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Remo

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Mein Name ist Remo. Der Name stammt aus dem Lateinischen und ist wahrscheinlich abgeleitet von Remus, einem der Gründer der Stadt Rom. Es wäre mir lieber gewesen, der Remus hätte Marignano gegründet. Das hätte wenigstens einen Bezug zur Schweiz gehabt, da wo ich selbstverständlicherweise lebe. Ich frage mich, was sich meine Eltern bei der Wahl meines ausländischen Vornamens gedacht haben. Hansruedi, Heinz, Urs, Christoph oder Rolf hätten es auch getan. Habe ich Sie jetzt erwischt? Haben Sie tatsächlich geglaubt, dass ich Remo heisse? Stimmt selbstverständlich nicht. Verraten tue ich meinen richtigen Namen aber nicht. Aber dennoch verplaudere ich etwas über mich. Mit dem Ausland will ich nichts zu tun haben. Aufgewachsen bin ich zusammen mit ein paar Geschwistern. Ich bin verheiratet und habe drei Töchter und einen Sohn. Ich bin sehr seriös und habe noch nie einen Seitensprung gewagt, halte mich immer an mein Wort, es sei denn, man erschwere mir mein Leben durch Lügen, dann, stimmt, lüge ich auch, und nicht mal wenig. Meine Fans merken das nicht. Sie sind ein bisschen arglos, oder anders herum gesagt, sie überlegen nicht allzu viel, sie glauben einfach alles, was ich sage. Wenn ich etwas sage, dann gilt es, daran zu glauben und Wort zu halten, an mich zu glauben, auch wenn mir schon ab und zu von Abtrünnigen und Pseudoschweizern vorgeworfen wurde, ich schwafle im Zickzack von utopischen Ideen.

Menschen sind mir grundsätzlich wichtig. Ich habe gerne andere Menschen um mich herum, vor allem dann, wenn sie denken wie ich, beziehungsweise mein Gedankengut übernehmen. Ich bin kein Rassist, beileibe nicht, schliesslich stammt meine ursprüngliche Familie aus Germanien. Es ist also nicht möglich, dass ich mich fremdenfeindlich geben kann, sonst würde ich ja irgendwie gegen mich selbst sein. Wenn ich aber bemerke, dass ich mich in unserer Stube kaum mehr bewegen kann, dann muss ich handeln, das heisst, dass dann die Schweiz handeln muss. Es geht nicht nur um meine Stube. Viele meiner Weggefährten haben eine volle Stube und befürchten, sich darin bald nicht mehr frei bewegen zu können. Immer mehr Leute klingeln an der Haustür und bitten um Einlass. Das geht nun schon seit Jahren so zu und her. Schicke ich sie dann weg, sind sie just wieder an der Hintertür da. Also musste ich etwas dagegen unternehmen. Ich sagte der Schweiz, dass jetzt Schluss sei. Und die Schweiz gehorchte.

Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, fege ich nicht mehr so oft im Zeugs herum wie auch schon. Ich bin mit dem Alter eindeutig weiser geworden. Halt, stimmt so nicht. Es war vor ein paar Jahren, als mir die Schweiz, wer weiss warum, Knüppel zwischen die Beine warf. Ich hatte als Minister nichts Unrechtes getan. Schliesslich bin ich eidgenössisch lizenzierter Jurist von Berufs wegen und weiss, was man tun und lassen darf. Aber dennoch, ab diesem katastrophalen Tag überlegte ich meine Worte zweimal, bevor ich sie in den Mund nahm. Ich habe immer viele Worte im Mund. Das ist eine meiner Spezialitäten, die meine nicht Getreuen fürchten, denn ich bin fähig, zu allem und jedem eine klar definierte Haltung zu haben. Und sie ist immer richtig. Ich bin so etwas wie, Pardon, das ist nun ein ganz klein wenig übertrieben, allmächtig. Andere Länder wären froh, sie hätten so einen wie mich. Man muss sich nur zum Fenster hinauslehnen und schon sieht man, dass es fast überall brennt, nur in unserer Stube nicht. Das hat mit mir zu tun. Weil ich konsequent bin. Weil sich meine Familie und die Schweiz auf mich verlassen können. Weil ich Wort halte. Ich bin zwar alt geworden, wie das halt so ist, wenn man älter wird, aber geistig bin ich so fit wie eh und je. Wenn das nur die andern auch wären. Aber die geistige Flexibilität lässt bei denen viel schneller nach als bei mir. Eigentlich könnte ich den Job als Reinigungsvorarbeiter längst verlassen, denn ich bin, bevor ich mit dem Blochen des politischen Parketts begonnen habe, mit ein paar Firmen und Kriegslisten unsäglich reich geworden. Es gibt Leute, die glauben gar, dass ich alle Stuben dieses Landes für mich aufwischen könnte. Was natürlich nicht ganz stimmt. Und übrigens, meine Familienjüngsten stehen bereits in den Startlöchern für die nächsten Reinigungen. Also alles reinige ich dann doch nicht mehr selber. Zum Beispiel sind mir Fenster ein Graus. Ich mag mich da nicht mehr selber weit hinauslehnen. Sollen das Jüngere für mich tun.

So, genug der Worte, ich muss jetzt wieder los, es warten noch einige Böden, die geblocht werden müssen. Und dann habe ich noch ein berufliches Treffen am Brunnen vor dem Tore im Glarnerland. Und heute Abend erwartet mich noch Roger, der Publizist und Möchtegern-Medienmogul, zu einem Interview. Den kann ich für meine fundamentale Arbeit gut gebrauchen. Und morgen früh erwartet mich zu BaZel noch mein Namensvetter zum Zmörgeli. Am Stutz am Thunersee ist auch noch ein Röstiplausch, der auf mich wartet. Aber der muss eben warten. Es gäbe da auch noch meinen Ziehsohn, den lachenden Toni aus dem Toggenburgischen, den ich in seiner Landbeiz, dem Haus der Freiheit, besuchen müsste. Ich war früher schon mal dort, doch von Freiheit habe ich nichts gesehen oder gefühlt. Gejasst haben wir und verloren habe ich, das ist alles. Es ist eine Beiz wie jede andere. Zugegeben, wenn Toni anwesend ist, gibt es immer etwas zum Kugeliglachen. Er ist ein echter Witzbold. Wie das wohl wäre, wenn er im Bundesrat sitzen würde? Würde dann nur noch mit Karten um Entscheide gespielt und bei einem Glas Weissen von Guys Weinberg herumgealbert?

Ja, ja, ich habe viel zu tun, obschon ich pensioniert bin. Wenn ich an jene denke, die mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen, dann muss ich, unter uns gesagt, zugeben, dass etwas nicht stimmt. Aber bitte sehr, hätten diese Leute während ihres Berufslebens wie ich den Finger herausgezogen, Sie wissen, was ich meine, ginge es ihnen heute auch besser. Ich bin auf alle Fälle nicht jedermanns Mäzen, was so viel heisst, dass ich nicht allen Zeitgenossen unter die Arme greifen kann. Apropos Mäzen, das ist eine Bezeichnung, die man in der Regel für selbstlose Geldgeber wie mich verwendet. Und das bin ich auch. Ich habe dem armengenössigen, altersschwachen Anker aus Ins schon viele Bilder abgekauft, für einen guten Preis wohlverstanden. Hätte Herr Heiliger Klaus am Berg oben in Obwalden, mein Kronzeuge und Schutzpatron, was immer das für Sie auch heissen mag, auch Bilder gemalt, ich hätte ihm ebenfalls gleich ein paar Dutzend abgekauft. Ich bin halt ein grosszügiger Kunstmäzen.

Kennen Sie übrigens Vitus, nicht den Jungen aus dem Filmdrama von Regisseur Fredi M. Murer? Es ist der andere berühmte und weitherum gehasste Vitus aus dem Bündnerland, den ich meine, ein Religionsfrömmler, der am 19. August 2017 mit mir zusammen über oben genannten sechshundertjährigen Kronzeugen, Einsiedler, Asket und Mystiker vor Publikum sinnierte. Es wurden auch vorsintflutliche Filmaufnahmen aus dem Leben und Wirken von ihm gezeigt. Ich bin eben auch ein Historiker ersten Ranges und Geschichtsfanatiker in einem. Haben Sie es gecheckt oder wussten Sie es bereits vorher?

Ich weiss fast alles, was in unseren Stuben und auch ausserhalb passiert ist, passiert und passieren wird. Das ist mein Vorteil, denn mit diesem meinem hochkarätigen Wissen kann ich fast jeden Gegner in die Knie zwingen. Ich meine, ihn mundtot machen. Auch darin bin ich gut. Klar, dass ich wegen meiner Überlegenheit von den meisten hierzulande angefeindet werde. Aber das ist mir Schnurz oder Wurscht, wie Sie wollen. Ich weiss, dass ich einer der Grössten bin, der je die Schweiz regiert hat. Es ist schon klar, dass ich nicht direkt regiere, ähm, nicht mehr direkt, sondern indirekt, manchmal versteckt, oft auch hinterhältig, dies vor allem dann, wenn den Lieben und Netten der Schweizer Politik eins ausgewischt werden muss. Ich gebe es zu, manchmal finde ich das, was die machen, besser als das, was ich vorschlage. Natürlich ist das ein Widerspruch zu meiner innersten Überzeugung, doch wer weiss, vielleicht, das hat mir mal ein mir sehr nahestehender Pfarrer gesagt, ist dieses Gefühl von Überzeugung falsch. Nun gut, aber, sage ich mir, man muss doch zu etwas, das man für richtig hält, stehen. Oder sehe ich das falsch? Wenn ich wie eben so richtig in mich gehe, fühle ich mich manchmal ziemlich unsicher. Kaum vorstellbar, was? In so einem Fall bitte ich meine Frau um Rat. Die weiss immer alles. Oft sogar besser als ich. Sie ist so was wie eine Heilige. Nicht gleich heilig wie Bruder Klaus von Obwalden, der von so einem Papst geheiligt wurde, obschon es ihm ja nach seinem Tod auch nichts mehr nützte. Fragt sich nur, weshalb man jemanden heilig spricht, wenn er nichts mehr davon hat. Da hat es meine Frau besser. Ich bezeichne sie persönlich als Heilige. Das heisst, dass sie von dieser meiner persönlichen Auszeichnung profitieren kann, zumindest solange sie noch lebt. Ich meine, dass ihr mein Portemonnaie von Nutzen ist. Das Geld ist schliesslich das Wichtigste im Leben eines anständig arbeitenden und klug denkenden Menschen. Um auf das Wort klug zurück zu kommen. Meine Vasallen, Sie wissen schon, an wen ich dabei denke, die sind ja alles andere als gescheit. Sie machen alles, was ich sage. Sie reden mir nach. Sie vertreten meine Sicht der Dinge, auch wenn sie falsch ist. Aber genau solche Leute braucht man, will man erfolgreich sein. Umgekehrt sieht es drüben in Amerika aus, dort ist ein Unkluger am Ruder und die Gescheiten seine Vasallen. So gesehen haben wir es hier in unserem Land gut, weil man hier weiss, dass das, was ich sage, klug ist.

Nicht wahr, Heidi? Bist du mit meinen Ausführungen einverstanden?

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