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Heidi

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Mehrheitlich einverstanden.

Ich bin eine angegraute Frau und heisse Heidi. Mein Name sagt alles: eine echte, gute Schweizerin. Noch nicht ganz so alt wie mein Mann, der sich langsam aber sicher zu einem Greis verwandelt. Also äusserlich gesehen. Ab und an auch im Geist, muss ich zugeben. Es gibt immer öfter Denklücken. Heidi ist im Gegensatz zu meinem Mann, dem Remo, wie er sich nennt, mein richtiger Name. Silvia passte aber dennoch besser zu mir. Ich bin alles in allem gesehen die graue Maus – lustiger Zufall, das mit angegraut und grauer Maus – unserer Familie und liefere für sie und irgendwie sogar für die ganze Nation das Beste aus meinen grauen Zellen. Mein erlernter Beruf ist Lehrerin, und Lehrer wissen so ziemlich alles, manchmal besser als Gelehrte, Experten und andere Intellektuelle. Der Rest der Familie braucht sich also nicht besonders um die Zukunft zu kümmern. Meinen Mann habe ich soweit gebracht, dass er steinreich wurde. Unsere Kinder haben deshalb ein zünftiges Sackgeld mit auf ihren Lebensweg erhalten. Manchmal fand er meine geldgierigen Ideen abwegig, hinterhältig, fragwürdig, korrupt, illegal, doch das war schlussendlich egal, denn meine grauen Zellen arbeiten präzise und erfassen und vermeiden alle Fallen, die es im Geschäftsleben und in der Politik gibt. Mit mir ist man somit immer auf der sicheren Seite.

Die Schweiz weiss gar nicht, was sie an meinem Remo hat. Der Remo ist vordergründig der grosse Denker der Nation. Allerdings oft vorgedacht durch mich. Aus diesem Grund ist es unverständlich, dass die Lieben und Netten der linken Politik nicht immer, sogar eher selten, mit seinen Ideen einverstanden sind. Ich bin überzeugt, dass es denen an genügend grauen Zellen fehlt, sonst würden sie mit auf den Zug steigen und mithelfen, unser Land sauber und rein zu blochen. Wir brauchen doch keine fremden Erntehelfer aus Polen und Putztiger aus Portugal, früher hat man für diese Arbeiten auch mal Kinder eingesetzt, das ging ja auch. Auch gescheite Professoren brauchen wir nicht, wozu auch fremdes Gedankengut bei uns einführen, gehts noch? Und zudem haben wir selber genügend schlaue Bauern, früher gar die Elite der Politik. Die wussten noch, wie man Politik betreibt. Es müssen Macher ran, die arbeiten können, die wissen, was es heisst zu schuften. Zwei solch bodenständiger Typen haben wir bereits an vorderster Front im Einsatz. Zu Ihrer Erinnerung: Guy und Ueli. Remo und ich geben ihnen regelmässig geistige Anstösse für ihre grauen Zellen. Also vor allem ich, denn der Remo ist mehr mein kluges und lautes Sprachrohr als der intellektuelle Teil unserer Gemeinschaft.

Wenn er auch manchmal etwas ausfallend wirkt, meint er es selbstverständlich nicht so. Er ist nicht so wie der Neue in Amerika. Im Gegenteil, dieser versucht meinen Remo auf unsachgemässe Art nachzuäffen. So erscheint es mir wenigstens. Wohlverstanden, nicht die Sachen mit den Frauen und dem Sex, da ist Remo sauber. Sollte mir allerdings unerwarteterweise etwas in dieser Beziehung Ungereimtes zu Ohren kommen, dann kann er sofort abdanken.

Es ist ziemlich heiss diesen Nachmittag, nicht wahr? Ich schwitze jedenfalls, weshalb ich mich jetzt zum Pool in unseren Garten begebe und an einem kühlen Drink schlürfen werde. Ich habe es verdient. Kommen Sie mit. In all den Jahren habe ich ziemlich viel denken und geradebiegen müssen, was die Lieben und Netten angerichtet hatten und immer noch tun.

Es gibt übrigens Leute, die mich nicht mögen. Dabei war ich früher in jungen Jahren eine hübsche Erscheinung und von vielen Männern begehrt. Wieso es gerade der Remo bei mir geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Ich habe oft darüber nachgedacht, versucht, mich zurückzuerinnern, wie es hat geschehen können. Also wissen Sie, er ist ja nicht gerade eine anziehende Person, besonders heute in seinem Alter nicht. Alles, was man bei einem Menschen als nicht schön bezeichnen kann, wird bei ihm jetzt immer ausgeprägter. Schauen Sie nur mal seine herunterhängende Unterlippe an. Ich will damit nicht sagen, dass er hässlich geworden ist, aber immerhin muss man schon lange hinschauen, um noch etwas Gefälliges zu entdecken. Auf die Schönheit kommt es aber eigentlich nicht an, das weiss ich wohl, die inneren Werte zählen. Und die hat er. Zudem hat er immerhin drei Töchter und einen Sohn gezeugt. Das ist nicht nichts in der heutigen modernen Zeit der Individualisten, wo nur noch wenige heiraten, aber dennoch zusammenleben und uneheliche Kinder aufziehen. Arme Würmchen, diese Kleinen. Das hätte es bei uns nicht gegeben. Früher war man halt seriöser als heute. Wenn man Kinder wollte, heiratete man und blieb zusammen um der Kinder willen, auch dann, wenn die Liebe für einmal ausgeflogen war. Dass das heute nicht mehr so ist, liegt daran, dass die Grenzen für fremde Menschen geöffnet wurden, dass das Internet erfunden worden ist, natürlich von den Amerikanern, was wiederum heisst, dass die von dort drüben ihren Ramsch zu uns exportieren. Remo und ich, wir wüssten schon, wie man dies unterbinden könnte, aber dann kommen wieder die Lieben und Netten der Politik mit das Volk täuschenden Gegenargumenten.

(Sie taucht in den Pool ein)

Haben Sie meinen Sprung gesehen? Nicht hier oben, nein, da ist alles zementiert, vorhin als ich in den Pool satzte? Ich bin also noch voll bei Kräften. Würde mir Remo nicht im Licht stehen, dann könnte ich mir vorstellen, das Ruder des Landes selbst zu übernehmen. Ich denke, dass ich das sogar besser könnte als mein Mann, der damals als Minister gescheitert ist. Und dies nur, weil er nicht immer genau auf mich gehört hat. Ich habe ihn immer vor Intrigen rund um die Evi aus den Bündner Bergen gewarnt. Also in dieser Beziehung ist er wirklich selber schuld.

Oh, das Telefon läutet.

«Roger, wann kommst du uns das nächste Mal besuchen? Ach so, du bist unschlüssig. Weisst du, Remo hats letztes Mal nicht so gemeint, als er mit dir in unserem wunderbaren Pool Vertrinkerlis gespielt hat. Wir wissen, dass du besser schwimmen kannst als er.»

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