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Kapitel 4
ОглавлениеAm nächsten Abend…
Bevor diese ganze Geschichte mit Werner Jensen im Sande verlaufen würde, streute Bürgermeister Hansen am Stammtisch neue Gerüchte.
»Ja ja . ..das musste ja irgendwann passieren«, sagte er geheimnisvoll und nickte mit dem Kopf, »Erst die Körperverletzung an mir – obwohl ich immer noch glaube, dass das ein Mordanschlag war. Jetzt die arme Hilke. Was ist denn bloß in letzter Zeit in Werner gefahren!«
»Der Teufel!« rief der Bestatter Hunoldt mit dem Pastor-Upgrade.
»Ich verlange den Ausschluss aus unserer Runde und Rückgabe des Schützen-Titels!« Diese Worte knallte Hansen seinen Freunden einfach so auf den runden Tisch und unterstrich das zusätzlich mit der geballten Faust. Dabei schaute er alle nacheinander an und wartete auf Reaktionen. »Was hat denn der Schützentitel damit zu tun?« traute sich der Apotheker Paulsen zu fragen. Paulsen hatte gewisse Ähnlichkeit mit dem Druiden ›Miraculix‹. Dünne Gestalt, graues längeres Haar, grauer Vollbart und ein As im Brauen von so manchen geheimnisvollen Mixturen, von denen niemand die genauen Inhaltsstoffe wissen wollte. Die anderen stimmten Paulsen zu und meinten sogar, dass das Hansen ja ganz gut in den Kram passen würde, denn dann würde er auf den ersten Platz zum Schützenkönig vorrücken. Jetzt ergab ein Wort das andere und kurz vor der Eskalation betraten Brodersen, Block und der Mops Klaus das Lokal (aus bekannten Gründen konnte er ja nun noch nicht mal mehr allein im Auto bleiben). Von einer Sekunde zur nächsten wurde es mucksmäuschenstill. Nur Klaus knurrte kurz und der Bürgermeister lachte: »Ich krieg ja richtig Angst vor ihrem Polizeihund, Sheriff! Wächst der eigentlich noch?«
Brodersen ignorierte die Dummschwätzer und teilte ihnen mit einer gewissen Strenge und einer Spur Autorität mit, dass er alle Anwesenden am nächsten Tag auf dem hiesigen Revier sehen wolle, zwecks Aussage: »Ich hoffe, sie haben Morgen noch nichts vor.«
»Aber das war doch ein Unfall!?« protestierte der Bürgermeister.
»Das ist noch nicht geklärt.«
Nun lachte keiner mehr und die Beamten zogen ab.
Brodersen und Block blieben für den Zeitraum der Untersuchung hier in Tottenbüttel im ›Hotel zur Post‹. So sparte man sich die Hin- und Herfahrerei und der Wagen konnte parallel in der hiesigen Werkstatt repariert werden. Vor Jahren noch Disco, dann wirklich mal eine Post, hatte das einstöckige Haus mit den weißen Rauputzwänden schon bessere Zeiten gesehen. Eigentümer war schon immer die Familie Wellmann. Auch Familie Wellmann hatte schon bessere Zeiten gesehen. Sie gehörten früher mal einer ganzen Dynastie von Wellmännern an, die in vielen wichtigen Positionen vertreten waren. Doch das war lange her. Das, was die Großeltern aufgebaut hatten, führten nun deren Nachkommen weiter. Und das waren der einundfünfzigjährige Carsten Wellmann und seine dreiundfünfzigjährige Schwester Hildegard. Sie hatte einen Peter Asmuss geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Ihr Bruder Carsten war geschieden und auch kinderlos. Die Umsätze waren stark zurückgegangen, wer übernachtete schon freiwillig in diesem Dorf. Also, abgesehen von denen, die hier wohnen mussten, aber die hatten ja ihr eigenes Bett. Doch seit kurzem gab es einen Lichtblick am Horizont. Der Bürgermeister versprach einen Zuwachs der Kaufkraft in Tottenbüttel – durch Neuansiedlung großer Firmen im Industriegebiet, wodurch auch die Nachfrage der Übernachtungen steigen würde. Mehr Firmen – mehr Leute auf Montage. Die Pläne eines Hochseilgartens im Naherholungsgebiet und einen besseren Ausbau der Radwege lagen ebenfalls in der Schublade. Die Erwartungen von Hildegard und Carsten Wellmann waren groß. Sie planten schon eine komplette Renovierung und Restaurierung ihres Hotels und starteten schon mal mit einigen Zimmern. Deswegen stand zurzeit auch nur ein einziges Doppelzimmer zur Verfügung, dass sich Brodersen und Block teilen mussten. Der Mops wurde ausnahmsweise geduldet, normalerweise waren Haustiere hier verboten. Da aber Frau Wellmann ein Herz für Tiere hatte, stellte sie für Klaus eine Schüssel Wasser aufs Zimmer. Während Block im Hotel blieb, um mit der Dienststelle Kontakt aufzunehmen und Bericht zu erstatten, fuhr Brodersen mit Klaus in die Werkstatt, die sich ganz in der Nähe befand. Der KFZ-Mechaniker in seiner grau-blau-schwarz-braunen-irgendwas Latzhose traute seinen Augen nicht, als das Wrack auf seinen Hof fuhr. »Wollen sie, dass ich den verschrotte?« war seine ernst gemeinte Frage.
»Wie kommen sie denn darauf? Ein bisschen Ausbeulen hier und da, und er ist wieder wie neu.«
»War ja mal ein schöner Wagen. Wie ist denn das passiert?« wollte der Ölverschmierte wissen, der in einer Regenbogen-schillernden Lache stand.
»Wildunfall.«
»Hui, ja … kann echt schnell gehen … vor allem, wenn man nicht aufpasst.«
»Ich hab aufgepasst … das Wild aber nicht.«
Der Dialog zwischen den beiden wurde kurz unterbrochen, als Brodersen die Fahrertür öffnete. Dem Mechaniker entglitten beim Anblick des Innenraums seine Gesichtszüge.
»Na, da hat das Tier ja ganze Arbeit geleistet.«
Brodersen erklärte ihm, dass er die Risse mit Textilkleber bestimmt wieder hinkriegen würde. Der verdutzte Mechaniker zeigte Humor, als er sagte: »Ja, ein bisschen Klebung hier und da und er ist wieder wie neu, nicht wahr?«
Brodersen war überrascht, lächelte dem Mann ins Gesicht und nickte bestätigend:
»Genau! Schön, dass wir uns einig sind. Und das alles natürlich Pronto und günstig. Wird schließlich von Steuergeldern bezahlt.«
Während der Kommissar an der offenen Autotür stand und das ganze Massaker noch einmal auf sich wirken ließ, richtete er noch ein paar leise Worte an Klaus: »Sieh genau hin, was du hier angerichtet hast, du Bestie.« Der Mops winselte, offenbar hatte er verstanden.
Auf dem Rückweg stattete Brodersen Frau Büntes Tante-Emma Laden einen Besuch ab, um sich mit Verpflegung einzudecken. Klaus wartete wieder einmal angebunden vor der Tür. Gleichzeitig mit der Öffnung der Ladentür entwich ein wundervoller Duft von Salami, Käse und frischem Brot nach draußen auf den Gehweg und waberte unter der Nase des Hundes vorbei. Klaus winselte – er hatte Hoffnung und war gespannt, würde für ihn etwas abfallen? Dieser köstliche Geruch erinnerte ihn an Zeiten, in denen sein Herrchen noch richtige Nahrung zu sich nahm. Dem Mops lief der Speichel in der Schnauze zusammen.
Der Kommissar war beeindruckt von dem doch recht vielfältigen Sortiment, nickte ein paarmal vor sich hin und lächelte.
»Schön, dass es so einen Laden noch gibt. Sind ja so gut wie ausgestorben.« er wurde nachdenklich, »Ich kann mich noch erinnern, dass wir als kleine Jungs damals, vor und auch nach der Schule, einzelne Bonbons oder Lollies gekauft haben. So … ein Bonbon für 1 oder 2 Pfennige … aus diesen großen Gläsern. Das waren noch Zeiten.« seufzte er.
»Sie werden lachen, Herr Kommissar, die haben wir heute noch.«
Er zog die Brauen hoch, seine Augen wurden groß wie Flummis. Er lächelte und ließ sich ohne Widerrede eine große Tüte mit Brausebonbons, Lakritzschnecken und Zuckerherzen einpacken. »Hier bitte. For to go.« Sie lächelte ihn an; und wo er schon mal dabei war, kamen noch eine Tüte Chips, Kekse, vier belegte Brötchen, zwei Bier und eine Dose Hundefutter dazu. Er entschied, dass er heute seine Diät vorerst beenden würde. Brodersen bekam noch eine Papiertüte für seine Einkäufe ausgehändigt und verließ zufrieden den Laden. Vor der Tür atmete er ganz tief ein und wieder aus, sein Lächeln schien wie eingefroren, während ihn sein Hund vor Vorfreude ansprang und aufforderte, ihm alles Gekaufte sofort auszuhändigen. »Ist ja gut. Nicht so ungeduldig. Gibt gleich was.« Er löste die Leine vom Laternenpfahl und wollte gerade losmarschieren, als Frau Bünte nach draußen auf die Straße folgte und Brodersen einen kleinen Kirschlollie aushändigte. »Auch wie damals.« lächelte sie ihn an. Dann bückte sie sich zu Klaus hinunter und wedelte mit einem Würstchen direkt vor seiner Nase herum. Klaus wedelte auch, das sah nur niemand. Der Mops griff zu und schmatzte zufrieden. »Keine Bestechung, bitte.« lachte der Kommissar.
»Wie wär´s noch mit ein paar Leckmuscheln?«
»Wir wollen mal nicht übertreiben.«
Viel war für seinen Kollegen nicht übrig geblieben, nachdem er ins Hotel zurückkehrte. Doch der freute sich über ein Brötchen, eine halbe Tüte Kekse und ein Bier.
Der Mops quengelte, während Herrchen die Dose mit dem Hundefutter aufriss. Die Enttäuschung war groß, denn Klaus hoffte auf ein weiteres Würstchen oder wenigstens ein belegtes Brötchen. Nun stießen die Polizisten mit dem Bier auf den Feierabend an und starrten Richtung Doppelbett. »Ich schlaf rechts.« stellte der Kommissar klar.