Читать книгу Nachtschwester - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 14
ОглавлениеDer Nächste Tag verlief chaotisch. Es kam zu keinen Vernehmungen, es gab nur eine Menge von Hinweisen, von denen keiner eine wirkliche Antwort brachte. Immer wieder setzten ihm die anderen zu, wollten seinen Rat einholen, seine Meinung erfragen. Am Ende ging er auf die Toilette und spülte sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab. Er hielt sich den ganzen Tag ununterbrochen auf der Wache auf.
Sein ältester Sohn, Gard, und dessen Freundin Tone hatten ihn und Bente für diesen Abend um halb acht zum Essen eingeladen, zusammen mit Tones Eltern. Die beiden Elternpaare waren sich noch nie begegnet. Eigentlich kam diese Einladung ungelegen. Er hätte vielmehr den ganzen Abend über dem Fall Moen brüten müssen. Rasch schaute er auf die Uhr. Die zeigte zehn vor sieben. Wenn er sich beeilte, konnte er noch beim Frogner-Heim vorbeischauen. Er hatte seine Mutter seit drei oder vier Wochen nicht mehr besucht.
Es war schon nach sieben, und er wusste, dass das Personal sich ärgerte, wenn die Besucher noch so spät eintrafen, aber das war ihm jetzt egal. Seine Mutter saß schließlich nicht im Gefängnis. Diese vielen Besuchszeiten und Regeln! Es ging hier immerhin um seine Mutter. Er wollte sie besuchen, wenn es ihm passte!
Er musste klingeln, um eingelassen zu werden. Eine Krankenpflegerin schaute ihn durch die Glastür verwundert an. Er sagte kurz, warum er gekommen war.
«Aber ich glaube, Frau Isaksen ist schon zu Bett gegangen», sagte die Weißgekleidete. Er spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Es war kurz nach sieben, und sie hatten seine Mutter bereits ins Bett gesteckt.
«Aber das will sie doch so», sagte die Krankenpflegerin, als sie seine Reaktion sah. «Sie ist im Moment immer sehr müde. Frühjahrsmüdigkeit, nehme ich an.» Sie machte sich an der Uhr zu schaffen, die an ihrer weißen Brusttasche befestigt war.
Cato Isaksen fuhr mit dem Fahrstuhl in den ersten Stock und lief mit energischen Schritten über den stillen Gang. Und wirklich, seine Mutter schlief. Vermutlich haben sie sie mit Schlaftabletten vollgepumpt, dachte er, und trat dicht an ihr Bett heran. Sie war jetzt alt, sehr alt. Ihre dünnen Hände lagen auf der Decke. Sie atmete gleichmäßig. Eine kleine Lampe stand auf einem Tisch in der Ecke. Das Licht fiel wie ein warmes Dreieck über ihre Hände und einen Teil der Decke. Er betrachtete die Fotos an der Wand, es waren Familienbilder. Das Hochzeitsbild von ihm und Bente, von ihrer ersten Hochzeit. Er glaubte nicht, dass seine Mutter wirklich begriff, welches Chaos er in den vergangenen Jahren angerichtet hatte. Die Kinderbilder von Gard und Vetle waren niedlich. Wie schnell die Zeit im Grunde verging. Alles änderte sich, aber das Alte war doch immer noch vorhanden.
Plötzlich fiel ihm auf, dass frische Blumen auf dem Nachttisch standen. Ein bunter Tulpenstrauß. Von wem sie die wohl hatte? Die Antwort kannte er natürlich. Von Sigrid und Hamza. Die waren so umsichtig, es war zum Kotzen!
Irgendwer hatte eine von Georg angefertigte Zeichnung an die Wand über dem Bett geklebt. Cato Isaksen lächelte. Er erkannte den humoristischen Strich seines Jüngsten. Ein lila Drache spie aus weit aufgerissenem Mund Feuer. Der Junge machte im Moment eine Phase durch, in der er sich vor großen, unbekannten Tieren fürchtete.
Cato Isaksen bückte sich und nahm vorsichtig die Hände seiner Mutter. Sie merkte das nicht, sondern schlief ruhig weiter. Er blieb stehen und sah sie noch einen Moment an, dann ging er zurück zu seinem Wagen und fuhr weiter nach Asker.
Das Ermittlungsteam versammelte sich im üblichen Besprechungszimmer. Der Abend bei Gard und seiner Freundin war nett gewesen. Sie hatten in ihrer kleinen Wohnung den Tisch hübsch gedeckt und die beiden Elternpaare, die sich zum ersten Mal trafen, stolz und ein wenig nervös empfangen. Alles war gut gelaufen. Cato Isaksen, der eigentlich ziemlich erschöpft und nach seinem Besuch im Frogner-Heim ziemlich deprimiert gewesen war, war aufgetaut und hatte sich mit Tones Vater angeregt unterhalten. Bente und Tones Mutter hatten sich ebenfalls verstanden. Vor zwei Jahren war die Lage nicht so rosig gewesen. Gard war in eine Clique abgerutscht, in der Drogen einfach zum Alltag gehörten. Glücklicherweise hatten sie es rechtzeitig entdeckt und ihn aus der Sache herausholen können. Aber das war nicht ohne Kampf gegangen. Es war ein Albtraum gewesen, wie er ihn nicht einmal seinem ärgsten Feind gegönnt hätte.
Als die Fahnder die neuesten Berichte der Kollegen aus Follo durchgegangen waren, rief Vetle an. Er war außer sich und berichtete, ein großer Hund habe Marmelade in den Rücken gebissen und ihn dann am letzten Reihenhaus vorbei über die Wiese in den Wald gejagt.
«Aber bist du denn nicht in der Schule?»
«Ich konnte doch nicht Weggehen!»
«Aber mein Lieber», sagte Cato Isaksen irritiert, doch etwas in der Stimme des Siebzehnjährigen brachte ihn dazu, sich zu mäßigen. «Er kommt ganz bestimmt zurück», versuchte er ihn zu beruhigen. «Katzen haben neun Leben.»
«Aber er kann verletzt sein. Er kann verbluten. Du hast das alles doch nicht gesehen!»
«Aber hast du denn versucht, ihn zu finden?»
«Ich bin anderthalb Stunden herumgelaufen und habe ihn gerufen. Er ist verschwunden.»
«Kannst du nicht mit Mama darüber sprechen?»
«Die hat Dienst.»
«Ich kann jetzt nicht nach Hause kommen, wenn du das meinen solltest.» Cato Isaksen warf einen Blick auf die Unterlagen aus Follo, es ging um die Handygespräche, die Kathrine und ihre Clique an den letzten Tagen vor Kathrines Verschwinden geführt hatten. «Ich dachte, ich könnte ein neues Handy für dich kaufen», sagte er etwas freundlicher.
Vetle schwieg eine Weile. «Schön», sagte er dann kleinlaut. Sein altes war ihm vor einigen Wochen auf den Boden gefallen und zerbrochen.
Roger Høibakk erhob sich und fragte, wer alles Kaffee wolle. Cato Isaksen nickte dem Kollegen zu und sagte zu Vetle, er müsse jetzt zur Schule gehen. Dann beendete er das Gespräch und ließ sich von dem Kollegen einen Becher Kaffee reichen.
Die Gesprächsübersichten zeigten, dass Kathrine Bjerke und Kenneth Hansen am Abend von Kathrines Verschwinden zwischen neunzehn und dreiundzwanzig Uhr dreimal miteinander telefoniert hatten. Das letzte Gespräch wurde kurz vor elf beendet. Kathrine hatte außerdem ihren Onkel und ihre beste Freundin, Maiken Stenberg, angerufen.
Randi Johansen schob ihm einen weiteren Zettel hin.
«Kathrines Stiefvater», sagte sie. «Die Kripo hat einen Bericht über ihn angefertigt. Die Beziehung zwischen ihm und Kathrine war offenbar nicht gerade herzlich. Sie ziehen daraus keine Schlüsse, aber vielleicht sollten wir uns so bald wie möglich auch mal mit ihm unterhalten.»
Cato Isaksen nahm einen großen Schluck von dem Kaffee, den Roger geholt hatte, überflog noch einmal die Übersicht der Telefongespräche und sagte zu Randi, er könne sich den Stiefvater auch allein vornehmen. «Und ich will auch mit dieser besten Freundin reden.»
Randi Johansen lächelte ihn dankbar an. Ihre Tochter war bei einer kleinen Freundin zum Geburtstag eingeladen, und auch die Mütter sollten dabei sein. «Schön, dass du daran gedacht hast. Ich muss heute um vier Uhr zu Hause sein», sagte sie. «Aber ich nehme einen Packen Arbeit mit und setze mich heute Abend daran», fügte sie hinzu. «Und ich rufe dich an, wenn mir dabei etwas auffällt.»
Cato Isaksen nickte kurz. Roger Høibakk, Preben Ulriksen, Asle Tengs, Thorsen und Billington verteilten die Aufgaben unter sich. Er selbst erinnerte sich daran, dass er Vetle versprochen hatte, an einem Informationsabend über Ausbildungsmöglichkeiten teilzunehmen. Der Abend sollte um achtzehn Uhr in Vetles Schule beginnen, wenn er das richtig in Erinnerung hatte.
Roger und Preben wollten noch einmal nach Ullevål Hageby und mit den Nachbarn in der John-Colletts-Allee sprechen. «Wir schauen auch bei Moen vorbei», rief Roger, ehe er durch die Tür verschwand.
«Warte», rief Cato Isaksen und Roger schaute noch einmal ins Zimmer. «Fragt ihn nach dem zerbrochenen Spiegel», sagte er.
«Nach was für einem Spiegel?»
«Einem Spiegel, der zwei Tage vor Kathrines Verschwinden zerbrochen ist. Frag einfach danach. Er wird schon verstehen, was du meinst. Und dann frag nach seinem letzten Telefongespräch mit seiner Nichte. Aus den Unterlagen der Telefongesellschaft geht hervor, dass das am 20. Februar um kurz nach halb elf stattgefunden hat.»
«Alles klar», sagte Roger Høibakk und ging pfeifend durch den Gang davon.