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Kapitel 2

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Wie Amélie beinahe ein Segel in ihrer Suppe gefunden hätte und im Clavichord die Welt der Musik für sich entdeckt

Amélie war heute nicht heimlich, sondern mit Erlaubnis der Hofmeisterin ganz allein im Schloss unterwegs. Das Mittagessen nahmen sie und ihre Geschwister gemeinsam ein. Mit Ausnahme des ältesten Bruders Ferdinand, der im so genannten Kleinen Schloss unweit des großen Schlosses mit seinem eigenen Hofstaat• und den Lehrern lebte, lernte und aß, wie es die Sitte für den Thronfolger erforderte. Alle übrigen Kinder der herzoglichen Familie hatten sich an jedem Wochentag um Punkt 12 Uhr im großen Speisesaal zum Mittagessen einzufinden. Und irgendwann war es beendet. Die Mutter, die Wert darauf legte, alle ihre Kinder einmal am Tag gemeinsam zu sehen, war heute ausnahmsweise nicht zugegen gewesen. Stattdessen hatte Madame Benzin als einzige Erwachsene mit den herzoglichen Kindern am Tisch gesessen, um diese zu beaufsichtigen.

Der Gesichtsausdruck der Dame war von einer derartig kalten und unbeweglichen Strenge gewesen, dass Amélie, die ihr direkt gegenüber saß, am liebsten auf der Stelle davongelaufen wäre. Sie fürchtete sich nämlich vor harten Worten und davor, getadelt zu werden, was leider zu oft geschah. Doch dann wurde sie zum ersten Mal in ihrem Leben von diesem später noch so häufig empfundenen unbezwingbaren Drang ergriffen, erst recht standzuhalten und aufrecht an ihrem Platz zu verharren.


Sie musste dieses Gesicht der Benzin immerfort ansehen – unauffällig, versteht sich, aus niedergeschlagenen Augen – und zwar so lange, bis sich irgendetwas, nur eine Kleinigkeit, darin ändern würde. Dann nämlich hörte die Angst auf. An deren Stelle aber hatte sich eine freche kleine Phantasie in ihren Kopf geschlichen, eine Art banger Erwartung – oder vielleicht war es auch eine heimliche Hoffnung. Was, wenn die lange dünne Nase der Hofdame in einer plötzlichen Regung von Ungehorsam auf einmal an dem silbernen Esslöffel festwachsen würde? Und zwar genau in einem jener Momente, in dem sie ihn, mit einer Portion Suppe gefüllt, in den Mund hinein beförderte? Amélie konnte es genau vor sich sehen: Madame Benzin würde den Löffel zunächst in der gewohnten würdevollen Langsamkeit mit der rechten Hand abwärts zum Teller führen, in die Suppe tauchen, dann frisch gefüllt bis an die Lippen heben und zur Abkühlung einen Augenblick ruhig halten. Aber dann! Auf dem Rückweg vom Mund zum Teller würde die Nase unverrückbar am Löffel kleben bleiben, sich also mitsamt diesem immer weiter vom Gesicht entfernen. Schließlich würde sie unten mit in der Suppe landen und wie ein kleines Segel daraus aufragen. Oder womöglich von den graugrünen Wogen der Suppe überspült werden wie bei Sturm der kleine Felsvorsprung an der Oker. Wie die gestrenge Dame wohl aussehen würde – so ohne Nase?

Amélie hielt unwillkürlich im Essen inne. Nur mühsam unterdrückte sie ein Kichern. Um ein Haar hätte sie, die gebotene Contenance• vergessend, fast auch noch gegen das Redeverbot verstoßen, welches stets – bis auf das vor Beginn gesprochene Tischgebet – für die gesamte Zeit des Essens galt. Denn beinahe hätte sie ihren Lieblingsbruder Friedrich, der neben Madame am Tisch gegenüber saß, laut gebeten, das fantastische Geschehen schnell mit seinem Silberstift in das kleine, rote, in Wachstuch eingeschlagene Papierheft zu zeichnen, das er immer bei sich trug, um sich darin Sätze, Zahlen oder Kuriositäten• zu notieren. Doch ein Kontrollblitz aus Madames Augen hatte sie zurückgeholt und das ganze Unterfangen verhindert. Ihren zweiten Gedanken, dass schließlich ja auch ihre eigene, Amélies Nase, am Löffel kleben bleiben und am Ende im Tellergrund untergehen könnte, hatte sie infolgedessen nicht mehr zu Ende denken können. Sie hatte ja schließlich nicht zu träumen, sondern weiter zu essen, nach dieser schier unendlichen Portion Vorsuppe noch Hauptgericht und Dessert zu bewältigen, und zwar möglichst viel davon. Denn sie war dünn, zu dünn, geradezu dürr wie eine Bohnenstange, wie Caroline nicht ohne jenen verhassten triumphierenden Unterton in der Stimme bemerkte.

Diese Suppe! Schon morgens gab es nichts außer Milchsuppe oder einer Getreidegrütze zu essen – schon allein das Wort Grütze war eine Zumutung! Aber das war so üblich, auch in einem Adelshaushalt, hatte die Oberhofmeisterin den Kindern mit freundlichem Bedauern erklärt, als Friedrich eines Morgens mutig fragte, ob er Hühnchen bekommen könne. Schließlich mussten die Kinder an vielen Wochentagen schon vor dem Frühstück eine Stunde Sprachunterricht bewältigen. Und Lernen macht auch die strebsamsten Kinder bekanntlich hungrig. Doch die Vorsuppe am Mittag schmeckte genauso grausig wie der Brei vom Morgen.

Neulich, beim festlichen Diner• mit Gästen, da hatten in der Vorsuppe unter einer der ebenso seltenen wie verheißungsvollen Sahnehauben kleine rosafarbene Stückchen geschwommen. Und in der üblichen Unterweisung vor dem Mahl hatte die Hofmeisterin den Kindern erklärt, es handle sich um Krebsfleisch. Aber schwammen nicht Krebse sonst äußerst lebendig mit ihren großen Scheren im Meer herum? Jedenfalls hatten diese Krebse, das wusste Amélie todsicher, auf geheimnisvollen Wegen noch mit Scheren die Freitreppe des Wolfenbütteler Schlosses überwunden – schließlich hatte sie einen wahrscheinlich heruntergefallenen dort liegen sehen – und waren nun ohne in der Festsuppe gelandet. Hier taten sie keinen Mucks mehr und wurden von allen am Tisch gleichmütig verspeist. Und wie immer fand niemand außer ihr, Amélie, etwas Besonderes daran. Ob Amalunde, die Nixe, schon lebenden Krebsen begegnet war? Bestimmt! Im Fluss sollte es doch auch welche geben, aber nur ganz kleine. Die würde sie aber gewiss nicht essen, lieber würde sie mit ihnen plaudern. Denn wahrscheinlich konnten sie ebenso gut sprechen wie Amalunde. Amélies Herz klopfte. Die Nixe – ihre Nixe, ihre Amalunde. Amélie und Amalunde.

„A-ma-lun-de!“, sie sprach es leise vor sich hin. Welch ein wundervoller Name! Das klang wie Musik: herrlichste grüngoldene Wassermusik. Überhaupt sollte sie jetzt besser an die Musik denken! Die Unterhaltung mit der Nixe vor drei Tagen würde ihr sowieso niemand glauben, am wenigsten die Mutter, die sich, wenn sie zwischen ihren zahllosen Audienzen• und Korrespondenzen•, Bällen und wohltätigen Besuchen einmal Zeit hatte, nicht gerade brennend dafür zu interessieren schien, was in ihrer Amélie vorging.

Ja die Mutter! Eigentlich hatte Amélie zu ihr gar keine persönliche Beziehung. Ihrer Kammerfrau•, der Piperin zum Beispiel, fühlte sie sich viel näher. Ihre Mutter bewunderte sie eher aus der Ferne. Philippine Charlotte war hochmusikalisch, hatte eine wohltönende Stimme und spielte verschiedene Instrumente, unter anderem Flöte. Amélie hörte gern zu, wenn die Damen und Herren sich an den Montagabenden im großen Saal einfanden und gemeinsam musizierten. Und wenn sie dann in dem Zusammenklang der verschiedenen Instrumente den feinen festlichmetallischen Klang des Cembalos heraushörte, das die Mutter so wundervoll zu spielen verstand, wurde ihr warm, viel wärmer als von der schrecklichen Suppe.

Pünktlich um ein Uhr sollte sie sich im Musikzimmer einfinden. Zum ersten Mal ganz allein! Heute wollte der Weg durchs Schloss wohl gar nicht enden! Er führte durch lange Flure, in denen unzählige Verwandte der herzoglichen Familie aus riesigen Rahmen von den Wänden auf Amélie herabsahen. Fast noch strenger blickten sie als Madame Benzin. Niemand dieser entfernten Vettern, Onkel, Großtanten und Urahnen lachte oder lächelte. Die Kinder konnte man nur daran erkennen, dass sie auf den Gemälden kleiner als die Erwachsenen dargestellt waren. Ansonsten sahen sie genau so ernst und würdevoll aus und waren auch ebenso gekleidet wie die Erwachsenen. Alle, kleine Mädchen und kleine Jungen, trugen Kleider. Jungen hielten Vögel oder Waffen in den Händen, nur daran waren sie zu erkennen. Amélie fürchtete sich immer ein wenig, durch diese Flure zu gehen. Als sie die Treppe überwunden hatte, wusste sie, dass jetzt der riesige Eckspiegel mit dem breit geschwungenen Goldrahmen kommen würde und sie der schmächtigen Gestalt mit dem Buckel, die sie dort gleich vorüberhuschen sehen würde, nicht entgehen konnte. Aber diesmal wandte sie einen Trick an, um die schreckliche Wölbung hinten an ihrer Schulter verschwinden zu lassen: Sie ging seitwärts, sodass sie sich die ganze Zeit nur von vorne sah. Das ging. Im Weitergehen zupfte sie unwillkürlich unten am Saum ihres dunkelgrünen Samtkleides, das, von der Taille an abwärts von einem unsichtbaren Drahtgestell festgehalten, weit vom Körper abstand. Sie mochte einfach nicht leiden, dass der weiße Spitzenbesatz des Unterrocks darunter hervor schaute, aber das entsprach ja wohl der neuesten französischen Mode. Das behauptete jedenfalls die Oberhofmeisterin.

Jetzt war Amélie vor dem Musikzimmer im zweiten Obergeschossangekommen, wo die herzoglichen Kinder und ihr Hofstaat ihre Räume hatten. Kein Laut war zu hören, die hohe Tür geschlossen. Vorsichtig drückte Amélie die Klinke herunter, öffnete, trat ein. Sie blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, blinzelte, aus der Düsternis der Flure kommend, einen Moment in die Helle des Sonnenlichts, das den Raum freundlich durchflutete. Dann atmete sie tief ein, nahm all ihren Mut zusam men und durchquerte, die neue blaue Mappe für den Unterricht fest unter dem Arm, den Raum. Sie hörte den Nachhall ihrer eigenen Schritte auf dem Parkett, bis sie vor dem Instrument angekommen war, wo sie erst einmal abwartend stehen blieb.

Vor der hellen Fensterfront zeichnete sich die hohe, sehr schlanke, um nicht zu sagen; hagere Gestalt eines jungen Mannes ab. Er trug einen einfachen schwarzen Anzug mit Stehkragen und ein schwarzes Käppchen auf dem Kopf, unter dem krauses, ein wenig dünnes, dunkelblondes Haar hervorschaute. Der Lehrer trug keine Perücke! Nun wandte er sich der Ankommenden zu. Er nahm ehrerbietig seine Kopfbedeckung ab, schritt dann auf Amélie zu und verneigte sich grüßend vor ihr, wobei sein Oberkörper in diesem kurzen Augenblick eine beträchtliche Wegstrecke von oben nach unten zurückzulegen hatte. Sie sah ein freundliches braunes Augenpaar, fühlte flüchtig einen Handkuss und vernahm dazu den üblichen gemurmelten Satz, den man nie ganz verstehen konnte – offenbar sah es das höfische Reglement auch für einen Musiklehrer so vor – und hörte die wohlgesetzten Worte zur Begrüßung: „Willkommen, verehrte Herzogin, gestatten Sie mir, dass ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Friedrich Gottlieb Fleischer, ich habe die Freude, das Amt des Hoforganisten• seiner Majestät, Ihres herzoglichen Vaters, zu bekleiden und bin nun mit der überaus ehrenvollen Aufgabe betraut worden, Sie, gnädige Herzogin, in die Grundzüge der Musik und des Instrumentalspiels einzuweisen. Wie ich von Ihrer gnädigen Mutter, der Herzogin, vernahm, zeigen Sie bereits ganz besondere Aufmerksamkeit für die Musik?“

Er öffnete den Deckel des Clavichords•, eines rechteckigen Kastens aus rotbraun gemasertem, glänzend poliertem Holz. Nun klappte der Lehrer den Deckel aufrecht nach hinten, so dass Amélie zum ersten Mal aus nächster Nähe einen Blick in das Innere des Instrumentes werfen konnte. Es sah wunderschön aus, war eine kleine geheimnisvolle Welt für sich: Vorn lagen die Tasten mit ihren länglichen, rhythmisch angeordneten schwarzen und weißen Spielflächen. Dahinter befanden sich die über einem hellen hölzernen Untergrund dicht nebeneinander auf einen gebogenen Holzstock gespannten und auf diesem festgeschraubten Saiten. Was Amélie aber am allermeisten faszinierte, war das prachtvolle farbige Gemälde auf der Innenseite des hölzernen Deckels. Vor einem weißen Schloss, von dessen Türmen blaue und gelbe Fahnen flatterten, war eine Gruppe tanzender und musizierender Damen in leichten Gewändern zu sehen. Monsieur Fleischer ließ seiner neuen Schülerin ein paar Momente Zeit, das Kunstwerk zu bestaunen. Dann sagte er behutsam und in freundlichem Ton: „Wenn Sie nun auf dem Stuhl vor dem Instrument Platz nehmen wollen und versuchen, die Hände auf die Tasten zu legen? Ich werde dabei behilflich sein.“ Er rückte einen gepolsterten Stuhl zurecht, auf dem noch zwei zusätzliche Kissen lagen, half Amélie sich zu setzen und ihre Füße so auf einer Fußbank zu platzieren, dass sie aufrecht vor dem Instrument sitzen konnte und ihr Kleid dabei nicht allzu sehr gedrückt wurde. Das war gar nicht so einfach. Amélie drohte sofort vom Stuhl wieder herunter zu rutschen. Um das zu verhindern, stützte sie sich rasch vorn mit den Händen auf den Tasten ab und erzeugte dabei die ersten Clavichordklänge ihres Lebens. Ein wenig erschrocken nahm sie die Hände ebenso schnell wieder vom Instrument und suchte sich auf dem Stuhl nun eine Position, in der sie die Balance halten konnte.

Die Töne hatten wunderlich ungeordnet geklungen und zugleich sanft und weich, ein wenig wie die Laute, die manchmal bei den Hoftänzen gespielt wurde. Ein Klang, der auf angenehme Weise ein bisschen traurig stimmte.

„Ja, das ist ein Instrument mit einem außergewöhnlich schönen Klang“, sagte der Organist, als habe er ihre Gedanken erraten. „Der große Barthold Fritze hat es selbst gebaut, der berühmteste Clavierbaumeister in Braunschweig, aus dessen Werkstatt auch noch viele andere Tasteninstrumente stammen, die inzwischen in aller Welt erklingen. Sie werden Ihre Freude haben an der Musik, die dieses Instrument, das man Clavichord nennt, hervorbringt.“ Behutsam hatte er, während er sprach, ihre kleinen Hände erneut auf die Tasten gelegt. Jetzt bedeutete er ihr, mit einzelnen Fingern langsam nacheinander bestimmte Tasten herunterzudrücken, sie kurz liegen zu lassen und wieder zu lösen. Und auf einmal erkannte sie Teile einer Melodie. Die hatte sie vor einer Woche beim Ostergottesdienst in der Kirche mitgesungen! „Christ ist erstanden“, so hieß das Lied. Noch etwas zaghaft, aber immer freudiger wiederholte sie nun ohne Hilfe die eben angeschlagenen Töne in derselben Reihenfolge. Da war sie, die Melodie! Ihre Finger wollten ihr nicht gleich gehorchen. Die vorderen Gelenke schlenkerten noch herum und bogen sich manchmal durch, wenn sie eine Taste herunterdrückte. Aber die ersten beiden Teile des alten Liedes gelangen schließlich fehlerfrei, sogar im richtigen Rhythmus.

„Sie können noch etwas kräftiger drücken, dann wird der Ton lauter“, wurde sie von Monsieur Fleischer ermuntert. „Das Clavichord ist zwar ein leises Instrument, gut geeignet für die Hausmusik, nicht für einen großen Konzertsaal, aber man kann mit der Stärke des Anschlags bestimmen, wie laut oder leise der Klang sein soll. Wenn ich Ihnen das einmal zeigen dürfte.“ Er hob Amélie samt Stuhl und Fußbank vorsichtig ein wenig zur Seite, zog für sich selbst einen zweiten Stuhl herbei, setzte sich und begann zu spielen. Erst nur mit der rechten Hand, die ganze, schon geübte Melodie, einmal laut, einmal leise, einmal in einer Mischung aus beidem. Dann folgte ein ähnliches Osterlied, das Amélie ebenfalls kannte: „Christ lag in Todesbanden“. Diesmal spielte ihr Lehrer mit der rechten Hand die Melodie und mit der linken eine einfache Begleitung, eine Art zweiter Melodie dazu. Und dann wurde nach und nach ein Musikstück mit immer reicheren Klängen daraus, aus dem zwischendurch, mal langsam, mal schnell und in unterschiedlichen Tonhöhen, immer wieder die Melodie herauszuhören war. Und er erläuterte: „Das war ein Stück des berühmten Johann Sebastian Bach, der Musiker an der Thomaskirche in Leipzig war. Beim nächsten Mal wollen wir einen höfischen Tanz, eine Gavotte•, miteinander ausprobieren, die stammt von einem Franzosen namens Jean Philippe Rameau. Und dazu werde ich dann noch etwas Besonderes mitbringen: Noten. So heißt nämlich die Schrift, nach der Sie lernen können, Musik selbstständig zu lesen, zu spielen und aufzuschreiben und dabei ihre Gesetze zu verstehen. Ich muss nun die Chorprobe in der Schlosskirche leiten und darf mich für heute von Ihnen verabschieden. Aber vorher möchte ich Sie bitten, mir noch einmal Ihr neues Lied vorzuspielen.“

„Ja, gern“, antwortete Amélie gar nicht so schüchtern wie sonst. Das war das Erste und Einzige, was sie, außer der Begrüßung, zu ihrem Musiklehrer sagte. Im Laufe des weiteren Musikunterrichts bei Monsieur Fleischer würde sie es noch so oft und so freudig sagen wie in keinem anderen Fach.

Nachdem ihr Lehrer gegangen war, saß sie noch lange vor dem Instrument und probierte vorsichtig, aber beharrlich, das gesamte Lied darauf zu spielen, langsam, aber flüssig, mal lauter und mal leiser. Sie tauchte dabei so tief in diese neue Welt ein, dass sie fast zu spät zum Tanzunterricht gekommen wäre. Der sollte um zwei Uhr mittags im großen Redoutensaal• beginnen. Gerade noch rechtzeitig war Caroline mit zwei weiteren jungen Mädchen, Töchtern von Hofdamen, zu ihr geschickt worden, um sie abzuholen – normalerweise kein Grund zur Freude. Doch nach der ersten Musikstunde ihres Lebens war Amélie von einem nicht gekannten Glücksgefühl erfüllt, sodass weder die Sticheleien ihrer Schwester noch das alberne Gekicher der drei Mädchen ihr etwas anhaben konnten. Denn es gab etwas viel Wichtigeres: Sie musste unbedingt, unbedingt! bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit Amalunde sprechen. Natürlich über Musik.

Das Mädchen im Schloss

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