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Roger

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Ich, der Roger, bin der Grösste. Nicht der mit dem Schläger, nein, der mit der besten Zeitung der Schweiz. Der berühmte Publizist. Der mit dem Schläger machts, altersbedingt, sicher nicht mehr lange. Ich hingegen schon, eigentlich habe ich eben erst angefangen.

Ich bin derart gefragt, dass mich sogar die deutschen Fernsehanstalten zu wichtigen politischen Gesprächen einladen. Das hat damit zu tun, dass ich so ziemlich alles weiss und auf alles eine passende Antwort finde. Auch dann, wenn ich in der fraglichen Sache nicht auf dem Laufenden bin. Ich bin eben ein gewandter Denker und eine Art Lexikon. Ich kann beispielsweise zusammen mit Remo bis nach Marignano zurückblicken. Bis 13. und 15. September 1515 wohlverstanden. Aber auch nach vorne in die ferne Zukunft. Ich sehe unser schönes, unabhängiges, einmaliges Land als das künftige Zentrum Europas. Politisch, meine ich, geografisch sind wir es eh. Meine Gegner, die lieben und netten Roten und Linken, denken nun, dass ich alles besser weiss, ohne sicher zu sein, dass das was ich sage und denke, auch wirklich besser ist. Das ist mir schnurzegal. Ich weiss, was ich weiss. Auch der selbst ernannte Aktionskünstler Ruch, der unlängst am Zürcher Neumarkttheater das saublöde Stück Die Schweiz entköppeln aufgeführt hat, kann mich mal.

Weiss ich dann tatsächlich mal nicht mehr weiter mit meiner Weisheit, frage ich Remo. Sie kennen ihn? Remo, der eigentlich anders heisst? Das ist der, der das politische Parkett blocht. Er kennt immer einen Ausweg. Mit immer meine ich immer. Manchmal frage ich mich wirklich, woher er diese Fähigkeiten nimmt. Wird ihm die Klugheit von oben eingetrichtert? Wenn man ihn nämlich so sprechen hört und sieht, könnte man manchmal schon denken, er sei ein wenig beläppert. Was er nicht in Worte kleiden kann, zeichnet er mit den Armen in die Luft. Oder er verzieht sein grosses Maul wie ein Pferd, dass man dabei Angst kriegt. Eigentlich mag ich ihn nicht wirklich, aber er ist für meine Arbeit und meine Zeitung und vor allem für meine politische Zukunft sehr nützlich. Es wird wohl nicht mehr lange dauern bis er zurücktritt. Was er eigentlich schon jetzt müsste, denn was er gegenwärtig tut und sagt, ist nicht mehr wirklich das Gelbe vom Ei. Man sagt, er sei der Wegweiser der hiesigen Politik, der Vordenker. Ich denke, dass er das mal war, heute bezweifle ich dies. Es ist ähnlich wie bei einst hervorragenden Sportgrössen, deren Leistungshorizont vorüber ist und dies nicht wahrhaben wollen, die also nicht zurücktreten, um Jüngeren Platz zu machen. Also wenn er dann einmal in der Politik nicht mehr mitmischt, werde ich an seine Stelle treten, was ich übrigens schon jetzt ab und zu tue.

Wenn ich mir vorstelle, dass man einen welschen Weinbauer zu einem Minister gemacht hat, dann frage ich mich schon manchmal, was die im Parlament denn taugen. Von Intellekt keine Spur. Gilt für beide Seiten. Also ich selber, wenn ich an seiner Stelle sässe, würde nicht von einem ins nächste Fettnäpfchen tappen. Ich spreche von dem mit dem Militär. Ich bin zu gescheit und weltgewandt, als dass mir dies passieren könnte. Die Parlamentarier wissen gar nicht, was sie an mir als Minister hätten. Das mag jetzt gerade ein bisschen nach Grossmaul tönen, ist aber, wenn man genug lang darüber nachdenkt, echt wahr.

Solange Remo noch am Ruder steht, werde ich mich hüten, ihn in der Öffentlichkeit schlecht zu machen, sonst verliere ich womöglich noch seine finanzielle Unterstützung für mein Blatt, das jede Woche ein Mal herauskommt. Kennen Sie es? Das Blatt, das kompromittiert, das Unzulänglichkeiten aufdeckt, das den Lieben und Netten der Politik die Leviten liest, das die Unfähigkeit der Regierung blossstellt? Denken Sie jetzt etwa an den Blick? Ich bitte Sie, so weit herablassen würde ich mich nie.

Letzte Woche beim gemeinsamen, gmögige Zmörgelen bei Remo haben wir im Führungsstab im Grundsatz beschlossen, aus Europa auszutreten. Also echt weg von hier. Wir könnten in Zukunft eventuell nach Amerika wechseln. Also wir, die Schweiz. Dort wird alles wieder besser und greater. Remo war nicht einverstanden. Auch Arabien kommt gegenwärtig nicht in Frage. Der Kriege wegen. Afrika hat nicht das nötige Niveau. Asien, irgendwo dort drüben, nun ja, das wäre auch denkbar. In der Nähe von Singapur vielleicht, ein ähnlich funktionierender Staat wie unser Land: Effizient, bankaffin, reinlich. Und die Temperaturen wären natürlich auch besser als bei uns hier in Europa. Man sagt zwar, es sei dort heiss, feuchtheiss sogar. Doch das spielt keine Rolle, dagegen hat man ja Klimaanlagen. Wir müssten uns auch nicht mehr gross um den Wintertourismus kümmern, keine Schneekanonen, welche die Ökos sowieso stören. Wir bauen dann einfach schneesichere Indoor-Skihallen. Ist doch heutzutage kein Problem. Würde zumindest denen dienen, die absolut und unbedingt skifahren wollen. Wir könnten unseren Gästen ein Ganzjahresprogramm anbieten. Gut, einverstanden, zu Zeiten des Monsuns gäbe es unter Umständen leichte Einschränkungen. Aber das würden wir schon schaukeln. Logisch, müsste man dann den gegenwärtigen Tourismusdirektor auswechseln.

Dies sind lediglich Gedankenspiele, wohlverstanden, freuen Sie sich ja nicht zu früh, dass schon etwas davon beschlossen worden wäre. Die Kompetenz dazu hätten wir, aber es scheint mir doch noch etwas zu früh, etwas derart Grundlegendes zu ändern. Das Volk ist zwar in der Mehrheit auf unserer Seite und würde bestimmt schon heute unseren ausgewogenen Vorschlägen für die Zukunft des Landes zustimmen. Das ist auf alle Fälle sehr wichtig zu wissen. Es gibt uns die Kraft und den Elan, an der Zukunft zu bauen. Sie wissen schon, die Zukunft ist schon morgen und übermorgen und so weiter. Es ist also höchste Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Den Remo werde ich über kurz oder lang, eher bald, ablösen. Es ist, wie schon erwähnt, schwierig geworden mit ihm, weil er in letzter Zeit an sich und seinen Ideen zu zweifeln begonnen hat. Man kann natürlich nicht sagen, er sei zu einem Weichling mutiert, aber immerhin gehts in diese Richtung. Und das geht natürlich nicht, bringt uns nicht weiter. Wir brauchen einen neuen Feger wie mich, unverbraucht, der den Boden wieder reinblocht wie in alten Zeiten. Die Wohnung muss blitzsauber sein, die fremden Fötzel, die von überall her durchs Fenster hereinfliegen, müssen raus.

Sobald ich dann ganz oben angekommen bin, werde ich meine Zeitung nicht mehr nur als Sprachrohr der Parteifamilie, sondern ganz offiziell als die Stimme der Nation implementieren. Ähnlich wie das andere renommierte Staaten – beispielsweise Russland, Türkei, China, Saudi Arabien usw. – mit ihren bevorzugten Blättern schon längst eingeführt haben.

Und was denken Sie von der Superidee, vorderhand an neuralgischen Stellen, sprich grenznahen Schlupflöchern, Mauern oder Drahtgitter zu errichten, so wie das der Neue von drüben im Südwesten seines Vaterlandes, dem er für vier wohl unverständliche Jahre vorsteht, vorhat? Klar gibt es unverständliche Jahre nicht, aber ich denke, Sie verstehen schon, was ich meine. Vier Jahre unverständlichen Handelns des Familienoberhaupts wäre wohl besser ausgedrückt. Soweit wird es mit mir nicht kommen, denn ich bin nie ein Versager gewesen wie der grosse Onkel von drüben. Haben Sie gewusst, dass er mit den meisten seiner Unternehmen in Konkurs gegangen ist? Und ich bin letztendlich ein Intellektueller. Ich weiss, wie es geht. Habe dies am Fernsehen im grossen Kanton schon mehrfach mit Bravour bewiesen. Mein gesprochenes Hochdeutsch ist sogar dem von ennet dem Rhein überlegen. Was bedeutet, dass ich überzeugend rede. Zugegeben, ich habe auch schon mal Nonsens rausgelassen, dann allerdings bewusst.

Wer meine Vita kennt, wird meiner Einstellung zustimmen und mir folgen, sobald es soweit ist. Zuerst werde ich zum Vordenker für das Volk und anschliessend Bundesrat. Und spinnen wir den Gedanken weiter, dann wird es nicht mehr lange dauern und wir ersetzen die schwerfällige direkte Demokratie mit einer präsidialen. Dies steht in einem von mir aufgesetzten Geheimdokument und ist entsprechend noch inoffiziell, darf also noch nicht an die Öffentlichkeit weitergeleitet werden. Die Schweizer, als Langsamdenker bekannt, müssen über Jahre hinweg behutsam auf eine deratig fundamentale Änderung vorbereitet werden.

Übrigens, ich mag den zuckersüss parlierenden Äschbi und seine Sendung nicht besonders gut.

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