Читать книгу Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt - Умберто Эко, Umberto Eco - Страница 6

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NACHTRAG ZUR 2. AUFLAGE

Auch mit Übersetzungen hat es zuweilen eine eigenartige Bewandtnis. Die hier vorliegende des Buches von Umberto Eco, die der ersten Auflage zugrundeliegt, basiert, einschließlich des Vorworts, auf der italienischen Ausgabe in der Reihe Tascabili Bompiani, die der Übersetzer zu wiederholten Malen aus Italien erhielt. Nachträglich hat sich jetzt herausgestellt, daß es auch noch eine zweite Ausgabe des Buches in der Reihe Strumenti Bompiani gibt (ein gutes Beispiel übrigens für die von Eco in seinem Buch geschilderten Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Material). Sie hat ein geringfügig größeres Format und ist äußerlich anders aufgemacht, aber im übrigen im Hauptteil [viii] text-, seiten- und druckgleich mit der Taschenbuchausgabe. Was beide Ausgaben unterscheidet, ist das Vorwort. Es ist in der Neuausgabe erweitert, und Eco hat in den neu hinzugefügten Teilen acht Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe eine Art Zwischenbilanz gezogen. Besonders interessant und in gewisser Weise den Inhalt des Buches sachlich ergänzend sind jene Ausführungen, in denen Eco – anregend wie immer – von seinen eigenen Erfahrungen mit seinem Buch und mit Reaktionen auf das Buch berichtet. Darum wird nachstehend das erweiterte Vorwort abgedruckt:

»Vorwort zu dieser Ausgabe

1. Diese neue Ausgabe meines Buches erscheint acht Jahre nach der ersten. Ursprünglich geschrieben, um meinen Studenten nicht immer die gleichen Empfehlungen wiederholen zu müssen, hat das Buch eine ziemlich weite Verbreitung gefunden. Ich bin jenen Kollegen dankbar, die es auch heute noch ihren Studenten empfehlen, aber vor allem bin ich jenen Studenten dankbar, die im Laufe ihres Studiums den Anschluß verpaßt hatten, das Buch zufällig entdeckt und mir dann geschrieben haben, daß sie, dank dieser Seiten, endlich die Kraft gefunden haben, ihre Abschlußarbeit anzufangen oder auch abzuschließen. Ich weiß nicht, ob es gut war, dazu beizutragen, daß sich die Zahl der Leute mit Universitätsabschluß in unserem Land erhöhte, aber es ist nun einmal passiert, und ich muß auch die Verantwortung dafür übernehmen.

Als ich das Buch schrieb, hatte ich die geisteswissenschaftlichen Fakultäten und, auf Grund meiner persönlichen Erfahrung, vor allem die philosophischen und literaturwissenschaftlichen Fakultäten im Auge. Ich habe aber festgestellt, daß sich das Buch für alle als einigermaßen nützlich erwies, weil es im Grunde nicht so sehr vom Inhalt einer Abschlußarbeit handelt, als vielmehr von der seelischen Verfassung, [ix] mit der man sich an die Arbeit machen muß, und von der Art und Weise, wie man dabei vernünftigerweise vorgeht. In diesem Sinn wurde das Buch gelegentlich auch von Menschen gelesen, die nicht oder noch nicht an der Universität studierten und sogar von Schülern an höheren Schulen, die eine Untersuchung oder einen Vortrag vorbereiten mußten.

Das Buch wurde auch in andere Sprachen und in Ländern übersetzt, in denen andere Anforderungen an eine Abschlußarbeit gestellt werden als bei uns. Natürlich waren dabei einige Anpassungen durch einen Fachmann vor Ort nötig, aber insgesamt scheinen die Ausführungen für den Export geeignet zu sein. Das erstaunt mich nicht. An jedem Ort der Welt sind die Regeln, wie man vernünftig wissenschaftlich arbeitet, insgesamt gesehen dieselben, gleichgültig, auf welchem Niveau man arbeitet oder wie kompliziert die Angelegenheit ist.

Als ich das Buch schrieb, war die Universitätsreform in Italien noch nicht abgeschlossen, und in der Einleitung vertrat ich die Meinung, daß es nicht nur für die Tesi di Laurea, wie man sie bis dahin verstand, von Nutzen sein könnte, sondern auch für die künftigen ›echten‹ Doktorarbeiten. Ich glaube, daß dieser Blick in die Zukunft vernünftig war, und heute möchte ich das Buch auch für jene empfehlen, die auf Grund einer wissenschaftlichen Arbeit promovieren wollen (obwohl ich hoffe, daß, wer soweit gekommen ist, das, was ich sage, schon gelernt hat – aber man weiß nie).

2. In der Einleitung zur ersten Auflage sprach ich von den Schwierigkeiten der italienischen Universität, die ein Büchlein wie das meinige für tausende und abertausende sich selbst überlassener Studenten nützlich erscheinen ließen. Heute wäre ich glücklich, wenn ich alle noch vorhandenen Exemplare einstampfen lassen könnte und keinen Anlaß sähe, meine Handreichnung noch einmal herauszugeben. Leider kann ich nur wiederholen, was ich damals gesagt habe.

(Anmerkung des Übersetzers: Es folgt der Text der alten Einleitung, vgl. S. 15 in diesem Buch.)

[x] 6. Seit Erscheinen des Buches sind mir ziemlich seltsame Dinge passiert. Von Zeit zu Zeit erhalte ich Briefe, wie den eines Studenten, der schreibt: ›Ich habe eine Abschlußarbeit über das und das und das Thema zu schreiben‹ (und ich versichere, die Palette der Themen ist sehr weit und manche sind mir ganz fremd). ›Können Sie so freundlich sein, mir eine komplette Zusammenstellung der Literatur zu senden, damit ich mit meiner Arbeit weitermachen kann?‹ Wer so schreibt, hat offensichtlich den Sinn des Buches nicht verstanden, oder er hält mich für einen Zauberer. Das Buch will zeigen, wie man selbständig arbeitet, und nicht, wie und wo man jemanden findet, der einem, wie man sagt, die Sache schon vorgekaut hat. Außerdem hat, wer mich um eine Literaturzusammenstellung bittet, nicht verstanden, daß die Anfertigung einer Literaturzusammenstellung eine zeitraubende Angelegenheit ist, und daß ich, sollte ich nur eine der erbetenen Zusammenstellungen schicken, monatelang, wenn nicht länger, arbeiten müßte. Hätte ich soviel Zeit, ich schwöre, ich wüßte sie besser anzuwenden.

7. Aber die seltsamste Sache, die mir passiert ist und die ich erzählen möchte, betrifft eine Seite in diesem Buch. Es handelt sich um das Kapitel IV.2.4. ›Die wissenschaftliche Bescheidenheit‹. Wenn ihr euch die Mühe macht, es nachzulesen, dann seht ihr, wie ich mich bemühte zu beweisen, daß man keinen Beitrag geringschätzen sollte, weil nicht immer die besten Ideen von den größten Autoren kommen. Und ich erzählte die Geschichte, die mir beim Schreiben meiner eigenen Abschlußarbeit passiert war. Ich hatte einen entscheidenden Gedanken, der mir ein dorniges theoretisches Problem gelöst hatte, ausgerechnet in einem kleinen Büchlein von bescheidener Originalität gefunden, das ein gewisser Abbé Vallet 1887 geschrieben hatte und das ich zufällig bei einem Bouquinisten gefunden hatte.

Nachdem das Buch erschienen war, hat ihm Beniamino Placido eine amüsant zu lesende Rezension in Repubblica vom 22. September 1977 gewidmet. Bei dieser Gelegenheit [xi] führte er sinngemäß aus, ich hätte das Abenteuer Forschung als die Geschichte einer Märchenfigur dargestellt, die sich im Wald verirrt hat und die (wie es im Märchen vorkommt und wie es W. I. Propp theoretisch dargestellt hat) an einem bestimmten Punkt einem Wundertäter begegnet, der ihr den Magischen Schlüssel zur Verfügung stellt. Die Vorstellung von Placido war gar nicht so abwegig, Forschung ist immer auch ein Abenteuer, aber Placido ließ auch durchblicken, daß ich mir für mein Märchen den Abbé Vallet erfunden habe. Als ich Placido später einmal traf, habe ich ihm gesagt: ›Du hast Unrecht, den Abbé Vallet gibt es, besser gesagt, es gab ihn, und ich habe noch ein Buch von ihm zuhause; ich habe seit zwanzig Jahren nicht hineingeschaut, aber ich habe ein gutes visuelles Gedächtnis, und ich erinnere mich noch an die Seite, auf der ich jenen Gedanken gefunden habe und den roten Hinweis mit Ausrufungszeichen, das ich am Rand angebracht hatte. Komm mit zu mir nachhause, und ich zeige dir das berüchtigte Buch des berüchtigten Abbé Vallet.‹

Gesagt, getan. Wir gehen zu mir nachhause, wir schenken uns zwei Whisky ein, ich steige auf eine kleine Leiter, um jenes obere Fach in meinem Büchergestell zu erreichen, wo nach meiner Erinnerung das schicksalsträchtige Buch seit langem liegt. Ich finde es, klopfe den Staub ab, schaue nicht ohne Bewegung wieder hinein und mache mich auf die Suche nach der gleichfalls schicksalsträchtigen Seite. Und ich finde sie, mit ihrem schönen Ausrufungszeichen am Rand.

Ich zeige die Seite Placido und lese dann die Stelle, die mir soviel geholfen hatte. Ich lese sie ihm vor, lese sie noch einmal und noch einmal und falle aus allen Wolken. Der Abbé Vallet hatte nie den Gedanken geäußert, den ich ihm zugeschrieben hatte, will sagen, er hatte nie jene Verbindung zwischen Theorie des Urteils und Theorie der Schönheit hergestellt, die mir als so glänzend erschienen war.

Es hatte sich so zugetragen, daß ich beim Lesen von Vallet (der von anderem sprach) und auf irgend eine mysteriöse Weise angeregt von dem, was er sagte, jene Idee gehabt hatte [xii] und so auf den Text, in dem ich Unterstreichungen vornahm, fixiert war, daß ich die Idee dem Vallet zuschrieb. Und mehr als zwanzig Jahre lang war ich dem alten Abbé für etwas dankbar, was ich gar nicht von ihm hatte. Ich hatte mir den Zauberschlüssel selbst hergestellt.

Aber stimmt das auch wirklich? Kommt das Verdienst an jener Idee mir zu? Hätte ich Vallet nicht gelesen, so wäre mir der Gedanke nicht gekommen. Vielleicht war er nicht der Vater jenes Gedanken, aber er war, sozusagen, der Geburtshelfer. Er hatte mir nichts geschenkt, aber er hat meinen Geist auf Trab gehalten, in gewisser Weise hat er mich zum Denken angeregt. Ist es nicht vielleicht das, was man von einem Lehrmeister (auch) erwartet? Uns zum Finden von Ideen zu provozieren?

Ich habe nochmals darüber nachgedacht und festgestellt, daß ich im Verlaufe meiner Auseinandersetzung mit der Literatur oft Gedanken anderen zugeschrieben hatte, zu deren Suche jene mich angeregt hatten; und in vielen anderen Fällen war ich der Meinung, ein bestimmter Gedanke stamme von mir, während ich doch beim Nachsehen in einem Buch, das ich viele Jahre vorher gelesen hatte, feststellte, daß der Gedanke, oder jedenfalls sein Kern, von einem anderen Autor stammte. Eine (nicht bestehende) Schuld, die ich dem Vallet gegenüber zu haben glaubte, machte mir klar, wie viele Schulden ich zu bezahlen versäumt hatte …

Ich glaube, daß der Sinn dieser Geschichte, die durchaus zu den anderen Ausführungen meines Buches paßt, darin liegt, daß das Abenteuer Forschung geheimnisvoll und begeisternd ist und viele Überraschungen bereithält. Bei ihm geht es nicht um eine Einzelperson, sondern um eine ganze Kultur, und manchmal machen sich Gedanken von allein auf den Weg, wandern, verschwinden, erscheinen wieder, und es geht ihnen wie manchen Witzen: sie werden mit jedem Erzählen besser.

Ich habe darum beschlossen, dem Abbé Vallet meine Dankbarkeit zu bewahren, und zwar gerade deswegen, weil [xiii] er wirklich ein Wunderspender war. Darum habe ich ihn – der eine oder andere Leser hat es vielleicht bemerkt – als Hauptperson in meinem Roman ›Der Name der Rose‹ eingeführt und ihn in der zweiten Zeile der Einleitung erwähnt, diesmal wirklich als eine Person, die etwas gibt, voller Geheimnisse und Rätsel, ein verlorenes Manuskript nämlich, und als das Symbol einer Bibliothek, in der die Bücher miteinander sprechen.

Ich weiß nicht, was aus dieser Geschichte alles zu folgern ist, aber eines weiß ich, und das ist sehr schön. Ich wünsche den Lesern, sie mögen im Laufe ihres Lebens viele Abbé Vallets finden, und ich wünsche mir selbst, für jemand anders der Abbé Vallet zu werden.

Mailand, Februar 1985«

In meiner Einleitung hatte ich davon gesprochen, daß das Buch einen Blick in die Werkstatt Ecos gestatte. Ein weiteres Fenster zu dieser Werkstatt hat sich aufgetan.

Februar 1989 W. Schick
Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt

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