Читать книгу Nachtschwester - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell - Страница 8
ОглавлениеKenneth Hansen Sah zwei Paar Beine an seinem Kellerfenster vorübergehen. Er ließ sich auf die Kissen zurücksinken und fluchte inniglich, griff nach der Fernbedienung und drückte die Musik leiser, die aus zwei großen Lautsprechern strömte. Einige Minuten später hörte er die Polizei die Treppe herunterkommen. Seine Mutter öffnete die Tür des Kellerraumes.
«Kenneth», begann sie, und sie benutzte ihre irritierende besorgte Stimme. Sein Gesicht war heiß, sein Hals wie ausgedörrt. Unter seinen Armen strömte der Schweiß.
Cato Isaksen musterte den ungepflegten Sechzehnjährigen, der auf dem unordentlichen Sofa herumlungerte. Er war dicklich und trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit rotem Aufdruck und weißer Schrift. SOFT, stand quer über seiner Brust. Seine zerzausten braunen Haare waren offenbar lange nicht mehr gewaschen worden. Unter seinen Augen hatte er dunkle Ringe. Was kann ein Mädchen wie Kathrine Bjerke nur an so einem Gammler finden, fragte Cato Isaksen sich erstaunt.
Im Zimmer herrschte das Chaos. CD-Cover, Videos und schmutzige Kleider lagen überall auf dem Boden verstreut. Leere Colaflaschen und benutzte Teller mit Ketchupresten standen auf dem braunen Tisch. Die Luft war stickig und roch ein wenig nach Schimmel. Eine Lichtsäule ragte vor dem kleinen Kellerfenster auf. In der Säule tanzten Staubkörner.
Cato Isaksen stellte Roger Høibakk und sich selber vor und erzählte kurz, dass sie von Kathrine Bjerkes Mutter kamen. Kenneth Hansen musterte sie wütend. Er blieb stumm wie ein Fisch.
«Wir wissen, dass du im Zusammenhang mit Kathrines Verschwinden schon mehrmals vernommen worden bist», sagte Cato Isaksen jetzt.
«Scheißbullen», murmelte Kenneth Hansen.
«Was hast du gesagt?»
«Könnt ihr nicht einfach versuchen, Kathrine zu finden?»
«Bist du immer so frech? Solltest du dich nicht darüber freuen, dass wir uns bei der Suche alle Mühe geben?», fragte Cato Isaksen und ließ sich auf einer Stuhlkante nieder. Kenneth Hansens Mutter stand bei der Tür und umklammerte die Klinke.
«Hau ab», sagte der Sohn düster und nickte zu ihr hinüber. Dann erhob er sich langsam und drehte die Musik aus. Er rieb sich die Stirn und holte tief Luft. In ihm loderte die Angst mit neuer Kraft auf.
Roger Høibakk ging im Zimmer langsam hin und her. Er hob ein gerahmtes Foto auf, das in einer Ecke auf einem kleinen Tisch stand. Es war ein Farbbild der lächelnden Kathrine Bjerke. Hinter ihr, die Arme beschützend um ihre Schultern gelegt, stand Kenneth Hansen mit einer blauen, tief in die Stirn gezogenen Mütze. Auch er lächelte. Kenneth ließ den Ermittler nicht aus den Augen. «Das hat Kathrine mir geschenkt.» Die Stille danach wurde nur von den Schritten der Mutter auf der Treppe unterbrochen.
«An dem Abend, an dem Kathrine verschwunden ist ...»
«Das habe ich schon hundertmal erzählt. Sie sind von hier zu Maiken gegangen. Ich war nicht dabei. Fragen Sie die anderen.»
Cato Isaksen musterte ihn. «Kathrines Großmutter ...», fing er an, wurde aber wieder unterbrochen.
«Ich weiß. Verdammt, das weiß ich doch.» Er verschränkte beschützend die Arme vor seinem Bauch und wiegte sich hin und her. «Maiken hat angerufen und alles erzählt.»
«Kathrines beste Freundin?»
Kenneth Hansen nickte.
«Wir werden so bald wie möglich mit ihr reden», sagte Cato Isaksen und setzte dann die Vernehmung fort. «Hast du die Großmutter gekannt?»
Stille füllte den halbdunklen, chaotischen Kellerraum. Kenneth Hansen ließ seine unruhigen Hände in seinen Schoß fallen. Rote Flecken überzogen seinen Hals.
«Ich bin schon hundertmal ausgefragt worden», sagte er düster. «Ich habe die Großmutter nicht gekannt. Ich weiß nichts.»
«Du bist Brenda Moen also nie begegnet?»
Der Junge war plötzlich auf der Hut. Konnte das hier eine Fangfrage sein? Er überlegte einen Moment.
«Ich mochte sie gern», sagte er rasch. «Sie war eine richtig nette alte Frau.»
«Du bist ihr also begegnet?»
«Nur einmal.»
«Wann war das?»
«An Heiligabend.»
«Am Heiligen Abend?»
«Ja.» Kenneth lächelte spöttisch. «An Heiligabend», sagte er noch einmal.
«Wie lange wart ihr schon zusammen?»
«Seit vor Weihnachten.»
«Wie sah deine Beziehung zu Kathrine aus?»
Kenneth Hansen ging hoch.
«Scheiße», sagte er. «So kriegt ihr mich nicht. Ich weiß, dass es unter sechzehn Jahren verboten ist.»
Roger Høibakk wanderte noch immer im Zimmer hin und her. Kenneth Hansen musterte ihn gereizt. Konnte dieser verdammte Bulle nicht mit dem Gerenne aufhören, das ihn nur noch nervöser machte?
Cato Isaksen schlug die Arme übereinander.
«Es wäre nett, wenn du uns helfen könntest», sagte er. «Wie sah deine Beziehung zu Kathrine aus?», fragte er dann noch einmal.
«Die Frage beantworte ich einfach nicht. Das hat verdammt noch mal nichts mit der Sache zu tun.»
Cato Isaksen konnte sich nicht beherrschen. «Du scheinst dich vor irgendwas zu fürchten», sagte er. «Macht dir irgendwas zu schaffen?»
Der Junge schüttelte heftig den Kopf.
«Weißt du, wie die Großmutter ermordet worden ist?»
«Nein», sagte Kenneth rasch.
«Willst du es wissen?»
Kenneth Hansen zuckte mit den Schultern.
«Sie wurde erschossen», sagte Cato Isaksen mit harter Stimme.
Kenneth Hansen gab keine Antwort. Er starrte eine Stelle auf dem Fußboden an.
«Das hast du also nicht gewusst?»
«Nein», sagte der Junge.
Cato Isaksen musterte ihn und überlegte sich seine nächste Frage. Etwas am Verhalten des Jungen erregte sein Misstrauen.
«Was ist mit Drogen?», fragte er.
«Nichts, Scheiße. Damit haben die anderen Polizisten auch rumgequengelt. Ich trinke Bier, vielleicht auch mal ein Glas Schnaps, aber Drogen. Nein, Scheiße.»
«Wie gut glaubst du Kathrine zu kennen?»
«Ich weiß nicht.» Kenneth Hansen setzte sich wieder gerade. «Sie pfuscht aber auch nicht mit Stoff rum, falls Sie das meinen sollten. So sind wir nicht.»
«Na gut. Und wie seid ihr?»
Kenneth Hansen musterte ihn mit leerem Gesicht. Was sollte das denn für eine Frage sein. Er dachte ausgiebig nach. «Weiß nicht», sagte er schließlich. Die restlichen Antworten bestanden ebenfalls fast alle aus «ich weiß nicht». Er habe keine Ahnung, was mit Kathrine passiert sein mochte. Er habe ihr am fraglichen Abend nichts angemerkt. Er wisse nichts. Ganz einfach rein gar nichts.
«Und wo warst du gestern abend?»
«Gestern abend?» Kenneth Hansen erbleichte. Plötzlich ging ihm auf, dass der Polizist ihn des Mordes an Kathrines Großmutter verdächtigte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Stimme blieb ihm im Hals stecken. Es war einfach zu entsetzlich.
Cato Isaksen sah seinen Kollegen an, der während des gesamten Gesprächs recht passiv geblieben war. Jetzt meldete er sich endlich zu Wort.
«Fällt es dir schwer, uns das zu sagen?»
«Nein. Ich hab nichts Besonderes gemacht», sagte Kenneth Hansen nervös.
«Warst du hier?»
Der Junge zuckte mit den Schultern. «Mal hier, mal da», sagte er.
«Was soll das denn nun wieder heißen?»
«Wir sind ein bisschen durch die Gegend gefahren. Ich und ein Kumpel.»
«Wie heißt der?»
«Lars Lofthus.»
«Den ganzen Abend?»
«Nein. Wann wurde sie ermordet?»
«Wann warst du zu Hause?»
Kenneth Hansen schluckte. «So gegen elf, glaube ich.»
Cato Isaksen schaltete sich ein. «Kann irgendwer das bezeugen?»
«Meine Mutter», sagte Kenneth Hansen gereizt. «Und Lars natürlich. Und jetzt will ich diesen Scheiß nicht mehr beantworten müssen.» Er verzog unwillig das Gesicht. Die Fahnder sahen ein, dass sie hier vorerst nicht weiterkommen würden.
«Wir würden dich gern so schnell wie möglich zum offiziellen Verhör bestellen», sagte Cato Isaksen. Er hatte mit einer anderen Reaktion des Jungen gerechnet. «As you like it», sagte Kenneth Hansen kurz und suchte dann fieberhaft nach der Fernbedienung.