Читать книгу Nebeltann - Ulrike Wolf - Страница 7

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Zilli hatte in ihrer Küche in dem alten Herd ein Höllenfeuer entfacht und versuchte nun mit ihrer ganzen Kraft, die alte Zinkwanne aus dem Waschhaus in die Küche zu bugsieren. Es war Samstagabend und sie wollte ein Bad nehmen wie jeden Samstag. Nach etwa zehn Minuten stand die Wanne in der Küche. Zilli füllte den Eimer neben dem Waschbecken mit kaltem Wasser, goss es in die Wanne, nahm dann den Topf mit dem kochend heißen Wasser und schüttete es ebenfalls hinein. Vorsichtig rührte sie im Wasser. Es war noch etwas zu heiß. Also wieder den Eimer unter den Wasserhahn, füllen, eingießen, probieren. Endlich hatte es die passende Temperatur. Sie füllte den Kessel wieder mit kaltem Wasser und stellte ihn auf den Ofen. Vielleicht würde sie ja nachgießen wollen. Von der Schufterei war sie ganz durchgeschwitzt und hatte das Bad jetzt auch bitter nötig. Seife und Handtuch lagen schon griffbereit neben der Wanne. Sie zog sich aus und stieg endlich ins Wasser. Was für eine Wohltat. Sie merkte jeden einzelnen Knochen im Leib, es gab bald keinen mehr, der ihr nicht weh tat. Sie glitt so tief ins Wasser, bis nur noch ihr Gesicht herausschaute. Sie schloss die Augen und wartete, dass ihre Schmerzen nachlassen würden. Die Wärme in der Küche und die Wärme des Wassers lullten sie ein. Sie blieb eine Viertelstunde liegen, dann erhob sie sich und nahm den Kessel mit dem inzwischen wieder heißen Wasser vom Herd und goss nach. Herrlich! In der Küche war es still und Zilli hörte den Wind durch die undichten alten Fenster pfeifen. Es war der 28. Oktober und die Herbstwinde hatten schon die letzten bunten Blätter von den Bäumen gezupft. Ein leises Schmatzen war zu vernehmen, das aus der Kiste am Ofen drang. Vor vier Wochen hatte ihre alte Katze ein Junges zur Welt gebracht, nachdem das schon drei Jahre nicht mehr der Fall gewesen war. Zilli war der Meinung gewesen, dass sie mittlerweile zu alt wäre, aber dieses Jahr war sie überraschend noch einmal trächtig geworden. Sie hatte lange gebraucht, um das Kleine aus sich heraus zu pressen und Zilli hatte schon befürchtet, helfen zu müssen, aber letzten Endes hatte sie es doch wieder allein geschafft. Es war ein recht großes Jungtier und es quiekte in einer enormen Lautstärke seinen Unmut heraus. Wie verloren lag es in der Wurfkiste und die alte Katze besah ihr Letztgeborenes staunend als sei es ein Wunder. Sie kümmerte sich rührend und voller Fürsorge um das Kleine, das alle Zitzen für sich allein hatte und dementsprechend wuchs und einen kugelrunden Bauch bekam. Mittlerweile unternahm es schon die ersten Gehversuche. Zilli lächelte leise vor sich hin. Sie liebte die alte schwarze Katze und freute sich für sie, dass sie noch ein Junges bekommen hatte. Sie seufzte. Das Wasser war kalt geworden. Sie wusch sich, quälte sich dann aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an. Dann warf sie einen Blick auf die zwei Katzen, die eng aneinander gekuschelt in der Kiste lagen. Die Alte schnurrte leise und hob nur kurz den Kopf, als Zilli zu ihr hinsah. Jetzt kam die schwerste Arbeit. Die Wanne musste wieder geleert werden. Mit dem Eimer schöpfte sie das Wasser heraus und schüttete es in den Ausguss. Dann schob sie die Wanne zurück ins Waschhaus. Es war eine elende Schufterei für die kleine, schmächtige Frau. Danach war sie fix und fertig und legte sich aufs Sofa. Keine fünf Minuten später war sie eingeschlafen.

Sie erwachte erst am nächsten Morgen mit einem Gefühl der Trauer. Sie hatte wieder geträumt. Die Kinder, die toten Kinder…

Es passierte ihr in letzter Zeit öfter, dass sie auf dem Sofa einschlief, meist vor dem Fernseher.

Zilli erhob sich und sah aus dem Fenster. In der Nacht hatte es den ersten Schnee gegeben. Auch das noch! Der Winter war nicht ihre Lieblingsjahreszeit, hieß es doch Schnee schieben, Feuerholz holen und den ganzen Tag heizen. Sie seufzte, zog sich an, flocht die langen, ehemals blonden, jetzt grauen Haare zu einem Dutt und machte Frühstück. Der Katze stellte sie etwas verdünnte Milch und Trockenfutter hin. Das rührte diese nur selten an. Meist bekam sie die Reste vom Mittag, seit eh und je, und war auch nichts anderes gewohnt. Nebenher fing sie Mäuse im Stall und in der Scheune.

Als Zilli beim Frühstück saß, ging ihr durch den Kopf, dass morgen ihr achtzigster Geburtstag war. Außer Wilhelm, der unten im Dorf wohnte und mit dem sie seit über sechzig Jahren befreundet war, würde sowieso keiner kommen. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie an Wilhelm dachte. Obwohl er schon fünfundachtzig war, ging er jeden Tag spazieren und meistens kam er hoch zu ihr. Zilli sah seine magere, drahtige Gestalt mit den grauen kurzgeschorenen Haaren, die seine Segelohren richtig zur Geltung kommen ließen, vor sich. Seine eisgrauen Augen verliehen seinem Blick immer etwas Melancholisches, aber Zilli wusste, dass er ein fröhlicher Mann war.

Mit den Leuten aus dem Dorf hatte sie nichts weiter zu tun, außer wenn sie einmal in der Woche den im Winter beschwerlichen, im Sommer dagegen romantischen Weg in Angriff nahm, um das Notwendigste einzukaufen.

Nach dem Frühstück zog sie den alten Mantel an, wickelte einen Schal um den Hals, stieg in die Stiefel, zog Handschuhe an und ging nach draußen. Das Thermometer zeigte ein Grad minus. Der Schneeschieber stand schon an der Hauswand bereit, es gab oft bereits im Oktober Schnee. Dann schob sie einen Katzensteig zum Schuppen, in dem das Feuerholz lagerte, einen zur Mülltonne und einen zum Briefkasten. Mehr musste nicht sein und mehr schaffte sie auch nicht. Sie nahm auch gleich einen Korb voll Holz mit hinein und machte im Küchenofen ein Feuer.

Nebeltann

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