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Die Reise war alles andere als romantisch. Während des Fluges nach Heathrow gab es Turbulenzen. Das Flugzeug vollführte wahre Bocksprünge, die mein Magen übel nahm. Ich sah nicht in den Spiegel, aber ich hätte schwören können, dass ich grün im Gesicht war, als wir endlich landeten.

Im Labyrinth des Flughafens verirrte ich mich. Die Zeit drängte, denn ich musste meinen Anschlussflug nach Exeter erreichen. Wie ein aufgescheuchtes Huhn hetzte ich durch Hallen und Gänge und über Rolltreppen auf der Suche nach dem richtigen Abfertigungsschalter.

Knapp fünf Minuten vor Abflug landete ich keuchend am Schalter und wurde als letzter Passagier in einsamer Größe im Kleinbus übers Rollfeld zum Flugzeug gebracht, das mir verdächtig klein und klapprig vorkam.

Die erneute Schaukelei war zu viel für meinen armen Magen. Ich spuckte auch die letzten Reste meines Bordfrühstücks in die dafür vorgesehenen Tüten und wünschte, ich könnte sterben oder wenigstens sofort aussteigen. Die halbe Flugstunde kam mir wie eine Ewigkeit vor.

Der Pilot verkündete munter durch den Lautsprecher, die Wetterbedingungen seien »etwas windig«. Nach der Art zu urteilen, wie der kleine Flieger wackelte und hopste, schienen wir einen mittleren Orkan zu durchqueren.

Mit weichen Knien wankte ich die Treppe hinunter zum Rollfeld. Ich war jetzt fest davon überzeugt, dass dieser Tag bereits gelaufen war, dass weiterhin alles schief gehen würde, was nur schief gehen konnte. Dass niemand in der Halle stehen und mich erwarten würde und dass mein Rucksack unter allen Gepäckstücken als Einziger nicht mit mir zusammen angekommen war, sondern irgendwo am anderen Ende der Welt auftauchen würde.

In dieser Stimmung ärgerte es mich fast, dass ich nicht Recht behielt. Mein Rucksack tauchte gleich zu Anfang zwischen den Gummilappen auf und hinter der Sperre stand Onkel Harald, groß und dünn in seinem klassischen Trenchcoat, die kinnlangen Haare vom Wind zerzaust.

Er umarmte mich fest, hielt mich dann von sich ab, sah mich an und sagte:

»Verträgst du das Fliegen nicht? Du siehst aus wie Gefrierspinat.«

»Vielen Dank«, erwiderte ich ziemlich verbissen. »Ich würde es nicht gerade fliegen nennen. Lieber fahre ich zwei Stunden am Stück mit der Achterbahn.«

»Ach, es hat wohl Turbulenzen gegeben?« Onkel Harald lachte und fügte hinzu: »Magst du irgendwo einen Whisky trinken, ehe wir losfahren?«

Ich schüttelte mich nur und war froh, als er mir meinen Rucksack abnahm.

»Meinst du denn, du verträgst jetzt überhaupt noch eine längere Fahrt?«, fragte er und sah mich besorgt von der Seite an, während wir in seinen Wagen stiegen. Vermutlich hatte er Angst um die teuren Ledersitze.

»So lange dein Auto nicht abhebt und Loopings macht, müsste es gehen«, sagte ich.

Er steckte den Zündschlüssel ins Schloss, startete aber noch nicht, sondern musterte mich wieder und bemerkte dann: »Es ist schon seltsam mit dieser Ähnlichkeit. Ich dachte, es verliert sich mit der Zeit, wenn du erwachsen wirst, aber ich würde eher sagen, es hat sich noch verstärkt. Verrückt, was die Gene oft für Sprünge machen, wie? Sie scheinen in den Familien kreuz und quer herumzuhüpfen wie Kugelblitze.«

Obwohl mir nach wie vor ziemlich elend war, musste ich lachen. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und mir war wirklich verblüffend. Ich glich Onkel Harald weit mehr als meinem Vater oder meiner Mutter. Wir hatten die gleichen grauen, weit auseinander stehenden Augen und seine Nase zeigte wie die meine mit einem kleinen Kick nach oben. Nur seine Haare, die früher so rot gewesen waren wie meine, hatten inzwischen einen gelblich grauen Farbton wie ein alter Fuchspelz.

Während ich ihn ansah, entdeckte ich plötzlich, dass sich seine Augen auf die gleiche Weise verengten wie meine, wenn er lächelte.

»Verrückt, echt!«, sagte ich. »Jeder würde dich für meinen Vater halten.«

»Aber da gab’s keinen Seitensprung mit deiner Mutter, Ehrenwort!«

Ich lachte wieder, diesmal, weil er es von mir zu erwarten schien. »Und deine Kids? Sehen die dir ähnlich?«

»Überhaupt nicht. Rian kommt nach Helen und Sally nach ihrem Großvater mütterlicherseits. Schwarzes Haar und dunkle Augen – da schlägt das keltische Erbe voll durch.«

Ich hatte meinen Onkel und seine Familie vor sieben oder acht Jahren zum letzten Mal gesehen. Damals war Rian gerade erst ein paar Monate alt gewesen, ein dünnes, zartes, ewig quengelndes Baby. An Sally erinnerte ich mich kaum noch. Sie hatte sich immer schüchtern im Hintergrund gehalten. Das Einzige, was mir im Gedächtnis geblieben war, waren ihre großen, scheu wirkenden Augen.

Von Exeter sah ich nicht viel. Ich lehnte mich in den bequemen Sitz zurück und hielt die Augen meist geschlossen.

Bis Onkel Harald sagte, es wäre besser für mich, wenn ich sie aufmachte. »So wirst du die Übelkeit nicht los«, meinte er.

Da hatten wir die Stadt schon hinter uns gelassen und fuhren übers offene Land, hinein ins Dartmoor, das ich mir immer als öde, düstere Gegend vorgestellt hatte, mit Nebelschwaden und Sumpflöchern, in denen ausgebrochene Sträflinge herumirrten und versanken, untermalt vom schaurigen Geheul des Hundes von Baskerville.

Doch es war ganz anders. Die Moor- und Heidelandschaft war von melancholischem Liebreiz, mit kleinen Bächen und Tümpeln zwischen Felsbrocken und Schafen, die friedlich im Heidekraut weideten. In der Ferne ragten Hügel auf, die wie Zuckerhüte geformt waren. Und mitten in der Heide erhoben sich bizarre Türme aus Granit, Tors genannt, wie Onkel Harald mir erklärte.

Der Wind trieb pastellfarbene Wolken über den Himmel, sodass das Licht ständig zwischen gleißender Helligkeit und jagenden Schatten wechselte. »Hier gibt es wild lebende Pferde, wusstest du das?«, sagte mein Onkel. »Aber warte, bis du das Meer siehst. Die Küste von Cornwall ist atemberaubend, wenn man sie zum ersten Mal sieht. Schade, dass man sich an alles so rasch gewöhnt, selbst an die Schönheit.«

Er steuerte den Wagen an einem Bus vorbei, der mitten auf der Fahrbahn stand. Ein Trupp kahlköpfiger Männer in Shorts und mehrere alte Damen mit bläulichem Silberhaar fotografierten die fernen Zuckerhüte.

»Nicht allzu weit von hier ist auch ein See, Dozmare Pool. In den soll Bedivere das Schwert Excalibur geworfen haben. Früher hielt man Dozmare Pool für unergründlich tief.«

»Excalibur? Ist das nicht dieses Zauberschwert? Das hat doch etwas mit König Arthus zu tun, oder?«

Onkel Harald nickte. »Excalibur war König Arthus’ magisches Schwert.«

»Hat es König Arthus eigentlich wirklich gegeben?«, fragte ich.

»Darüber streiten sich die Wissenschaftler. Der Überlieferung nach war Arthus ein keltischer Stammesfürst, dem es gelang, mit einem Heer von etwa zehntausend Männern die Invasion der Angelsachsen aufzuhalten. Es heißt, er wurde christlich erzogen, soll aber auch von Merlin, dem Zauberer, in die ›Anderwelt‹ der Kelten eingewiesen worden sein.«

»Das klingt aber, als hätte er tatsächlich gelebt«, sagte ich.

»Vermutlich schon. Er war wohl ein großer Heerführer, dem im Laufe der Geschichtsüberlieferung immer mehr Wunderdinge angedichtet wurden. So sind ja viele Sagen entstanden.«

Er begann, von Merlin, dem Zauberer, zu erzählen und von Arianrhod, der Herrin des Turms zum Jenseits. Seine Stimme war angenehm gleichmäßig und einschläfernd, der große Wagen fuhr schnurrend dahin. Ich begann, mich zu entspannen, und schloss die Augen wieder. Mein Magen beruhigte sich. Ich döste ein und erwachte davon, dass jemand meine Schulter berührte.

»Wir sind da, Fanny«, sagte Onkel Harald.

Die Frau am Meer

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