Читать книгу Nachtmahr – Das Vermächtnis der Königin - Ulrike Schweikert - Страница 7

Prolog ROXBURGH

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Die mittelalterliche Stadt Roxburgh gab es schon lange nicht mehr, dabei war die königliche Stadt einst neben Edinburgh eine der wichtigsten schottischen Städte gewesen, die nicht nur über ein Kloster und mehrere Kirchen geherrscht hatte. Es hatte eine königliche Residenz gegeben, eine Burg, Schulen, Märkte und fünf befestigte Häuser, in denen Münzen geprägt wurden. Händler aus ganz Europa lieferten ihre Waren und verhalfen der Stadt zu Wohlstand. Die Burg war nahe der Grenze ein Bollwerk gegen die Engländer gewesen.

Doch davon war nichts geblieben. Stadt und Residenz waren verschwunden, und von der Burg, die sich einst auf dem Höhenrücken zwischen den Flüssen Tweed und Teviot erhoben hatte, waren nur ein paar Mauerreste geblieben. Den stolzen Namen Roxburgh trugen nur noch ein unbedeutendes Dorf, das zweieinhalb Kilometer südwestlich der Ruinen lag, und Winston Campbell, der Duke of Roxburgh, der auf seinem tiefschwarzen Hengst saß und den Blick über die verwitterten Mauerreste der Burg schweifen ließ. Er hatte sich in der langen Zeit, die verstrichen war, nicht verändert. Nun ja, sein Haar war ergraut, doch sein Gesicht war noch immer seltsam faltenlos, sodass es nicht einmal annähernd auf sein Alter schließen ließ, und das war auch gut so. Die Menschen aus der Nachbarschaft hielten ihn für einen normalen Edelmann, vielleicht ein wenig schrullig, wie so viele Briten, doch im Grunde völlig harmlos.

War nicht stets die Tarnung die beste Waffe des Jägers?

Seine Gedanken wanderten in die Vergangenheit zurück, als Stadt und Burg mal von den Engländern erobert und dann von den Schotten wieder zurückgewonnen worden waren, nur um wieder in die Hände der Engländer zu fallen. Schotten hatten die Burg im fünfzehnten Jahrhundert bei jenem Feldzug zerstört, bei dem König Jakob II. starb, als neben ihm eine Kanone explodierte. Die Engländer schnitten der Stadt den Zugang zum Meer ab und beendeten damit den Handel mit Europa und den Wohlstand der Bürger. Die Stadt wurde aufgegeben und zerfiel. Die wenigen, die blieben, zogen nach Kelso, wo der Duke ein neues Schloss bauen ließ, das heute zu den größten und prächtigsten in ganz Großbritannien zählte. Ein Lächeln huschte über die sonst so ernste Miene des Duke. Ja, Floors Castle konnte man zu Recht als gelungen bezeichnen. Von all den Schlössern und Herrenhäusern, die er besaß, war ihm dieses das liebste; dorthin kehrte er stets zurück, wenn er sich eine Pause gönnte. Eine Pause von seinem ewig währenden Kampf gegen die Geißel der Menschheit, das Natterngezücht, das Männer vergiftete und sie ihrer Seele und ihres Willens beraubte.

»Nachtmahre!«

Er spie das Wort voller Abscheu aus. Nachdenklich hob er seinen Blick zum Himmel, wo sich über den Hügeln Gewitterwolken zusammenballten. Er konnte die Macht der Spannung spüren, die sich in den Wolkenschichten aufstaute und nur darauf wartete, sich im ersten Blitz zu entladen, der wie die Strafe Gottes auf die Erde herabfahren würde.

So zumindest hatten die Menschen in seiner Jugend geglaubt. Heute würde wohl keiner mehr einen Blitz mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung bringen. Und heute würden die Menschen auch nicht mehr so einfach glauben, dass es so etwas wie Nachtmahre wirklich gab. In seiner Jugend hatte man solche Frauen auf dem Scheiterhaufen verbrannt! Damals hatte man die Seuche bekämpft, doch heute waren die Wanderer durch die Zeit die Einzigen, die nicht nur von den Nachtmahren und deren Schädlichkeit wussten. Sie waren auch die Einzigen, die etwas gegen sie unternahmen.

Mit jedem toten Nachtmahr wurde die Gefahr ein wenig kleiner. Jede Linie, die unterbrochen wurde, konnte keine Nachkommen mehr zeugen. Doch der größte Schlag war ihnen kürzlich gelungen und hatte die Nachtmahre all ihrer Hoffnungen beraubt.

Er selbst hatte mit seinen Wanderern dafür gesorgt, dass sich die Prophezeiung nicht mehr würde erfüllen können: Die Eclipse und ihr Auserwählter, deren Kind die Nachtmahre in eine neue Zeit hätte führen sollen, waren vernichtet; ihre toten Körper längst im Wasser der Bay aufgelöst, in die sie zusammen mit den Trümmern des Flugzeugs gestürzt waren. Ja, es war ihm ein entscheidender Schlag gelungen, und er hatte sich eine Ruhepause verdient. Den Rest der Plage samt ihrer Lady in Gryphon Manor würden sie sich beizeiten vornehmen. Eile war nun nicht mehr vonnöten.

Ein Donnergrollen begann in der Ferne und setzte sich dann durch die Wolkentürme fort, bis der Boden unter den Hufen seines Pferds erzitterte. Ein Bild blitzte in seiner Erinnerung auf. Ein Gesicht, gerahmt von unscheinbar dunkelblondem Haar. Es war nicht wirklich schön, nicht außergewöhnlich. Nur wenn es sich bei Nacht in seine magische Erscheinung wandelte, dann wurde aus der Durchschnittsfrau die perfekte Verführerin, der kein Mann widerstehen konnte.

In seiner Erinnerung aber sah er nicht das makellose Gesicht mit den blaugrünen Augen und den goldenen Locken. Er sah ihre normale Gestalt mit dem entschlossenen Gesichtsausdruck, das ihm kein Lächeln schenkte. Sie hatte sich als schlau erwiesen, als mutig und furchtlos. Fast wäre es ihr gelungen, seine Pläne zu durchkreuzen und ihm zu entwischen. Und doch hatte er am Ende gesiegt. Der Absturz der Maschine hatte auch zwei seiner Männer das Leben gekostet, doch das war nicht wichtig. Was er dagegen gern gewusst hätte, war, ob Lucy, die Schwester der Eclipse, sich tatsächlich auf seine Seite geschlagen oder ihn am Ende doch verraten hatte.

Es war müßig, sich darüber jetzt noch Gedanken zu machen. Sie waren alle tot und das Kapitel damit beendet.

Seltsam. Wieder sah er Lorenas Gesicht vor sich, und es fühlte sich fast so an, als würde er es bedauern, sie nicht wiederzusehen.

Unwirsch schüttelte er den Kopf und nahm die Zügel etwas schärfer auf als sonst. Der Hengst machte einen Satz nach vorn und galoppierte dann über den Höhenrücken davon. Ein Blitz erhellte die düsteren Wolken über ihnen. Der darauffolgende Donner öffnete die Schleusen und ließ eisigen Regen herabprasseln.

Der Duke war völlig durchnässt, als er Floors Castle erreichte.

Er ließ sein Pferd bei einem der Stallknechte, der den Hengst abrieb und in seine Box führte. Winston Campbell trat durch die Seitentür des Nordostflügels in den kurzen Verbindungsgang zum Hauptgebäude, von dem aus die große Treppe zu seinen Gemächern hinaufführte. Das Schloss war eine zweiflügelige Anlage in Form eines gestreckten Us, sodass, von der Auffahrt her gesehen, der Hauptbau mit seinen vier zinnenbestückten Türmen zurücksprang und so einen von den Seitenflügeln und der Hauptfassade begrenzten Hof mit einer quadratischen Rasenfläche zeigte. Die beiden Seitenflügel waren ein Stockwerk niedriger als der Hauptbau, doch im selben Stil gehalten und von Türmen an jeder Ecke begrenzt. Auf der Südseite fiel der grasbewachsene Schlosspark sanft bis zum Ufer des Tweed ab, dessen Wasser träge den Schlosspark passierte.

Ein junger Mann eilte in der Halle auf den Hausherrn zu, noch ehe dieser Zeit fand, sich der nassen Sachen zu entledigen.

»Vater!«

Der Duke of Roxburgh reichte seinem Butler seine Reitjacke und die Handschuhe, ehe er sich zu dem Mann umwandte, dessen Züge den seinen verblüffend ähnelten, nur dass sein Haar schwarz war. Die Augen waren vom gleichen Stahlgrau, wenn auch sein Blick nicht über die Kraft verfügte, die der Duke sich im Lauf seines langen Lebens erworben hatte.

»William, was gibt es?«, erkundigte sich der Duke und hob die Augenbrauen. »Ich dachte, du wärst in Oxford.«

William zog seinen schwarzen Ledermantel aus und reichte ihn ebenfalls dem Butler.

»Von dort komme ich gerade«, gab der junge Mann Auskunft.

»So?«, sagte der Councillor, und es lag eine gewisse Schärfe in seinem Ton. »Ich dachte, meine Anweisungen seien klar und unmissverständlich.«

William nickte und schob sich mit der Hand eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Er sah seinen Vater an. Die Blicke aus den grauen Augenpaaren trafen aufeinander und schienen einen stummen Kampf auszufechten. Es lag keine Wärme in ihnen, doch schließlich gab der jüngere der beiden auf, wich einen Schritt zurück und senkte den Kopf.

»Ich wollte nicht gegen deine Anweisungen verstoßen, doch ich habe dir etwas mitzuteilen, das dich ganz sicher interessieren wird.«

»Wir sind auf Floors Castle durchaus schon im Jahrhundert des Telefons angekommen«, erwiderte der Vater kalt.

»Ich denke, über dieses Thema möchtest du nicht am Telefon sprechen. Ich war in Oxford an der Universität, aber ich habe mit deinen Wanderern auch die Nachtmahre der Lady beobachtet. Sie kamen mir verschlossener vor als zuvor. Ja, fast ängstlich.«

»Ist das verwunderlich?«, entgegnete der Duke. »Wir haben sie ihrer Hoffnung auf eine große Zukunft beraubt. Die Eclipse und der Auserwählte sind tot!«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke nicht, dass die Angst vor der Zukunft sie niederdrückt. Sie schienen mir eher ängstlich darauf bedacht, ein Geheimnis zu hüten.«

Winston Campbell hob die Brauen, den Blick fest auf seinen Sohn gerichtet. »Und, hast du das Geheimnis gelüftet?«, erkundigte er sich ohne echtes Interesse.

»Ich denke ja«, antwortete William. »Wir sind ins Hintertreffen geraten, seit die Nachtmahre unsere Anlage entdeckt haben, mit der wir ihre Gespräche im Park belauschen konnten. Wir brauchen wieder einen Zugang! Ich habe Gryphon Manor viele Nächte lang beobachtet, um eine Schwachstelle zu finden, die wir für unseren Kriegszug nützen könnten.«

»Es ist nicht dein Krieg. Du bist keiner von uns. Du gehörst nicht zu den Wanderern«, blaffte sein Vater.

Es war nur ein kurzes Flackern in Williams Augen, das verriet, wie sehr ihn die Worte trafen. Seine Stimme blieb so kühl wie die des Duke.

»Nein, ich bin nur ein normaler Mensch. Du hättest bei der Auswahl meiner Mutter sorgsamer sein müssen, wenn du vorhattest, deine unsterbliche Magie weiterzugeben.«

»Ja, das hätte ich wohl«, stimmte ihm der Vater zu. »Also, was haben deine Beobachtungen ergeben, das so wichtig sein könnte, dass du mit deinem Wagen gleich bis nach Schottland rast?«

»Die Ländereien von Gryphon Manor sind von einer hohen Mauer mit einem magischen Schutzwall umgeben, der keinen Unbefugten einlässt, und es gibt nur ein Tor, das bewacht und ebenfalls magisch verschlossen ist«, berichtete William.

»Das ist mir bekannt«, gab der Duke unwillig zurück.

»Bisher glaubte ich, der Schutz sei lückenlos, doch vergangene Nacht habe ich etwas Interessantes beobachtet.«

Winston Campbell seufzte nur und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war diese Unterhaltung leid, die seiner Meinung nach zu nichts führte.

»Gestern Nacht haben zwei Nachtmahre das Refugium der Lady verlassen, doch nicht durch das Tor. Sie wählten dazu eine Mauerecke im Park zwischen zwei alten Eichen, die vielleicht den Schutzwall anfällig machen. Eichen sind voller Magie.«

Der Duke nickte. »Das ist richtig, dennoch kann ich deiner Annahme nicht folgen. Die Nachtmahre können den Schutzwall passieren.«

William nickte. »Ja, durchaus, doch sicher nicht unbemerkt. Und ich hatte den Eindruck, dass diesen beiden daran gelegen war, unauffällig zu verschwinden. Ich glaube, dass die Lady ihnen untersagt hat, Gryphon Manor zu verlassen.«

Nun runzelte Winston Campbell die Stirn. »Warum sollte sie so etwas tun? Sind nicht nur die Männer, die sie versklavt hat, dort eingesperrt?«

»Ich denke, sie will mit allen Mitteln verhindern, dass wir von ihren Gästen erfahren.«

Der Duke seufzte, verschaffte seinem Sohn die Befriedigung zu hoffen, er habe sein Interesse geweckt. »Was für Gäste?«

William holte tief Luft, ehe er fortfuhr. »Ich sah zwei Nachtmahre. Eine dunkel, die andere blond und noch sehr jung. Es erübrigt sich vermutlich zu sagen, dass sie überirdisch schön und äußerst verführerisch waren.«

Der Duke schnaubte abfällig.

»Die Blonde kannte ich nicht, doch die Dunkle habe ich früher schon einmal gesehen. Der Butler nannte sie Raika!«

Winston Campbell gönnte seinem Sohn den Triumph, zusammenzuzucken.

»Das ist nicht möglich!«

»Und die andere war ...«, fuhr William mit einem grimmigen Lächeln fort, »... wenn ich der Beschreibung deines neuen Attendants Glauben schenken soll, keine andere als Lucy, die Schwester der Eclipse.«

»Sie sind beide tot. Du musst dich irren. Sie sind mit dem Flugzeug abgestürzt. Ich habe es selbst gesehen.«

William trat einen Schritt näher. »Was hast du gesehen? Wie das Flugzeug in die Bay stürzte? Das bezweifle ich nicht, doch waren die Nachtmahre wirklich noch an Bord, als es explodierte?«

Winston Campbell starrte seinen Sohn wortlos an. Es kam nicht häufig vor, dass er nicht wusste, was er sagen sollte.

»War die Sonne bereits untergegangen?«, drängte William weiter.

Der Duke stöhnte, dann nickte er.

William zog eine Grimasse. »Dann hast du deine Antwort. Ich denke, die Nachtmahre waren nicht mehr in der Maschine und haben den Absturz überlebt.«

»Wenn du wirklich Lucy und Raika gesehen hast, dann ist sicher auch Lorena noch am Leben.«

William nickte. »Genau das nehme ich an, und genau aus diesem Grund hält die Lady sie in Gryphon Manor vor uns verborgen. Oder hat es, besser gesagt, zumindest versucht, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Sie hat wohl den Freiheitsdrang ihrer sexbesessenen Gefangenen unterschätzt.«

»Was haben sie gemacht? Du hast sie doch sicher weiter beobachtet?«

William grinste. »Natürlich. Das Übliche halt. Sie haben sich ein paar Kerle angelacht und es wild mit ihnen getrieben.«

Die Lippen des Duke bewegten sich in einem stummen Fluch. »Also gut. Gehen wir davon aus, dass du wirklich Raika und Lucy gesehen hast und die Eclipse noch am Leben ist. Die Frage, die sich nun stellt: Hat auch ihr Auserwählter den Absturz überlebt?«

»Er ist nur ein einfacher Mann, aber vielleicht ist es den Nachtmahren gelungen, ihn zu retten.«

»Das ist die entscheidende Frage«, pflichtete ihm der Duke bei. »Wir müssen uns Gewissheit verschaffen, ob du mit deiner Vermutung recht hast.«

»Ich breche sofort wieder auf, wenn du willst«, bot William an, doch der Duke schüttelte den Kopf.

»Ich werde selbst fahren. Falls wir in Amerika versagt haben, dann muss ich das wissen, und wir müssen uns überlegen, wie wir die Katastrophe noch verhindern.«

»Soll ich dich in meinem Wagen mitnehmen?«, schlug William ein wenig zaghaft vor. Zu seiner Überraschung nickte der Vater.

»Ja, warum nicht? Wenn du etwas beherrschst, dann sind es deine Sportwagen.«

Er rief nach dem Butler und wies ihn an, eine Tasche zu packen, während er hinaufeilte, um sich trockene Kleider anzuziehen. Kaum eine halbe Stunde später nahm er auf der Beifahrerseite des orangefarbenen McLaren Platz und schloss die Flügeltür des breiten Sportwagens. William ließ den Motor aufheulen. Der Kies spritzte nach allen Seiten, als er die Auffahrt hinunterschoss.

Nachtmahr – Das Vermächtnis der Königin

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