Читать книгу Lockenkopf 1 - Ursula Essling - Страница 5

Оглавление

Die Männer arbeiten alle „Hinten“

Wir sind umgezogen. Mit einem Lastwagen. Das Bett, die Pritsche und der Stuhl waren drauf. Außerdem unser Kartoffelvorrat, der aber erfroren ist. Und alle unsere Tiere. Kaninchen, Gänse, Enten und Hühner. Wir waren auch in dem Lastwagen.

Es war November und schon sehr kalt. Die neue Wohnung war auch sehr kalt. Ein paar Fensterscheiben sind kaputt. Das käme noch vom Krieg, sagten die Nachbarn. Wir haben Zeitungspapier dazwischen gestopft, damit der Wind nicht durch kann. In der Küche ist ein alter Eisenherd, da drin macht meine Mutter morgens immer Feuer, bevor wir aus dem Bett kommen und uns waschen.

Zu der Wohnung gehört noch eine Mansarde, aber die muss erst noch hergerichtet werden. Wir wohnen Parterre und haben nur zwei Treppen zum Keller. Papa ist glücklich, dass wir einen Keller haben. Die Kellerfenster gehen zum Hof. Über den Fenstern sind Pfeile gemalt. Im Hof ist unser Klo. Neben dem Hühnerstall. Auch die anderen Leute haben ihre Klos und ihre Ställe dort. Aber sie haben nur Hühner.

Unsere Hühner haben's gut, bis sie geschlachtet werden. Mein Vater hat ihnen nämlich noch einen Zwinger gebaut, damit sie in Sicherheit Würmer fressen können.

Vor dem gepflasterten Hof ist Rasen, da bleichen die Frauen ihre Bettwäsche und hängen sie auch zum Trocknen auf.

Wir haben die Nummer A, aber zum Haus gehört noch ein weiterer Eingang, und der hat die Nummer B. Zwischen den beiden Hauseingängen liegt die Waschküche. Da ist ein riesiger Kessel drin, unter dem man Feuer machen kann.

Außerdem haben wir noch drei Nachbarn. Die dazugehörigen Männer arbeiten alle „Hinten“, bei meinem Vater. „Hinten“, das ist die Kunstlederfabrik, in der alles Mögliche hergestellt wird.

Jetzt ist mein Vater wirklich viel früher daheim, weil er es zur Arbeit nicht so weit hat. Das hat auch seine Vorteile. Denn wenn er abends nicht mehr aus dem Haus zu gehen braucht, darf ich ihn kämmen. Mir gelingt es nie, solche Locken zu drehen, wie er selbst, aber er sieht trotzdem immer sehr abenteuerlich aus. Dabei sitzt er auf dem Fußschemel und liest aus der Zeitung vor. Ganz besonders gern liest er von Verbrechen. Dann empören sich die Erwachsenen immer so. Papa bringt nämlich öfter mal einen Kollegen mit heim. Dann trinken die Männer Bier und Mama hofft im Stillen, dass der fremde Mann heimgeht, bevor wir zu Abend essen. Aber die Leute fühlen sich bei uns immer wohl.

Ein Kollege von Papa, der Herr Zwilling heißt, obwohl er gar keiner ist, kommt besonders oft. Er redet nicht viel, hört nur zu, wenn Papa aus der Zeitung vorliest, und sieht meine Mutter an.

Wenn schlimme Sachen passieren, sagen die Erwachsenen meistens: „Das hat es unter Hitler nicht gegeben!“ Ich frage mich oft, wer dieser Hitler war, aber wenn ich frage, dann bekomme ich zu hören: „Das verstehst Du noch nicht.“ Wenn wir in die Stadt gehen, (mit dem Bus ist es zu teuer und außerdem ist Laufen gesund), kommen wir an der Vorderfront eines kleinen Tempels vorbei. Die Hinterfront gibt es nicht mehr. Meine Mutter erklärte mir, dass dies einmal das Stadttheater gewesen sei. Sie muss es ja wissen; denn meine Eltern haben in dieser Stadt gewohnt, bis sie ausgebombt sind.

Langsam glaube ich, dass dieser Hitler der Herrscher der Stadt war und in diesem Tempel vor sein Volk getreten ist.

Bei uns gibt es auch viele Kasernen mit amerikanischen Soldaten drin. Die haben so olivfarbene Hosen und Jacken an und sehen alle gleich aus. Im Radio reden sie immer davon, dass die Amis unsere Befreier seien. Meine Mutter nickt dann mit dem Kopf und sagt: „Sie haben uns befreit, von der Butter und vom Fleisch.“ Ich finde das auch nicht so gut, denn ich wollte nicht von Fleisch und Butter befreit werden.

Lockenkopf 1

Подняться наверх