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9. KAPITEL 18. – 19. JAHRHUNDERT Wie man mit Torf Fundamente baute und Häuser zum Schwimmen brachte.
ОглавлениеMIT WALDEMAR UNTERHIELT ICH MICH DARÜBER, mit welchem Material hier früher eigentlich Fundamente gesetzt worden sind.
»Sie haben gearbeitet mit dem, was sie hatten«, sagte er. »1938 gab es bei uns laut Giebelinschrift eine Stall- und Dielenerweiterung. Für die Fundamente hat man einfach Sand genommen und eingeschlämmt, umgeben von Moor. Als wir dann zwanzig Jahre später Fundamente für die neue Scheune gegraben haben, um sie so nahe wie möglich an den Stall zu setzen, entstand im Giebel ein Riss.« Da hatte der Sand nachgegeben und ein Teil der Mauer war abgesackt. »Aber wenn du es genau wissen willst, musst du dich mit unserem alten Zimmermann unterhalten.«
Das machte ich, fuhr los Richtung Norden und bog kurz vor der Brücke über den Hadelner Kanal nach links ab, dann lange parallel zum Wasser. Alles liegt hier tiefer als der Kanal, die Weiden und auch das Haus des Zimmermanns, ein Fachwerkhaus, von ein paar jungen Birken umgeben. Im Wohnzimmer hängt ein schönes Bild dieses Hauses, den Flur schmückt eine Truhe aus dem 18. Jahrhundert. Aber alles steht hier gerade und es gibt keine Risse in den Wänden.
Hatten wir früher neu tapeziert, war spätestens nach einem Jahr irgendwo ein neuer Riss entstanden. Wenn über Eck die eine Wand gegenüber der anderen absackte, zogen sich als erstes Anzeichen dort, wo die Wände aneinanderstießen, Falten in die Tapete, bis sie riss. Und wenn im Esszimmer etwas auf den Boden fiel, rollte oder rutschte es zum tiefsten Punkt unter dem Esstisch. Wir wussten immer, wo der tiefste Punkt war. Nur bei den mit Holz belegten Böden war es anders. Die senkten sich nicht punktartig, sondern als Ganze in Richtung der gesackten Wand.
Irgendwann hatte ich gehört, dass die Häuser hier mit ihren Holzböden auf Balken gesetzt wurden, die ohne Fundamente einfach auf das Moor gelegt worden seien – und so mit den Bewegungen des Bodens mitgingen, sozusagen auf dem feuchten Untergrund schwammen. Aber war das wirklich so gewesen?
Es ist Kaffeezeit und fast schon wieder dunkel. Der alte Zimmermann zeigt auf seine Terrasse hinter dem Haus. Das Land jenseits des Gartens grenzt an einen Forst, und hier seien bis vor ein paar Jahren an Abenden wie diesen bis zu fünfzig Stück Damwild aus dem Wald getreten, um auf den Weiden zu äsen. Jetzt passiere das nicht mehr. Vielleicht sind sie von den Wölfen vertrieben worden? Er zuckt die Achseln.
Der beinahe Achtzigjährige ist kräftig und beweglich. Zwar hat inzwischen die Tochter den Betrieb übernommen, aber meist ist der freundliche Mann immer noch den ganzen Tag mit im Betrieb oder auf Baustellen. Er ist zuständig für die ›alten Sachen‹, weil er sich auskennt mit alten Häusern und Ställen, die renoviert oder ausgebaut werden sollen. Früher war er mehr mit dem Neuen beschäftigt, unser Boxenlaufstall von Anfang der 1970er-Jahre war eine seiner ersten Bauleitungen.
Wir trinken Kaffee.
»Im 18. Jahrhundert«, sagt er, »und vermutlich auch schon im 17. Jahrhundert, hat man die Fachwerkbauten auf große Torfsoden gesetzt, die in eine Art Fundamentgräben eingesenkt wurden. Diese Torfsoden waren etwa 40 mal 50 mal 60 Zentimeter groß, stark ausgetrocknet und daher verdichtet. Auf die legte man Balken und hat auf denen dann den Holzrahmen für das Haus errichtet. Im Winter hat sich der Torf mit Wasser vollgesogen und das ganze Haus angehoben. Im Sommer trockneten die Soden aus und das Haus senkte sich wieder. Die Hoffnung war immer, dass sich das Gebäude gleichmäßig hob und senkte – was aber natürlich nie der Fall war. Es gab immer Risse in den Böden und Wänden.«
»Welches Material hatte man?«
»Das war es ja eben: Holz und Steine gab es anfangs nicht.« Die neu angepflanzten Bäume brauchten ein paar Jahrzehnte, bis sie als Bauholz genutzt werden konnten. Und bevor man alle Baumaterialien einzeln transportierte, brach man nicht selten ein ganzes Haus woanders ab und transportierte alles – Holz, Steine, Fenster und Türen – auf Pferdewagen hierher. Ein Beispiel dafür ist laut Dorfchronik die erste Schule unseres Dorfs. Aber bald wurden Ziegeleien im Umkreis gegründet und versorgten die Bewohner mit Ziegelsteinen.
»Als Nächstes«, sagt er, »hat man für die Fundamente erst gestampften Lehm, später Rotstein genommen, also gebrannten Stein, aber ohne Mörtelverbindung. Diese Fundamente wurden leicht nach außen ausgestellt, wurden also nach unten hin breiter gesetzt und verjüngten sich nach oben hin – wie bei einer Pyramide.
Ich zeichne es mir auf.
»Immer wieder wird behauptet, die Häuser hier wären traditionell auf Pfähle gestellt worden. Was hat es damit auf sich?«
»Ja, das gab es auch. Aber erst, als genug Bauholz zur Verfügung stand.«
»Wie muss man sich das vorstellen?«
Er erklärt, ich zeichne den Grundriss nach seinen Angaben.
Im Abstand von einem Meter wurden lange Holzpfähle, meistens aus Eiche, als Träger für die Außenwände in den Boden gerammt, dazu meistens noch eine Linie entlang der Mittelachse für eine tragende Wand – das war bei den Bauern die Wand zwischen Vieh- und Hausteil. Die Länge der Pfähle bemaß sich nach der Stärke der Moorschicht.
»Bei euch im Dorf war sie eigentlich nicht so stark«, sagt er, »etwa einen Meter, dann war man schon auf Sand. Aber hier nebenan geht es bis zu acht Metern tief.«
Das Wichtigste an dieser Bauweise ist gewesen, dass die Pfähle unterhalb des Grundwassers blieben, also immer im Feuchten standen, um sich nicht zu zersetzen. Durch die Entwässerung und das Absacken des Moors gerieten viele Pfähle jedoch mit ihren Köpfen oberhalb des Grundwassers. »Und da begannen sie zu verfaulen, weil Luft rankam.« Und wieder sackten die Häuser.
»Als bessere Wege und Transportmöglichkeiten vorhanden waren, setzten manche Felssteine als Fundamente.«
»Aber die sacken doch auch weg«, wende ich ein.
»Richtig«, sagt er. »Alles versackt im Moor. Deshalb war eine leichte Bauweise wichtig, so wie das Fachwerk.«
»Und die Bedachung durch Stroh«, füge ich an.
Aber da schüttelt er den Kopf. »Nur bei Trockenheit ist das Strohdach leicht. Wenn es sich voll Wasser saugt, ist es mindestens so schwer wie ein Ziegeldach.«
Bei vielen Neubauten zwischen den 1880er- und 1920er -Jahren wurden Dächer immer seltener noch mit Stroh gedeckt. Zwar waren Strohdächer immer noch billiger, aber sie müssen auch aufwendig gepflegt werden, gegen Moosbewachsung geschützt und gründlich ausgebessert, wenn ein Sturm sie zerpflückt. Und die Feuerversicherung wurde unbezahlbar. Es folgten Lehmziegeldächer, und wer sich die nicht leisten konnte, deckte das Dach mit Pfannenblechen, deren Nachfolger in den 1950er-Jahren das Eternit bzw. Wellenasbest war.
Sein Haus besitzt ein Krüppelwalmdach, einen ›Pony‹ über dem Giebel. Früher verschloss man das obere Dreieck im spitz zulaufenden Giebel durch Bretter und ließ darin ein Eulenloch frei; man bot Eulen und Käuzen gerne Wohnung, denn sie waren nützlich, weil sie Mäuse fraßen.
Woraus machte man die Fußböden?
Die bestanden anfangs für Mensch und Tier aus gestampftem Lehm. Als für Menschen dann Holzbohlen benutzt wurden – jedenfalls für die Schlafstuben, weil es das wärmere Material war –, verwendete man für die Ställe immer öfter Rotstein, das waren Ausschussziegel, die auch für Küchen und Waschküchen benutzt wurden. Die nächste Stufe waren dann Fliesen, und wir zeichnen beide die traditionell verwendeten Muster für die hiesigen Flure und Küchen auf, an die wir uns erinnern, wie Salmiakpastillen sternförmig gelegt in Beige und Schwarz, an den Rändern ein römisches Muster wie das Fragment eines Labyrinths.
Als ich ihn zum Abschluss frage, was er mir raten würde, wenn ich vorhätte, im Moor zu bauen, sagt er nach kurzem Schweigen: »Da würde ich abraten. Man hat eigentlich immer nur Ärger damit.«