Читать книгу Weltenerbe / Weltenerbe. Das Geheimnis der Zylinder - Umbrella Brothers - Страница 10
6 Claire
ОглавлениеEs klingelte an der Tür. Daniél wunderte sich, weil Claire doch einen Schlüssel dabei hatte. Dann dachte er daran, wie er wohl die Tür aufschließen würde, wenn er zwei schwere Koffer trug. Warum sie für die paar Tage zwei Koffer benötigte, war ihm nicht klar. Er ging zur Tür, öffnete sie und begrüßte seine Frau mit einer festen Umarmung. Er lächelte sie an.
»Schön, dass du wieder da bist. Gib mir die Koffer!«
Er nahm die Koffer und sah dann seine Schwiegermutter. Sie hatte nur ein Gepäckstück. »Hallo Anabelle! Na, gut erholt? Warte, ich hole den gleich auch rein. Lass einfach stehen!«
»Hallo, Daniél. Jetzt ist die ruhige Zeit wieder vorbei!«, begrüßte Anabelle ihren Schwiegersohn.
Alle drei gingen ins Haus, und Daniél holte auch noch Anabelles Koffer.
»Soll ich einen Kaffee machen?«
Er sah in zwei erschöpfte Gesichter, die sicherlich ein wenig Aufmerksamkeit gebrauchen konnten.
»Sehr gern«, sagte seine Schwiegermutter. Claire schaute sich im Wohnzimmer um. Sie sagte nichts.
Die beiden Frauen hatten sich an den kleinen Esstisch gesetzt und Daniél rief aus der Küche: »Und? Wie war’s?«
Claire sagte: »Och, die Rückfahrt war stressig. Aber sonst war es klasse.«
»Ich habe ja gesagt, dass ihr mit dem Zug fahren sollt.«
Anabelle sagte: »Ich will auch nicht lange bleiben.«
»Ja gut, ich fahre dich nachher eben schnell rum«, sagte Daniél. Das war kein Problem für ihn. Er mochte seine Schwiegermutter.
»Das wird nicht nötig sein, ich habe mir eben schon ein Taxi bestellt. Allerdings habe ich noch eine halbe Stunde für einen Kaffee eingeplant. Das ist doch okay, oder?«
»Natürlich! Von mir aus auch zwei Stunden. Hattet ihr die ganzen Tage schönes Wetter? Viel Wind da oben, nicht?«
»Wind? Überhaupt nicht. Kein bisschen! Wir sind fast eingegangen bei der Hitze. Ich denke, wenn wir hier so ein Wetter gehabt hätten, dann wären wir im Haus geblieben.«
Daniél dachte an den verschwitzten Luc in Shorts, wie er gerade ein unmögliches Loch bohrte.
Und nun erzählte Anabelle von den sonnengebräunten Strandboys. Daniél hörte zu und nickte nur ab und zu.
Später kam das Taxi, und Daniél war wieder mit Claire allein.
»Ich muss dir etwas zeigen!«, sagte er lächelnd.
»So? Na, da dann lass mal sehen.«
»Etwas im Garten. Komm mal mit!«
Sie gingen über die Terrasse in den Garten. Das Gesicht, was Claire machte, war schwer zu deuten. Von Verzückung bis Abscheu war alles möglich. Aber ihre Worte zeigten in eine klare Richtung. Sie sagte: »Das ist kein gewöhnlicher Brunnen, oder?«
»Natürlich nicht! Das ist ein Schuppen! Für unsere Gartenmöbel und was sonst noch so im Garten anfällt.«
Claire sah Daniél in einer Mischung aus Trauer und Wut an.
»Wie kann man ›Ein Brunnen wäre schön‹ mit ›Ich möchte einen Schuppen‹ verwechseln?«
Sie schaute zum Schuppen und fragte: »Und wo ist mein Kirschlorbeerstrauch?«
Daniél antwortete: »Tja, der hat das Zeitliche gesegnet. Aber ich muss dir noch etwas anderes zeigen!«
»Wird es noch schlimmer?«
Sie war nicht in der Stimmung für technischen Schnickschnack. Würde Claire das Geheimnis bewahren können? Nein, wenn es Claire nicht direkt betraf, war es für sie unwichtig und konnte somit Dritten berichtet werden. Und für seine Frau wäre es zweifelsohne nur ein Ding. Oder wie sie sagte: Teil.
»Also, was ist jetzt?«
»Ich muss dir zeigen ... äh ... wie groß der Schuppen von innen wirkt! Das ist wirklich beeindruckend, du wirst begeistert sein.«
Claire ließ sich widerwillig in den Schuppen schieben.
»Na? Wie findest du es?«
»Ganz nett«, log sie, als sie all die metallischen Wände sah. Diese waren zwar praktisch aber alles andere als attraktiv.
»Ja, ich muss noch meine Koffer auspacken. Vielleicht kannst du mir ein wenig dabei helfen.«
»Klar. Kein Problem«, sagte Daniél eifrig und prüfte mit einem Seitenblick, ob man die Tür im Boden sehen konnte. Nein, sie schloss raffiniert mit den Fugen im Boden ab. Man konnte sie nur sehen, wenn man danach suchte. Aber wer suchte schon eine Tür im Boden.
»Vielleicht werde ich mir hier drinnen eine Werkbank hinstellen.«
Daniél war plötzlich eingefallen, dass er wahrscheinlich sehr viel Zeit in diesem Schuppen verbringen würde – beziehungsweise darunter – und es irgendwie rechtfertigen musste. Er war handwerklich halbwegs begabt, nur einen Presslufthammer konnte er nicht halten. Und Claire interessierte sich nicht mehr für seine Arbeit oder Basteleien, sodass es nicht auffallen dürfte, wenn er tatsächlich nie etwas anfertigte.
Obwohl sie sich ein paar Tage nicht gesehen hatten, schlief jeder auf seiner eigenen Seite. Der Schuppen war offensichtlich nicht das, was Claire sich vorgestellt hatte. Am Morgen ging sie dann ohne viele Worte zur Arbeit. Claire arbeitete drei Tage die Woche als Buchhalterin.
Daniél nutzte die Zeit, um den Behälter freizulegen. Gestern hatte er dazu ja keine Gelegenheit gehabt.
Da er wusste, dass man den Behälter nicht so leicht beschädigen konnte, buddelte er mit der großen Schaufel links und rechts bis er den halben Zylinder freigelegt hatte. An die hintere Seite kam er noch nicht heran, die lag noch zu tief. Aber er konnte erkennen, dass links und rechts und wahrscheinlich genau in der Mitte zwei Halbkugeln angebracht waren. Alles zusammen sah aus wie ein Pottwal, der halb in der Erde schwamm. Und die Kugeln waren die Augen.
Das Material war identisch, lediglich die Farbe war eine andere. Sie stachen hervor, weil sie tiefschwarz waren. In der linken Halbkugel waren bei genauerer Betrachtung zwei kleine Vertiefungen zu sehen. Daniel ließ seine Finger darüber wandern. Die rechte Kugel war vollkommen glatt. Wie Marmor.
Als Daniél weiterbuddelte, fühlte er sich von den Augen beobachtet. Immer wieder blickte er auf die schwarzen Kugeln.
Zwischendurch brachte er die Erde nach oben und verteilte sie im Garten. Er musste Löcher graben, da der lehmige Boden aus dem Schacht eine hellere und rötlichere Farbe hatte.
Mit dem Bagger ging es doch erheblich schneller, als mit der verhältnismäßig kleinen Schaufel. Und Daniél graute es immer vor dem Abtransport der Erde. Mit Last eine Leiter emporzusteigen war schwierig und schweißtreibend. Eigentlich empfand er Graben als schrecklich unproduktiv. Andererseits konnte man herrlich dabei abschalten.
Plötzlich bemerkte er, dass er zwei Blasen an der linken Hand hatte. Eine am Zeigefinger und eine am Daumen. Er hatte sie die ganze Zeit über nicht bemerkt. Jetzt wo er sie sah, taten sie ihm weh. So konnte er unmöglich weiterbuddeln. Er ging ins Bad und wusch sich die Hände. Dann nahm er eine Nadel und stach sich in die Blasen. Vorsichtshalber klebte er je ein Pflaster um die beiden Finger.
Daniél ging in die Garage und holte ein paar Arbeitshandschuhe. Er wollte sich von zwei kleinen Blasen nicht die ohnehin knappe Freizeit nehmen lassen. Zwar wartete in seinem Büro noch Arbeit auf ihn, aber das hier war wichtiger. Der Computer würde morgen auch noch da sein.
Bis zum Nachmittag hatte er einen bemerkenswerten Teil unterhalb der Mittellinie ausgegraben, sodass der Pottwal schon fast auf dem Trockenen lag. Und an der linken Seite hatte Daniél eine rechteckige Mulde gefunden. Die Vertiefung war gut einen halben Meter breit und 20 Zentimeter hoch. Sie wies erhabene Symbole auf, fast wie bei einer Blindenschrift. Der rechteckige Bereich war voll davon. Die Zeichen sahen aus, wie eine Mischung aus Runenschrift und Hieroglyphen. Aber die typischen Vögel und Schlangen der ägyptischen Schrift fehlten. Was der Text wohl bedeutete? Von einem unheimlichen Fluch bis hin zu ›This side up!‹ war alles möglich. Er musste ein Foto davon machen. Vielleicht gab es im Internet eine Übersetzungssoftware für die Symbole. Bestimmt gab es so etwas, jeder Scanner hatte so eine Texterkennung.
Er wollte seine Kamera holen und zog sich daher die Handschuhe aus. An den Stellen, in die er mit der Nadel gestochen hatte, waren die Blasen eingerissen. Die Pflaster hatten sich wohl schon vor längerer Zeit verabschiedet. Er konnte rote Haut sehen und er fühlte, wie sein Puls dort pochte. Es schmerzte. Genug für heute, entschied Daniél. Sonst würde er es nicht mehr schaffen, bevor Claire zurückkam. Das Foto konnte er morgen auch noch machen. Jetzt musste er erst mal seine linke Hand medizinisch versorgen. Also, eigentlich klebte er nur erneut jeweils ein Pflaster auf die offenen Stellen. Danach beseitigte er alle Spuren von Dreck und groben Lehm aus dem Schuppen.
Als Claire nach Hause kam, fragte sie: »Was hast du denn gemacht? Hast du dich verletzt?«
»Nein. Ich habe im Garten gebuddelt. An den Seiten habe ich den Schuppen noch ein wenig mit Erde bedeckt.«
»Aha. Muss das sein?«
Jetzt packte Daniél sein Lieblingsargument aus: »Du willst doch immer, dass alles ordentlich ist.« Das zog jederzeit. Damit war die Diskussion meistens beendet. Denn Ordnung war ein elementarer Bestandteil von Claires Leben.
»Tja, wenn das sein muss. Aber du hast ein wenig übertrieben, nicht? Dir liegt eher die Kopfarbeit!«
»Ja, ist ja auch nur eine einmalige Sache«, sagte Daniél.
Er dachte daran, dass er noch längst nicht fertig war mit seinen Ausgrabungen. Von nun an musste er aufpassen, dass er sich nicht noch weitere Blasen zuzog. Ansonsten würden ihm die Ausreden ausgehen. Denn für gewöhnlich mied er Arbeiten mit der Schaufel.
Sie aßen gemeinsam ein paar Brote. Dann legte Claire die Füße hoch und sah sich einen Film an. Daniél ging nach oben in sein Arbeitszimmer. Er wollte noch ein wenig im Internet nach solchen Zylindern suchen. Aber es war schwierig nach etwas zu suchen, wenn man keine genaue Bezeichnung für das zu suchende Objekt hatte. Er fand nichts Vergleichbares. Schließlich gab er auf und ging mit einer Flasche Wein aus dem Keller zu Claire. Wie ihre Laune heute wohl war?
Mittwoch. Daniél hatte sich vorgenommen wenigsten bis unter den Zylinder zu kommen, bevor er das Foto machte. Und länger wollte er auf keinen Fall arbeiten, um seine Hände zu schonen. Irgendwann würde er auch mal wieder in sein Arbeitszimmer gehen müssen. Die Arbeit dort wurde nicht gerade weniger, wenn man sie ignorierte. Daniél zog sich die Handschuhe an und fing an zu graben. Nach ein paar Stunden war er so weit. Unter dem Zylinder war ein Gestell angebracht. Verdammt! Er war zu neugierig, um es nicht auszugraben. Aber nicht mehr heute. Eben noch das Foto und dann würde er etwas Geld verdienen gehen.
Er musste seinen Auftraggeber anrufen, aber das Telefon war tot. Mit ingenieurmäßigem Sachverstand schlug er das mobile Gerät zweimal auf den Tisch und versuchte es erneut. Immer noch nichts. Die Anzeige funktionierte und zeigte ein gelbes lachendes Gesicht. Das Telefon selbst schien in Ordnung zu sein, lediglich die Leitung war gestört. Sicher? Er konnte es leicht testen. Er versuchte sich ins Internet einzuwählen. Er sah eine Fehlermeldung, die alles besagen konnte, aber nicht, dass die Leitung gestört war. Dort stand etwas ›von Server derzeit nicht verfügbar‹ oder so. Also zückte er sein Handy und rief bei seinem Provider an. Leider bestätigte dieser den Ausfall der Leitung. Mehr noch. Durch einen einfachen Test konnte der Mann sagen, dass die Leitung mechanisch unterbrochen war. Daniél kam sofort der Gedanke, dass er mit dem Bagger Blödsinn gemacht hatte. Aber nein, die Leitungen verliefen zwar unterirdisch, aber vor dem Haus.
»Wie lange wird das dauern? Ich bin auf das Telefon angewiesen!«
»Sie haben doch ein Handy!«, sagte der Mann.
»Ja, aber darüber kann ich keine Daten verschicken! Ich brauche auch den Internetzugang!«
Daniél schickte alle seine Daten über das Internet. Das ging wesentlich schneller als sie auf eine CD zu brennen. Aber man konnte sich drehen und wenden wie man wollte, es erforderte eine intakte Telefonleitung.
»Ja, wir schicken bald jemanden, der sich das mal ansieht.«
Bald war eine sehr ungenaue Zeitangabe. Das konnte innerhalb von fünf Minuten bedeuten oder aber vielleicht noch in diesem Jahr. Und was sollte dieser Nebensatz ›Der-sich-das-mal-ansieht‹? Er soll sich das nicht ansehen, sondern sofort reparieren!
Andererseits, vielleicht wollte jemand da ganz oben, dass Daniél jetzt erst mal nicht arbeitete, sondern sich um das Ding in seinem Garten kümmerte.
Er wollte wissen, was er da vor sich hatte. Also musste er recherchieren. Das konnte er eigentlich ganz gut und auch ausdauernd. So etwas brauchte er für seine tägliche Arbeit.
Aber wo zur Hölle bekommt man Informationen her, wenn nicht durch das Internet?
Wie haben die Leute denn früher etwas in Erfahrung gebracht, als es noch kein WWW gab? Wo versteckte Claire wohl das Telefonbuch? Daniél fand es nach einer langen Wanderung durch das Haus in der kleinen Schublade im Telefonschränkchen. Als er es herausnahm, sah er darunter die ›Pages Jaunes‹. Ja, das war sogar noch besser. Nach einer kurzen Suche wusste er, dass es in seinem Dorf keine Bücherei gab, dafür aber wohl in der nahegelegenen Stadt.
Normalerweise kaufte Daniél die Bücher lieber. Er hatte ein wenig Schwellenangst. Sowohl vor der Bücherei, als auch vor der Stadt. Aber nicht genug, um sich von seiner Sache abbringen zu lassen. Er setzte sich in sein Auto und verfuhr sich. Aber auf den Straßen liefen eine Menge Leute herum, die größtenteils bereitwillig Auskunft gaben. Leider variierten die Richtungsangaben manchmal. Schließlich fand er die Bibliothek. Sie hatte sogar einen eigenen Parkplatz. Dieser war fast leer.
Die Bibliothek selbst war ein imposantes Bauwerk. Mit ihrer breiten Treppe und den sechs mächtigen Tragsäulen für das Vordach erweckte sie den Eindruck von Größe und Macht. Etwas Lateinisches stand auf der Vorderseite geschrieben. Er kam sich sehr klein vor. Er schluckte und ging dann durch das große Tor. Der rechte Flügel war geöffnet.
Auch die verschwenderisch große Halle hinter der Tür beruhigte Daniél nur wenig. Er ging zu einem Schalter, um einen Büchereiausweis zu beantragen.
»Bekomme ich hier einen Ausweis?«, fragte er unsicher.
Die Frau schaute ihn mit einem Blick an, als ob sie daran zweifelte, dass er überhaupt lesen konnte.
Daniél füllte ein Formular aus und nach ein paar Minuten bekam er eine elektronisch lesbare Karte. Er bedankte sich höflich und machte sich auf, um in den großen Hallen nach etwas zu suchen, dass ihm helfen könnte. Daniél hatte keine Ahnung, wie er hier etwas finden sollte. Das waren eindeutig zu viele Bücher. Ich brauche Hilfe, dachte er, als jemand rief: »Ey! Hallo Daniél, was machst du denn hier?«