Читать книгу Sturm über Ravensmoor - Ursula Isbel-Dotzler - Страница 6

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Wir saßen im Wohnzimmer und hielten Kriegsrat, wie mein Vater das genannt hätte. Für Niko war es »das große Palaver«. Er, Mama, Kim, Niels und ich saßen um den Tisch herum. Die Lampe brannte, ich hatte Tee gekocht. Eine Schale voller Softies, süße Rosinenbrötchen, die Granny gebacken hatte, stand in der Mitte. Alles wirkte sehr gemütlich, aber das war es nicht. Es war überhaupt nicht gemütlich.

Kim weinte. Das allein verriet mir, wie ernst die Lage war. Sie hätte nie vor anderen geweint, höchstens vielleicht vor mir, wenn sie nicht wirklich verzweifelt gewesen wäre.

Nikos Gesicht zeigte sein Unbehagen. Niels saß abwartend da, für ihn sind Tränen etwas ganz Natürliches. Er findet, dass die Menschen zu wenig weinen. Mama sagte: »Vielleicht überlegen sie es sich noch. Sie wissen doch, wie sehr du an Flora hängst – spätestens seit Oktober, als du sie vor Duncan in Sicherheit gebracht hast.«

Kim schniefte. Ich stand auf und brachte ihr ein Taschentuch. Sie schnaubte heftig hinein und murmelte undeutlich: »Nein, es ist beschlossene Sache. Mein Vater sagt, wir können uns keine zwei Pferde mehr leisten. Sein eigenes Pferd, Hurakan, will er natürlich behalten. Ein Herzog von Ravensmoor ohne Pferd, das sei undenkbar. Er will doch an den Fuchsjagden teilnehmen. Das ist zwar verboten, weil es Tierquälerei ist, aber kaum einer hält sich an das neue Gesetz. Er meint, die Jagd gehört zum Leben eines Mannes von seinem Stand. Also muss Flora verschwinden.«

»Aber viel mehr als ein paar tausend Pfund wird er doch für eure Stute nicht mehr kriegen«, wandte ich ein.

»Flora stammt aus einer berühmten Zucht, sie war mal sehr teuer. Aber ihre Fesselgelenke sind schwach. Duncan hat sie ja viel zu hart geritten.«

Kim starrte trostlos vor sich hin. Die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht und sie wischte sie nicht weg. »Es geht vor allem um die Kosten fürs Futter und den Tierarzt. Das ist ihnen zu viel. Jeder Penny ist ihnen zu viel für meine liebe, sanfte Flora … « Sie stockte und presste das Taschentuch vor den Mund, um ein Schluchzen zu ersticken. Mama streichelte ihre Schulter. Eine Weile saßen wir stumm da.

Niels sagte: »Es gibt für alles eine Lösung.«

»Sicher.« Das kam von Mama. »Meinst du, es würde helfen, wenn wir dir monatlich einen Zuschuss für Floras Futter geben würden?«

Kim schüttelte heftig den Kopf. »Das würde mein Vater nie annehmen! Dazu ist er zu stolz. Er würde mir sowieso den Kopf abreißen, wenn er wüsste, dass ich hier sitze und von unseren Schulden erzähle. Natürlich schämen sie sich dafür, dass wir kein Geld haben. Das passt nicht zu ihrem verdammten Adelsstolz … Sie sagen, es ist wegen Duncan. Jetzt flickt ein Schönheitschirurg sein Gesicht zusammen. Das ist unheimlich teuer. Duncan, immer nur Duncan! Um mich kümmert sich doch keiner!«

Ich dachte, dass es Duncan recht geschehen wäre, wie ein Zombie durch die Gegend laufen zu müssen. Schließlich hatten er und sein Freund den Unfall selbst verschuldet, weil sie viel zu schnell über die kurvige Küstenstraße gebrettert waren. Jetzt sollten auch noch Kim und Flora für seinen Leichtsinn bezahlen. Das war ungerecht.

Wieder herrschte ratloses Schweigen. Dann hob Kim das Gesicht aus dem Taschentuch und sagte leidenschaftlich: »Wenn ich doch bloß ein paar Jahre älter wäre! Ich könnte die Schule hinschmeißen und irgendwo arbeiten, kellnern zum Beispiel oder Touris über den Küstenpfad führen. Irgendwas, um Kohle zu verdienen. Aber das lassen sie mich nicht. So was ist nicht standesgemäß, sagt mein Vater. Wenn ich achtzehn wäre, würde ich mich einen Scheiß darum kümmern, was sie standesgemäß finden und was nicht … «

»Du darfst die Schule nicht hinschmeißen!« Hinter Mamas Stirn arbeitete es. Ich glaubte förmlich zu sehen, wie ihr die Gedanken durch den Kopf wuselten. Bisher hatte sie für alles immer eine Lösung gefunden, dafür war sie in unserer Familie zuständig.

Ich hoffte, dass sie auch diesmal einen Geistesblitz haben würde. Nur war das nicht so einfach. Die Ravensmoors wollten sich bestimmt nicht von Leuten wie uns helfen oder Vorschriften machen lassen.

»Du brauchst eine gute Ausbildung, Kim, damit du später auf eigenen Beinen stehst und einen Beruf hast, der dich glücklich macht. Ich dachte, du würdest gern Tierärztin werden. Dazu gehören eine abgeschlossene Schulbildung und ein Studium.«

Aber Kim hatte jetzt keinen Kopf für Zukunftspläne. Sie sagte, das sei ihr alles egal.

»Ich will Flora behalten, sonst nichts! Wer weiß, was aus ihr werden würde. Es gibt so viele Menschen, die schlecht mit ihren Tieren umgehen. Pferde sind für viele Reiter nur eine Art Sportgerät. Wenn sie nicht richtig funktionieren, werden sie wieder verkauft, bis sie irgendwann auf einem dieser abartigen Schlachttransporte landen.«

Ich erschrak. Das war das schlimmste Schicksal für ein Pferd, das man sich ausmalen konnte. Kim redete schon weiter.

»Wenn die neuen Besitzer zu spät merken, dass Floras Fesselgelenke nicht in Ordnung sind, würden sie sie vielleicht rücksichtslos zuschanden reiten oder eben wieder verkaufen. Ich könnte nicht mehr schlafen, wenn ich nicht weiß, was aus ihr wird.«

Mama nickte. »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst. Aber es gibt doch auch Menschen, die verantwortungsvoll mit ihren Pferden umgehen. Sicher würden deine Eltern darauf achten, dass Flora in gute Hände kommt.«

Kim presste die Lippen zusammen. Ich dachte schon, sie wollte nicht antworten, aber dann erwiderte sie leise: »Die sind nicht wie Sie und Ihre Familie. Meine Mutter mag Tiere nicht besonders und mein Vater – er könnte nicht auf Fuchsjagden gehen, wenn er wirklich tierlieb wäre. Sie werden Flora an den verkaufen, der am meisten für sie bietet.«

Sie war aufgestanden. »Ich muss wieder nach oben«, murmelte sie. Mir fiel auf, dass sie nie »zu Hause« sagte, immer nur von »dort oben« oder von »Ravensmoor« redete.

»Wie lange hast du noch Zeit?«, fragte Niels. »Ich meine, wie bald wollen sie Flora verkaufen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Mein Vater ist unberechenbar. Normalerweise schiebt er die Sachen vor sich her. Nur wenn ihm die Banker im Nacken sitzen … Aber so weit lasse ich es nicht kommen. Lieber verschwinde ich mit Flora.«

»Das geht doch nicht!«, wandte ich ein. »Jetzt, im Winter. Und nach Little Eden kannst du sie nicht mehr bringen, dort würden sie euch zuerst suchen. Sie wissen ja, dass du Flora im Herbst bei Stevie versteckt hast.«

»Versprich, dass du nichts Unüberlegtes tust!« Mamas Ton war eindringlich. »Ich denke darüber nach, wie wir das Problem lösen können. Du bist nicht allein.«

Kim gab keine Antwort. Ich begleitete sie hinaus. Flora stand bei Kringle und Smilla auf der Koppel. Sie sah so zufrieden und glücklich aus, wie sie da an den spärlichen Wintergrashalmen rupfte, den silbrigen Hals glänzend von der Feuchtigkeit des Seewindes. Wir hatten sie vor Duncans Zugriff bewahrt und geglaubt, jetzt sei sie endlich in Sicherheit.

Kim löste die Zügel, die sie hochgebunden hatte. »Ich würde alles für sie tun, alles!«, sagte sie leise. »Lieber springe ich mit ihr über die Klippen, ehe ich zulasse, dass sie weggebracht wird.«

Sturm über Ravensmoor

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