Читать книгу Zeichenlehrbuch - Ursula Vanoli-Gaul - Страница 5
Einführung - Vorwort
ОглавлениеWeil ich selbst, die Verfasserin dieses Lehrbuchs, mich viele Jahre dem Ruf widersetzt habe, meine Erfahrungen aus meiner Zeichenschule, die ich seit 22 Jahren in Karlsruhe leite, in einem Buch niederzulegen, hat es lange gedauert, bis ich mich dazu entschlossen habe. Ich wollte nicht noch ein Buch den vielen anderen Büchern hinzufügen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Menschen beibringen zu wollen, wie man zeichnet. Zu oft sind mir Menschen begegnet, die auf diese Weise versucht hatten, zu einer künstlerischen Sprache zu gelangen, und nach wenigen Seiten sämtliche Bücher enttäuscht weggelegt hatten. Die Überzeugung aber an der Methode, der immer wiederkehrende Beweis daran, motivierte mich dann doch, und ich begann, einige Jahre sämtliche Unterrichtsstunden aufzuzeichnen, mit den dazugehörenden Skizzen, mit allen Erklärungen und Äußerungen meinerseits zu den jeweiligen Themen, den weiterführenden Zusammenhängen aus den Naturwissenschaften, ihren Bezügen zu den anderen Künsten, der Philosophie und der Psychologie. Durch diese Verknüpfungen erst gelang es mir, ein vitales Interesse zu wecken, sich das Medium Kunst als Gestaltungsmittel zu wählen.
Es sind ja nicht nur Erfahrungen aus dem Unterricht mit Erwachsenen, die bei mir Zeichnen und Malerei gelernt haben, sondern es ist die Dokumentation eines langen Erforschens der Wahrnehmung, der gestalterischen Grundsätzlichkeiten, die ich immer versucht habe, in ein Gerüst der Lebenszusammenhänge zu transponieren, mit allen Fähigkeiten, Möglichkeiten, aber auch Blockierungen und Ängsten, die dabei zum Tragen kommen können.
Das Bedürfnis des Menschen, sich auszudrücken, und sich damit zu vermitteln, ist im Erwachsenenalter keinesfalls selbstverständlich.
Für viele bedeutet es, wenn sie beginnen, sich mit Kunst auseinander zusetzen, sich erstmals kritisch mit sich selbst, und ihrem Umfeld zu befassen. Das geht oft nicht ohne Einbußen der vielfältigsten Art. Seien es Ideen, Vorstellungen, Überzeugungen, Ideale, oder auch Veränderungen im persönlichen Bereich.
Die künstlerische Arbeit ist nur wirklich authentisch zu machen, wenn eine beständige Arbeit und Selbstreflexion betrieben wird, bis ins tägliche Leben hinein. Das kann zu Zeiten anstrengend, mühsam sein.
Immer habe ich schon in den ersten Unterrichtsstunden bewusst machen wollen, dass das Zeichnen nicht nur eine Technik der ausführenden Hand ist, sondern in einem direkten Zusammenhang mit betrachtender, denkender und fühlender Wahrnehmung, sowie der Wahrnehmung seiner selbst, steht. In diesem Zusammenhang habe ich den Begriff des Simultanen Zeichnens entworfen, auf den meine Zeichenlehre gegründet ist, mit den dazugehörenden Übungen, um es zu erlernen. Neben dieser grundlegenden Methode, habe ich Wege ermittelt, die dem Verständnis der Formensprache dienen, sowie die Lehre von den Grundformen und ihrer inneren Dynamik und Struktur, die für das Erfassen von Gegenständen im weitesten Sinn elementar sind, deren Darstellung erleichtern und die Gestaltung einer individuellen Wahrnehmung einleiten können. Zeichnerische Hilfsmittel und Übungen zur Handhabung des Stifts und der sensiblen Linienführung sind mit einbezogen.
Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung und Neurophysiologie haben mich in meinen eigenen Forschungsergebnissen bezüglich des physiologischen Ablaufs der Wahrnehmungstätigkeit des Auges bestätigt. Selbst die von mir aufgrund dieser Forschungsergebnisse entwickelten Übungen, finden in der wissenschaftlichen Analyse der Wahrnehmungstätigkeit des Auges ihre Entsprechung in den Ergebnissen bildhafter medizinischer Untersuchungsmethoden.
Ich habe festgestellt, dass meine Schüler froh waren dafür, dass sie kein Rezept von mir bekommen, das eine technische Ausführung der Zeichnung bewirken könnte, was ich immer bezweifelt habe, sondern gelernt haben, umfassende Gedankengänge zu praktizieren, gelernt haben, ohne Scheu kritische Hinterfragungen anzustellen, Bezüge herzustellen, Assoziationen zu entwickeln, sich als Forscher zu verstehen, der den Dingen in ihren unterschiedlichsten Zusammenhängen nachgeht. Durch diese reflexive Arbeit erst kann sich eine individuelle künstlerische Sprache entwickein, kann sich eine dauerhafte kreative Arbeit, die selbständig bewältigt werden kann, einstellen. Doch Geduld, Ausdauer, Disziplin, Konzentration, Wahrhaftigkeit, sich selbst und den Dingen gegenüber, sind dafür notwendig. Die Arbeit mit Kunst ist nicht in einem Schnellkurs zu bewältigen, sie eröffnet jedoch, je länger man sich mit ihr auseinandersetzt, immer neue Möglichkeiten kreativen Denkens und Handelns. Die Simultan-Methode bewirkt vor allem aber eine Veränderung des konventionellen Sehens, und somit eine Möglichkeit, unverfälscht seinen Beobachtungen nachzugehen. Durch die Elementarlehre als Basis, bietet sie eine individuelle Weiterentwicklung im künstlerischen Gestalten.
Der Sinn dieser Methode ist, Individualität in Form und Ausdruck zu fördern, die Relativität des sogenannten Schönen zu hinterfragen, sich von genormten Schönheitsbegriffen zu befreien, und damit sich selbst entwickeln zu können.
Als ich in den zurückliegenden Jahren eine immer deutlichere Abnahme des Vorstellungsvermögens und der Ausdrucksfähigkeit, der Formalen, wie der Verbalen, feststellte, war ich überzeugt davon, dass dieses Buch seinen Sinn erfüllen wird, die aufkommende Sprachlosigkeit in seinem ihm eigenen Rahmen zu beeinflussen.
Hier ist es nun. Und ich hoffe, dass etwas von meiner eigenen Leidenschaft für die vielfältigen Wahrnehmungszusammenhänge und den künstlerischen Gestaltungsprozess, meiner Neugier, den Dingen auf den Grund zu gehen, auch ein wenig durch dieses Buch überspringen können, und motivieren können.
Um eine möglichst lebendige Vermittlung zu bewirken, habe ich beim Schreiben stets eine Unterrichtsstunde zum Vorbild genommen, und eine theoretische Sprache vermieden, zugunsten einer einfachen, direkten Ausdrucksweise, und, wie in der Schule, den Imperativ verwendet. Scheinbare Mängel, wie z.B. der Verzicht auf einen "ordentlichen" Blocksatz, sind bewusst von mir eingesetzt, da ich auch hier mit asymmetrischen Formen und Leerstellen einem besseren Verständnis zu Hilfe kommen wollte.
Ich bin froh, dass das Lehrbuch nun da ist - auch wenn ich weiss, dass die persönliche Vermittlung dieser hochsensiblen und differenzierten Dinge, auch durch das beste Buch nicht zu ersetzen ist.
Ich danke allen Menschen, die mich durch ihr Interesse und ihre Freundschaft bei meiner Arbeit unterstützt und damit gefördert haben. Sie haben dadurch Teil an der Entstehung und Verwirklichung des Buches.
Das Buch versteht sich als Arbeitsbuch, und ist absichtlich einseitig bedruckt worden, um spontane Übungen, auch auf den Leerstellen zwischen den Textabsätzen der Arbeitsbeispiele, zu ermöglichen !