Читать книгу Die Stille der Gletscher - Ulrike Schmitzer - Страница 9
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ОглавлениеZwei Tage später habe ich einen Termin mit einem Gletscherfun-Manager. Der Mann spricht gerne, und er verspricht mir ein tolles Motiv. Ich treffe ihn auf einem Gletscher, dem er eine spezielle Vision übergestülpt hat, wie er sagt.
Ich traue meinen Ohren nicht. »O sole mio« schallt es über den Berggipfel. Ein singender Gondoliere zieht in einer Gondel seine Runden in einem Speichersee.
»Ganz wie in Venedig!«, schreit der Manager begeistert. »Ist das ein Fotomotiv? Hab ich Ihnen zu viel versprochen?«
»Warum eine venezolanische Gondel auf dem Berg?«, frage ich vorsichtig.
»Es werden immer mehr Besucher aus Italien zu uns auf den Gletscher kommen. Und dieser künstliche Gletschersee war ohnehin zu nichts gut, langweilig! Jetzt ist er ein einmalig schönes Fotomotiv. Die Ausflügler kommen auf den Berg und suchen ein unvergessliches Erlebnis. Wir bieten ihnen einen Fotopoint, die Fotos können sie auf Facebook posten, und alle werden sie liken. Das Wichtigste sind die Fotos, damit sie allen zeigen können: Schau, wie schön wir es haben, schau, was wir erleben!«
»Wozu war denn der Speicherteich vorher gut?«
»Das waren tiefe Gruben, die wurden im Herbst mit Wasser angefüllt, und im Winter wurde das Wasser als Schnee auf die Pisten gespritzt. Die waren immer eingezäunt, damit niemand hineinfällt. Doch dann sind wir draufgekommen: Die Gäste lieben Seen, sie lieben Wasser! Wir mussten den See nur noch richtig bespielen. Hier drüben, schauen Sie, da haben wir eine ›Relaxzone‹, da drüben eine ›Genusszone‹ und noch weiter hinten eine ›Actionzone‹ – und das alles an einem wunderbar neu geschaffenen Bergsee! Mit einem neu geschaffenen Strand, da ertrinkt jetzt keiner mehr!«
Ich mache ein Foto mit ihm vor der venezolanischen Gondel. Er hat ein breit strahlendes Grinsen. Ob er sich in die Gondel setzen könnte? Er kann! Außerdem mache ich Fotos aus der Gondel.
Gletschereis ist hier im Sommer schon lange keines mehr zu sehen. Ein paar Jahre lang haben sie die Reste des Gletschers für den Sommerskilauf auf die Pisten geschoben, die es damals noch hier gab. Für die Beschneiung ist es schon lange zu heiß, sogar auf dieser Höhe. Die Liftstützen haben sie umfunktioniert.
Der Fun- und Eventmanager klärt mich auf, dass sie ein neues Angebot schaffen mussten. Wenn der Gletscherskilauf stirbt, muss ein neues Highlight her.
»Wir mussten den Sommer beleben, wenn der Winter wegbricht«, sagt er. »Es braucht immer ein Highlight. Wandern ist eine mühsame Angelegenheit. Warum sollen wir dabei zusehen, wie die Gäste zu Fuß auf den Berg gehen, und wir haben nichts davon, haben sich die Bergbahn-Betreiber gedacht. Die Leute lechzen förmlich nach Belohnung, wenn sie oben ankommen. Also haben wir den Skyglider positioniert. Der ist für jedermann, ich kann mich reinlegen, und das ist wie Drachenfliegen. Schauen Sie, machen wir dort ein Foto? Im Fliegen vielleicht? Das ist Thrill pur! Ihnen wird doch nicht leicht schlecht?«
Wir machen Fotos im Skyglider, und mir wird schlecht. Die Fotos gefallen mir, sie sind dynamisch. Ich brauche, nachdem wir wieder auf dem Gipfel angekommen sind, eine kurze Pause. Er lädt mich auf einen Cappuccino ein, und wir setzen uns auf eine Vespa aus Holz. Wir beobachten Kinder, wie euphorisch und überdreht sie in den Skyglider steigen.
»Die Kids brauchen solche Spielgeräte. Das ist ja noch harmlos, kennen Sie den Skywing? Haben Sie schon mal den Kopf bei hundertsechzig km/h aus dem Autofenster gesteckt? So ist das! Die Kids brauchen solche Kicks, sonst kommen sie erst gar nicht mit in die Berge. Wir kreieren jetzt Akzente. Jedem Berg seinen eigenen USP. Jeder Berg muss einmalig sein. Die Berge schauen ja sonst alle gleich aus! Und die Kids wissen am ersten Schultag nicht mehr, auf welchem Berg sie waren. Aber so wissen sie: Ich war beim Skyglider, ich war beim Skywing und so weiter, verstehen Sie? Und zwischen den Spielgeräten müssen die Kids ja zu Fuß gehen. Das ist total gesundheitsfördernd! Kapiert? So werden sie animiert, sich zu bewegen, zu wandern. Die laufen sogar von einem Spielgerät zum nächsten, das würden sie sonst nie machen. Haben Sie schon mal Kids zur Straßenbahn laufen gesehen? Ich nicht! Und wir locken sie unten in den Wald. Wir bespielen den Wald! Ich persönlich weiß noch, was ich im Wald anfangen kann, für mich ist das ein Erlebnis, aber die Kids sehen Bäume und sagen: Ui, igitt, der Baum klebt. Harz, verstehen Sie! Denen graust vor Harz! Aber wenn sie im Kletterpark unterwegs sind mit ihren Karabinern und Helmen und das filmen, dann fühlen sie sich lebendig. Das ist eine andere Generation. Die brauchen mehr Betreuung. Und wissen Sie, was der neueste Trend ist? Die Natur ist jetzt der Star! Der Trend kommt ausgerechnet aus China. Die geben der Natur eine Bühne, genial, oder? Barfuß gehen, Steine spüren, eiskaltes Wasser schmecken – das ist viel Arbeit. Die Städter wollen das alles auf ein paar Metern haben, komprimiertes Erleben. Die haben nicht mehr den Nerv für lange Touren. Deshalb inszenieren wir wilde Gebirgsbäche, enge Klammen, Gewittereinbruch, da können wir schon was Spannendes zaubern, das können Sie mir glauben. Die Natur ist die Bühne, sag ich immer, und sie muss bespielt werden! Der Gast ist der Star, der die Kulisse für sein Stück nutzt!«
»Und was ist das für eine Halle da drüben auf dem Hang?«, frage ich und mache ein paar Fotos.
»Dort sind wir noch am Arbeiten«, sagt er. »Das ist quasi die Bühne hinter der Bühne. Stellen Sie sich vor: Auf den Gletschern weltweit sind Hunderte Pistenfahrzeuge, Schneekanonen, die tollsten und teuersten Geräte im Einsatz. Dann stehen sie im Sommer nutzlos herum. Obwohl sie so schön anzuschauen sind! Wir präsentieren diese riesige Maschinerie im Sommer bei kleinen Events. Da fliegen dann Hubschrauber mit Material herum, Bagger arbeiten auf Hochdruck, und die Leute können in Maschinenhallen die Gerätschaft fotografieren. Das gefällt den Kids noch tausendmal mehr als die Natur, das können Sie mir glauben!«
»Was ist denn Ihr nächstes Projekt?«, frage ich ihn.
»Eine geniale Sache«, sagt er. »Wir haben für eine Investorengruppe einen Regenwald konzipiert, in einer Halle. Ein Regenwald auf einem Gletscher, das gibt’s noch nicht, toll! Wir haben Biosphere 2 eingehend studiert und untersucht, woran das Projekt gescheitert ist. Wir haben ein riesiges Biotop geschaffen, mit künstlichem Biorhythmus, mit Flora, Fauna, alles! Rohstoff-Recycling, Food-Management, Fun-Factor und Futureability, das hätte ewig funktioniert. Genial! Das hat uns ein Vermögen gekostet, fünf Jahre haben wir daran gearbeitet. Wir haben in China präsentiert, sie haben alles bezahlt, eine unglaubliche Summe, sag ich Ihnen, nur leider können wir das Projekt jetzt nicht realisieren. Aber ein Traum, so etwas zu entwickeln!«
»Ein toller Job, den sie da haben«, sage ich.