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Immer wieder, in vielen Nächten, träumte ich den gleichen Traum. Ich nannte ihn den »Pferdetraum«. Er begleitete mich schon mein ganzes Leben lang. Vielleicht hatte ich ihn sogar als Säugling schon geträumt oder im Bauch meiner Mutter, auch wenn ich mich daran natürlich nicht erinnern konnte. Manchmal blieb er mehrere Monate aus, dann wieder kam er in Serien, Nacht für Nacht.

Ich kann nicht sagen, dass es Albträume waren, obwohl sie seltsam und beängstigend auf mich wirkten. Seltsam, dieses Wort fiel mir stets ein, schon sehr früh, als ich noch klein war, wenn ich über diesen Traum nachdachte oder davon erzählte. Bald hieß er in der ganzen Familie nur »Fannys seltsamer Pferdetraum«.

Die Träume begannen stets damit, dass ich einen steil abfallenden Pfad zwischen windzerzausten Büschen hinunterritt, der voller Sand und Geröll war. Ich saß auf einem isahellfarHenen Pferd. Und obwohl ich in Wirklichkeit nie ein Pferd besessen hatte und noch nie geritten war, spürte ich die Bewegungen der blassgoldenen Stute deutlich unter mir und wusste, wir gehörten zusammen, sie und ich.

Um uns her herrschte Dämmerung, früher Morgen oder früher Abend, ein graues, bleiches Licht. Der Wind wirbelte mein langes rotes Haar hoch und ließ die Mähne der Stute flattern, sodass die Strähnen meine bloßen Arme berührten.

Ich roch das Meer und spürte die Feuchtigkeit der Gischt, die der Wind uns zutrug, auf meinen Lippen; ja, ich schmeckte das Salz, obwohl es doch nur ein Traum war.

Die ganze Zeit über wusste ich, dass etwas Schlimmes geschehen würde und dass ich versuchen musste, es zu verhindern.

Der Ablauf war immer gleich. Wir galoppierten den Hohlweg hinunter, der sich plötzlich zu einer zerklüfteten Bucht öffnete, in der das Meer brandete und gurgelte und zischte. Hoch über uns, auf einem Felsen, der wie ein Turm aus den Wellen ragte, waren die Überreste einer verfallenen Burg.

Das Wasser war dunkel in der Dämmerung, fast schwarz. Kälte stieg von ihm auf. Ich zügelte mein Pferd, schwang mich zu Boden, geschmeidig und schwerelos, ließ die Stute am Strand zurück und begann, über die rauen Felsbrocken zu klettern, hin zu der Stelle, wo eine Treppe begann, die in den Fels gehauen war – dreihundertzwanzig Stufen bis hinauf zum alten Festungstor. Ich kannte die Zahl.

Gegen den stürmischen Wind kämpfte ich mich nach oben, Stufe um Stufe.

Die Treppe war sehr steil und schlüpfrig von der Gischt, grob behauen und an einer Seite durch ein Seil gesichert. Dazwischen sah ich die Brecher gegen die Klippen schlagen, tiefer und immer tiefer, je höher ich kam.

Die Angst trieb mich vorwärts, bis ich kaum noch Luft bekam, bis meine Knie zitterten und meine Brust bei jedem Atemzug schmerzte. Ich musste hinauf zu den Mauerresten, die sich hoch über dem Meer auf der Felsspitze wie die Zahnstümpfe eines Riesen türmten.

Es war lange her, seit Menschen dort oben gelebt hatten. Jetzt hausten nur noch Seevögel zwischen den bröckelnden Steinen, doch ich wusste, sie war dort oben. Ich musste sie erreichen, ehe es zu spät war …

Und immer endete der Traum auf der letzten Stufe, noch ehe ich den verfallenen Torbogen erreichte. Ich erwachte mit dieser Angst, dieser verzweifelten Gewissheit, dass etwas Furchtbares passieren würde, wenn ich nicht rechtzeitig kam.

Doch wer die Person war, die ich suchte, und wovor ich sie bewahren wollte, blieb mir verborgen. Und weil ich stets an der gleichen Stelle erwachte, glaubte ich auch, dass ich das Ende der Geschichte nie erfahren würde.

Die Frau am Meer

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