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Wie es kam, dass Stumme zu
reden begannen

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»Der gute, der liebe Matthäus Zell! Auf Martin Bucers Rat hat er mich geheiratet. Alle Pfarrer sollten heiraten, so riet der Mönch in Wittenberg, dein lieber Herr Doktor, Lutherin. Aber dass ich, gerade ich, die Frau des ersten lutherischen Pfarrers am großen und berühmten Straßburger Münster werden sollte, das war der unerforschliche Wille Gottes. Ich war doch nur die Tochter eines Schreinermeisters, nur ein einfaches Mädchen.

Ich spielte mit den anderen Kindern im Hof hinter der Werkstatt meines Vaters. Wir trugen unsere Puppen umher, windelten sie, wie wir das bei unseren Müttern gesehen hatten, und legten sie an unsere Brust.

Auf einmal sagte meine Freundin Elsa: ›Du siehst ja aus wie die Gottesmutter mit ihrem Kind.‹

Oh, wie war ich stolz! Als mein Vater aus der Werkstatt trat, sprang ich ihm entgegen und rief: ›Ich bin die heilige Mutter Maria! Ihr müsst mich anbeten!‹

Da hob er die Hand und schlug mir ins Gesicht. Mein ›Kind‹ fiel in den Schmutz und ich lief weinend in die Küche zu meiner Mutter.

›Das ist eine schreckliche Sünde‹, rief sie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. ›Du gehst noch heute Abend zur Beichte.‹

Als es dunkel wurde, schlich ich in die leere Kirche. Der Priester, der auf dem Stuhl hinter dem Gitter saß, schalt mich eine dumme Gans. Ich hätte die Gottesmutter beleidigt. Obwohl ich noch nicht zehn Jahre alt war, musste ich viele Rosenkränze beten, und er trug mir auf, dass mein Vater sich am Sonntag um einen Ablass für mich bemühen müsse, weil ich sonst ganz gewiss in die ewige Verdammnis geraten würde. Über der Kirchentür sah ich den weit aufgerissenen Rachen des Satans, der mich verschlingen wollte wie all die anderen armen Seelen, und ich rannte weinend nach Hause.

Mein Vater war sehr böse auf mich – und auch auf den Priester –, weil er nun so viel schwer verdientes Geld aus­geben musste. ›Der Kirche in den Schlund werfen …‹, hörte ich ihn murmeln, denn der Ablasshandel war ihm schon längst nicht mehr geheuer. Aber was sollte er tun? Sein eigenes Kind dem ewigen Verderben ausliefern?

Meine Puppe berührte ich nie mehr. Still saß ich in einer Ecke, wenn die anderen ihre ›Kinder‹ umhertrugen oder an die Brust legten. Und nachts – oh, es waren schreckliche Nächte! –, nachts stand ich am Eingang der Hölle, die

Dämonen griffen nach mir und zerrten an meinen Kleidern, dass ich schreiend und schweißgebadet aufwachte.

So ging das viele Jahre. Ich war ein stilles Kind und eine stille Jungfrau. Immer und überall erkannte ich meine Sünde, sah mich auf dem Weg ins Verderben und lebte in ständiger Angst vor dem Gericht Gottes. Bis ich Matthäus Zell im Pfarrhaus predigen hörte. Er war von seiner Gemeinde im Schwarzwald vertrieben worden und nach Straßburg geflüchtet. Die Menschen hielten ihn für einen Ketzer. Darum durfte er nicht im Münster Gottesdienst halten.

Den Tag werde ich nie vergessen. Die Sonne leuchtete durch das Fenster des Pfarrhauses. Das Kreuz auf dem schlichten Altar stand im Licht, im himmlischen Licht, so schien es mir. Nirgendwo waren Bilder von der Hölle zu sehen. Von Gnade sprach Zell, davon, dass Gott uns erlöst habe durch das Blut seines Sohnes. Uns, die wir alle Sünder seien. Dass wir selbst die Gerechtigkeit nicht erwerben könnten, auch nicht mit guten Werken. So habe es der Mönch Martin Luther in der Bibel gelesen, und keiner der vielen gelehrten Theologen konnte ihn widerlegen. Luther habe vor Kaiser und Reichsständen zu seiner Überzeugung gestanden. Da fiel es mir wie Ketten von den Händen und Füßen. Gott erbarmt sich, wenn kein Mensch sich erbarmt!

An einem Sonntag fasste ich Mut und wagte es, nach dem Gottesdienst zu Zell zu gehen. Die Knie zitterten mir und meine Stimme bebte, als ich bekannte, dass ich eine Sünderin sei. Er legte seine große Hand auf meinen Kopf und segnete mich. Da wusste ich, was das ist: Gnade! Unverdiente, geschenkte Gerechtigkeit! Und ich bat Zell um die Schriften Martin Luthers.

In meiner Kammer saß ich und vergaß die Arbeit im Haus, meine Angst vor dem Gericht, den Schlund der Hölle. Als meine Mutter mich rief, stieg ich widerwillig ins Wohnzimmer hinunter und zog mich früh zurück.

›Willst du schon schlafen?‹

›Ich bin sehr müde‹, antwortete ich. Und die Eltern machten sich wohl Sorgen. Aber meine Müdigkeit hinderte mich nicht, atemlos weiterzulesen:

Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Ding und niemand untertan.

Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Ding und jederman untertan. Diese zwei Beschluss sind klar: Sankt Paulus 1 Cor. 9. ›Ich bin frei in allen Dingen und habe mich eines jedermanns Knecht gemacht.‹

Und weiter: Zum fünften hat die Seele kein ander Ding, weder im Himmel noch auf Erden, darin sie lebe, fromm, frei und Christ sei, denn das heilig Evangelium, das Wort Gottes, von Christo gepredigt …

Ich war sehr müde, und die Augen fielen mir fast zu, trotz­-

dem nahm ich auch noch die andere Schrift in die Hand:

Denn dies Wort, da Gott spricht: Seid fruchtbar und mehret euch, ist nicht ein Gebot, sondern mehr als ein Gebot, nämlich ein göttlich Werk, das zu verhindern oder zu unterlassen nicht bei uns steht, sondern es ist ebenso notwendig, wie dass ich ein Mannsbild sei, und notwendiger als Essen und Trinken, Reinigung des Leibes, Schlafen und Wachen. Es ist eine eingepflanzte Natur und Art ebenso wohl wie die Gliedmaßen, die dazu gehören.

Am Sonntag brachte ich die Schriften zurück ins Pfarrhaus. Und als ich vor ihm stand, da fasste Matthäus meine beiden Hände und sah mich so freundlich an, dass mir das Herz aufging wie nie zuvor und ich kaum den Weg nach Hause fand. Wenige Wochen später kam der lutherisch gesinnte Martin Bucer mit seiner Frau Elisabeth nach Straßburg. Er forderte Zell auf, zu heiraten, damit er ein Zeichen gegen die Unmoral der römischen Kleriker setze. Da klopfte der Herr Pfarrer ans Tor unseres Hauses. Mein Vater ließ ihn ein, und sie gingen in eine Kammer und sprachen lange hinter verschlossener Tür. Schließlich riefen sie mich und fragten, ob ich denn den Matthäus Zell heiraten würde – und ich antwortete ohne Zögern: ›Ja!‹

Nach der Trauung schloss der Bischof uns vom Abendmahl aus, denn Matthäus war Priester und zur Ehelosigkeit verpflichtet. Dazu konnte ich nicht schweigen! So viele Jahre hatte er ehelos gelebt und nicht nur unter Einsamkeit gelitten. Als ich in unserer ersten Nacht bei ihm lag und er voll Verlangen und doch ein wenig hilflos seine liebe Hand nach mir ausstreckte, da begriff ich, wie wahr es ist, was Luther in seiner Predigt ›Vom ehelichen Leben‹ schrieb: Denn es ist nicht ein freies Ermessen oder Ratschluss, sondern ein notwendig, natürlich Ding, dass alles, was ein Mann ist, ein Weib haben muss, und was ein Weib ist, muss einen Mann haben.

Ich schrieb dem Bischof einen Brief …«

— »Und du hast nie eine Antwort bekommen, nicht wahr? Das kenne ich!«, ruft die edle Frau Argula von Grumbach dazwischen. »So ist es mir mit meinen Briefen auch ergangen!«

»Eine Antwort vom Bischof? Nein, natürlich nicht! Aber das Blatt, auf dem mein Brief gedruckt stand, haben sich die Frauen in Straßburg aus den Händen gerissen und lasen: Eure Töchter sollen Prophetinnen sein, sagt der Prophet Joel. Keine hat gewusst, dass solche Sätze in der Bibel stehen! Doch hört, wie es weiterging:

Als der Rat der Stadt gegen den Willen des Bischofs das Kirchenregiment übernahm, durfte Zell im Münster predigen. Brave Handwerker bauten ihm eine hölzerne Kanzel, die wurde im Gang des Kirchenschiffs hin und her geschoben, denn die Domherren verboten ihm, auf ›ihre‹ Kanzel zu steigen. Tausende strömten herein aus den Gassen und von den Plätzen: Handwerker, Ratsherren, Adlige. Ich stand mitten in dem Gewühl, und ich war stolz auf ihn, meinen Matthäus!«

– »Aber deine Predigt! Erzähle, wie du gepredigt hast!«, drängt Elisabeth.

Einen Augenblick muss Katharina Zell sich besinnen. Zu viele, zu mächtige und bewegende Erinnerungen drängen auf sie ein. Dann richtet sie sich auf.

»Ja, meine Schwestern, ich habe gepredigt, dies eine Mal, aber nicht von der Kanzel. Als ich an jenem Morgen nach einer schlaflosen Nacht aufstand, waren meine Gedanken verworren. Ich fühlte: Ich muss etwas sagen, doch ich wusste auch: Noch nie hat eine Witwe am Grab ihres Mannes in der Öffentlichkeit gesprochen! Und sie hatten mich schon oft genug in der Gemeinde kritisiert, dass ich mich nicht fügen wollte.

Aber hat nicht Maria Magdalena den Jüngern die Botschaft gebracht, dass unser Heiland lebt? Darf ich dann nicht auch reden von der Hoffnung der Christen auf das ewige Leben? Niemand konnte es mir verbieten. Ich habe so viele Jahre lang meinen Matthäus sprechen lassen, denn er war ein großer Prediger vor dem Herrn und zwanzig Jahre älter als ich – doch an seinem Grab musste ich das Wort ergreifen, denn sein Mund hatte sich für immer geschlossen.

Aufgeschrieben habe ich nichts. Erst in den Tagen danach, als so viele kamen und fragten, ob sie nicht die Predigt nachlesen könnten, habe ich alles so ungefähr zu Papier gebracht. Aber in meinem Kopf war diese Rede wie ein Faden, ordentlich auf ein Knäuel gebunden, und als ich begann, wickelte er sich ab, Wort für Wort, Satz für Satz:

Liebe Freunde, dieweil dieses Begräbnis und Handlung mich am größten Teil betrifft … so muss ich auch dazu etwas reden, welches ich mich nicht kann enthalten aus der Fülle meines betrübten Herzens … Zum andern kann ich auch nicht lassen, euch, die ihr also hier vorhanden, weiter zu vermahnen … und euch zu erinnern der Lehre und Lebens, die dieser mein frommer Mann geführt hat …

Es war ein kalter Tag im Januar. Die Menschen standen frierend um das Grab, aber keiner rührte sich von der Stelle.

Ich bitt’ euch aber zuvor, dass ihr mir nichts für Übel aufnehmen, noch an mir ärgern wollt, als ob ich mich jetzt in das Amt der Prediger und Apostel stellen möchte; nein gar nicht, sondern allein wie die liebe Maria Magdalena ohne Vorbedacht ihrer Gedanken, zu einer Apostolin ward und vom Herrn selbst gedrungen, den Jüngern zu sagen, dass Christus erstanden wäre und zu seinem und unserem Vater aufgestiegen, also ich jetzt auch, ohne allen meinen Vorsatz, da ich, aus meinem Haus gegangen, nicht gedacht habe, etwas so mögen zu reden …

Ja, sie haben sich in ihre dünnen Mäntel gehüllt, der Schnee fiel in das offene Grab, und sie hörten zu. Ich habe ihnen das Vaterunser ausgelegt, so wie es mich mein Matthäus gelehrt hat, alles, was ich über die Gerechtigkeit allein aus dem Glauben wusste, habe ich ihnen verkündet, damit sie wissen: Mag auch der gute Pfarrer Zell in Gottes Reich eingegangen sein: Seine Botschaft ist nicht mit ihm dahingegangen!

Am Ende polterte die Erde auf den Sarg und die Totengräber taten ihr Werk. Aber ich stand wie unter einem offenen Himmel und wusste: Es war nicht umsonst!«

– Elisabeth lächelt. »Du hast gut daran getan zu reden! Du hast ihnen gezeigt: Auch durch uns spricht der Geist Gottes! Mein Caspar hat es gewusst, aber er traute sich noch nicht, es laut zu sagen.«

»Erzähle!«, sagt die Lutherin. »Ich weiß, du hast Verse niedergeschrieben, die noch heute in den Kirchen gesungen werden, Elisabeth!«

Elisabeth lässt sich nicht lange bitten.

»Ja. Es war eines Morgens, noch vor Sonnenaufgang. Ich wachte auf, und das Lager neben mir war leer. Ich wusste, wohin Caspar gegangen war. Er liebte es, den nächtlichen Himmel zu betrachten und über den Gang der Sterne nachzudenken. Wunderbare Geschichten hat er mir erzählt, wenn wir in der Nacht zum Firmament schauten.

Ganz fest nahm er mich in seine Arme, es sah uns ja niemand, und zeigte mir die Bilder, von denen schon die Griechen erzählt hatten: Orion und Kassiopeia, Herkules und den Schwan. Aber nichts liebten wir mehr als den Morgenstern, wenn er aufging und die Nacht vertrieb. Als ich nun allein auf meinem Lager daran dachte, wie nun wieder der Morgenstern aufgehe, da kam es mir, dass unser lieber Herr Jesus wie das rettende Licht über unserem Leben steht. Es erfüllte mich dabei eine solche Freude wie nur einmal zuvor: als nämlich unser guter Freund Bugenhagen im Kloster Marienbusch uns staunenden Mädchen von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes erzählte.

Da stand ich auf, holte mir von Caspars Schreibtisch ein Blatt und tauchte die Feder in seine Tinte. Als er schließlich hereinkam, in seinen Mantel gehüllt und trotzdem fröstelnd, rief ich ihn in die Schreibstube und zeigte ihm das Blatt.

Herr Christ, der einig Gotts Sohn,

Vaters in Ewigkeit,

aus seim Herzen entsprossen,

gleichwie geschrieben steht,

er ist der Morgensterne,

sein Glänzen streckt er ferne

vor andern Sternen klar …

Er sah mich an, dann wieder das Blatt Papier. ›Wie schön‹, sagte er, ›wie wunderschön!‹, legte seinen Arm um mich und las weiter:

… für uns ein Mensch geboren

im letzten Teil der Zeit,

dass wir nicht wärn verloren

vor Gott in Ewigkeit,

den Tod für uns zerbrochen,

den Himmel aufgeschlossen,

das Leben wiederbracht:

Lass uns in deiner Liebe

und Kenntnis nehmen zu,

dass wir am Glauben bleiben,

dir dienen im Geist so,

dass wir hier mögen schmecken

dein Süßigkeit im Herzen

und dürsten stets nach dir.

›Wie wunderbar‹, sagte Caspar, ›wie schön das klingt. Das muss man singen: dein Süßigkeit im Herzen! Du bist eine Dichterin!‹ Und er las laut die letzten Strophen:

Du Schöpfer aller Dinge,

du väterliche Kraft,

regierst von End zu Ende

kräftig aus eigner Macht.

Das Herz uns zu dir wende

und kehr ab unsre Sinne,

dass sie nicht irrn von dir.

Ertöt uns durch dein Güte,

erweck uns durch dein Gnad.

Den alten Menschen kränke,

dass der neu’ leben mag

und hier auf dieser Erden

dein Sinn und alls Begehren

und G’danken hab zu dir.

›Ich werde es dem Herrn Doktor geben!‹, rief Caspar, als er alles gelesen hatte.

›Wirklich?‹ Ich erschrak.

Noch am selben Tag ging er zu Martin Luther ins ›Schwarze Kloster‹. Ich wartete mit klopfendem Herzen an unserer Haustür. Was würde der große Herr Doktor dazu sagen? Er war ja einer, vor dem Kaiser und Papst sich fürchteten. Und wer war denn ich? Eine Klosterschülerin aus Pommern, die von seiner Botschaft gehört hatte. Eine, die als Fremde, als Flüchtling nach Wittenberg gekommen war und nur einen Namen kannte: den Lehrer Johannes Bugenhagen! Ihm hatte ich geglaubt, als er zu uns von der Gerechtigkeit Gottes redete und von der Freiheit eines Christenmenschen.

Ich sah Caspar mit schnellen Schritten über den Marktplatz zurückkommen. Und dann erzählte er: Martin Luther las meine Verse und staunte. ›Sie hat das geschrieben? Sie?‹ Dann klopfte schon wieder ein Student an die Tür, er legte das Blatt zu anderen Liedern, die er selbst geschrieben oder gesammelt hatte, und sagte, er werde es wohl mit aufnehmen in das neue Gesangbuch, aus dem die Evangelischen singen sollten. ›Aber‹, rief er meinem Caspar noch nach: ›Es muss niemand wissen, dass sie es geschrieben hat!‹ Caspar tröstete mich: ›Warte nur ab!‹

Und er hatte recht. In der zweiten Auflage des Gesangbuchs stand nicht mehr ›anonymus‹, sondern ›Elisabeth Cruciger‹ als Verfassername unter dem Lied. Da war Luther schon dein lieber Eheherr geworden, Katharina, und da wusste er auch, wie gut Gott es gemeint hat, als er Mann und Frau füreinander schuf. Bei unserer Hochzeit sprach er noch so streng mit uns davon, wie viel Kummer, Not und Schweiß der Ehestand mit sich bringen würde. Ach, es war auch nicht leicht, wir waren so jung und ich hatte keine Mitgift, doch Caspar und ich, wir hatten einander von Herzen lieb. Er sagte immer wieder: ›Du hast Vater und Mutter verlassen und bist aus Pommern gekommen, weil du der Botschaft des Martin Luther geglaubt hast. Du bist viel mutiger als die meisten von uns Männern.‹ Aber als ich einmal träumte, ich stünde auf der Kanzel und predigte (es war ein wunderschöner Traum!), lachte er mich aus: ›So weit wird es nie kommen.‹«

– »Ha! Nicht von der Kanzel, aber mit der Feder haben wir uns doch schon längst eingemischt!« Es ist Frau Argula, die wieder das Wort ergreift.

»Ja, Euch hat man gelesen!«, antwortet eine.

»Ihr konntet Euch ausdrücken, Frau Argula, sogar in gereimten Versen!«, meint eine andere. »Eure Schriften und Briefe haben sich die Frauen auf den Märkten aus den Händen gerissen!«

Die stolze Fürstin schüttelt lächelnd den Kopf. »Meine Schwestern, ich habe nicht mehr getan als ihr durch eure Worte und euren Dienst. Es war mein Glück, dass ich gute Lehrer hatte. Und dass mein teurer Vater mir schon, als ich noch ein Kind war, eine Bibel zu lesen gab, eine deutsche Bibel.«

»Luthers Bibelübersetzung habt Ihr schon als Kind gelesen?«, fragt die Lutherin.

»Nein, es war die ältere von Koberger. Die Sätze waren schwer zu verstehen, vieles konnte ich erst später begreifen. Aber trotzdem, auch in dieser sehr unvollkommenen Form habe ich so wunderbare Erzählungen kennengelernt wie die von Mirjam am Schilfmeer und der Richterin Debora. Solche Texte haben uns die Priester nie zu lesen erlaubt!«

Da rührt sich die fremde alte Frau: »Ja, wir sollten es nicht wissen, was in der Bibel steht. Und als ich davon hörte, da … ihr werdet es nicht glauben, Schwestern: Ich habe auch gepredigt. Sie haben es mir als eine schwere Sünde angerechnet. Aber ich habe es nie bereut. Sogar das Brot und den Kelch habe ich den Männern gereicht.«

»Du? Du hast das Abendmahl ausgeteilt? Erzähle!«

Die andern drängen sich um sie, doch die Alte hebt abwehrend die Hände: »Nein, lasst mich, noch nicht! Ich will erst hören. Ich habe einen hohen Preis gezahlt für dieses Verbrechen, wie man es nannte. Seht die Narben an meinen Händen und in meinem Gesicht. Es war Krieg. Wisst ihr, was das bedeutet: Krieg?«

»Der Aufstand der Bauern?«

»Das Gemetzel der Fürsten?«

»Der Krieg des Kaisers gegen die evangelischen Fürsten?«

Sie reden alle durcheinander, es waren zu viele Kriege, die sie durchmachen mussten. Nur eine schweigt und verbirgt das Gesicht in den Händen.

Wibrandis Rosenblatt, die vielfache Witwe, legt den Arm um die Schultern von Zwinglis Frau: »Lasst Anna

reden! Sie weiß mehr als wir alle.«

Anna Zwingli sieht die anderen an, jede Einzelne, als wollte sie fragen: »Wirklich? Ihr seid bereit, das zu hören?«

Es wird still. Die Lutherin nickt. »Rede, Anna!«

Verspottet, geachtet, geliebt - die Frauen der Reformatoren

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