Читать книгу Die Stille der Gletscher - Ulrike Schmitzer - Страница 7

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Die Umweltschutzorganisation hat mir für jedes neue Foto ein Extrahonorar geboten. Jedes neue Foto heißt, ein historisches Gletscherfoto zu finden und es mit dem heutigen Zustand zu vergleichen. Das Abschmelzen sichtbar zu machen. Sie sagen, sie brauchen das gar nicht unbedingt für die Dokumentation des Klimawandels, den bezweifelt inzwischen niemand mehr. Außer ein paar rechtspopulistische Politiker. Es ist vielmehr ein Service für nachfolgende Generationen, sie sollen die letzten Reste der Gletscher noch zu sehen bekommen. Es soll ein »Museum der Gletscher« werden. Das ist eine Idee, die vom isländischen Künstler Ólafur Elíasson inspiriert ist. Elíasson dokumentierte die Gletscher auf Island in allen Ausformungen, die das Eis ausbildete. Solche Details wollen sie gar nicht, sie wollen einfach eine schöne Totale.

Doch wer weiß, vielleicht kehrt sich die Geschichte schneller wieder um als erwartet, und es ist wie damals, als 1815 der Vulkan Tambora in Indonesien ausbrach. Das darauffolgende Jahr war das Jahr ohne Sommer. Wegen der Ernteausfälle brach eine Hungersnot aus, aber die Kälte hatte auch noch andere Auswirkungen: Die Gletscher stießen vor. Damals setzte ein erster Tourismusboom im Hochgebirge ein, alle wollten die Gletscher in ihrer vollen Pracht sehen. Lord Byron bezeichnete den Gletscher als einen erhabenen Ort ewiger Stille und kristalliner Reinheit.

Vulkane gäbe es genug, die wieder einen solchen Klimawandel auslösen könnten. In Island zum Beispiel würde der Ausbruch der Bárðarbunga genügen, um das Weltklima zu verändern.

»Na, wie geht’s?«, fragt Erik am Telefon.

Seit einiger Zeit ist er in Reykjavik, um Vulkane zu erforschen. Er hat sich auf Gletschervulkane spezialisiert. Manchmal ruft er jede Woche an, und dann wieder drei Wochen nicht.

»Brauchst du Geld?«, frage ich ihn jedes Mal, wenn er anruft, und er verneint auch diesmal wieder.

In der Familie ist er jetzt derjenige, der ein fixes Einkommen und keine Geldprobleme hat. Er wusste immer schon, dass er Wissenschaftler werden will, schon als kleines Kind wünschte er sich einen Chemiebaukasten und ein Mikroskop. Er sezierte Fliegen und Ameisen und spießte Schmetterlinge auf Nadeln auf, der geborene Naturforscher. Ich habe ihn in seinem Interesse unterstützt, aber nicht gelenkt. Schritt für Schritt hat er selbst die Welt entdeckt, und ich habe nur zugesehen, mit welcher Begeisterung er die Natur eroberte. Als Kind bettelte er den Leiter der Wolfsstation so lange an, bis er im Sommer drei Wochen lang mitarbeiten durfte. Als Jugendlicher schrieb er dem Leiter des Sonnblick-Observatoriums, ob er ihn im Sommer auf die Wetterbeobachtungsstation begleiten darf – und er durfte.

Der Job in Island war ein Glücksfall.

»Und du?«, fragt er und lacht, »brauchst du Geld?«.

Ich lache auch. Lustig ist es aber eigentlich nicht.

Die Stille der Gletscher

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