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Erstarrt in ihrer Schönheit schwebend …

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Eine Stunde später trafen sich in Sabines und Sönkes Büro nicht nur Hauptkommissar Ohlendorf und die Kollegen ihrer Gruppe Gerret und Mestern, auch Kriminaloberrat Karsten Tieze, der Chef der Fachdirektion „Tötungsdelikte“, war schon auf, lehnte an der Wand und zog an seiner Morgenzigarre.

„Was ist denn das für eine Geschichte, Frau Berner?“, fragte er, und seine Stimme klang ein wenig ungehalten. Die Kommissarin streckte ihm das Schreiben in der Tüte entgegen.

„Klar kann es sein, dass er nur ein Spinner ist“, sagte sie und ließ sich auf ihren Stuhl sinken, „doch was ist, wenn er recht hat?“

Karsten Tieze brummelte vor sich hin, schob die Brille bis zur Nasenspitze vor und las das Schreiben zweimal durch.

„Das Gebiet, das in Frage kommt, hat eine Größe von circa zwei Quadratkilometern.“ Die Kommissarin zog eine Karte aus ihrer Tasche, malte einen roten Kreis um die Moore und schob das Blatt ihrem Chef hin. Genüsslich saugte er an seiner Zigarre und schwieg. Einige Augenblicke hörte man nur die Uhr an der Wand ticken, dann nahm der Kriminaloberrat die Zigarre aus dem Mund.

„Bringt den Brief in die Technik, die sollen ihn unter die Lupe nehmen. Dann holt euch eine Hundertschaft und lasst die beiden Moore durchkämmen. Ach ja, und sie sollen vorher die Hunde durchschicken.“

„Was ist mit der Wohnung? Vielleicht finden wir Hinweise, wo das Mädchen sein könnte?“

„Wenn ihr die Leiche von der Mutter habt, dann könnt ihr morgen früh die Wohnung auseinandernehmen. Jetzt seht erst mal zu, dass ihr die Tote reinbringt.“ Er schob die Zigarre wieder zwischen die Zähne und verließ das Büro.

„So, als Erstes müssen wir die Jungs aus der Kaserne mobilisieren“, übernahm Thomas Ohlendorf das Kommando.

„Nee, als Erstes müssen wir hier mal lüften“, brummte Sönke und riss das Fenster auf.

Um fünfzehn Uhr zwölf knackten die Funkgeräte: Schäferhund Alex hatte etwas entdeckt. Das Tier stand bis zum Bauch im Wasser und bellte wie verrückt. Keine fünf Minuten später war die 4. Mordbereitschaft vollständig bei Rick Bergehof versammelt.

„Ich gehe jede Wette ein, dass die da irgendwo liegt“, begrüßte er die Kripoleute aufgeregt.

Sönke warf einen Blick auf die träge Wasserfläche und verzog das Gesicht. Fröstelnd steckte er die Hände in seine Manteltaschen. „Konnte der seine Leiche nicht hier am Weg ablegen?“, knurrte er missmutig.

Klaus Gerret lachte und strich sich das widerspenstige rotblonde Haar aus dem Gesicht. „Was ist denn das für eine Einstellung, Herr Kommissar – Verzeihung – Herr Kriminalobermeister. Worauf warten wir? Los, rein in die Brühe. Was seid ihr? Männer oder Memmen?“

„Memmen!“, witzelte Uwe Mestern, streifte seine Turnschuhe ab und schlüpfte mit einem Stöhnen in die oberschenkelhohen Gummistiefel.

Er war eher klein, hatte eine gedrungene Figur, mausbraunes Haar und einen Dreitagebart. Im Gegensatz zu Klaus war er sportscheu und eignete sich daher hervorragend dafür, das überschäumende Temperament des um acht Jahre jüngeren Kollegen zu zügeln. Klaus war schon im Wasser, bevor die anderen überhaupt ihre Stiefel anhatten. Seine Augen blitzten unternehmungslustig. Geführt von Alex und Rick, dem Fotografen und dem Arzt im Schlepptau, wateten die Kripoleute suchend um sich blickend zwischen den Birken hindurch.

„Erstarrt in ihrer Schönheit schwebend, versilbert sie des Spiegels Glanz“, war Sabine Berners erster Gedanke, als sie Ronjas Leiche entdeckte. Im trüben Dämmerlicht wirkte sie, wie sie da mit dem ausgebreiteten schwarzen Haar lag, wie eine Fee aus dem Märchen. Der Zerfall, der sein Zerstörungswerk begonnen hatte, wurde erst aus der Nähe sichtbar. Die Bohrlöcher der Insekten, die Adern, die sich durch die Fäulnisbakterien dunkel färbten.

Blitzlicht flammte auf. Björn Magnus watete um die Leiche herum, um sie von allen Seiten aufzunehmen, dann erst trat der Arzt heran. Der Hund jaulte, während Rick ihm lobend den Nacken kraulte.

„Sabine, Sönke, sie gehört euch“, sagte der Hauptkommissar, „Uwe und Klaus sind noch an dem Billstedter dran, und ich kümmere mich um Kalle und Co.“

Mit klammen Fingern zog die Kommissarin ihr Diktiergerät aus der Tasche und begann alle Einzelheiten des Leichenfundes zu dokumentieren.

„Was ist das?“, fragte Sabine den Arzt, der frierend in seinen langen Gummistiefeln neben ihr stand, und deutete auf leichte Verfärbungen an den Handgelenken. „Könnten das Fesselspuren sein?“

Der Arzt schob seine Brille hoch und beugte sich über einen der weit ausgestreckten Arme der Toten.

„Hm, vielleicht, aber ich würde sagen, sie war nicht gefesselt, als sie erwürgt wurde.“

„Warum nicht?“

„Die Haut ist oberflächlich nicht verletzt. Wenn Sie jemand erwürgen will und Sie nicht gerade bewusstlos sind, dann wehren Sie sich. Fesseln würden scheuern.“

Sabine nickte und ließ ihren Blick weiter suchend über die Tote schweifen. „Und das dort am Hals?“

Der Arzt begutachtete die kleine Wunde. „Sieht fast wie ein Schlangenbiss aus – allerdings ohne Gift, denn es gibt keine Schwellung oder Verfärbung.“

„Vielleicht ist sie ja doch betäubt worden“, schlug die Kommissarin vor.

„Oder sie hat Drogen genommen, aber das wird die Laboruntersuchung zeigen. – Obwohl ich zugeben muss, dass ich solche Wunden bisher noch bei keinem Drogensüchtigen gesehen habe.“

Die Kommissarin nickte, hob das Diktiergerät an die Lippen und wiederholte leise die Aussage des Arztes.

Es war nach elf, als Sabine ihre Wohnungstür aufschloss und mit einem Seufzer Tasche und Jacke fallen ließ.

„Au Scheiße“, entfuhr es ihr, als der Brief, den der Luftzug aufgewirbelt hatte, wieder zu Boden gesegelt war. Das gleiche Papier, die gleiche Schrift.

Frau Kommissarin, ich gratuliere Ihnen. Sie haben die schöne Ronja gefunden. Wissen Sie auch schon, wer seine Hände um den schlanken Hals gelegt hat? Nein? Nun, dann wollen wir uns gemeinsam auf die Suche machen.

Sabine ließ sich auf den Boden sinken und schob die Wohnungstür ins Schloss. Verdammt, er war schon wieder im Haus gewesen. Vielleicht hatte ihn jemand gesehen?

Ihr Blick strich über die hellgraue Fußmatte und blieb dann unten an der Wohnungstür hängen. Einen Augenblick regte sie sich nicht, doch dann erhob sie sich langsam. Wie im Traum tappte sie ins Arbeitszimmer hinüber und holte ein Blatt Papier. Sabine zitterte, als sie vergeblich versuchte, das Blatt unter der Tür hindurchzuschieben. Immer wieder knickte es und legte sich in Falten. Hektisch strich Sabine das Papier wieder glatt. Es ging nicht! Die Kommissarin krabbelte ins Treppenhaus hinaus, zog die Tür hinter sich zu und versuchte es wieder. Fehlanzeige! Man konnte keinen Brief unter der Wohnungstür durchschieben! – Und das bedeutete ...

„Alles in Ordnung?“, wurde sie da plötzlich durch eine Stimme aufgeschreckt.

Mit einem Aufschrei fuhr Sabine herum. Sie hatte Lars Hansen gar nicht kommen hören.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte der junge Mann seine Nachbarin, die noch immer auf dem Boden vor ihrer geschlossenen Wohnungstür kauerte. Seufzend erhob sich die Kommissarin und klopfte sich den Staub von der Hose.

„Hast du vielleicht einen Fremden hereingelassen?“

„In deine Wohnung?“ Lars wehrte entrüstet ab. „Wie kommst du denn darauf? Nur weil ich mal deinem Ex die Tür aufgemacht habe?“

„Hast du gestern oder heute jemanden im Treppenhaus gesehen, der hier nicht hergehört? Oder hast du vielleicht meinen Schlüssel verloren?“

Lars schüttelte den Kopf. Er zog die schmutzigen Joggingschuhe aus, schloss seine Wohnungstür auf und schob Sabine vor sich in den Flur. Ihren Protest würgte er energisch ab.

„He, du bist ganz weiß im Gesicht. Du trinkst jetzt erst mal einen Tee mit mir und beruhigst dich.“

Die Kommissarin zögerte einen Moment, dann nickte sie. Während Lars unter der Dusche rumorte und der Wasserkocher zu rauschen begann, rief sie Thomas Ohlendorf an.

„Thomas, er war wieder da.“

„Hm.“

„Ich habe noch einen Brief auf meiner Fußmatte gefunden.“

„Hm.“

„Man kann kein Papier unter der Tür durchschieben!“

„Scheiße! Wir sind sofort da. Ich werfe die Jungs von der Spurensicherung aus dem Bett und bringe jemanden mit, der dein Schloss austauscht. Hast du einen Riegel, den du vorlegen kannst?“

„Ich bin bei meinem Nachbarn, Lars Hansen.“

„Gut, rühr dich nicht von der Stelle, bis wir da sind.“

Peter von Borgo beobachtete den grauen Transporter, einen dunkelblauen BMW und einen silberfarbenen Opel, die sich ins Halteverbot drängten. Vier Männer eilten zum Haus Nummer 83 und verschwanden im Treppenhaus. Kurz darauf ging das Licht im zweiten Stock an.

„Jetzt habe ich sie aber ganz schön aufgescheucht“, murmelte er und lächelte vor sich hin. Die Sache begann ihm Spaß zu machen. Schon immer hatte er die Verbrechen der Menschen mit Neugier verfolgt. Er konnte sich noch genau an „Guschi“ erinnern, das hübsche kleine Ding, das in dieser Absteige im Hinterhof des Alkazar an der Reeperbahn gewohnt hatte. Wann war das gewesen? Noch bevor die Nazis sich hier breitmachten. 1929? Tief in Gedanken schlug der Vampir den Weg in Richtung Alster ein. Zweiundzwanzig Jahre alt war sie, als der Knecht Fritz Jensen sie wegen fünf Mark kaltblütig erstach.

Oder 1925, als ein chinesischer Seemann den Opiumhändlern in die Quere kam. In der Silvesternacht erschossen sie Wong Chu und zinkten sein Auge mit einem Messerstich. Peter von Borgo hatte den Angeklagten in seiner Zelle besucht. Dem Vampir sang der Kerl ein ausführliches Liedchen, doch vor der Polizei schwieg er verstockt und erhängte sich ein paar Stunden später.

Peter von Borgo war inzwischen an der Außenalster angekommen und schlenderte den rasengesäumten Uferweg entlang, auf dem sich nachmittags und am Wochenende Heerscharen von Joggern tummelten. Während er die Lichter betrachtete, die sich im glatten Wasser spiegelten, wanderten seine Gedanken weiter zurück.

1836 hatte der Vampir im Kerker einen Torfschiffer getroffen. Er war eigentlich dazu verurteilt gewesen, nach Amerika auszuwandern, doch er sprang vom Schiff und schwamm zurück. Wieder wurde er ergriffen, nachdem er einen Gewürzhändler um einiges Gold erleichtert hatte. Kaum im Kerker, versuchte er sich an weiteren Fluchtversuchen. Vergeblich. Als er einsah, dass er nicht mehr freikommen würde, schnitt er sich mit einem Bandeisen die Kehle durch. Das imponierte dem Volk von St. Pauli: Freiheit oder Tod. Peter von Borgo lächelte in sich hinein. Oder hatte sein Selbstmord etwas mit dem Besuch des Vampirs zu tun, der ihn nur wenige Stunden vorher zu einem reichhaltigen Mahl aufgesucht hatte? Vielleicht, denn war da nicht ein Hauch von Wahnsinn in seinen Augen, als er ihn verließ?

Er bewegte noch die Frage in seinem Kopf, ob das Blut von Mördern anders schmeckte, als ihn ein Geräusch ablenkte. Zwei junge Frauen kamen den Weg entlang. Sie tuschelten und kicherten miteinander, während ihre Füße im Gleichschritt dahinschlenderten. Peter von Borgo lauschte dem regelmäßigen Knirschen.

Wie wäre es, den beiden Damen ein wenig Gesellschaft zu leisten? Schon spürte er, wie sich seine spitzen Eckzähne hervorschoben. Also dann ...

Der graue Kastenwagen der Spurensicherung wartete bereits vor dem beigefarbenen Hohenfelder Klinkerbau. Hansjörg Geschke trat seine erst zur Hälfte gerauchte Camel auf dem Gehweg aus, als der blaue Passat der Kommissarin hinter dem Transporter anhielt Eine Minute später kam Klaus Gerrets schwarzer Golf um die Ecke geschossen. Räkelnd schälte sich Uwe Mestern vom Beifahrersitz, während Klaus schon wieder breit grinsend die neuesten Witze loswerden musste.

„Ist Sönke mit dem Schlüssel schon da?“, fragte Sabine Berner, während sie die Autotür verschloss.

Der zweite Mann der Spurensicherung, Wolfgang Priehol, schüttelte den Kopf. „Sonst wär’n wir ja schon drin.“

Er gähnte und steckte sich ein Pfefferminzbonbon zwischen die mit viel Gold und Keramik renovierten Zähne. Hauptkommissar Ohlendorf, der mit seiner Kollegin gekommen war, streckte sich und stützte beide Hände in den Rücken, sodass der leichte Bauchansatz sein cremefarbenes Hemd über den Bund der braunen Hose schob.

„Wo ist der Magnus?“

Die Kamera in der Hand, tauchte der Polizeifotograf aus dem Transporter auf. „Moin“, grunzte er. Er hatte Ringe unter den Augen und roch nach einer langen Nacht mit vielen Zigaretten, Bier und Korn – wie so oft, seit Maria weg war.

„Geht’s denn immer noch nicht los? Da hätte ich meinen Kaffee auch noch austrinken können“, brummelte er unwillig.

Doch da kam Sönke Lodering schon gemächlich um die Ecke geschlendert, winkte den Kollegen zu und drückte dann die Haustür auf. Ihm folgte eine schlanke junge Frau mit stufig geschnittenem braunem Haar und grünlichen Augen. Hauptkommissar Ohlendorf hob fragend die Augenbrauen, als sie auf ihn zusteuerte und ihm die Hand hinstreckte.

„Sandra Richter, Polizeikommissariat am Steindamm, ich habe die Vermisstenanzeige aufgenommen und mit einer Freundin der Ermordeten letzte Woche die Wohnung angesehen.“

„Ich habe mich neulich abends mit ihr im Gnosa getroffen, um den Fall durchzusprechen, und da dachte ich, es kann nicht schaden, wenn sie mitkommt. Ist doch interessant zu wissen, ob sich in der Wohnung in den letzten Tagen etwas getan hat“, fügte Sabine hinzu.

Thomas Ohlendorf schüttelte die Hand der jungen Kollegin. „Na, dann kommen Sie mal mit, Frau Richter.“

Eine der Türen im Erdgeschoss öffnete sich einen Spalt, als der Hauptkommissar und die beiden Frauen das Treppenhaus betraten, wurde dann jedoch sofort wieder zugeworfen. Sabine und Thomas tauschten Blicke, folgten jedoch dem Kriminalobermeister und den anderen bis zu der Wohnungstür, an der in schwungvollen Lettern Ronja stand.

Sabine Berner zog sich ihre Handschuhe an und schob nacheinander alle Zimmertüren auf. Ein Vorplatz mit schmiedeeiserner Garderobe, der Flur mit rotem und schwarzem Tüll dekoriert, das Bad neu, weiß mit einer Bordüre aus schwarz-weißen, grafischen Mustern. Im Spiegelschrank neben den Kosmetika jede Menge Aspirin, Grippemittel und Kohletabletten, ein paar Valium, aber nichts, was nach Drogen aussah. Doch das würde das Labor noch genauer checken.

Dann die Küche: Einbauzeile Marke Ikea Buche, unter dem Fenster ein Tisch mit zwei Stühlen. In einem Korb faulten Äpfel und Nektarinen. Besteck und zwei mit roter Sauce verschmierte Teller, die sich inzwischen mit einem Schimmelrasen überzogen hatten, lagen in der Spüle, ansonsten war alles sehr sauber. Sabine warf einen Blick in den Kühlschrank: „Du darfst“-Käse, 0,1-Prozent-Fett-Joghurt, Magerquark, welker Salat, aber auch Fruchtzwerge und Kindermilchschnitten.

Das Schlafzimmer nebenan war eher wie ein Jugendzimmer eingerichtet, mit schmalem Bett, einem Sessel mit moosgrünem Überwurf, Babyfotos und Kalenderbildern vom Yosemite-Park in den USA, wie die Bildunterschriften verrieten, an den Wänden. Der breite Kleiderschrank stand offen, Jeans, Strümpfe und T-Shirts lagen auf dem Bett neben einem aufgeklappten Koffer, aber auch Kinderkleider und eine Puppe. Die Schubladen des Schreibtisches waren ein Stück vorgezogen, Papiere klemmten unordentlich in dem Schlitz. Auf dem Boden, neben dem Schreibtisch, lagen ein Stück braunes Packband, winzige Pappestücke und ein paar weiße Kügelchen.

Nachdenklich ging die Kommissarin weiter ins Wohnzimmer – oder besser gesagt in Ronjas Arbeitszimmer. Welch Unterschied zu der bürgerlichen Normalität hinter den anderen Türen. Das rote Satinlaken über dem breiten Bett schien sauber, in eisernen Haltern rund um die sündige Spielwiese steckten neue Kerzen, die Spiegel waren fleckenfrei. In einer kleinen Holzkiste lagen säuberlich abgepackt bunte Kondome. Der rot lackierte kleine Kühlschrank enthielt Sekt und Champagner, eine dunkel gebeizte Kommode Wäsche aller Art, Gleitcreme und diverse Artikel, die das Sexualleben abwechslungsreicher gestalten sollten. Mit spitzen Fingern hob die Kommissarin ein paar Handschellen hoch und ein Halsband, das mit Nägeln gespickt war. Im untersten Fach lagen lacklederne Stiefel mit mindestens zwölf Zentimeter hohen Absätzen. Im Kinderzimmer fand Sabine Berner den Fotografen. Björn Magnus saß auf dem Kinderbett, eine gerahmte Fotografie in den Händen, aus der ein kleines blond gelocktes Mädchen in die Kamera strahlte. Sein Mund war zu einem festen Strich zusammengepresst.

„Björn?“

Er schien mit seinen Gedanken weit weg.

„Herr Polizeifotograf!“, schimpfte Sabine und trat näher. „Ich kann es ja verstehen, dass du an Maria und Susanna denkst, doch deshalb musst du nicht überall deine Fingerabdrücke hinterlassen!“

Björn Magnus zuckte zusammen. Schnell legte er das Bild auf den Nachttisch und griff nach den Latexhandschuhen, die ihm seine Kollegin entgegenstreckte.

„So ein Mist“, fluchte er. „Dass mir so was passieren muss.“

Sabines Stimme wurde weicher. „Willst du nicht ein paar Tage Urlaub nehmen? Der Tieze wird’s schon erlauben.“

Der Fotograf zuckte die Schultern. „Was soll ich denn zu Hause, wo ich immer an sie denken muss? Nee, da arbeite ich doch lieber!“

„Wenn du nicht alleine sein und mit jemandem quatschen willst, dann ruf mich an oder komm einfach vorbei“, bot sie ihm erneut an und strich ihm über den Arm.

„Danke.“ Mit großen Schritten eilte er hinaus. Sabine Berner trat zu den Männern der Spurensicherung ins Bad, um sie schonend darauf vorzubereiten, dass sie an diversen Stellen auch die Fingerabdrücke des Fotografen finden könnten.

„Und Frau Kollegin, was machen wir nun?“, fragte Klaus Gerret, als Sabine Berner zu ihm in das verspiegelte „Arbeitszimmer“ trat. Er wirbelte einen Hauch aus grüner Spitze und schwarzem Satin um seinen ausgestreckten Zeigefinger und grinste die Kommissarin frech an.

„Als Erstes legst du das Tangahöschen brav zurück, und dann kommst du mit, die Nachbarn befragen“, befahl Sabine streng, doch ihre Mundwinkel zuckten. Er folgte ihr, seufzte jedoch gequält.

„Die genaue Untersuchung diverser Wäschestücke überlassen wir den Herren von der Spurensicherung“, fügte sie noch boshaft hinzu, als sie ihm die Wohnungstür aufhielt.

Die Nachbarn gegenüber waren nicht daheim, der junge Mann im ersten Stock links hatte nichts gehört und gesehen, und das ältere Ehepaar gegenüber behauptete, nichts von Ronjas Gewerbe gewusst zu haben. Die Versicherungsagentin aus dem Erdgeschoss beklagte sich darüber, ein paarmal von Ronjas Kunden blöd angequatscht worden zu sein, doch da sie eben erst von einer dreiwöchigen Griechenlandreise zurückgekehrt war, konnte sie nichts dazu sagen, was in den ersten beiden Oktoberwochen passiert war.

Die Wohnungstür im Erdgeschoss links wurde aufgerissen, noch ehe die Kommissarin den Klingelknopf berührte. Eine kleine, hagere Frau Anfang siebzig in gemustertem Jersey und Kittelschürze stand in der Tür, das graue Haar in akkuraten Dauerwellen um den Kopf gelegt.

„Sind Sie von der Kripo?“, fragte sie in schrillem Ton und musterte die Kommissarin misstrauisch. Dann wandte sie sich dem jungen Kollegen zu.

„Ich habe gesehen, was für ein Volk sich hier jahrein, jahraus herumgetrieben hat. Ich weiß schon lange, was sich in diesem Haus Ungeheuerliches tut, aber die Behörden schauen ja weg, bis etwas passiert.“

Sobald sie Luft holte, hielt ihr Sabine Berner ihren Ausweis unter die Nase. „Berner ist mein Name, und dies ist Kommissar Gerret.“

„So“, die Alte schob ihre Hornbrille hoch, „nehmen die bei der Kripo nun auch Frauen. Na ja, Politessen gibt es ja auch schon seit einer ganzen Weile.“

„Wir hätten ein paar Fragen an Sie, Frau ...“, Sabine schielte auf das Schild neben der Tür, „Frau Böreck. Dürfen wir reinkommen?“

Die letzten Worte ignorierend, blieb die Frau in der Tür stehen, stemmte die Hände in die Hüften und holte tief Luft.

„Sie können sich nicht vorstellen, wer hier alles ein und aus geht. Als Erstes dieser blonde Riese, dessen Haare wie Igelstacheln vom Kopf abstehen. Der sei ihr Freund, hat sie behauptet, doch wenn Sie mich fragen, ist der ein Zuhälter oder wie man das nennt. Ich kenne mich da nicht aus. Und dann noch dieser unheimliche Kerl mit dem großen Motorrad. Der kommt immer nach den Tagesthemen. Und der Herr Abgeordnete, ich will ja keine Namen nennen, schließlich klatsche ich nicht über andere Leute, der kommt immer freitags. Und dann ist da ein gewisser Herr, den man sonst bei der Deutschen Bank ein und aus gehen sieht. Fährt einen Riesen-Mercedes und trägt immer schwarze Anzüge, und der Herr Doktor, der immer in seinem roten Porsche kommt und um die Ecke parkt, damit es keiner mitbekommt, und dann ...“

Sabine Berner unterbrach den Redefluss. „Es ist ja schön, wenn Sie nicht über Ihre Mitmenschen klatschen, doch wenn Sie die Namen kennen, dann müssen Sie sie uns sagen. Es geht immerhin um einen Mordfall. – Können wir reingehen?“

Noch immer rührte sich Frieda Böreck nicht von der Stelle.

„Namen weiß ich nicht, aber die Autonummern, die habe ich mir alle notiert. Und beschreiben kann ich die Herren auch.“

„Haben Sie Frau Maas nach dem ersten Oktober gesehen?“

„Aber ja, am Donn erstag. Da ging sie mit einem Kerl weg. Das Kind war auch dabei. Danach habe ich sie dann nicht mehr gesehen.“

„Wann war das? Hatte sie Gepäck dabei?“

„Nee, und obwohl es da so windig und frisch war, hatte die nur so einen kurzen schwarzen Rock und eine fast durchsichtige Bluse an. Eine graue Jacke hatte sie unterm Arm und die Handtasche übergehängt. Am vierten war das, abends, während Für alle Fälle Stefanie.“

Auf der Treppe polterten Schritte, dann kamen die Kripoleute, der Fotograf und die Männer von der Spurensicherung herunter.

„Wie die immer herumgelaufen ist! Also mich wundert das nicht, dass so eine umgebracht wird.“ Voll Abscheu verzog sie das Gesicht. „Doch die Männer sind auch nicht besser, Frau Kommissarin. Sie glauben gar nicht, was für – oberflächlich wohlanständige – Männer zu so einer gehen.“ Sie erhob die Stimme, damit auch ihr neues Publikum sie hören konnte, und nickte bedeutungsvoll zur Treppe hinüber. Herausfordernd hob sie das Kinn und sah die Männer nacheinander voller Verachtung an.

„Würden Sie bitte mit aufs Präsidium kommen und uns die Männer beschreiben, die Sie gesehen haben?“, fragte Sabine Berner ruhig. „Vor allem den, mit dem sie am vierten wegging.“

„Jetzt? Nein, das geht nicht“, wehrte die Alte ab. „Ich muss zum Arzt und dann kommt Vera und dann habe ich einen Frisörtermin. Nur wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch bis zu Derrick. Der kommt jetzt immer schon um fünf vor sechs.“ Abwehrend hob sie beide Hände. „Morgen vielleicht. So eilig ist das ja nun nicht, wenn die schon tot ist. Schließlich war sie keine anständige Frau, sondern eine Nutte.“

Die Kommissarin schluckte eine giftige Bemerkung herunter. Thomas Ohlendorf deutete auf seine Uhr und dann auf die Haustür.

„Gut, Frau Böreck, dann kommen Sie doch bitte morgen um neun ins Präsidium, damit wir Ihre Aussage aufnehmen können. Kann ich die Autonummern gleich haben?“

Sie brummte unwillig und schlurfte hinein. Kurz darauf kam sie mit einem Schreibblock zurück. Auf jedem Blatt standen vier bis fünf Autonummern und darunter Farbe und Fabrikat des Wagens. Es folgten ein paar Stichworte zu den jeweiligen Fahrern und bei manchen eine Liste von Datumsangaben, die meisten auch mit zwei Uhrzeiten versehen.

„Was zwischen dem dritten und dem vierzehnten September war, kann ich nicht sagen. Da war ich im Urlaub.“

Die Blätter in der Hand, ging Sabine kopfschüttelnd zum Auto. „Vielleicht sollten wir sie in eines der Observationsteams mitaufnehmen“, sagte sie, wendete den Wagen und fuhr in Richtung Alster.

Thomas Ohlendorf griff nach den Zetteln und sah sie langsam durch. „Mich wundert es nur, dass sie sich keine Urlaubsvertretung besorgt hat“, brummte er.

Der Duft des Blutes

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