agnatischen Verwandtschaft bestimmen sich nach der Anzahl der Zeugungen, die zwischen Angehörigen eines Gewaltverhältnisses bestehen. Agnatische Verwandte des Erblassers im ersten Grad sind dessen Vater und die eigenen, in der Gewalt des Erblassers befindlichen Kinder. Seine agnatischen Verwandten des zweiten Grades sind Geschwister, die sich in der Gewalt desselben Vaters befinden oder befinden würden, sowie der Großvater und über einen Sohn vermittelte Enkel. Der dritte Grad agnatischer Verwandschaft schließlich besteht zwischen dem Erblasser und seinen Neffen und Nichten, sofern diese von seinem Bruder (und nicht von seiner Schwester) abstammen, sowie zu Onkeln und Tanten, die Geschwister des Vaters sind.

Erbberechtigt nach dem Intestaterbrecht des ius civile ist allein der gradnächste Agnat:

Gai. 3,11Non tamen omnibus simul agnatis dat lex XII tabularum hereditatem, sed his, qui tum, cum certum est aliquem intestatum decessisse, proximo gradu sunt.

Dennoch gibt das Zwölftafelgesetz nicht allen Agnaten zugleich die Erbschaft, sondern denjenigen, die in dem Moment, wenn feststeht, dass jemand ohne Testament verstorben ist, die gradnächsten sind.

Der gradnächste Agnat schließt die übrigen agnatisch Verwandten aus. Maßgeblich für die Bestimmung der Gradesnähe ist der Zeitpunkt, in dem die Intestaterbfolge eintritt, also feststeht, dass der Erblasser ohne gültiges Testament verstorben ist.

Anders als bei Hauserben gilt für den proximus agnatus kein Stammesprinzip:

Gai. 3,12Nec in eo iure successio est. Ideoque si agnatus proximus hereditatem omiserit vel, antequam adierit, decesserit, sequentibus nihil iuris ex lege competit.

In diesem Rechtsbereich gibt es auch keine Nachfolge. Und wenn daher der gradnächste Agnat die Erbschaft ausgeschlagen hat oder gestorben ist, bevor er sie angetreten hat, so steht den Agnaten der folgenden Grade nach dem Gesetz kein Recht zu.

Ein Nachrücken der Abkömmlinge in die Erbenstellung als agnatus proximus ist nicht vorgesehen. Sind mehrere Agnaten als Gradnächste berufen, teilen sie sich die Erbschaft nach Kopfteilen:

Gai. 3,16Quod si defuncti nullus frater extet, sed sint liberi fratrum, ad omnes quidem hereditas pertinet; sed quaesitum est, si dispari forte numero sint nati, ut ex uno unus vel duo, ex altero tres vel quattuor, utrum in stirpes dividenda sit hereditas, sicut inter suos heredes iuris est, an potius in capita. Iam dudum tamen placuit in capita dividendam esse hereditatem. Itaque quotquot erunt ab utraque parte personae, in tot portiones hereditas dividetur, ita ut singuli singulas portiones ferant.

Wenn also kein Bruder des Verstorbenen vorhanden ist, es aber Kinder von Brüdern gibt, so steht zwar allen die Erbschaft zu; aber es wurde in Frage gestellt, wenn zufällig Kinder unterschiedlicher Anzahl geboren waren (so dass von einem Bruder ein oder zwei, vom anderen drei oder vier Kinder [abstammten]), ob die Erbschaft nach Stämmen zu teilen sei, wie es bei den Hauserben rechtens ist, oder eher nach Köpfen. Dennoch hat man es schon seit langer Zeit für gut befunden, dass die Erbschaft nach Köpfen zu teilen sei. Deshalb wird die Erbschaft in so viele Teile geteilt werden, wie viele Personen auf beiden Seiten vorhanden sind, so dass auf diese Weise jeder Einzelne je einen Teil erhält.

Sind agnatische Verwandte des ersten und des zweiten Grades (Geschwister des Erblassers) vorverstorben, kommen die Agnaten des dritten Grades zum Zug. Sind als solche insgesamt fünf Kinder von zwei vorverstorbenen Brüdern, also Neffen oder Nichten des Erblassers, vorhanden, sind sie alle als gradnächste Agnaten berufen. Würde man das Stammesprinzip – wie bei Hauserben – zur Geltung bringen, müssten die Neffen oder Nichten den jeweiligen Erbteil ihres Vaters unter sich aufteilen. Da bei der agnatischen Verwandtschaft das Erbe aber nicht nach Stämmen, sondern nach Köpfen geteilt wird, erhält stattdessen jeder Neffe und jede Nichte den Kopfteil, das heißt ein Fünftel (1/5) der Erbschaft.

3.1.4 Das Intestaterbrecht von Frauen

Zwar sind Haustöchter gleichberechtigt neben Haussöhnen als Hauserben berufen. Wie gesehen, sind aber ihre Abkömmlinge nicht in der Vatersfamilie erbberechtigt. Ebenso sind Frauen zwar als Agnaten zur Intestaterbfolge berufen, können aber mangels Gewaltverhältnis selbst keine agnatische Verwandtschaft vermitteln (Kap. 3.1.1). Scheidet die Haustochter aus der väterlichen Gewalt aus, ist sie zwar gewaltfrei, hat aber ihrerseits keine von ihr abhängigen Verwandten:

D. 50.16.195.5 Ulpianus 46 ad edictumMulier autem familiae suae et caput et finis est.

Die Frau aber ist sowohl der Anfang als auch das Ende ihrer eigenen Familie.

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) bringt diese Situation auf den Punkt, die Familie der Frau sei auf sie selbst begrenzt. Da die (ehelichen) Kinder in der Gewalt des Vaters stehen, sind sie nach ius civile nur mit der Familie des Ehemanns verwandt. Ein verwandtschaftliches Verhältnis zu ihren Abkömmlingen konnte eine Frau ursprünglich nur dann begründen, wenn sie sich selbst in die Ehegewalt (manus) des Ehemanns begab:

Gai. 3,3Uxor quoque, quae in manu eius est, sua heres est, quia filiae loco est. Item nurus, quae in filii manu est, nam et haec neptis loco est. Sed ita demum erit sua heres, si filius, cuius in manu est, cum pater moritur, in potestate eius non sit. […].

Auch eine in manus stehende Ehefrau ist seine Hauserbin, weil sie im Verhältnis einer Haustochter steht; ebenso eine Schwiegertochter, die sich in der Ehegewalt des Sohnes befindet, denn auch sie steht im Verhältnis einer Enkelin. Aber sie wird nur dann Hauserbin sein, wenn der Sohn, in dessen Ehegewalt sie steht, zum Zeitpunkt des Todes des Vaters nicht in dessen Hausgewalt ist. […].

Eine in manus ihres Ehemanns befindliche Ehefrau hat den Status einer Haustochter und kann daher ihre Kinder als Schwester beerben. Steht sie in der Gewalt des Schwiegervaters, hat sie ihm gegenüber das Erbrecht einer Enkelin; sie erbt also nur dann, wenn ihr Mann, der als Haussohn erbberechtigt ist, vorverstorben ist. Obwohl die Eingehung einer manus-Ehe bereits am Ende der Republik unüblich war, wird sie von Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) aus didaktischen Gründen mitbehandelt: Der rechtshistorische Rückblick zeigt, dass die erbrechtliche Schlechterstellung der Ehefrau ursprünglich durch die Eingehung einer manus-Ehe vermieden werden konnte. Schloss die Frau dagegen – wie es im Prinzipat üblich war – eine Ehe, ohne sich in die Gewalt ihres Ehemanns zu begeben, war sie entweder gewaltfrei oder stand in der Hausgewalt ihres Vaters. Im letzteren Fall war sie in ihrer Herkunftsfamilie erbberechtigt, wurde also als Hauserbin (des Vaters) oder gradnächste agnatische Verwandte (zum Beispiel ihres Bruders oder Onkels) zur Intestaterbfolge berufen.

Allerdings wurde in einer nicht näher bestimmbaren Zeit nach den Zwölftafeln das Intestaterbrecht der Frauen als agnatus proximus weiter beschränkt:

Gai. 3,14[…] nostrae vero hereditates ad feminas ultra consanguineorum gradum non pertinent. Itaque soror fratri sororive legitima heres est, amita vero et fratris filia legitima heres esse non potest; sororis autem nobis loco est etiam mater aut noverca, quae per in manum conventionem apud patrem nostrum iura filiae nancta est.

[…] unsere Erbschaften stehen aber nicht denjenigen Frauen zu, die gradferner als Geschwister von der Vaterseite (consanguinei) verwandt sind. Daher ist eine Schwester gegenüber ihrem Bruder oder ihrer Schwester gesetzliche Erbin, eine Vaterschwester aber und eine Tochter des Bruders kann nicht gesetzliche Erbin sein; im Verhältnis einer Schwester aber steht mir gegenüber auch die Mutter oder Stiefmutter, die dadurch, dass sie in die Ehegewalt gekommen ist, bei meinem Vater die Rechte einer Tochter erlangt hat.

Frauen, die gradferner als Geschwister von der Vaterseite (consanguinei) waren, konnten einer juristischen Interpretation des Intestaterbrechts zufolge nicht als agnatus proximus erben. Somit waren Frauen, die mit dem Erblasser im dritten Grad verwandt waren, nicht zur Erbfolge berufen.

Auf diese Weise konnte zwar eine Schwester des Erblassers als agnatisch Verwandte erben; dagegen wurde eine Tante von der Vaterseite ebenso ausgeschlossen wie etwa eine Nichte des Erblassers, obwohl Onkel und Neffen von der Vaterseite zur Erbfolge zugelassen waren.

3.1.5 Das Erbrecht der Gentilen

Die dritte Stufe der Intestaterbfolge wird im Zwölftafelgesetz von den Gentilen (Angehörigen der gens = „Sippe“) begründet.

Gai. 3,17Si nullus agnatus sit, eadem lex XII tabularum gentiles ad hereditatem vocat. Qui sint autem gentiles, primo commentario rettulimus; et cum illic admonuerimus totum gentilicium ius in desuetudinem abisse, supervacuum est hoc quoque loco de eadem re curiosius tractare.

Wenn es keinen Agnaten gibt, beruft dasselbe Zwölftafelgesetz die Angehörigen der Sippe (gens) zur Erbschaft. Wer aber die Sippenangehörigen sind, habe ich im ersten Buch berichtet; und weil ich dort darauf hingewiesen habe, dass das gesamte Sippenrecht außer Gebrauch gekommen ist, ist es überflüssig, auch an dieser Stelle dieselbe Sache allzu sorgfältig zu behandeln.

Dieses Erbrecht der Sippe (gens) ist zur Zeit des Gaius (2. Jahrhundert n. Chr.) bereits aus der Übung gekommen. Da der Zwölftafelsatz formell fortbestand, musste Gaius in seinem Anfängerlehrbuch auf die Veränderung der Rechtslage hinweisen.

Weitergehende Veränderungen der Intestaterbfolge nach ius civile beruhen auf dem prätorischen Recht, das sich neben dem Intestaterbrecht des ius civile ausbildete.

3.2 Die Intestaterbfolge des ius praetorium

Genau wie das Erbrecht nach ius civile unterscheidet auch das prätorische Edikt danach, ob der Antragsteller den Nachlass als Testamentserbe oder als Intestaterbe beansprucht. Während das ius civile den Übergang der Rechtsinhaberschaft anordnet, erlaubt das ius praetorium dem Berechtigten zunächst nur eine faktische Inhaberschaft am Nachlass. Diese wird als Nachlassbesitz (bonorum possessio) bezeichnet und verschafft dem Inhaber durch das Wirken des Prätors den Besitz sowie alle wirtschaftlichen Vorteile der Erbschaft. Der Prätor kann aber „keinen Erben schaffen“ (Kap. 4.2.2). Grundlage der prätorischen Zuweisung des Nachlassbesitzes ohne Testament (bonorum possessio ab intestato) ist das Edikt: „Wenn keine Testamentstafeln vorhanden sein werden“ (si tabulae testamenti nullae extabunt).10 In diesem Edikt nennt der Prätor die Antragsberechtigten, die bei Fehlen eines Testaments die Einweisung in den Nachlassbesitz verlangen können. Dabei unterscheidet das Edikt verschiedene Klassen von Intestaterben:

D. 38.6.1.1 Ulpianus 44 ad edictumSed successionem ab intestato in plures partes divisit: Fecit enim gradus varios, primum liberorum, secundum legitimorum, tertium cognatorum, deinde viri et uxoris.

Er [der Prätor] hat die Erbfolge ab intestato aber in mehrere Gruppen aufgeteilt: Er hat nämlich verschiedene Klassen geschaffen: als erste die der Kinder, als zweite die der nach ius civile zur Erbfolge Berufenen, als dritte die der Blutsverwandten und sodann die von Ehemann und Ehefrau.

In der ersten Klasse des prätorischen Edikts sind die Abkömmlinge (liberi) berufen; in der zweiten Klasse die gesetzlichen Erben (legitimi); in der dritten die Blutsverwandten (cognati) und in der vierten sind Eheleute berechtigt (vir et uxor). Die Juristen verweisen auf diese im Edikt genannten Klassen unter Hinzufügung des Wortes „woher“ (unde), um die Grundlage der jeweiligen Berechtigung zum Nachlassbesitz anzuzeigen.

Die genannten vier Klassen sind nacheinander zum Antrag des Nachlassbesitzes berechtigt; zu beachten ist, dass der Antrag für die Berechtigten einer Klasse nur innerhalb einer bestimmten Frist möglich ist: Die Frist beträgt für Eltern und Kinder ein Jahr, in allen anderen Fällen 100 Tage. Mit Verstreichen der Frist ist die nächste Klasse antragsberechtigt.

Die vom Prätor gebildeten Klassen greifen teilweise auf das ius civile zurück; teilweise werden Personen in die Intestaterbfolge aufgenommen, die nach ius civile keine Erbberechtigung haben.

3.2.1 Die erste Klasse der prätorischen Erben

In der ersten Klasse unde liberi beruft der Prätor alle Abkömmlinge des Erblassers:

Gai. 3,26Nam liberos omnes, qui legitimo iure deficiuntur, vocat ad hereditatem, proinde ac si in potestate parentis mortis tempore fuissent, sive soli sint, sive etiam sui heredes, id est qui in potestate patris fuerunt, concurrant.

Denn er beruft alle Abkömmlinge (liberi), die nach ius civile im Stich gelassen werden, ebenso zur Erbschaft, wie wenn sie zum Zeitpunkt des Todes ihres Vorfahren in seiner Hausgewalt gestanden hätten, sei es, dass sie alleine vorhanden sind, sei es, dass auch Hauserben, das heißt diejenigen, die in der Hausgewalt des Vaters gestanden haben, den Anspruch mit ihnen teilen.

Unter die Abkömmlinge (liberi) fallen nicht nur die ohnehin nach ius civile berechtigten Hauserben (sui heredes), sondern auch diejenigen Abkömmlinge, die durch emancipatio aus der Hausgewalt ausgeschieden sind (Kap. 3.1.2). Genau wie nach ius civile gilt diese Berechtigung gleichermaßen für männliche wie für weibliche Nachkommen. Sind mehrere Generationen von Abkömmlingen vorhanden, also zum Beispiel Enkel neben Kindern, stellt sich die Frage, wie innerhalb eines Stammes zu verfahren ist. Nach ius civile führt die emancipatio des Haussohnes zum Nachrücken der Enkel (Kap. 3.1.3); da aber das ius praetorium auch den emanzipierten Sohn zur Intestaterbfolge beruft, kann hier das Stammesprinzip nicht in gleicher Weise Anwendung finden:

D. 38.6.5.2 Pomponius 4 ad SabinumSi filius emancipatus non petierit bonorum possessionem, ita integra sunt omnia nepotibus, atque si filius non fuisset, ut quod filius habiturus esset petita bonorum possessione, hoc nepotibus ex eo solis, non etiam reliquis adcrescat.

Wenn der emanzipierte Haussohn die bonorum possessio nicht verlangt hat, so ist alles ungeschmälert für die Enkel vorhanden, wie wenn es keinen Sohn gegeben hätte, so dass dies, was der Sohn erhalten hätte, nachdem er die bonorum possessio verlangt hätte, allein den Enkeln, die von ihm abstammen, nicht auch den übrigen anwächst.

Ein Nachrücken der Enkel an die Stelle des emanzipierten Sohnes kommt nach ius praetorium nur in Betracht, wenn der Sohn keinen Antrag auf Erteilung der bonorum possessio ab intestato gestellt hat. Sind die Enkel in der Hausgewalt des Großvaters verblieben und damit Hauserben nach ius civile geworden, ergibt sich mithin ein Konflikt zwischen dem Intestaterbrecht des ius civile und dem ius praetorium: Nach ius civile sind allein die Enkel, nach ius praetorium dagegen nur der emanzipierte Haussohn zur Intestaterbfolge berufen. Dieser Widerspruch zwischen vorrangigen Intestaterben nach ius civile und erstklassig berufenen Intestaterben nach ius praetorium wird erst durch eine Neuerung des prätorischen Edikts in der Kaiserzeit überwunden. Diese wird als nova clausula Iuliani bezeichnet (Kap. 3.3.2).

3.2.2 Die zweite und dritte Klasse der prätorischen Erben

Die zweite Klasse der prätorischen Intestaterbfolge unde legitimi verweist auf das ius civile:

D. 38.7.2.4 Ulpianus 46 ad edictumHaec autem bonorum possessio omnem vocat, qui ab intestato potuit esse heres, sive lex duodecim tabularum eum legitimum heredem faciat sive alia lex senatusve consultum. […].

Diese bonorum possessio aber beruft jeden, der Intestaterbe sein konnte, sei es, dass das Zwölftafelgesetz ihn zum gesetzlichen Erben macht, sei es ein anderes Gesetz oder ein Senatsbeschluss. […].

Nach der zweiten Klasse sind all diejenigen zur bonorum possessio ab intestato berufen, die Intestaterben nach ius civile sind. Antragsberechtigt sind also die Hauserben und die gradnächsten Agnaten. Die prätorische Anordnung hat zur Folge, dass die gewaltunterworfenen Kinder des Erblassers sowohl in der ersten Klasse (als liberi) als auch in der zweiten Klasse (als legitimi) den Nachlassbesitz ab intestato beantragen können. Erst nach ihnen steht unde legitimi genau wie nach ius civile auch dem proximus agnatus der Nachlassbesitz ab intestato zu. Kein Antragsrecht haben die Gentilen, deren Berechtigung im ius praetorium genau wie im späteren ius civile als überholt angesehen wird. Dafür treten im Laufe der Kaiserzeit durch Senatsbeschluss begründete gesetzliche Erbrechte hinzu, die den Berechtigten genauso das Antragsrecht auf die bonorum possessio ab intestato vermitteln wie es den Erbberechtigten der Zwölftafeln zusteht (Kap. 3.4).

Da die zweite Klasse der prätorischen Intestaterben nur die nach ius civile Berufenen zum Antrag berechtigt, sind emanzipierte Hauskinder in dieser Klasse ausgeschlossen. Da sie ihre Familienzugehörigkeit durch capitis deminutio verloren haben, sind sie weder als Hauserben noch als Agnaten zur Intestaterbfolge nach ius civile zugelassen. Auch der durch Interpretation des ius civile bewirkte Ausschluss von agnatisch verwandten Frauen über den zweiten Grad der consanguinitas hinaus (Kap. 3.1.4) wird vom Prätor beachtet.

Diese in der zweiten Klasse ausgeschlossenen Personen werden erst in der dritten Klasse unde cognati vom Prätor als Intestaterben berufen. In dieser Klasse beruft der Prätor die Blutsverwandten (cognati, von cognatus = „blutsverwandt“) zur Intestaterbfolge. Die Blutsverwandtschaft ist von der agnatischen Verwandtschaft zu unterscheiden:

D. 38.10.4.2 Modestinus 12 pandectarumCognationis substantia bifariam apud Romanos intellegitur: Nam quaedam cognationes iure civili, quaedam naturali conectuntur, nonnumquam utroque iure concurrente et naturali et civili copulatur cognatio. Et quidem naturalis cognatio per se sine civili cognatione intellegitur quae per feminas descendit, quae vulgo liberos peperit. Civilis autem per se, quae etiam legitima dicitur, sine iure naturali cognatio consistit per adoptionem. Utroque iure consistit cognatio, cum iustis nuptiis contractis copulatur. […].

Das Wesen der Verwandtschaft wird bei den Römern auf zweifache Weise verstanden, denn einige Verwandtschaften werden durch ius civile, einige durch ius naturale begründet, bisweilen wird die Verwandtschaft durch das Zusammentreffen beider Rechte, sowohl des ius naturale, als auch des ius civile, begründet. Und zwar wird die natürliche (kognatische) Verwandtschaft für sich ohne zivilrechtliche (agnatische) Verwandtschaft als diejenige verstanden, die durch Frauen vermittelt wird, die Kinder außerhalb einer Ehe auf die Welt gebracht haben. Die Verwandtschaft nach ius civile aber, die auch als legitime Verwandtschaft bezeichnet wird, tritt für sich ohne Verwandtschaft nach ius naturale durch Adoption ein. Eine Verwandtschaft nach beiderlei Recht besteht, wenn sie aufgrund einer rechtmäßigen Eheschließung begründet wird. […].

Die beiden Verwandtschaftsformen bilden ein Beispiel für unterschiedliche Rechtsschichten: Die cognatio wird von Modestinus (3. Jahrhundert n. Chr.) als Anwendungsfall des ius naturale dargestellt (Kap. 2.2.1), während die Agnation dem ius civile zuzuordnen ist. Beide Verwandtschaftsformen können getrennt oder in Kombination vorkommen: Nur kognatisch verwandt sind Mütter und ihre Kinder, weil es für die Agnation am Gewaltverhältnis fehlt. Dagegen findet sich eine Agnation ohne Blutsverwandtschaft bei der Annahme eines Kindes durch Adoption, da der Adoptivvater Hausgewalt über das angenommene Kind begründet.11 Sowohl kognatische als auch agnatische Verwandtschaft besteht, wenn ein Kind in einer römischen Ehe geboren wird, da durch das Gewaltverhältnis zum Vater eine agnatische Verwandtschaft, durch die Tatsache der Geburt eine Blutsverwandtschaft zu Mutter und Vater begründet wird.

Das prätorische Intestaterbrecht unde cognati erlaubt die Berücksichtigung der natürlichen Verwandtschaft, das heißt der Blutsverwandtschaft, im Erbrecht:

Gai. 3,27Adgnatos autem capite deminutos non secundo gradu post suos heredes vocat, id est, non eo gradu vocat, quo per legem vocarentur, si capite minuti non essent, sed tertio proximitatis nomine. Licet enim capitis deminutione ius legitimum perdiderint, certe cognationis iura retinent. […].

Agnaten hingegen, deren Rechtsstellung geschmälert worden ist, beruft er [der Prätor] nicht in der zweiten Klasse nach den Hauserben; das heißt, er beruft sie nicht in derjenigen Klasse, in der sie von Gesetzes wegen berufen wären, wenn ihre Rechtsstellung nicht geschmälert worden wäre, sondern in der dritten Klasse aufgrund der nahen Verwandtschaft. Wenngleich sie durch die Schmälerung der Rechtsstellung zwar ihr gesetzliches Recht verloren haben, behalten sie nämlich die Rechte der Blutsverwandtschaft. […].

Ein Sohn ist durch emancipatio aus der Gewalt des Vaters ausgeschieden und hat damit auch seine agnatische Verwandtschaft in der Familie verloren. Dieser Statusverlust (capitis deminutio minima) betrifft nur die agnatische Verwandtschaft. Dagegen bleibt die einfache Blutsverwandtschaft auch nach der emancipatio bestehen. Aus diesem Grund können aus der Familie ausgeschiedene Personen die bonorum possessio ab intestato in der dritten Klasse unde cognati erhalten.

Auch die Frauen, die wegen der Gradferne ihres Verwandtschaftsverhältnisses zum Erblasser nach ius civile nicht zur Intestaterbfolge der Agnaten zugelassen werden, werden vom Prätor in der Klasse unde cognati geschützt:

Gai. 3,29Feminae certe agnatae, quae consanguineorum gradum excedunt, tertio gradu vocantur, id est, si neque suus heres neque agnatus erit.

Auf jeden Fall werden agnatische Frauen, die gradferner als Geschwister von der Vaterseite sind, in der dritten Klasse berufen, das heißt, wenn es weder einen Hauserben noch einen Agnaten geben wird.

Wie gesehen, werden Frauen nach ius civile ab dem dritten Grad nicht mehr als erbberechtigte Agnaten angesehen (Kap. 3.1.4). Dagegen können sie den Nachlassbesitz unde cognati erlangen. Auf diese Weise erhalten sie die bonorum possessio ab intestato zwar erst nach den Hauserben und nach dem agnatus proximus, sind aber nicht wie nach ius civile vollständig ausgeschlossen. Noch bedeutsamer ist die in der Klasse unde cognati vollzogene Anerkennung der durch Frauen vermittelten Verwandtschaft:

Gai. 3,30Eodem gradu vocantur etiam eae personae, quae per feminini sexus personas copulatae sunt.

In derselben Klasse werden auch diejenigen Personen berufen, die durch Personen weiblichen Geschlechts [verwandtschaftlich] verbunden worden sind.

In der dritten Klasse des prätorischen Intestaterbrechts können auch Personen den Nachlassbesitz erlangen, die nicht im Mannesstamm mit dem Erblasser verwandt sind, sondern von einer mit dem Erblasser verwandten Frau abstammen. Entgegen der Ordnung des ius civile werden damit auch die Abkömmlinge von Frauen als erbberechtigte Verwandte anerkannt. Diese Berücksichtigung der kognatischen Verwandtschaft bedeutete einen Paradigmenwechsel im römischen Familien- und Erbrecht:

D. 38.8.1pr. Ulpianus 46 ad edictumHaec bonorum possessio nudam habet praetoris indulgentiam neque ex iure civili originem habet: Nam eos invitat ad bonorum possessionem, qui iure civili ad successionem admitti non possunt, id est cognatos.

Dieser Nachlassbesitz beruht auf bloßer Nachsicht des Prätors und hat seinen Ursprung nicht im ius civile. Denn er lädt diejenigen zur bonorum possessio ein, die nach ius civile nicht zur Erbfolge zugelassen werden können, das heißt die Kognaten.

Ulpian betont, dass allein das prätorische Recht eine Intestaterbfolge aufgrund der Blutsverwandtschaft kenne und zulasse, was er als bedeutende Neuerung gegenüber dem ius civile ansieht. Auch mit Blick auf die Ehegatten bringt die prätorische Intestaterbfolge bedeutsame Neuerungen.

3.2.3 Das prätorische Ehegattenerbrecht

Wie gesehen, konnten sich Ehegatten nach ius civile nur im Rahmen einer manusEhe ab intestato beerben (Kap. 3.1.4). Waren die Ehegatten – wie es seit dem Ende der Republik üblich war – in einer freien Ehe verheiratet, bestand zwischen ihnen weder ein Verwandtschaftsverhältnis nach ius civile noch eine Erbberechtigung der Witwe oder des Witwers ab intestato.

Das so gezeichnete Bild ist um die Regelungen der Mitgift (dos) zu ergänzen: Die Mitgift wurde der Ehefrau von Seiten ihrer Familie in die Ehe mitgegeben und diente während des Bestands der Ehe zum Unterhalt der Ehegatten, nach dem Ende der Ehe zur Versorgung der Frau. Das fehlende Erbrecht der Witwe nach ihrem Mann wurde daher teilweise durch die Klage auf Herausgabe der dos (actio rei uxoriae, wörtlich: „Klage auf das Frauengut“) ersetzt. Zwar erhielt die Frau auf diese Weise eine Unterhaltssicherung, gelangte aber nicht in den Genuss des Vermögens des Ehemanns. Auch der Witwer ging – wenn eine gewaltfreie Frau ohne Testament verstarb – nach ius civile leer aus.

In diese Lücke trat das prätorische Recht, das subsidiär zu den drei genannten Klassen des prätorischen Intestaterbrechts auch den Ehegatten ein Antragsrecht auf die bonorum possessio ab intestato zuerkannte:

D. 38.11.1pr.-1 Ulpianus 47 ad edictumpr. Ut bonorum possessio peti possit unde vir et uxor, iustum esse matrimonium oportet. […].

1 Ut autem haec bonorum possessio locum habeat, uxorem esse oportet mortis tempore. […].

pr. Damit der Nachlassbesitz unde vir et uxor verlangt werden kann, muss eine rechtsgültige Ehe vorliegen. […]. 1 Damit aber diese bonorum possessio zur Anwendung kommt, muss die Betroffene zum Zeitpunkt des Todes die Ehefrau sein. […].

Einzige Zulassungsbedingung für die bonorum possessio ab intestato in der Klasse unde vir et uxor ist die nach ius civile wirksame Ehe im Zeitpunkt des Todes. Mit dieser Anerkennung eines Ehegattenerbrechts verzichtet der Prätor auf eine bis dahin unentbehrliche Voraussetzung der Intestaterbfolge: die Verwandtschaft.

Als Rechtfertigung für die gegenüber dem ius civile veränderten Standards des prätorischen Rechts gilt den Juristen die Billigkeit (aequitas):

D. 37.1.6.1 Paulus 41 ad edictumBonorum possessionis beneficium multiplex est: Nam quaedam bonorum possessiones competunt contra voluntatem, quaedam secundum voluntatem defunctorum, nec non ab intestato habentibus ius legitimum vel non habentibus propter capitis deminutionem. Quamvis enim iure civili deficiant liberi, qui propter capitis deminutionem desierunt sui heredes esse, propter aequitatem tamen rescindit eorum capitis deminutionem praetor. […].

Der Vorteil des Nachlassbesitzes ist vielgestaltig: Denn einige Arten der bonorum possessio stehen gegen den Willen, einige in Übereinstimmung mit dem Willen der Verstorbenen zu; und sie stehen gewiss denjenigen zu, die ohne Testament ein gesetzliches Erbrecht haben, aber auch denjenigen, die wegen eines Statusverlusts (capitis deminutio) kein solches Recht haben. Obwohl nämlich nach ius civile die Kinder, die wegen eines Statusverlustes (capitis deminutio) aufgehört haben, Hauserben zu sein, kein Recht haben, hebt der Prätor wegen der Billigkeit gleichwohl den Statusverlust auf. […].

Die Zulassung der emanzipierten Kinder zur Intestaterbfolge bildet die wichtigste Abweichung des prätorischen Erbrechts von der Ordnung des ius civile. Sie wird von Paulus (3. Jahrhundert n. Chr.) als „billig und gerecht“ angesehen, weil der Prätor alle Abkömmlinge gleich behandelt und sie unabhängig vom Vorliegen eines Gewaltverhältnisses zur Erbfolge nach ihrem Vater zulässt. Die im ius civile selbstverständliche Bindung des Erbrechts der Kinder an die Hausgewalt ist damit aufgehoben. Maßgeblich ist fortan das Kindschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erbe.

Die unterschiedlichen Vorgaben der Intestaterbfolge nach ius civile und ius praetorium können im Einzelfall zu Widersprüchen führen.

3.3 Konkurrenz zwischen ius civile und ius praetorium

Zwar besteht aus einer formalistischen Sicht keine Konkurrenz zwischen der prätorischen und der zivilen Erbfolge, weil der Prätor – wie gesehen (Kap. 3.2) – keinen Erben im Sinne des ius civile schaffen kann. Die Einweisung in den Nachlassbesitz eröffnet dem Berechtigten aber die Möglichkeit, die Erbenstellung nach ius civile zu ersitzen (Kap. 4.1.4). Weist der Prätor mithin einen nach ius civile nicht berechtigten Antragsteller in den Nachlassbesitz ein, gefährdet dies die Rechtsposition des zivilen Erben, da er nach Fristablauf seine Erbenstellung verliert. Da die Erbberechtigungen nach ius civile und ius praetorium nicht übereinstimmen, muss jeweils festgestellt werden, ob die Einweisung in den Nachlassbesitz Ersitzungsfolgen hat oder nicht, der Nachlassbesitz sich also im Ergebnis gegenüber dem Erbrecht nach ius civile durchsetzt oder dem zivilen Erben nicht entgegengehalten werden kann.

Kann der Nachlassbesitzer dem zivilen Erben die Erbenstellung tatsächlich streitig machen, sprechen die Juristen von einer bonorum possessio mit Sachzugriff (cum re); ist die Einweisung in den Nachlassbesitz dem zivilen Erben gegenüber dagegen ohne Wirkung, ist die bonorum possessio ab intestato ohne Sachzugriff (sine re) erteilt worden.

3.3.1 Bonorum possessio sine recum re

Die bonorum possessio ab intestato ohne Sachzugriff (sine re) bedeutet, dass der Prätor den Vorrang des zivilen Erbrechts anerkennt. Dies gilt vor allem dann, wenn der nach ius civile Berechtigte auch nach ius praetorium Vorrang vor dem bonorum possessor genießen würde:

Gai. 3,36Nam si verbi gratia iure facto testamento heres institutus creverit hereditatem, sed bonorum possessionem secundum tabulas testamenti petere noluerit, contentus eo, quod iure civili heres sit, nihilo minus ii, qui nullo facto testamento ad intestati bona vocantur, possunt petere bonorum possessionem; sed sine re ad eos hereditas pertinet, cum testamento scriptus heres evincere hereditatem possit.

Wenn nämlich zum Beispiel ein Erbe, der in einem wirksam errichteten Testament eingesetzt worden ist, die Erbschaft förmlich angenommen hat, aber den Nachlassbesitz gemäß dem Testament nicht beantragen wollte, weil er mit der Erbenstellung nach ius civile zufrieden war, so können trotzdem diejenigen, die zur Erbschaft berufen wären, wenn kein Testament errichtet worden wäre, den Nachlassbesitz beantragen; jedoch steht ihnen die Erbschaft ohne Sachzugriff (sine re) zu, da ihnen der Testamentserbe die Erbschaft entziehen kann.

Hat sich der nach ius civile berufene Testamentserbe mit der Erbenstellung nach ius civile begnügt, also auf die Beantragung der bonorum possessio verzichtet, steht den prätorischen Intestaterben der Antrag auf Erteilung der bonorum possessio ab intestato offen. Da kein vorrangiger Antrag auf den Nachlassbesitz nach dem Testament vorliegt, wird der Prätor dem Antrag der Intestaterben entsprechen, denn formal sind die Voraussetzungen der prätorischen Intestaterbfolge erfüllt. Allerdings wird der Prätor den Intestaterben nur die bonorum possessio sine re erteilen, da auch nach ius praetorium die testamentarische Erbfolge der Intestaterbfolge vorgeht.12

Zugunsten des ius civile entscheidet der Prätor auch dann, wenn der bonorum possessor ab intestato mit einem vorrangig berechtigten Intestaterben konkurriert:

Gai. 3,37Idem iuris est, si intestato aliquo mortuo suus heres noluerit petere bonorum possessionem, contentus legitimo iure. Nam et agnato competit quidem bonorum possessio, sed sine re, quia evinci hereditas a suo herede potest. Et illud convenienter: si ad agnatum iure civili pertinet hereditas et is adierit hereditatem, sed si bonorum possessionem petere noluerit, et si quis ex proximis cognatis petierit, sine re habebit bonorum possessionem propter eandem rationem.

Dasselbe Recht gilt, wenn jemand ohne Testament verstorben war und sein Hauserbe den Nachlassbesitz nicht beantragen wollte, weil er mit dem gesetzlichen Erbrecht zufrieden war. Denn auch dem Agnaten steht der Nachlassbesitz zwar zu, aber ohne Sachzugriff (sine re), weil ihm die Erbschaft von seinem Hauserben entzogen werden kann. Und jenes trifft in gleicher Weise zu, wenn die Erbschaft einem Agnaten nach ius civile zusteht und dieser die Erbschaft angetreten hat, er aber den Nachlassbesitz nicht beantragen wollte. Und wenn einer von den nächsten Kognaten den Antrag gestellt hat, so wird er den Nachlassbesitz aus demselben Grund ohne Sachzugriff (sine re) haben.

Auch dieser Konflikt kommt dadurch zustande, dass sich der Erbe mit der zivilrechtlichen Position zufriedengegeben, also auf die Beantragung der bonorum possessio ab intestato verzichtet hat. In casu handelt es sich um Hauserben, die auch nach ius praetorium, und zwar sowohl in der ersten als auch in der zweiten Klasse, zum Nachlassbesitz berechtigt gewesen wären. Angesichts ihrer Untätigkeit beantragt nun der nachrangig berechtigte agnatus proximus die bonorum possessio ab intestato. Da kein vorrangig zu berücksichtigender Antrag vorliegt, wird der Prätor diesem Antrag entsprechen. Allerdings wird er die vorrangige zivilrechtliche Stellung der Hauserben berücksichtigen und dem gradnächsten Agnaten nur die bonorum possessio ab intestato ohne Sachzugriff (sine re) zuweisen.

Während in den geschilderten Fällen ein klarer Vorrang der zivilen Erbenstellung vor dem prätorischen Recht besteht, führt das Zusammentreffen zwischen nachrückenden Hauserben (Enkeln) und dem emancipatus (Sohn) des Erblassers zu einer Spaltung der Intestaterbfolge nach ius civile und ius praetorium (Kap. 3.2.2). Dieser Konflikt wird erst im Kaiserrecht im Rahmen der Ediktsredaktion unter Kaiser Hadrian (130 n. Chr.) einer Lösung zugeführt. Der Terminologie der römischen Juristen entsprechend (Kap. 2.2.3), ist diese Neuerung im Rahmen des ius praetorium zu behandeln.

3.3.2 Nova clausula Iuliani im Intestaterbrecht

Der in Kaiser Hadrians Reform eingeführte Abschnitt des prätorischen Edikts wird als neue Klausel Julians (nova clausula Iuliani) bezeichnet, was auf den Urheber der Regelung, den Juristen Julian (2. Jahrhundert n. Chr.), verweist.

D. 38.6.5pr. Pomponius 4 ad SabinumSi quis ex his, quibus bonorum possessionem praetor pollicetur, in potestate parentis, de cuius bonis agitur, cum is moritur, non fuerit, ei liberisque, quos in eiusdem familia habebit, si ad eos hereditas suo nomine pertinebit neque nominatim exheredes scripti erunt, bonorum possessio eius partis datur, quae ad eum pertineret, si in potestate permansisset […].

Wenn sich jemand von denjenigen, denen der Prätor die bonorum possessio verspricht, nicht in der Gewalt des Vaters, um dessen Nachlass es geht, befand, als jener verstarb, wird ihm und den Kindern, die er in der Familie desselben [Vaters] haben wird, wenn diesen die Erbschaft in seinem Namen zustehen wird und sie nicht ausdrücklich enterbt worden sind, die bonorum possessio für diesen Anteil erteilt, der ihm gehören würde, wenn er in der Gewalt verblieben wäre […].

Die Klausel sieht vor, dass bei Zusammentreffen eines emanzipierten Sohnes (als vorrangig Berechtigtem nach ius praetorium) mit den in der Gewalt des Großvaters verbliebenen Enkeln (als Hauserben nach ius civile) der (fiktive) Erbteil des Sohnes zwischen dem Sohn und seinen Kindern zu teilen ist. Somit sind sowohl der prätorische als auch der zivile Intestaterbe zur Erbfolge berufen. Diese innovative Lösung, die nur als Aufteilung der bonorum possessio ab intestato zwischen Enkeln und Sohn vorstellbar ist, bedeutet einen Kompromiss zwischen den Anforderungen des ius civile und denen des ius praetorium: So wird dem ius civile dadurch Genüge getan, dass die in die Position von Hauserben nachrückenden Enkel am Erbteil ihres Vaters beteiligt werden; dem ius praetorium dagegen entspricht, dass der emancipatus gleichberechtigt mit den in der Gewalt verbliebenen Abkömmlingen berufen ist. Gleichzeitig wahrt die nova clausula Iuliani die Interessen der weiteren Abkömmlinge, etwa der weiteren Geschwister des emancipatus, indem sie den emancipatus und seine Kinder nur auf den fiktiven Erbteil des Sohnes beruft. Somit bleibt das Stammesprinzip gewahrt, das für die Geschwister sowohl nach ius civile als auch nach ius praetorium Gültigkeit beansprucht.

Übersicht 10: Nova clausula Iuliani


Die nova clausula Iuliani belegt, dass die Juristen der Kaiserzeit nicht nur Einzelfallentscheidungen trafen, sondern auch versuchten, ein kohärentes System des Intestaterbrechts zu schaffen und Widersprüche zwischen ius civile und ius praetorium aufzulösen.

Über diese Korrekturen des ius praetorium hinaus ordnen zwei Reformen des Kaiserrechts auch ein Intestaterbrecht der Mutter nach ihren Kindern sowie ein Intestaterbrecht der Kinder nach ihrer Mutter an.

3.4 Kaiserrechtliche Korrekturen

Nach ius civile sind Mütter und ihre Kinder nicht (agnatisch) verwandt und daher nicht gegenseitig erbberechtigt (Kap. 3.1.4); nach prätorischem Recht können sie den Nachlassbesitz voneinander erst im Rahmen der dritten Klasse als Blutsverwandte (unde cognati) verlangen (Kap. 3.2.2). Diese Möglichkeit hilft allerdings dann nicht, wenn zivile Erben vorhanden sind, die aufgrund der ersten Klasse (unde liberi) oder der zweiten Klasse (unde legitimi) des ius praetorium vorrangig zum Zuge kommen. Die fehlende Intestaterbfolge zwischen Mutter und Kindern wird durch zwei Senatsbeschlüsse aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. eingeführt.

3.4.1 Senatusconsultum Tertullianum

Das erste, aus der Zeit des Kaisers Hadrian (117 – 138 n. Chr.) stammende senatusconsultum Tertullianum regelt die Erbfolge der Mutter nach ihren Kindern:

Inst. 3.3.2Postea autem senatusconsulto Tertulliano, quod divi Hadriani temporibus factum est, plenissime de tristi successione matri, non etiam aviae deferenda cautum est: Ut mater ingenua trium liberorum ius habens, […] ad bona filiorum filiarumve admittatur intestatorum mortuorum, licet in potestate parentis est, ut scilicet, cum alieno iuri subiecta est, iussu eius adeat cuius iuri subiecta est.

Später aber ist durch das senatusconsultum Tertullianum, das zu Zeiten des vergöttlichten Kaisers Hadrian abgefasst worden ist, hinsichtlich der Übertragung der traurigen Erbfolge auf die Mutter, nicht auch auf die Großmutter sehr ausführlich angeordnet worden, dass eine freigeborene Mutter, die das Dreikinderrecht hat, […] zur Erbfolge ihrer testamentslos verstorbenen Söhne oder Töchter zugelassen wird, auch wenn sie sich in der Gewalt ihres Vaters befindet, so dass sie natürlich, weil sie fremdem Recht unterworfen wurde, auf den Befehl desjenigen hin, dessen Recht sie unterworfen ist, die Erbschaft antritt.

Voraussetzung für die Erbberechtigung der Mutter nach ihrem gewaltfreien und damit vermögensfähigen Kind ist, dass sie selbst freie Römerin sui iuris ist und bereits drei Kinder geboren hat. Das Dreikinderrecht entstammt der Ehegesetzgebung des Kaisers Augustus (27 v. Chr.–14. n. Chr.) und sichert der Frau dort die testamentarisch erworbenen Vorteile (Kap. 4.3). Frauen, die weniger als drei (eheliche) Kinder geboren haben und das Dreikinderrecht (ius trium liberorum) auch nicht als Privileg verliehen erhalten haben, verlieren den ihnen durch Testament zugewandten Nachlassteil. Der hadrianische Senatsbeschluss geht über diese Regelung hinaus, indem er der gewaltfreien, freigeborenen Frau mit drei Kindern ein eigenes Intestaterbrecht nach den aus der Gewalt des Vaters entlassenen Kindern verspricht. Danach kann die Mutter für sich selbst die Erbschaft ihrer Kinder erwerben.

Das neu geschaffene Intestaterbrecht der Mutter steht allerdings hinter vorrangigen Erbberechtigungen zurück:

Inst. 3.3.3Praeferuntur autem matri liberi defuncti, qui sui sunt […]. Sed et filiae suae mortuae filius vel filia opponitur ex constitutionibus matri defunctae, id est aviae suae. Pater quoque utriusque, non etiam avus vel proavus, matri anteponitur, scilicet cum inter eos solos de hereditate agitur. Frater autem consanguineus tam filii quam filiae excludebat matrem: Soror autem consanguinea pariter cum matre admittebatur: Sed si fuerat frater et soror consanguinei et mater liberis honorata, frater quidem matrem excludebat, communis autem erat hereditas ex aequis partibus fratri et sorori.

Der Mutter aber werden diejenigen Kinder des Verstorbenen vorgezogen, die Hauserben sind […]. Aber auch der Sohn oder die Tochter seiner verstorbenen Tochter werden nach den Konstitutionen vor der Mutter der Verstorbenen, das heißt vor der Großmutter, berücksichtigt. Auch wird der Vater von beiden, nicht auch der Großvater oder Urgroßvater, der Mutter vorgezogen, wenn nämlich zwischen ihnen allein über die Erbschaft verhandelt wird. Der von der Vaterseite stammende Bruder aber sowohl eines [vorverstorbenen] Sohnes als auch einer [vorverstorbenen] Tochter schloss die Mutter aus: Eine von der Vaterseite stammende Schwester hingegen wurde mit der Mutter zugleich zugelassen. Wenn aber ein von der Vaterseite stammender Bruder, eine von der Vaterseite stammende Schwester und eine durch Kinder ausgezeichnete Mutter vorhanden waren, schloss zwar der Bruder die Mutter aus, aber die Erbschaft gehörte dem Bruder und der Schwester gemeinsam zu gleichen Teilen.

Vorrang vor der Mutter genießen zunächst die Hauserben des Erblassers und die Abkömmlinge der Tochter, die als erste zur Intestaterbfolge berufen sind. An zweiter Stelle steht der Vater des verstorbenen Kindes. Auch der von der Vaterseite stammende Bruder des Verstorbenen schließt die Mutter aus, während die von der Vaterseite stammende Schwester gleichzeitig mit der Mutter zugelassen wird. Bei Zusammentreffen von Bruder und Schwester von der Vaterseite bleibt es beim Ausschluss der Mutter, so dass die Erbschaft beiden Geschwistern zu gleichen Teilen gehört. Diese Regelung gilt auch und gerade dann, wenn die Geschwister des Erblassers ausschließlich Abkömmlinge des Vaters sind, zum Beispiel aus einer weiteren Ehe des Vaters mit einer anderen Frau stammen.

Im Ausschluss der Mutter bei Überleben eines Bruders von der Vaterseite ist erneut das Bestreben erkennbar, unterschiedliche Familienvermögen getrennt zu halten. Der Bruder von der Vaterseite setzt nämlich die agnatische Familie, zu der auch der Erblasser gehörte, fort. Für die Mutter des Erblassers, die regelmäßig nicht Teil dieser Familie ist, hat diese Betrachtungsweise zur Folge, dass sie neben einem Bruder erst an vierter Stelle zur Intestaterbfolge berufen ist. Nur mit einer Schwester des Erblassers von der Vaterseite (consanguinitas) kann die Mutter schon an dritter Stelle die Intestaterbfolge erhalten.

Übersicht 11: Rangfolge der Erbschaft der Mutter nach ihrem Kind


Die im Senatsbeschluss postulierte Reihenfolge der Intestaterben des Kindes beruht auf einer originellen Kombination bereits bekannter Prinzipien: Der Vorrang der eigenen Hauskinder des verstorbenen Sohnes entspricht dem ius civile ebenso wie das vorrangige Erbrecht des Vaters als (früherer) proximus agnatus vor der nur kognatisch verwandten Mutter.13 Auch die Bevorzugung der Geschwister väterlicherseits (consanguinei) erklärt sich aus der in der Interpretation des ius civile angetroffenen Begrenzung der Erbberechtigung von Frauen nach dem zweiten Verwandtschaftsgrad (Kap. 3.1.4). Die Berücksichtigung der Kinder einer verstorbenen Tochter (Abkömmlinge der weiblichen Erblasserin) sowie die Anerkennung des mütterlichen Erbrechts sind dagegen Neuerungen, die in ihrem Schutz der kognatischen Verwandtschaft noch über das prätorische Edikt hinausgehen, da sie die Mutterschaft als Verwandtschaft nach ius civile anerkennen. Allerdings wäre die Mutter auch nach ius praetorium in der Klasse unde cognati zum Nachlassbesitz berechtigt gewesen (Kap. 3.2.2). Die Bedeutung des senatusconsultum Tertullianum liegt daher vorrangig darin, dass es der Mutter die Erbenstellung nach ius civile zuweist. Diese Ergänzung der zivilen Intestaterbfolge hat auf Ebene des ius praetorium zur Folge, dass die Mutter von der Klasse der Kognaten (unde cognati) in die Klasse der gesetzlichen Erben (unde legitimi) aufrückt.

Schon die Konkurrenzregelung zeigt, dass das senatusconsultum Tertullianum das bestehende Intestaterbrecht des ius civile und ius praetorium nicht vollständig verdrängt, sondern ergänzt. Die kaiserzeitlichen Juristen sprechen insoweit explizit von einer Abstimmung zwischen dem neuen Recht (ius novum) des Senatsbeschlusses und dem überkommenen alten Recht (ius antiquum).

3.4.2 Ius novum und ius antiquum

Da das senatusconsultum Tertullianum nur punktuell das Erbrecht der Mutter regelt, erlaubt es keine Zuweisung der Erbenstellung, wenn nicht die Mutter, sondern ihre Konkurrenten als Intestaterben zum Zuge kommen.

Die von den Juristen vorgenommene Prüfung der Erbberechtigung ist daher mehrstufig: Sie prüfen zunächst, ob die Mutter nach der Regelung des senatusconsultum Tertullianum als Intestaterbin berufen ist, wenden also ius novum an. Wie gesehen, gilt es bei dessen Anwendung allerdings zu berücksichtigen, dass andere Erbberechtigte der Mutter vorgehen. Der Vorrang dieser Personen wird im Rahmen des ius novum nur als Voraussetzung für das mütterliche Erbrecht, also gleichsam hypothetisch, untersucht. Tritt im Rahmen dieser hypothetischen Prüfung zu Tage, dass der Vorrang besteht, endet die Prüfung des senatusconsultum Tertullianum und die Erbfolge wird nach ius civile und ius praetorium entschieden. Erst wenn keiner der nach ius antiquum Berechtigten die Erbschaft annimmt, kann erneut untersucht werden, ob die Mutter die Erbschaft nach dem senatusconsultum Tertullianum erwerben kann. Nimmt die Mutter, nachdem ihr Erbrecht aufgrund des Senatsbeschlusses festgestellt worden ist, die Erbschaft an, ist das Verfahren um den Nachlass beendet. Schlägt sie aus, kommt (erneut) das alte Recht zur Anwendung:

D. 38.17.2.20 Ulpianus 13 ad SabinumSi mater hereditatem filii filiaeve non adierit ex senatusconsulto Tertulliano, in bonorum possessione antiquum ius servandum est: Cum enim cesset praelatio matre omittente senatusconsulti beneficium, ius succedit vetus.

Wenn die Mutter die Erbschaft eines Sohnes oder einer Tochter nach dem senatusconsultum Tertullianum nicht angetreten hat, so muss hinsichtlich des Nachlassbesitzes das alte Recht (antiquum ius) beachtet werden; weil nämlich das Vorzugsrecht endete, als die Mutter den Vorteil des Senatsbeschlusses aufgab, tritt [nun] das alte Recht an seine Stelle.

Nach ius antiquum können sowohl die nach ius civile als auch die nach ius praetorium berufenen Intestaterben die Erbschaft antreten. Soweit die Mutter als kognatische Verwandte im Rahmen der bonorum possessio ab intestato zur Erbfolge berufen ist, kann auch sie nach diesem Recht nochmals zum Zuge kommen. Allerdings beschränkt sich ihre Erbberechtigung auf die Klasse unde cognati. Ihr Recht, sich auf den Senatsbeschluss zu berufen und in der Klasse unde legitimi den Nachlassbesitz zu beantragen, hat sie durch den Verzicht auf das zivile Erbrecht verloren.

Umgekehrt bleibt, wenn sie nur auf den Antrag auf bonorum possessio ab intestato verzichtet hat, das nach ius civile bestehende Erbrecht unberührt:

D. 38.17.2.21 Ulpianus 13 ad SabinumSed si mater repudiaverit bonorum possessionem, de adeunda autem hereditate deliberet, dicendum erit adgnatum non succedere, quoniam nondum verum est non adisse matrem.

Aber wenn die Mutter den Nachlassbesitz abgelehnt hat, über den Antritt der Erbschaft gleichwohl nachdenkt, wird man sagen müssen, dass der agnatische Verwandte in der Erbfolge nicht nachrückt, weil ja noch nicht zutrifft, dass die Mutter nicht angetreten hat.

Die Mutter hat auf die Beantragung der bonorum possessio ab intestato (in der Klasse unde legitimi) verzichtet, nicht aber das zivile Erbrecht abgelehnt. Damit ist die Anwendungsprüfung des Senatsbeschlusses noch nicht beendet, vielmehr ist in der Schwebe, ob das ius novum oder die Intestaterbfolge nach ius antiquum Anwendung findet. Aus diesem Grund wird es dem agnatus proximus, der nach ius civile nach den Hauskindern erbberechtigt wäre, verwehrt, die Erbschaft anzutreten. Erst wenn die Mutter die Erbschaft definitiv ausgeschlagen hat, kommt mit der Anwendung des alten Rechts auch die Agnatenerbfolge nach ius civile zum Zuge. Die Alternativen bei der Anwendung des senatusconsultum Tertullianum sind in Übersicht 12 zusammengefasst:

Übersicht 12: Anwendungsprüfung von ius novum und ius antiquum


3.4.3 Senatusconsultum Orfitianum

Eine vergleichbare Gemengelage ergibt sich für das Erbrecht der Kinder nach ihrer Mutter, das durch ein senatusconsultum Orfitianum im Jahre 178 n. Chr. eingeführt wurde:

Inst. 3.4pr.

Per contrarium autem ut liberi ad bona matrum intestatarum admittantur, senatusconsulto Orfitiano effectum est, quod latum est Orfito et Rufo consulibus, divi Marci temporibus. Et data est tam filio quam filiae legitima hereditas, etiamsi alieno iuri subiecti sunt: Et praeferuntur et consanguineis et adgnatis defunctae matris.

Dass im Gegenteil aber die Kinder zum Nachlass ihrer testamentslos verstorbenen Mütter zugelassen werden, ist durch das senatusconsultum Orfitianum zustande gebracht worden, das unter dem Konsulat des Orfitus und des Rufus zu Zeiten des vergöttlichten Kaisers Mark Aurel ergangen ist. Und sowohl dem Sohn als auch der Tochter ist die gesetzliche Erbfolge gewährt worden, auch wenn sie fremdem Recht unterworfen worden sind. Und sie werden sowohl den blutsverwandten Geschwistern als auch den agnatischen Verwandten der verstorbenen Mutter vorgezogen.

Der Senatsbeschluss, der auf Kaiser Mark Aurel (161 – 180 n. Chr.) zurückgeführt wird, gewährt den Kindern ein Intestaterbrecht nach der Mutter, das dem Intestaterbrecht der Agnaten (nach ius civile) wie der Kognaten (nach ius praetorium) vorgeht. Auf diese Weise verdrängt das kaiserliche Intestaterbrecht die bestehende Erbfolgeordnung des ius civile:

D. 38.17.1.9 Ulpianus 12 ad Sabinum„Si nemo filiorum eorumve, quibus simul legitima hereditas defertur, volet ad se eam hereditatem pertinere, ius antiquum esto.“ Hoc ideo dicitur, ut, quamdiu vel unus filius vult legitimam hereditatem ad se pertinere, ius vetus locum non habeat: Itaque si ex duobus alter adierit, alter repudiaverit hereditatem, ei portio adcrescet. […].

„Wenn niemand von den Kindern oder von denen, welchen die gesetzmäßige Erbschaft gleichzeitig anfällt, will, dass diese Erbschaft ihm gehöre, soll das alte Recht gelten.“ Dies wird deswegen gesagt, damit, solange nur ein Sohn will, dass die gesetzliche Erbschaft ihm gehöre, das alte Recht nicht zur Anwendung kommt. Wenn daher von zweien der eine die Erbschaft angetreten hat, der andere sie ausgeschlagen hat, wächst diesem [dem ersten] der Anteil an. […].

Ulpian (3. Jahrhundert n. Chr.) setzt sich mit dem Wortlaut des Senatsbeschlusses auseinander, in dem die Fortgeltung des alten Rechts nur für den Fall angeordnet wird, dass kein Erbe nach dem ius novum antritt. Das alte Recht sei solange ausgeschlossen, wie sich wenigstens ein Kind bereit findet, das Erbe der Mutter anzutreten. Nur wenn alle Kinder ausschlagen, können die Intestaterben des ius civile und des ius praetorium zum Zuge kommen. Da dem Kind ein vorrangiges Erbrecht nach seiner Mutter gewährt wird, das heißt eine hauserbenähnliche Stellung, ist die Abstimmung zwischen ius antiquum und ius novum im Fall des senatusconsultum Orfitianum weniger schwierig als beim senatusconsultum Tertullianum: Das kaiserliche Erbrecht der Kinder geht so lange vor, bis alle Kinder ausgeschlagen haben.

Auch das senatusconsultum Orfitianum begründet ius civile, greift also in die zivile Erbfolgeordnung ein, die ihrerseits auf das ius praetorium zurückwirkt:

D. 38.17.6.1 Paulus liber singularis ad senatusconsultum OrfitianumFilius, qui se nolle adire hereditatem matris dixit, an potest mutata voluntate adire, antequam consanguineus vel adgnatus adierit, videndum propter haec verba „si nemo filiorum volet hereditatem suscipere“, quia extensiva sunt. Et cum verba extensiva sint, paenitentia eius usque ad annum admittenda est, cum et ipsa filii bonorum possessio annalis est.

Man muss erwägen, ob der Sohn, der gesagt hat, dass er die Erbschaft der Mutter nicht antreten will, nach der Änderung seiner Meinung antreten kann, bevor ein Verwandter von der Vaterseite oder ein agnatischer Verwandter angetreten ist, und zwar wegen folgender Worte: „Wenn keines der Kinder die Erbschaft übernehmen will“, weil sie sehr weit gefasst sind. Und da der Wortlaut so weit gefasst ist, ist seine Reue nur ein Jahr lang zuzulassen, weil die bonorum possessio des Kindes auch selbst auf ein Jahr beschränkt ist.

In dem von Paulus behandelten Fall hat der Sohn, der auf das zivile Erbrecht nach dem Senatsbeschluss verzichtet hat, die bonorum possessio ab intestato nach der Mutter verlangt. Da der Nachlassbesitz in der Klasse unde legitimi auf das zivile Erbrecht des senatusconsultum Orfitianum gestützt wird, stellt sich die Frage, ob der zivile Verzicht auch das prätorische Erbrecht erfasst. Paulus (3. Jahrhundert n. Chr.) entscheidet, dass der Verzicht auf die zivile Erbenstellung dem Antrag auf die bonorum possessio ab intestato nicht entgegensteht, weil der Senatsbeschluss das Kind nur dann ausschließe, wenn es auf beide Erbberechtigungen verzichtet habe. Das ius antiquum kommt daher nur dann zur Anwendung, wenn der Sohn sowohl die Erbenstellung nach ius civile als auch – gegebenenfalls durch Verstreichenlassen der Antragsfristen – den Nachlassbesitz ab intestato nicht übernehmen will.

Auf diese Weise wird der Sohn, der nach dem senatusconsultum Orfitianum den Nachlassbesitz unde legitimi nach der Mutter erlangen will, besser gestellt als die Mutter, die nach dem senatusconsultum Tertullianum den Nachlassbesitz unde legitimi als Erbin ihres Kindes beantragt. Wie gesehen (Kap. 3.4.2), wird die Mutter nämlich von der bonorum possessio ab intestato in der Klasse unde legitimi ausgeschlossen, wenn sie den Erbschaftsantritt (aditio hereditatis) nach ius civile verweigert hat. Dagegen wird dem Kind, das auf das zivile Erbrecht nach dem senatusconsultum Orfitianum verzichtet, die bonorum possessio ab intestato in der Klasse unde legitimi zugestanden. Paulus rechtfertigt diesen Unterschied mit dem Hinweis auf den Wortlaut des Senatsbeschlusses. Hinzukommen dürfte, dass das Erbrecht der Mutter auch sonst von dem Verzicht vorrangig Berechtigter (nach ius civile und ius praetorium) abhängt, während die Kinder alle übrigen Berechtigten (nach ius civile und ius praetorium) verdrängen. Das ius antiquum und damit die Verdrängung der Regelung des Senatsbeschlusses treten beim senatusconsultum Orfitianum erst dann ein, wenn alle Kinder auf die ihnen offenstehenden Formen der Intestaterbfolge verzichtet haben. Dagegen kommt es bei Anwendung des senatusconsultum Tertullianum schon bei der Prüfung der Erbberechtigung der Mutter zur Frage, ob ein vorrangig Berechtigter die bonorum possessio ab intestato verlangt hat oder hätte verlangen können. Auch wenn die Juristen die Anwendung des ius novum vom ius antiquum trennten, erfolgte auf diese Weise beim senatusconsultum Tertullianum kein klarer Schnitt zwischen beiden Rechtsschichten, wie er für das senatusconsultum Orfitianum durch die Vorrangregel ermöglicht wird.

Dass die Kinder der Mutter durch das kaiserliche Intestaterbrecht besser gestellt wurden als die Mutter als Intestaterbin der Kinder, ergibt sich dabei schon aus der bei Kaiser Justinian (527 – 565 n. Chr.) mitgeteilten Konkurrenzregel zwischen den Kindern der Tochter und der nach dem senatusconsultum Tertullianum erbberechtigten Mutter (Kap. 3.4.1). Wie gesehen, gehen nämlich die Kinder, die nach dem senatusconsultum Orfitianum zu Erben der Tochter berufen werden, der Mutter, die nach dem Senatsconsultum Tertullianum erbberechtigt ist, vor. Innerhalb des ius novum genießt also das senatusconsultum Orfitianum Vorrang vor dem senatusconsultum Tertullianum.

Die beiden Senatsbeschlüsse bilden den Endpunkt der Entwicklung des antiken römischen Intestaterbrechts, wenngleich nachfolgende Reskripte und Einzelfallentscheidungen das beschriebene System weiter verfeinert haben. Daher kann von den beiden Senatsbeschlüssen aus ein zusammenfassender Rückblick auf die Rechtsschichten des Intestaterbrechts und ihre Entwicklung unternommen werden.

3.5 Fazit zum Intestaterbrecht

1. Am Ende der Kaiserzeit stellt sich das römische Intestaterbrecht als Kombination von verschiedenen Regelungen dar: Grundlage ist nach wie vor das im Zwölftafelgesetz von ca. 450 v. Chr. angelegte Intestaterbrecht der Hauskinder und Agnaten. An diese Grundlage anknüpfend bestimmt der Prätor diejenigen, die nacheinander nach Klassen des Edikts zum Antrag auf die bonorum possessio ab intestato berufen sind. Ergänzend treten die mit Blick auf das Erbrecht zwischen Müttern und Kindern formulierten Senatsbeschlüsse als ius novum hinzu, das direkt in die zivile Ordnung eingreift.

Übersicht 13: Rechtsschichten des kaiserzeitlichen Intestaterbrechts


Die Übersicht 13 zeigt, dass sich die verschiedenen Rechtsschichten nicht nur übereinander ablagern, sondern gegenseitig durchdringen. Diese wechselseitige Abhängigkeit kommt zunächst dadurch zum Ausdruck, dass das Kaiserrecht Anordnungen auf Ebene des ius civile trifft, also gleichsam in eine frühere Schicht eingreift. Sie ist auch darin erkennbar, dass der kaiserrechtliche Eingriff in das ius civile im ius praetorium rezipiert wird, also eine Neuordnung der prätorischen Erbfolgeordnung bedingt.

2. Trotz dieser gegenseitigen Abhängigkeit beruhen die verschiedenen Schichten keineswegs auf einer einheitlichen rechtspolitischen Zwecksetzung: Während sich das Erbrecht des ius civile als Fortsetzung der agnatischen Familienstruktur über den Tod des Oberhauptes hinaus darstellt, setzt das Intestaterbrecht des ius praetorium programmatisch auf die Gleichberechtigung von Abkömmlingen, unabhängig davon, ob sie unter der väterlichen Gewalt stehen oder nur kognatisch verwandt sind. Dabei liegt es in der prozessualen Natur der prätorischen Regelung, dass sie formal keine Veränderung der zivilen Erbrechtsordnung bewirken kann. Der eigentliche Eingriff in das überkommene ius civile erfolgt erst in der Kaiserzeit, in der durch senatusconsulta abweichendes, neues ius civile geschaffen wird, das vor allem die erbrechtliche Stellung der Frauen zu ihren Kindern verbessert. Auf diese Weise wird endgültig der Wechsel zu einem kognatischen Familienmodell vollzogen.

3. Das überkommene agnatische Familienmodell wird dennoch nicht abgeschafft, sondern wirkt in der nach wie vor anerkannten Erbberechtigung des agnatus proximus, der auch nach ius praetorium (unde legitimi) berufen ist, fort. Da mit Ausnahme des Gentilenerbrechts die Intestaterbfolge des ius civile neben der prätorischen bestehen bleibt, ergeben sich Widersprüche, namentlich bei der emancipatio von Hauskindern zwischen der zivilen und der prätorischen Ordnung. Auch diese Widersprüche werden – wie gesehen (Kap. 3.3.2) – erst durch den stärker systematisierenden Zugriff der Kaiserzeit gelöst, die in der nova clausula Iuliani einen Ausgleich zwischen ius praetorium und ius civile schafft. In diesem Edikt werden beide Schichten miteinander verschmolzen, indem sowohl zivile als auch prätorische Erben nebeneinander zur Intestaterbfolge berufen sind. In dieser Regelung zeigt sich die Tendenz des Kaiserrechts, das Spannungsverhältnis zwischen ius civile und ius praetorium zugunsten einer einheitlichen, vom princeps geprägten Ordnung aufzulösen.

9 Die Rekonstruktion folgt Michel Humbert/Andrew D. E. Lewis/Michael H. Crawford, Lex duodecim tabularum, in: Michael Crawford (Hrsg.), Roman Statutes II, London 1996, 580.

10 Otto Lenel, Das Edictum perpetuum, 3. Aufl. Leipzig 1927, 355.

11 Die Adoption erfolgt – wie die emancipatio – durch Manzipation des Hauskindes an einen Treuhänder, der es freilässt. Ist auf diese Weise durch dreimalige Manzipation des Haussohnes oder einmalige Manzipation anderer Hauskinder das Gewaltverhältnis erloschen, beansprucht derjenige, der Adoptivvater werden will, im Rahmen eines fiktiven Prozesses (in iure cessio) die Hausgewalt über das Kind. Der frühere Hausvater widerspricht nicht, so dass das Kind unter die Hausgewalt des Adoptivvaters tritt.

12 Die bonorum possessio sine re ist zwar gegenüber dem zivilen Erben ohne Wirkung, vermittelt dem Inhaber aber Schutz gegenüber Dritten, die die Erbschaft für sich beanspruchen oder der Erbschaft Sachen entziehen.

13 Dabei ist zu beachten, dass das „Kind“, wenn es aus der Gewalt entlassen wurde, nicht mehr agnatisch verwandt ist. Die Stellung des Vaters erklärt sich daher aus der Position als Freilasser aus der Gewalt. Kinder, die außerhalb einer Ehe, also von vornherein gewaltfrei geboren waren, wurden erst durch die spätere Juristeninterpretation unter das senatusconsultum Tertullianum gezogen.

Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht

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