Читать книгу Das Mädchen im Schloss - Ulrike Müller - Страница 5

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

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wir freuen uns, dass ihr unser Buch in den Händen haltet. Ihr lernt darin Menschen kennen, die vor mehr als 250 Jahren gelebt haben. Sie sind wie heutige Menschen: sympathisch oder unausstehlich, können mitreißen und neugierig machen, aber auch enttäuschen und verletzen. Zu ihrer Lebenswelt gehörten Verhaltensweisen und Gegenstände, die euch möglicherweise fremd sind; vielleicht hört ihr sogar zum ersten Mal davon. Dinge hingegen, die wir heute selbstverständlich benutzen, waren damals noch gar nicht in Gebrauch: elektrisches Licht, Hähne, aus denen fließendes Wasser kommt, Autos, Tabletten gegen Grippe. Unglücklicher als wir waren die Menschen deshalb nicht, sie lebten nur anders.

Im Mittelpunkt unserer Geschichte steht Amélie, ein Mädchen, das wirklich gelebt hat, eine „historische Gestalt“. Amélie, mit vollständigem Namen Anna Amalia, war eine Prinzessin. Sie wurde 1739 im Schloss von Wolfenbüttel geboren, im heutigen Bundesland Niedersachsen. Ihre Eltern waren Carl I. und Philippine Charlotte, Herzog und Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel. Damals gab es auf dem Gebiet von Deutschland unzählige, zum Teil kleinste Fürstentümer, jedes mit einer eigenen Regierung und eigenem Geld. In einem Schloss zu leben, werdet ihr nun vielleicht denken, das muss traumhaft gewesen sein, fast wie im Märchen. Doch ihr werdet euch wundern: Unsere Amélie wurde zwar umsorgt, besaß viele schöne Kleider und brauchte sicherlich nie selbst ihr Zimmer aufzuräumen. Aber sie musste von morgens bis abends lernen. Zeit zum Spielen gab es da für sie kaum. Kinder wurden damals wie kleine Erwachsene behandelt: Waren sie wie Amélie vornehmer Herkunft, wurden sie auf ihre Rolle als Adlige vorbereitet. Kamen sie aus einfachen Verhältnissen, mussten sie oft schon hart arbeiten, auf dem Land, in Handwerksberufen oder – die Mädchen – in der Hauswirtschaft.

Unsere Geschichte setzt zu der Zeit ein, als Amélie sieben Jahre alt war und den größten Teil des Tages damit verbrachte, die vielen Regeln zu verinnerlichen, die im Schloss und bei Hofe galten: dass es zum Beispiel höchst ungehörig war, einfach laut zu lachen. Und dass es unbedingt wichtig war, die Menschen, die sie traf, ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellung gemäß richtig zu begrüßen und anzureden. (Probiert aus Spaß mal aus, wie es sich anfühlt, eure Eltern und Geschwister mit Sie anzusprechen!) Als geradezu lebensnotwendig wurde es angesehen, die Familiengeschichte und den eigenen Stammbaum zu kennen. Denn im Netz der Verwandtschaft mit anderen Fürstenhäusern fand auch ein kleines Fürstentum Unterstützung, wenn es angegriffen wurde. Anna Amalias Mutter zum Beispiel war die Schwester des mächtigen Preußenkönigs Friedrich II., genannt Friedrich der Große.

Amélie lebte in einer Zeit des Umbruchs. Der Umgang zwischen den Menschen war noch weitgehend von Befehlen und Gehorchen bestimmt, doch wurde eigenständiges Denken und Handeln immer wichtiger. Wissenschaftliche Erkenntnisse und das Lesen erlangten zunehmend Bedeutung. Die medizinischen Kenntnisse waren zu Amélies Zeit allerdings noch längst nicht so weit entwickelt wie heute. Es galt als normal, dass viele Menschen schon in jungen Jahren starben; da genügte manchmal eine einfache Halsentzündung. Um so wichtiger war es, im Glauben an Gott Schutz und Trost zu finden.

Woher wir das alles wissen? Informationen über die damalige Zeit und Anna Amalia gibt es aus ganz unterschiedlichen Quellen. Bekannt sind amtlich dokumentierte Daten wie die von Geburt, Konfirmation, Heirat. Überliefert sind auch die Namen von Verwandten, wichtigen Lehrern, bedeutenden Künstlern oder auch Amélies Kinderfrau. Dazu kennen wir die Geschichte der Gebäude, wie zum Beispiel der Schlösser von Wolfenbüttel und Salzdahlum (nahe gelegener Sommersitz der Familie), in denen die kleine Herzogin sich aufhielt. Einige der Gebäude existieren heute nicht mehr. Dennoch sind uns über Dokumente nicht nur ihr Aussehen und die Funktion einzelner Räume bekannt, sondern sogar Einrichtungsgegenstände wie Möbel, Geschirr oder Gemälde, ja sogar die Titel der Bücher, die Amélies Mutter besaß. Manche Dinge sind heute noch erhalten und werden in Museen gezeigt. Wenn ihr das Schloss in Wolfenbüttel besucht, könnt ihr euch selbst einen Eindruck davon verschaffen.

Im Text und in den Illustrationen haben wir versucht, ein möglichst wahrheitsgetreues Bild von Amélies Leben darzustellen. Dennoch muss die Frage, wie es damals wirklich war, immer wieder neu gestellt werden. Darüber zum Beispiel, was Amélie als Kind und Jugendliche tatsächlich dachte, fühlte, sagte oder tat, wissen wir sehr wenig, das versuchen wir uns lediglich vorzustellen. Hinzu kommt, dass sich die Forschung nicht immer einig ist: Könnte es so gewesen sein oder war es vielleicht doch ganz anders? Doch hartnäckiges Fragen und Suchen lohnt sich. Obwohl wir schon einiges über Amélie wussten, haben wir während der Entstehung unseres Buches viel Neues dazugelernt. Die Bilder, die sich dabei am Ende ergeben haben, sind nicht vollständig, aber äußerst interessant.

Nun sind aber mehrere nebeneinanderstehende Bilder noch keine Geschichte. Um sie mit Leben zu erfüllen und zueinander in Beziehung zu setzen, haben wir die meisten Handlungen, Gespräche und auch einige der Nebenfiguren frei erfunden. Aus dem wahren Geschehen und unserer eigenen Phantasie haben wir etwas Neues entwickelt. Ihr wisst selbst, wie viel Spaß es machen kann, sich Geschichten auszudenken! Schließlich besteht das Leben aus weit mehr als Tatsachen. Das wusste übrigens auch unsere Amélie, die sich in unserem Buch mit einem prachtvollen Märchenwesen anfreundete. Je älter sie wurde, umso unklarer war ihr allerdings, ob sie ihm wirklich begegnet war oder … Womöglich habt ihr eine solche Erfahrung auch schon gemacht.

Ihr fragt euch vielleicht, wie wir überhaupt auf Amélie gekommen sind und warum wir uns gerade für ihre Kindheit und Jugend so interessieren. Wir drei, die dieses Buch für euch geschrieben und gezeichnet haben, und der Knabe Verlag, sind in Weimar in Thüringen zu Hause, und die Idee zu unserem Buch wurde hier geboren. Sie hängt mit der geschichtlichen Bedeutung zusammen, die Amélie nach ihrer Heirat bekam. Da lebte sie nämlich in unserer Stadt als Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ihr Name ist mit der geschichtlichen Epoche der „Weimarer Klassik“ verbunden, mit Namen wie Goethe und Schiller, aber auch Corona Schröter und Charlotte von Stein. Von dieser Zeit soll dann unser zweiter Band handeln.

Zugegeben: Unser Buch stellt euch vor eine richtige Herausforderung. Es ist keine leichte Kost und bietet einige Stolpersteine: Wortsteine, kleine harte Brocken, an denen ihr euch stoßen könntet. Es kommen alte Namen und Begriffe vor, die ihr womöglich noch nie gehört habt, altmodische, ja gestelzt erscheinende, aber oft sehr schöne Wörter. Sie zeigen, was die deutsche Sprache alles zu bieten hat – oder im 18. Jahrhundert zu bieten hatte. Macht euch doch einmal den Spaß und benutzt so ein Wort in einem ganz normalen Gespräch. Wir haben diese Wörter entweder gleich in der Geschichte erläutert oder im Text mit einem Punkt markiert und dann im Anhang in einem alphabetischen Verzeichnis erklärt. Unsere Amélie hatte mit noch größeren und schwereren Stolpersteinen zu kämpfen. Lasst euch überraschen, wie sie damit umgegangen ist! Sie war schließlich eine ziemlich kluge kleine Prinzessin, davon kann man sich manches abschauen … Mehr wird nicht verraten.

Jetzt wünschen wir euch: Viel Freude beim Lesen!

Das Mädchen im Schloss

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