Читать книгу Hassliebe - Urs Scheidegger - Страница 3

Das E-Mail

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«Grüss dich, ich schreibe dir deshalb, weil du mein bester Freund warst, auch wenn inzwischen Jahre verstrichen sind, ohne dass wir uns gesehen haben. Das mag dir im ersten Moment wohl komisch vorkommen, doch unsere gemeinsame Zeit in Berlin habe ich nie vergessen, ich möchte sogar so weit gehen zu sagen, dass es die schönste in meinem ganzen Leben war. Ich denke zum Beispiel an unsere wilden Ausritte mit dem Döschwo in den Spreewald, jedes Mal mit andern Girls. Oder die never ending Partys, mal bei mir, mal in deiner Wohnung. Glaube nun aber ja nicht, dass ich über mein gegenwärtiges Leben traurig bin, nein, das dann doch wieder nicht. Grundsätzlich geht es mir gut, ich darf nicht klagen. Aber damals in Berlin waren wir noch frei und unbeschwert und konnten tun und machen, was wir wollten. So, wie ich dich in Erinnerung habe, empfindest du diesen Auslandaufenthalt im Nachhinein wohl gleich wie ich.

Entschuldige, jetzt bin ich etwas vom Zweck dieses Mails abgewichen. Eigentlich wollte ich dir eine Frage stellen. Es ist nämlich nicht einfach, in dieser Sache jemanden um Hilfe oder um einen Vorschlag zu bitten. Jedenfalls würde ich mich nie getrauen, mich damit meiner Frau oder einem meiner Vereinskameraden anzuvertrauen. Geschweige denn meiner Family. Übrigens sind meine Eltern bereits vor etwa zwanzig Jahren bei einem fürchterlichen Unfall ums Leben gekommen. Sie waren nicht schuld. Ein ausländischer Wagen, haben Augenzeugen berichtet, habe sie nach dem Überholen auf der schmalen Strasse abgedrängt, sodass sie von der Strasse abkamen und ins Tobel hinunterstürzten. Es ereignete sich im Bündnerland. Der Ausländer fuhr einfach davon. Die Polizei konnte ihn nicht fassen. Meine Eltern verstarben noch am Unfallort. Als ich von dem Unfall erfuhr, dachte ich unerklärlicherweise sofort an die anstehende, bedrückende Beerdigung statt an ihr schreckliches Schicksal. Ich meine, dass ich hätte trauern sollen. Aber ich hasse Beerdigungen, nur in diesem Fall musste ich selbstverständlich dabei sein. Meine Frau hat mich überhaupt nicht dazu überreden müssen. Als ein Jahr vorher mein Götti gestorben ist, habe ich mich geweigert hinzugehen. Das rief natürlich ein kleineres Familiendrama hervor. Du kannst dir nicht vorstellen, wie mich meine Frau damals beschimpfte. Bei meinen Eltern wars für mich jedoch eine klare Familienpflicht. Die Familienangehörigen meines Vaters organisierten das tränenreiche Begräbnis mit Pfarrer und allem Drum und Dran. Noch selten habe ich so viele Trauergäste in einer Kirche gesehen. Die beiden wohnten beinahe ihr Leben lang im gleichen Dorf. Jedermann kannte sie. Meinen Vater, den Bäcker, meine Mutter, die Schneiderin. Du hast meine Eltern in Berlin kennengelernt, als sie mich damals besuchten. Weisst du noch? Meine Mutter trug ihre langen Haare zu einem Bürzi gebunden und mein Vater hatte, so habe ich ihn seit jeher in Erinnerung, immer eine Glatze. Mit ihnen hätte ich sowieso nie im Himmel über mein Problem reden können, hatten sie mich während meiner Adoloszenz doch nicht einmal aufgeklärt. Das habe ich ihnen nie vergessen, ich musste alles selber herausfinden und ausprobieren. Du weisst schon, was ich meine, nicht wahr? Und mit den Vereinskameraden ist das halt so eine Sache. Seit Jahren ist man zwar schon zusammen, betreibt gemeinsam Sport, duscht anschliessend zusammen und sitzt am Stammtisch und scherzt über Frauen und Sex und über das, was man früher, als man noch jünger war, an erotischen Abenteuern erlebt hat. Man tut so, als seien alle Freunde. Aber ich habe auch bemerkt, dass dem nämlich gar nicht ganz so ist. Freunden kann man nämlich alles anvertrauen, auch die intimsten Sachen. Aber von meinen Kameraden habe ich noch nie einen gehört, der über sein innerstes, persönlichstes Problem gesprochen hätte. Klar, über Berufliches und die Gesundheit wird oft berichtet und auch mal geblufft. Aber schon bei politischen Einstellungen wagt man sich nicht so recht, klar seine Meinung zu äussern. Dies wohl aus Furcht, dass man deswegen schräg angeschaut werden und sein Image Schaden nehmen könnte. Ich meine, dass man dann nicht mehr so geschätzt wird oder dass die andern einen hinter dem Rücken schlecht reden. Wer will das schon. Das ist also der Grund, weshalb ich mich an dich wende. Nun, was ich damit sagen will, ist Folgendes: Es gibt zwar Leute, denen man in seinem Leben nahe steht, jedoch baut man in vielen Dingen eine Sicherheitsbarriere, eine Distanz auf, weil man sich nie ganz entblössen will. Wenn du verstehst, was ich meine. Wie dem auch sei, bei meiner Frage an dich handelt es sich ums Bett, aber nicht um das, was du dir vielleicht spontan vorstellst. Du erinnerst dich doch noch an die beiden Girls, die wir gegen Ende meines Aufenthalts in Berlin am Alexanderplatz aufgerissen haben. Was du nicht weisst, ist, dass mein Mädchen von damals später meine Frau wurde. Als ich wieder in der Schweiz zurück war, blieben wir in regem Kontakt miteinander und besuchten uns ab und an gegenseitig. Mit den Low-Cost-Carriers kamen uns diese Besuche nicht einmal teuer zu stehen. Eines Tages fragte sie mich, ob sie nicht zu mir ziehen könnte. Für eine Weile. Auf Probe, wie sie sagte. Daraus wurde später ein Ernstfall. Ich war natürlich der glücklichste Mensch, weil sie von sich aus auf diese Idee gekommen war. Selbstverständlich sagte ich zu und nach rund einem Jahr haben wir dann geheiratet. Sie ist eine von jenen Deutschen, die sich in der Schweiz perfekt integriert haben. Aber obschon sie Schweizerdeutsch spricht, hört man das Hochdeutsche heraus. Sie ist in fast allem, was sie sagt, sehr direkt und kommt ohne Umschweife zur Sache. Sie ist auch heute noch eine schöne, selbstbewusste Frau, die weiss, was sie will. Ich war einst echt stolz, sie an meiner Seite zu wissen. Nur schon beim gemeinsamen Shopping bemerkte ich immer wieder Männer wie Frauen, die einen schnellen, verstohlenen Blick auf sie warfen. Was mit deinem Mädchen passierte, weiss ich halt nicht, glaube aber kaum, dass es für dich mehr als ein One-Night-Stand war. Du, der Ladykiller, hattest ja damals dauernd eine andere und konntest jederzeit auswählen. Ein Glückspilz, der du warst. Deswegen habe ich dich im Geheimen immer bei leichter Eifersucht bewundert. Wie lange bist du noch in Berlin geblieben? Auf die angekündigte Weltreise habe ich übrigens zugunsten meiner Bankenkarriere verzichtet.

Es dauerte nicht lange und schon war ein Kind auf dem Weg ins Dieseits. Ein Mädchen. Übrigens auch ein Grund, weshalb wir geheiratet haben. Alles war wunderbar. Wir schwebten geradezu auf Wolke sieben. Auch beruflich hatte ich ziemlich Erfolg, nicht, dass ich CEO oder CFO geworden wäre, aber immerhin landete ich durch viel Fleiss im unteren Kader der Bank, in der ich ursprünglich meine Lehre absolviert hatte, und verdiente auch recht gut. Als unser Kind aus dem Gröbsten heraus war, arbeitete meine Frau vorerst Teilzeit, und dies bald einmal mit noch mehr Erfolg als ich, wurde sie doch Direktionsassistentin in einer international tätigen Grosshandelsgesellschaft mit Sitz in Zug. Kam dazu, dass sie begann, den Tagesablauf zuhause peinlich genau zu planen. Dafür führte sie eine spezielle Agenda. Alles hatte seinen Platz und seine Zeit. Zufälligkeiten akzeptierte sie nicht. Nebenbei bemerkt und zur Erinnerung, meine Frau heisst Sabine und dein Mädchen war die Marlene. Ihr Name ist mir im Kopf geblieben, weil er mich an die berühmte deutsche Sängerin und Schauspielerin erinnerte. Wie hiess sie noch mit Familienname? Knef, hiess sie, richtig.

Mit der Zeit war Sabine derart angespannt, dass sie, wenn sie nach Hause kam, sich nur noch hinlegte und vor dem Fernseher einschlief. Zum Nachtessen, das die meiste Zeit natürlich ich zubereitete, musste ich sie aufwecken. Und am nächsten Tag fing das Gleiche von vorne an. Ich hatte kaum mehr die Gelegenheit, mich mit ihr ins warme Bett zu legen und zu kuscheln. Es kam dann noch schlimmer, denn sie schlug vor, in getrennten Zimmern zu schlafen. Ich war schockiert. Sie monierte, dass ich schnarchen würde und dass sie dadurch jeweils nur schlecht schlafen könne. Sie würde aber einen gesunden Schlaf brauchen, um bei der Arbeit voll dabei zu sein. So kam es, dass wir in separate Zimmer zogen. Klar, dass wir abgemacht haben, dass wir trotzdem, vor allem an den Wochenenden, zusammen schlafen würden. Das ging anfangs auch recht gut, doch mit der Zeit verlief dieser noble Grundsatz im Sand. Seither schlafe ich immer alleine. Hätte ich mich deswegen von ihr trennen sollen? Ich weiss es nicht. Ich mag sie gut und schätze auch ihren Erfolg. Sie arbeitete bald einmal Vollzeit und ich wegen des Töchterchens Teilzeit. Und sie verdiente einiges mehr als ich. Für mich eine verkehrte Welt. Unser Kind besuchte inzwischen den Kindergarten und anschliessend den Hort. Am Nachmittag um vier Uhr holte ich sie dann ab und brachte sie nach Hause. Bevor meine Frau von der Arbeit zurückkam, kümmerte ich mich, wie gesagt, auch noch um das Nachtessen. Ein zweites Kind, das ich mir eigentlich wünschte, lag nicht mehr drin. Finanziell hätten wir es uns durchaus leisten können. Aber die Liebe der ersten Jahre war verflogen und meine Frau hatte und hat auch heute noch nur ihren Job im Kopf. Natürlich ist mein Leben unterdessen einfacher geworden, seit die Tochter im Gymi ist. Ich bin dennoch ein wenig unglücklich, wenn ich mir das richtig überlege. Seit langem gehen mir die übelsten Dinge durch den Kopf. Ich dachte zum Beispiel daran, mich in einem Etablissement zu befriedigen oder eine Freundin zu suchen. Nur liegt mir weder das eine noch das andere. Was ich immer vermeiden wollte, ist, dass unser Kind unter diesen Bedingungen leiden musste. Also schluckte ich den Tiefschlag. Und so lege ich mich seither Nacht für Nacht alleine ins Bett und träume manchmal, ich wäre gerade mit meiner Frau zusammen und wir würden wie früher Liebe machen. Im Traum bedrängt mich auch immer wieder ein Sukkubus oder dann schlafe ich mit früheren Freundinnen aus der Jugendzeit, vor allem mit solchen, mit denen ich niemals etwas gehabt habe, und einmal sogar mit meiner Chefin. Stell dir das mal vor! Das ist doch pervers. Mein Problem ist seit einiger Zeit, dass ich des Nachts öfters, ja fast jede Nacht, mit einer schamparen Erektion aufwache und kaum mehr wieder Schlaf finde oder eben zu träumen beginne. Am nächsten Morgen fühle ich mich dann total gestresst. Was tut man in so einem Fall. Das habe ich bisher so nicht gekannt. Ist das ein normaler Zustand in unserem Alter? Wenn ich mich recht erinnere, haben du und ich den gleichen Jahrgang? Kannst du dir vorstellen, wie das ist, oder hast du unter Umständen eine ähnliche Erfahrung gemacht. Soll ich es selber tun? Ich muss mich doch irgendwie abreagieren. Aber, sage ich mir, das geht doch nicht, ich kann doch nicht jedesmal Hand anlegen, das ist doch sicher ungesund und vor allem nicht natürlich. Nebenbei bemerkt, Sabine hat mal vor Jahren in diesem Zusammenhang an einer Hausparty im Scherz von Handwäsche geredet. Wir haben uns damals alle köstlich amüsiert über diese Analogie. Oder soll ich abwarten, bis es vorüber geht? Dann schlafe ich aber wieder nicht richtig. Es ist zum Verzweifeln.

Vielleicht könnten wir beide uns mal treffen und darüber reden. Was meinst du? Es wäre eh schön, dich nach all den Jahren wieder einmal zu sehen. Wir hätten einander bestimmt viel zu erzählen und könnten in Erinnerungen schwelgen.

Was übrigens dieses Mail angeht, vernichte es bitte sofort, nachdem du es gelesen hast, denn ich möchte auf keinen Fall, dass es in falsche Hände gerät. Wie gesagt, mit meiner Frau kann ich nicht darüber reden. Es wäre mir zu peinlich. Womöglich würde sie mich belächeln und nebenbei sagen: «Ach ihr Männer mit euren Problemen.» Sie jedenfalls scheint in dieser Beziehung kein Problem zu haben, weil sie es vielleicht nicht braucht, weil sie vom Geschäftlichen zu sehr absorbiert wird, was ich mir einfach nicht vorstellen kann, oder, könntest du dir eventuell denken, dass sie mit einem andern Mann schläft? Ich weiss nicht, wie Frauen in dieser Beziehung sind. Die brauchen doch auch Sex. Oder etwa nicht? Möglich wäre es schon, denn seit einem Jahr kommt sie ziemlich unregelmässig nach Hause und hat dann immer eine plausible Erklärung parat. Und das, ohne dass ich sie von mir aus danach fragen würde. Das ist verdächtig. Wenn sie tatsächlich einen andern haben sollte, hätte ich eine weitere harte Nuss zu knacken. Es ist zum Verrücktwerden. Ich wage mich nicht, sie daraufhin anzusprechen. Sie würde dann bestimmt die Beleidigte spielen und von verlorenem Vertrauen oder so reden. Im Blick habe ich gelesen, er lag zufälligerweise bei meinem Coiffeur auf, sonst lese ich ihn natürlich nicht, dass immer mehr Männer unter dem beruflichen Erfolg ihrer Ehefrauen leiden würden. So einer bin ich nun.

Siehst du jetzt, dass ich dieses Problem niemand andern anvertrauen kann als dir. Ich meine vor allem mein Problem während der Nacht.

Manchmal habe ich fast ein wenig das Gefühl, dass manche Männer aus diesen Gründen das Ufer wechseln und sich bisexuell verhalten. He, denke jetzt aber ja nicht, dass ich mich selber in dieser Falle befinde. Meine Güte, nein und nochmals nein!

Bitte, sei so lieb und antworte mir bald. Danke und freundschaftlicher Gruss.

PS

Entschuldige meine linkische Sprache. Ich habe es halt eher mit den Zahlen im Gegensatz zu dir, der schwierige Briefe mit Leichtigkeit aufs Papier brachte und, ich weiss es noch genau, als hoch geschätztes Sprachgenie auch öfters wichtige Korrespondenz unseres Chefs durchlesen durfte.»

Hassliebe

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